Heinrich Heines "Dämmernd liegt der Sommerabend" (LXXXV.) aus dem Buch der Lieder und seine Vertonung durch Johannes Brahms


Hausarbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Zyklus Die Heimkehr im Buch der Lieder

3. Gedicht LXXXV. (Dämmernd liegt der Sommerabend)
3.1 Form, Inhalt und Entstehung
3.2 Interpretationsansätze
3.2.1 Romantische Motive
3.2.2 Bildhaftigkeit
3.2.3 Synästhesie und Synergie
3.2.4 Sensualismus und Erotik

4. Die Vertonung durch Johannes Brahms
4.1 Brahms’ Heine-Vertonungen
4.2 Op. 85,1 (Sommerabend) und seine Verbindung zu Op. 85,2 (Mondenschein)

5. Rückgriff:
Zyklische Komposition und Gedichtstellung im Buch der Lieder

6 . Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Das lyrische Frühwerk des Dichters Heinrich Heine (1797-1856) versammelt sich im Buch der Lieder, seinem berühmtesten und populärstem Gedichtband. Wichtig für die Verbreitung dieses Werkes war auch die Fülle an Vertonungen namhafter Komponisten wie beispielsweise Robert Schumann, Franz Schubert oder in diesem Falle Johannes Brahms: Das Buch der Lieder kann als der meistvertonte deutsche Gedichtband gelten.[1] In dieser Arbeit soll es darum gehen, einen Blick auf das Gedicht LXXXV. (Dämmernd liegt der Sommerabend) aus dem Zyklus der Heimkehr zu werfen, es zu analysieren und in das Werk Heines und seine motivischen Einflüsse einzuordnen. Johannes Brahms vertonte dieses Gedicht 1878 und verband es unzertrennlich mit dem im Buch der Lieder darauf folgenden Gedicht LXXXVI. (Nacht liegt auf den fremden Wegen). Diese Verbindung soll sowohl auf musikalischer, als auch auf textlicher Ebene untersucht werden. Kann diese persönlich gezogene Verbindung Brahms’ auch im Interesse des Dichters gelegen haben?

2. Der Zyklus Die Heimkehr im Buch der Lieder

Das Buch der Lieder kann als eine Art Gesamtausgabe Heines bekanntester Gedichte gelten, enthält es doch bei seiner Erscheinung 1827 nur sieben bisher ungedruckte Gedichte. Ansonsten umfasst die Sammlung bereits veröffentlichte Zyklen in der chronologischen Reihenfolge ihres Erscheinens, sowie weitere ergänzende einzelne Gedichte. Der darin enthaltene Zyklus Heimkehr besteht aus 88 Gedichten, die Heine zwischen 1823 und 1826 schuf. Die Werke sind also dem Frühwerk des Dichters zuzurechnen, die Sammlung lässt sich Dank der chronologischen Ordnung auch als Dokumentation Heines dichterischer Entwicklung lesen. Der Grundstock der Heimkehr bestand zunächst aus 33 Gedichten, die 1824 im Göttinger Journal Der Gesellschafter erschienen, weitere erschienen bis 1826 in Gruppen und auch einzeln in verschiedenen Zeitschriften.[2] Nach Heines Plänen, ein Wanderbuch herauszugeben, wurden 1826 diese Gedichte als der Teil Die Heimkehr in dem Band Reisebilder veröffentlich. Nur ein Jahr später, als dritter von fünf Zyklen im Buch der Lieder erschien die Heimkehr erneut, wobei Heine sechs eventuell als zu anstößig empfundene Lieder entfernte und austauschte. Nachdem die Reisebilder schon 1820 eine Neuauflage erfuhren, war das Buch der Lieder zunächst nicht sehr erfolgreich, bevor es dann ab Mitte der 1830er Jahre zu einem populären Werk wurde und 1837 in die zweite Auflage ging. Den Titel Heimkehr muss man in Bezug auf das ursprünglich geplante Wanderbuch verstehen[3], es handelt sich um eine „Sammlung von kurzen, öfter epigrammatisch klingenden lyrischen Stücken, die an sich gar nicht vom Thematischen her, sondern viel mehr vom Formalen her zu charakterisieren sind“[4]. Das Hauptthema der meisten Gedichte dieses Zyklus ist die (unglückliche) Liebe und die innere Zerrissenheit eines Außenseiters:

Die Konzentration auf das rein Persönliche im Buch der Lieder spiegelt schließlich etwas Allgemeines wider. Das Thema „unglückliche Liebe“ kristallisiert auf fiktionaler Ebene eine Reihe von realen Erfahrungen, die auf der progressiven Entfremdung von jener Gesellschaft beruhen, in die der Jude Heine sich integrieren wollte.[5]

Die einzelnen Gedichte tragen keine Titel, sondern sind durchnummeriert aneinander gereiht. Als Einflüsse und Inspiration können der Minnesang und Petrarkismus als Vorbilder für das Motiv der unerfüllten Liebe gelten, ebenso setzt sich Heine mit der Tradition des Volksliedes auseinander. Als jüngere Einflüsse sind die Lieder- und Balladendichtungen Goethes, die Metrik August Wilhelm Schlegels und Lord Byrons Motivik des Weltschmerzes zu nennen.[6] Die zyklische Komposition und Aneinanderreihung der Einzelgedichte macht aus der Sammlung ein kunstvoll arrangiertes Gesamtkunstwerk: Prolog- und Epiloggedichte stehen an Anfang und Ende der Zyklen, die nebeneinanderstehenden Gedichte stehen in einem Korrespondenzverhältnis zueinander, kontrastieren oder ergänzen sich und wirken so sinnstiftend, worauf an späterer Stelle noch genauer eingegangen werden soll. Als ästhetische Strategie im gesamten Buch der Lieder ist besonders die Ironie und Komik zu nennen, die evozierte Stimmungen wieder aufhebt: Dieses gleichzeitige Nebeneinander unterschiedlicher Gedanken und Stimmungen durchzieht das Buch der Lieder und auch den Zyklus der Heimkehr, in dem sich das nun näher zu betrachtende Gedicht befindet.

3. Gedicht LXXXV. (Dämmernd liegt der Sommerabend)

3.1 Form, Inhalt und Entstehung

LXXXV.

Dämmernd liegt der Sommerabend Ueber Wald und grünen Wiesen; Goldner Mond, im blauen Himmel, Strahlt herunter, duftig labend.

An dem Bache zirpt die Grille, Und es regt sich in dem Wasser, Und der Wandrer hört ein Plätschern Und ein Athmen in der Stille.

Dorten, an dem Bach alleine, Badet sich die schöne Elfe; Arm und Nacken, weiß und lieblich, Schimmern in dem Mondenscheine.[7]

Es handelt sich um drei Strophen zu jeweils vier Versen im Reimschema axxa, bxxb, cxxc, wobei die umarmenden Reime weibliche (klingende) Vollreime sind. Dazwischen befinden sich nicht-reimende Wörter, sogenannte Waisen, die jedoch in der ersten Strophe durch gleiche Binnenvokale assonierend sind (Wiesen – Himmel). Ähnliches passiert zwischen zweiter und dritter Strophe (Plätschern – Elfe). Das Metrum ist ein vier-füßiger Trochäus, teilweise gereimt, assonierend und ungereimt. Der Vers schließt jeweils mit einer weiblichen Kadenz, diese Strophenform wird auch Romanze oder Schenkenstrophe genannt und ist eine besonders liedhafte Strophenform. Es findet sich eine Fülle rhetorischer Figuren, auf die im weiteren Verlauf noch eingegangen wird. Der Ansatz einer Handlung ist vorhanden, vermittelt durch einen distanzierten Beobachter, der jedoch nicht weiter ausgebaut wird: Ein Wanderer hört erst und sieht dann nachts im Mondschein eine Elfe baden. Durch die dreimalige Wiederholung (Anapher) des Wortes „Und“ zu Beginn der zweiten, dritten und vierten Zeile der zweiten Strophe ergibt sich eine Art gesteigerter Handlungsverlauf: Erst bewegt sich das Wasser, dann hört der Wanderer das Plätschern des Wassers, dann sogar ein Atmen. In der darauffolgenden Strophe tritt schließlich die badende Elfe hervor und wird auch sichtbar. Raum bekommt jedoch in diesem Gedicht weniger die kurze Handlung, als viel mehr die genaue Beschreibung der Natur. Bei dieser Momentaufnahme handelt es sich eher um beschreibende Naturlyrik als um eine Ballade. Im Apparat der historisch-kritischen Gesamtausgabe heißt es: „Wahrscheinlich im Zusammenhang mit einem der Sommerausflüge entstanden, die Heine zusammen mit Kommilitonen im Sommersemester 1824 bzw. 1825 von Göttingen aus in die nähere oder weitere Umgebung unternahm.“[8] Inwieweit das zutreffend ist, kann nicht beurteilt werden, fest steht aber, dass Heine hier detailreich und stimmungsvoll Natur beschreibt. Walter A. Berendsohn sieht in diesem Gedicht ein Beispiel starker Verdichtung und gedrängter Kürze und weist auf Heines Fähigkeit hin, die Überfülle seiner Gedanken, Gefühle und Assoziationen zusammenzudrängen. Diese Neigung zur Verkürzung fände sich besonders oft in den Zyklen Lyrisches Intermezzo und Heimkehr.[9]

3.2 Interpretationsansätze

3.2.1 Romantische Motive

Das Gedicht ist durchzogen von romantischen Motiven: Dämmerung, Abend, Mondschein, Naturidylle, Wald, ein Wanderer und ein mystisches Wesen (Elfe). Die Sehnsucht nach der Nacht und dem dunklen Wald, der auch für das Unbewusste und Unheimliche stehen kann, sowie die Flucht aus der Wirklichkeit und dem Alltag, kennzeichnen diese Epoche. Aus der Sehnsucht ergeben sich das Reise- und Wandermotiv und die Naturverbundenheit als Milderung der inneren Zerrissenheit des modernen Menschen. Die Nacht als schützende Zeit des Tages, in der die Sinne miteinander verschmelzen, spiegelt auch den Gemütszustand des Wanderers wieder und kann tröstend auf diesen wirken.

Für Heines Romantik typisch[10], hier aber nur schwach vertreten, sind Ironie und Komik, mit denen ein gerade aufgebautes Bild oder ein kurz zuvor evoziertes Gefühl wieder gebrochen werden. Teilweise wirken auch hier die Formulierungen an manchen Stellen leicht übertrieben und ironisierend („Dorten“, „Mondenscheine“), was ein Nebeneinander von Naivität und Ironie, von Echtheit und Pose bedeutet. Für diese romantische Selbstironie, die auch ein Ausdruck von Kritik ist, gibt es im Buch der Lieder aber stärkere Beispiele. In Gedicht LXXXV. bleibt die Stimmung getragen, ernst und ruhig ohne ironische Brechung.

[...]


[1] Vgl. Bernd Kortländer, Heinrich Heine, Stuttgart 2003, S. 97.

[2] Vgl. Heinrich Heine, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr, Bd 1/2: Buch der Lieder. Apparat, Hamburg 1975, S. 856ff. (abgekürzt: DHA).

[3] Vgl. ebenda, S. 864.

[4] Ebenda, S. 860.

[5] Gerhard Höhn, Heine-Handbuch. Zeit. Person. Werk, Stuttgart 1997, S. 67.

[6] Höhn 1997, S. 59.

[7] Heinrich Heine, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr, Bd1/1: Buch der Lieder. Text, Hamburg 1975, S. 299.

[8] DHA, Bd 1/2, S. 961.

[9] Walter A. Berendsohn, Die künstlerische Entwicklung Heines im Buch der Lieder. Struktur- und Stilstudien, Stockholm 1970, S. 42f.

[10] Siehe dazu: Herbert Gutjahr, Zwischen Affinität und Kritik. Heinrich Heine und die Romantik, Frankfurt am Main 1984.

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Details

Titel
Heinrich Heines "Dämmernd liegt der Sommerabend" (LXXXV.) aus dem Buch der Lieder und seine Vertonung durch Johannes Brahms
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Literatur und Musik im Biedermeier
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V428832
ISBN (eBook)
9783668726079
ISBN (Buch)
9783668726086
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biedermeier, Heinrich Heine, Sommerabend, Brahms, Lied, Vertonung, Romantik, Heimkehr, Buch der Lieder
Arbeit zitieren
Sofie Neu (Autor:in), 2015, Heinrich Heines "Dämmernd liegt der Sommerabend" (LXXXV.) aus dem Buch der Lieder und seine Vertonung durch Johannes Brahms, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428832

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