Herausforderungen junger Eltern. Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie beim ersten Kind


Textbook, 2018

79 Pages

Emilia Sommerland (Author)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Übergang zur Elternschaft
2.1 Der normative Verlauf des Übergangs zur Elternschaft
2.2 Die zentralen Veränderungen in Folge der Erstelternschaft
2.3 Das Phasenmodell nach Gloger-Tippelt

3 Die Partnerschaft nach der Geburt des ersten Kindes
3.1 Zentrale partnerschaftliche Veränderungen
3.2 Transaktionale Prozesse im Familiensystem

4 Bewältigungsstrategien
4.1 Schutz- und Risikofaktoren für die Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft
4.2 Möglichkeiten der Partner für die Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft
4.3 Professionelle Hilfen beim Übergang zur Elternschaft

5 Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Phasenmodell nach Gloger-Tippelt

Abbildung 2 Entwicklung der Arbeitsteilung bei der Hausarbeit bei Eltern und kinderlosen Paaren

Abbildung 3 Wahrgenommene Veränderungen in der Partnerschaft bei Ersteltern 34 Monate nach der Geburt

Abbildung 4 Wechselwirkungsprozesse im Familiensystem nach Belsky (1981)

1 Einleitung

Kaum ein Ereignis verändert die Lebenssituation so grundlegend und nachhaltig wie die Geburt des ersten Kindes“ (Fthenakis et al. 2002, S. 355).

Kürzlich wurde in einem Online-Artikel der Zeitschrift Stern eine stark tabuisierte Thematik aufgegriffen, nämlich die Tatsache, dass zahlreiche Frauen in ihrer Rolle als Mutter unglücklich sind und diese als nicht erfüllend betrachten (vgl. Lemel 2015, o.S.). Der Umstand, dass es heute Frauen gibt, die ihr Kind oder ihre Kinder zwar lieben, aber das Muttersein bereuen und somit dem gesellschaftlichen Ideal einer Mutter widerstreben, ist eindrucksvoll anhand der israelischen Studie „Regretting Motherhood: A Sociopolitical Analysis“, die von der Soziologin Orna Donath von 2008 bis 2011 durchgeführt wurde, signifikant verdeutlicht worden. In diesem Rahmen wurden 23 Mütter verschiedener Altersgruppen und von unterschiedlicher Herkunft danach befragt, ob sich diese nach wie vor für ein Kind entscheiden würden, wenn sie die Zeit zurückdrehen könnten, woraufhin alle Beteiligten verneint haben (vgl. Donath 2015, S. 343-367). Und obwohl diese Studie aufgrund der geringen Anzahl von Befragten auf den ersten Blick nicht repräsentativ genug erscheint, hat sie weltweit, insbesondere in Deutschland, großes Aufsehen erregt. Denn mit dem Bekanntwerden dieser Studie ist die Anzahl derjenigen Frauen angestiegen, die ähnlich empfinden und sich negative Gefühle gegenüber der Mutterrolle eingestehen. Mit dieser Problematik wagte sich Donath an ein Thema heran, welches öffentlich kaum ausgesprochen wird. Denn das gesellschaftlich eingetrichterte Bild der Mutter, welches tradiert, dass die Frau in der Rolle als Mutter ausschließlich pure Freude empfinden muss, bleibt bis heute - obwohl sich vieles verändert hat - persistent bestehen (vgl. Mundlos 2016, S. 10ff.). Es ist sozusagen „ein gesellschaftlicher Konsens, dass Mutterschaft automatisch ein Glücksbringer für Frauen ist - für alle Frauen. Schließlich, so die Argumentation, ist es doch schon evolutionstechnisch gesehen die Rolle der Frau, Nachwuchs großzuziehen, es ist ihre ureigenste Aufgabe, geradezu ihr Lebenszweck. Dass sie in dieser Rolle Erfüllung findet, wird als gegeben angenommen“ (Mundlos 2016, S. 12).

Dieser Aspekt berücksichtigt allerdings nur unzureichend, dass die Geburt eines Kindes tiefgreifende Lebensumstellungen bewirkt und vorwiegend für Frauen einen biografischen Wendepunkt kennzeichnet, da diese, abgesehen von den biologischen Veränderungsprozessen in der Schwangerschaft und nach der Ankunft des Kindes, unter anderem ihr berufliches Engagement zugunsten ihrer Mutterrolle ganz oder beschränkt aufgeben müssen und dadurch fast schon gesellschaftlich isoliert werden (vgl. Beck-Gernsheim 2006, S. 139f.). Erschwert wird dieser Umstand zusätzlich dadurch, dass damit nicht nur berufliche Kontakte zu den Arbeitskolleginnen und -kollegen abbrechen, sondern dass die Frauen auch ihre Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, ihre Autonomie und die Unabhängigkeit vom Partner verlieren (vgl. Hantel-Quitmann 2013, S. 77f.). Denn während die Rolle der Frau in früheren Zeiten fast ausschließlich auf die Bereiche Hausfrau und Mutter beschränkt waren, stehen heute individuelle Kriterien und die Karriereorientierung im Fokus: „Frauen können heute einen ganz individuellen Lebensweg einschlagen - bis hin zu der Frage, ob sie überhaupt Kinder bekommen wollen. Darüber hinaus können sie, anders als noch vor 40 oder 50 Jahren, entscheiden, welchen Beruf sie ergreifen wollen, oder ob sie allein oder mit einem Mann oder einer Frau zusammenleben wollen, ob sie heiraten oder sich scheiden lassen möchten und, wenn sie sich für Kinder entscheiden, wann und wie viele sie bekommen wollen“ (Mundlos 2016, S.52). Auch durch die oben erwähnte Untersuchung von Donath konnte hervorgehoben werden, dass das Vereinbarkeitsdilemma von Familie und Beruf einen maßgeblichen Einfluss auf das Reueempfinden der befragten Mütter hatte.

War die Elternschaft in früheren Zeiten eine unhinterfragte Lebensgestaltung und Kinder ein fester Bestandteil in der Biografie von Frauen und Männern, so hat sich diese Auffassung in den letzten Jahren stark verändert (vgl. Henry-Huthmacher 2008, S. 3). Um zu klären, inwieweit sich Wandlungsprozesse in diesem Bereich vollzogen haben, ist es zunächst relevant, sich der Bedeutung dieses Begriffes zu widmen. Nach Schneider (2002, S. 10) bezeichnet die Elternschaft einen sozialen Status, welcher mit bestimmten Rechten und Pflichten einhergeht. Da die Eltern-Kind-Beziehung nicht aufzukündigen oder revidierbar ist, beanspruchen diese Rechte und Pflichten lebenslange Gültigkeit.

Während vor der Entwicklung hormoneller Kontrazeptiva ein Kind häufig zufällig gezeugt wurde, gilt die Entscheidung für ein gemeinsames Kind in der heutigen Zeit als ein „familienplanerischer Akt“ (Marx 2011, S. 47). In diesem Zuge entscheiden und planen die Eltern nunmehr bewusst, ob und wann sie Kinder bekommen wollen (vgl. ebd.). Die Beweggründe und Motive für den Aufschub der Elternschaft beziehungsweise für den Verzicht auf Kinder sind vielfältig und facettenreich.

Ein wesentlicher Aspekt liegt beispielsweise darin, dass Elternschaft in den letzten Jahrzehnten deutlich „voraussetzungsreicher und anspruchsvoller“ (Schneider/Matthias-Bleck 2002, S. 7) geworden ist und mit Aktivitäten in anderen Lebensbereichen, vorwiegend mit beruflichen Tätigkeiten und der Freizeitgestaltung in Konkurrenz tritt. In dieser Situation sehen sich viele junge Erwachsene gezwungen, entweder ganz auf Kinder zu verzichten oder sich nur auf ein oder zwei Kinder zu beschränken (vgl. ebd.). „Elternschaft und die Zahl der Kinder ist nicht mehr >>Schicksal<<, sondern ebenfalls zunehmend das Ergebnis von Entscheidungsprozessen auf der Grundlage von >>Kosten-Nutzen<<-Überlegungen. Paare denken darüber nach, was Kinder >>kosten<< und welche Einschränkungen mit der Elternschaft verbunden sind. Das gilt auch für den Zeitpunkt einer möglichen Elternschaft. Kinder sind geplant, Mutterschaft und Vaterschaft sind nicht selbstverständlich, sondern werden in Diskussionen entschieden und festgelegt“ (Burkart 1992, S. 23). In diesem Zuge ist auch noch einmal anzuführen, dass die neuen Voraussetzungen der Frauen zu einer Neubewertung hinsichtlich der Übernahme der Elternschaft geführt haben. Das Postulat der Frauen, Familie und berufliches Engagement verwirklichen zu wollen, bedeutet für diese allerdings gleichwohl, sich alternativ entscheiden zu müssen. Dieser Umstand ist vor allem in der Persistenz rigider gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und der Einstellungen der jeweiligen Partner zu begründen. Diese begünstigen und unterstützen eine reservierte Haltung zu Kindern beziehungsweise eine reduzierte Kinderzahl im Familiensystem (vgl. Simm 1991, S. 337).

Elternschaft ist aber nicht nur aufgrund wachsender Schwierigkeiten bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu einer optionalen Entscheidung geworden. Weitere Begründungen liegen in den gestiegenen Anforderungen an die Eltern in ihrer Rolle als Erzieher und an die zunehmende Bedeutung des Kindeswohls. Waren Kinder in früheren Zeiten vordergründig dafür vorgesehen, ihren Anteil zum Überleben der Familie beizutragen, ist in der heutigen Zeit ihr emotionaler Wert stark angestiegen (vgl. Olbrich/Brüderl 1995, S. 411). Dabei bildet die Sicherung des kindlichen Wohlbefindens und die Gewährleistung des Kindeswohls die oberste Priorität der Eltern ab (vgl. Henry-Huthmacher 2008, S. 3ff.). Diese zunehmenden Ansprüche und Erwartungen an die Elternrolle werden auch als „verantwortete Elternschaft“ (ebd., S. 5) bezeichnet, deren Leitbild beinhaltet, „Kinder nur dann in die Welt zu setzen, wenn man sich „gut“ um sie kümmern und ihnen eine ausreichende Grundlage bieten kann“ (ebd., S. 5f.). Zusätzlich sind in dieser Norm spezifische Erwartungen verankert, die sich auf das richtige Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern beziehen. Dementsprechend wird vorausgesetzt, dass das Kind nach Möglichkeit nur durch die Eltern betreut und nicht fremdbeaufsichtigt wird, dass sich das Kind charakterlich gut entwickelt, dass es gesund ernährt wird, dass es schulisch mithalten kann, dass es auf die Realität im Leben vorbereitet wird, dass die Eltern darauf achten, dass das Kind keinen Kontakt zu anderen Kindern pflegt, die einen schlechten Einfluss ausüben sowie dass die Talente des Kindes gefördert werden (vgl. Henry-Huthmacher 2014, S. 23). Durch die aufgezeigten Aspekte wird der Komplex der Elternschaft also zunehmend zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die immer schwieriger zu bewältigen und zu bewerkstelligen ist (vgl. ebd., S. 17).

Zusätzlich ist anzumerken, dass sich auch die Bedeutung von Partnerschaft im Laufe der Zeit verändert hat. Im Allgemeinverständnis wird unter einer Paarbeziehung eine exklusive dyadische Beziehung zwischen zwei Personen - zumeist unterschiedlichen oder aber auch gleichen Geschlechts - verstanden (vgl. Huinink 1995, S. 119), die sich vorwiegend durch Attribute wie Liebe, sexuelle Intimität sowie Vertrauen auszeichnet (vgl. Huinink/Konietzka 2007, S. 30f.). War das Zusammenleben als Paar in früheren Zeiten praktisch nur im Rahmen einer Ehe denkbar, die aber in der Regel nicht aus Liebe, sondern aus ökonomischen Zwecken geschlossen wurde, so wird heute der Aspekt der Romantik stark betont. In diesem Zuge werden hohe Ansprüche und Erwartungen an die eigene Partnerschaft gestellt (vgl. Jungbauer 2009, S. 69ff.). Diesbezüglich gewinnt also auch die Frage zunehmend an Relevanz, inwieweit sich der bestehende Lebensalltag eines Paares verändert, sobald Kinder hinzutreten beziehungsweise welche Konsequenzen sich aus der Elternschaft für das gesamte Familiensystem ergeben können (vgl. Burkart 2008, S. 257).

Die vorliegende Arbeit wirft somit einen Blick auf den Übergang vom kinderlosen Paar zur Elternschaft und fokussiert in diesem Zusammenhang die Herausforderungen und mögliche Bewältigungsstrategien für die Familie beim ersten Kind. Dabei ist vornehmlich von besonderem Interesse, ob und inwieweit sich die neuen Aufgaben und Anforderungen, die mit der Erstelternschaft verbunden sind, auf die Paarbeziehungsebene der Eltern auswirken, beziehungsweise welche Veränderungen überhaupt hinsichtlich der elterlichen Partnerschaft mit der Ankunft des ersten Kindes verbunden sind.

Generell ist festzuhalten, dass die Geburt des ersten Kindes als ein ambivalentes Lebensereignis anzusehen ist. Auf der einen Seite werden mit Kindern zahlreiche positive Aspekte assoziiert und die Gründung einer Familie gilt trotz gesellschaftlicher Veränderungsprozesse als ein Aspekt individueller Lebensgestaltung, der nach wie vor hoch bewertet wird (vgl. Simm 1991, S. 333). Andererseits erfolgen mit der Ankunft des Kindes sehr oft ernüchternde Gefühle, wie das einleitende Zitat bereits postuliert. „So sehr sich die Eltern auch über den Nachwuchs freuen, so sehr sie den Kontakt mit dem Kind genießen und sich täglich an seinen Fortschritten erfreuen, machen sie doch auch die Erfahrung, dass die Geburt des ersten Kindes und die Gründung einer Familie mit tiefgreifenden, häufig unerwarteten und nicht selten auch unerwünschten Veränderungen verbunden sind“ (Fthenakis et al. 2002, S. 61). Infolge der Elternschaft sind neue Tätigkeiten zu erlernen und mit bereits bestehenden Aufgaben im Alltag zu verknüpfen. Zudem haben die Mütter mit biologischen Veränderungsprozessen zu rechnen, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg erstrecken können. Mit diesen vielfältigen sozialen und biologischen Veränderungen gehen auch psychologische einher, die insgesamt gesehen über ein belastendes Potential verfügen können (vgl. Reichle 1994, S. 60). Ein weiterer zentraler Bereich, der einem signifikantem Wandel unterliegt, ist die Partnerschaft der Eltern. Dies wiegt umso schwerer, da kaum ein Paar zu Beginn damit rechnet, dass die Geburt des gemeinsamen Kindes negative Auswirkungen auf die Zweierbeziehung der Eltern haben könnte. Aber auch die Partnerschaft bleibt von den erheblichen Veränderungen, die mit dem Übergang zur Elternschaft verbunden sind, nicht verschont (vgl. Fthenakis et al. 2002, S. 65).

Zunächst beschäftigt sich die Arbeit mit dem Übergang zur Elternschaft. Dieses Kapitel umfasst insgesamt drei Unterkapitel. Der erste Unterpunkt beschreibt gesellschaftliche Veränderungsprozesse und den durchschnittlich-normativen Verlauf des Übergangs zur Elternschaft. Anschließend werden die zentralen Veränderungen aufgeführt, die mit dem ersten Kind verbunden sind. Das letzte Subkapitel umfasst das theoretische Verarbeitungsmodell von der Entwicklungspsychologin Gloger-Tippelt. Das darauffolgende Kapitel stellt den Schwerpunkt dieser Arbeit dar und besteht insgesamt aus zwei Unterkapiteln. Im ersten Subkapitel werden explizit die zentralen Veränderungen in der Partnerschaft durch die Familienerweiterung dargestellt. Im Hinblick darauf werden die wichtigsten Bereiche fokussiert, nämlich die geschlechtsspezifische Rollen- und Aufgabenverteilung, Veränderungen in der Freizeitgestaltung und der sozialen Kontakte, Veränderungen hinsichtlich der Paarinteraktion, welche sowohl die sexuelle Beziehung als auch die partnerschaftliche Zugewandtheit und Kommunikation umfasst sowie die Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit. Darauffolgend werden schließlich die transaktionalen Prozesse im Familiensystem beschrieben. In diesem Kontext wird erläutert, inwieweit das Paarklima das Elternverhalten als Erzieher und das Kindeswohl beziehungsweise die Entwicklung des Kindes beeinflusst. Aber auch die umgekehrte Kausalrichtung wird explizit erläutert. Im weiteren Verlauf werden im vierten Kapitel, welches durch drei Unterpunkte gebildet wird, verschiedene Bewältigungsstrategien für das Paar und für die Familie beschrieben. Zunächst werden dabei die Schutz- und Risikofaktoren für die Bewältigung des familiären Übergangs aufgezeigt. Der zweite Unterpunkt behandelt dann die Mechanismen, die das Paar selbst anwenden kann, um auch nach der Geburt des ersten Kindes eine hohe Partnerschaftszufriedenheit aufzuweisen. Demgegenüber werden im dritten Subkapitel professionelle Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie vorgestellt. In diesem Zuge werden insbesondere die vielfältigen Angebote der Elternbildungslandschaft und die mediative Konfliktbearbeitung fokussiert. Im Anschluss daran werden noch einmal die wichtigsten Aspekte dieser Arbeit prägnant in einem Schlussteil zusammengefasst.

An dieser Stelle ist noch anzuführen, dass die vorliegende Arbeit, die vielfältigen Schwierigkeiten und Bewältigungsstrategien beim Übergang von der Partnerschaft zur Elternschaft ausschließlich nur auf gemischtgeschlechtliche Paare und leibliche Eltern bezieht. Zwar ist davon auszugehen, dass auch Pflege- und Adoptiveltern sowie gleichgeschlechtliche Paare von erheblichen Veränderungen erfasst werden, sobald sich der dyadische Rahmen erweitert, allerdings ist diese Thematik als ein separater Bereich zu erachten, der in dieser Arbeit nicht bearbeitet wird.

2 Der Übergang zur Elternschaft

Wenn das erste Kind eines Paares das Licht der Welt erblickt, so ist dieser Prozess gleichzeitig als die „Geburt der Eltern“ (Schülein 1990, S. 7) und als Eintritt in eine „Familienkarriere“ (Papastefanou/Hofer 2002, S. 170) zu betrachten. Die Ankunft des Kindes kennzeichnet also den Übergang in eine neue Lebensphase, nämlich den Übergang vom kinderlosen Paar zur Familie, also von einem dyadischen Miteinander zu einem triadischen Zusammenleben (vgl. Jellouschek-Otto/Jellou-schek 2005, S. 5).

Familiäre Übergänge werden nach der Psychologin Gloger-Tippelt als „zeitlich gedrängte, z.T. als krisenhaft erlebte, quantitative und qualitative Veränderungsprozesse charakterisiert“ (Gloger-Tippelt 1985, S. 54), die mit veränderten Entwicklungsaufgaben und sozialen Rollen verbunden sind (vgl. Gloger-Tippelt 2005, S. 57f.). In diesem Zusammenhang wird der Übergang zur Elternschaft als biografischer „Angelpunkt“ (vgl. Gloger-Tippelt ebd., S. 57) betrachtet, da dieser mit Anforderungen und Veränderungen verbunden ist, die sich weitreichend und tiefgreifend auf die jeweilige Lebenssituation der Betroffenen auswirken. Strukturierende Markierungspunkte werden beispielsweise durch Schwangerschaftstests, Vorsorgeuntersuchungen, Geburtsanzeigen oder auch religiöse Rituale wie die Taufe abgebildet (vgl. Gloger-Tippelt 2007, S. 513).

Die Erstelternschaft ist als relevanter Lebensabschnitt eine viel beachtete Thematik in der Forschungslandschaft, insbesondere durch die Disziplinen der Entwicklungspsychologie, der Soziologie, der Medizin sowie der Bevölkerungswissenschaften (vgl. Bleich 1999, S. 167).

In historischen Arbeiten wird der Prozess der Familienwerdung unter dem Krisenparadigma geführt, worin die Veränderungen und Anforderungen im Zuge der Familiengründung als grundsätzlich krisenhaft angesehen wurden. In der Forschung besteht aber mittlerweile Einigkeit darüber, von diesem Krisenbegriff abzuweichen und die Erstelternschaft als ein Übergangsgeschehen einzuordnen (vgl. El-Giamal 1999, S. 6ff.).

Die Familiengründung wird hierbei als Entwicklungsaufgabe verstanden, die sowohl die damit einhergehenden Belastungsmomente, als auch zahlreiche Gratifikationen umfasst. Erwähnenswert ist hierbei, dass krisenhafte Lebensereignisse nicht zwangsläufig eine negative Funktion aufweisen müssen, sondern dass diese durchaus auch förderlich sein können (vgl. Petzold 2007, S. 5). Inwieweit der Übergang zur Elternschaft als Belastung angesehen wird oder nicht, hängt von mehreren Faktoren ab, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausführlich diskutiert werden.

Über die zeitliche Erstreckung des Übergangs zur Elternschaft existiert kein allgemeingültiger Konsens. Aus biologischer und sozialer Perspektive wird als Beginn der Elternschaft in den meisten Fällen das Eintreten der Schwangerschaft angesehen (vgl. Papastefanou/Hofer, S. 170). Biologisch gesehen ist durch das Geburtsereignis die Trennung zwischen Mutter und Kind zwar vollzogen, jedoch stellt das Elternwerden auf der psychologischen Ebene einen komplexen Prozess dar, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (Gloger-Tippelt 1988, S. 16). Diesbezüglich werden aus der Sicht von anderen Autoren bereits Ereignisse vor der Schwangerschaft wie die Planung des Kindes (Gauda 1990, S. 40) beziehungsweise „Vorüberlegungen bezüglich einer möglichen Schwangerschaft, Erfahrungen mit Abtreibungen, Fehlgeburten oder Sterilität sowie die gedankliche Auseinandersetzung mit dem geplanten Kind“ (Papastefanou/Hofer, S. 170) als Beginn dieses bedeutsamen Lebensabschnittes angesehen. Auch von Klitzing (1994, S. 49) stellt fest, dass die Elternschaft psychologisch gesehen nicht erst ab dem Akt der Geburt beginnt, sondern sich bereits durch bewusste und unbewusste Phantasien des ungeborenen Kindes in der Schwangerschaft manifestiert. Somit stellt diese bereits eine äußerst wichtige psychologische Vorbereitungszeit auf die Elternschaft dar.

Das Ende dieses Übergangs ist aber nicht mit der Geburt des Kindes vollzogen (vgl. Gauda 1989, S. 350). Aus biologischer Sicht gilt die körperliche Erholung der Frau als Abschluss dieses Übergangs. Aus der sozialen Perspektive gilt die Phase der Familiengründung dann als beendet, wenn die Mutter und der Säugling erfolgreich im Familiensystem und im sozialen Umfeld integriert sind. Entwicklungspsychologische Kriterien beziehen sich vornehmlich auf die Anpassung an die neue Situation und das Erwerben hilfreicher Kompetenzen im Umgang mit dem Kind (vgl. Papastefanou/Hofer, S. 170). Wird beispielsweise als Prädiktor die Rückkehr der Partnerschaftsqualität auf das Niveau vor der Schwangerschaft verwendet, so kann dies laut zahlreicher Studien teilweise erst Jahre später realisiert werden (vgl. Gloger-Tippelt 2005, S.60). Während Gauda (1989, S. 350) den Übergang zur Elternschaft mit den ersten drei bis sechs Lebensmonaten des Kindes als abgeschlossen betrachtet, konnte die Untersuchung von Jurgan, Gloger-Tippelt & Ruge (1999, S. 47) darauf hinweisen, dass die Veränderungen in Folge der Erstelternschaft auch noch bis zu fünf Jahre später bestehen.

2.1 Der normative Verlauf des Übergangs zur Elternschaft

Wie zu Beginn dieser Arbeit bereits konstatiert wurde, ist die heutige Gesellschaft von zahlreichen fundamentalen Entwicklungen und Veränderungen geprägt, die sich auf verschiedene Ebenen familiärer Strukturen manifestiert haben (vgl. Huinink/Konietzka 2007, S. 75) und im Folgenden nun beschrieben werden.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Begrifflichkeit des Individualismus anzuführen, welcher ein zentrales Merkmal der gegenwärtigen Gesellschaft darstellt und mitunter als universelle Erklärung für diese Wandlungen betrachtet werden kann (vgl. Burkart 2008, S. 237). Der Trend zur Individualisierung, welcher bedeutet, dass die Lebensbiografie von Menschen zunehmend mit subjektiven Entscheidungsmustern zusammenhängt, schlägt sich vordergründig auf familiäre Bereiche nieder. Doch wie ist die Begrifflichkeit Familie eigentlich genauer zu definieren? Im traditionellen Verständnis setzt sich die Familie aus einem Ehepaar und ihren biologischen Kindern zusammen, die gemeinsam in einem Haushalt leben. Diese Auffassung ist zwar weitverbreitet, spiegelt aber nicht das tatsächliche Bild der Gegenwartsgesellschaft wieder, da sich neben der klassischen Familie auch zahlreiche neue Lebensformen etabliert und eingeordnet haben. Dazu zählen beispielsweise Alleinerziehende, Paare ohne Kinder, gleichgeschlechtliche Paare, die mit den Kindern der Partnerin beziehungsweise des Partners zusammenleben sowie nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern (vgl. Seiffge-Krenke/Schneider 2012, S. 15ff.). Die Frage, was Familie denn nun eigentlich ist, ist daher nicht leicht zu beantworten. Allgemein betrachtet kann Familie aber am ehesten als ein Ort verstanden werden, an dem die drei Aspekte Unterstützung, Rückhalt und Sicherheit grundlegende Wertorientierungen bieten und von den Menschen erwartet werden, die einem verbunden und zugehörig sind (vgl. Marx 2011, S. 20).

Hinsichtlich der Konsequenzen, die sich aus den Individualisierungsprozessen ergeben, ist anzuführen, dass die Heiratsneigung gesunken und demgegenüber das Scheidungsverhalten einen enormen Anstieg zu verzeichnen hat. Die Ehe, die in früheren Zeiten als Institution der Familiengründung und Kindererziehung einen besonderen Stellenwert erlangte, hat gegenwärtig signifikant an Attraktivität verloren (vgl. Huinink/Konietzka 2007, S. 75f). Insgesamt gesehen ist die Eheschließung durch einen Bedeutungsrückgang gekennzeichnet, der vorzugsweise damit begründet werden kann, dass sich Frauen heutzutage verstärkt am Erwerbsleben beteiligen, somit ihre ökonomische Abhängigkeit vom Partner überwinden und dadurch zusätzlich an Macht gewinnen (vgl. Lück 2009, S. 10). Aus diesem Grund ist die Heirat als ‚Versorgerinstitution‘ mit der höheren Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen, hinfällig geworden. Aber nicht nur die Lebensformen und die Ehe hat sich verändert, sondern auch das Geburtenverhalten unterliegt gravierenden Wandlungen (vgl. Huinink/Konietzka 2007, S. 82). Die Geburtenrate in Deutschland war über Jahrzehnte hinweg erschreckend konstant niedrig. Im Jahre 2015 wurden dann allerdings rund 738000 Lebendgeborene erfasst, der den bis dahin höchsten Wert seit der Jahrhundertwende darstellte. Im Jahr 2016 ist sogar ein weiterer Anstieg der Geburtenrate von ca. 7,4 Prozent zu verzeichnen. Dennoch liegt die Geburtenziffer momentan bei 1,50 Kindern je Frau und somit unter dem EU-Durchschnitt von 1,58 (Statistisches Bundesamt 2015, o. S.). Hinzuzufügen ist, dass immer mehr Frauen in Deutschland erst relativ spät - durchschnittlich mit 29 Jahren - eine Familie gründen und sich somit der Beginn der Mutterschaft mehrere Jahre nach hinten verschoben hat (vgl. Peuckert 2012, S. 165). Insbesondere Frauen mit einer hohen Bildungsqualifikation werden zunehmend - wenn überhaupt - später Mütter. Zudem wird die Kinderlosenquote in Deutschland mit 25 Prozent beziffert, was bedeutet, dass rund jede vierte Frau in Deutschland kinderlos ist.

Diese Entwicklungen haben zunehmend also auch die Frauen erfasst. Peuckert (2012, S. 406) bezeichnet diesen Umstand als „Individualisierung der weiblichen Biographie“. In einem engen Zusammenhang mit Individualisierungsprozessen steht auch die veränderte Stellung der Frauen in der Gesellschaft, die als eine der bedeutsamsten Wandlungen der letzten Jahre in Deutschland erachtet werden kann (vgl. Schneewind 2010, S. 72f.). Das im Bürgertum im 18. Jahrhundert entstandene und im 19. Jahrhundert tradierte Frauenleitbild bezog sich vor allem darauf, dass das Leben der Frau auf ein Ziel hin ausgerichtet war, nämlich Ehefrau und Mutter zu werden. Die Ehe war von vornherein auf eine bestimmte Arbeitsteilung ausgelegt, der Mann sollte als Ernährer fungieren und die Frau war zuständig für Heim und Familie (vgl. Beck-Gernsheim 1989, S. 15ff.). Der gegenwärtige Wandel der Frau bezieht sich - wie bereits erwähnt - insbesondere auf zwei wesentliche Aspekte, nämlich auf die Integration in die Erwerbstätigkeits- und Bildungslandschaft (vgl. Schneewind 2010, S. 72), deren Voraussetzungen durch die Bildungsexpansion in den 1960er und 1970er Jahren geschaffen wurden. „Mit mehr Bildung sind immer auch Bewusstwerdungsprozesse verbunden. Frauen entwickeln neue Denkformen, die auf Selbstständigkeit und eigene berufliche Leistung ausgerichtet sind“ (Peuckert 2012, S. 407).

Frauen sind in der heutigen Zeit also sehr viel besser in der Lage, unabhängig und finanziell abgesichert zu sein. Historisch betrachtet war diese Auffassung von der Frau allerdings keineswegs als Selbstverständlichkeit aufzufassen. Diesbezüglich ist beispielsweise zu konstatieren, dass erstmals im Jahre 1977 ein Gesetz erlassen wurde, welches die Frauen dazu befähigte, sich auch ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes beruflich zu engagieren (vgl. Mundlos 2016, S. 52). Nichtdestotrotz kann von einer Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann auch heutzutage keineswegs die Rede sein. Insbesondere im beruflichen Sektor sind Frauen mit nur 29 % in Führungspositionen noch deutlich unterrepräsentiert und verdienen bei gleicher Leistung weniger als die Männer (vgl. Statistisches Bundesamt 2014, o. S.).

Ungeachtet dessen, dass in den letzten Jahrzehnten diese gesellschaftlichen ‚Zerfalls- und Veränderungsprozesse‘ im familialen Bereich stattgefunden haben und damit einhergehend auch eine zunehmende Pluralisierung der Lebensformen zu verzeichnen ist, bleibt Elternschaft ein Aspekt individueller Lebensgestaltung, der hoch bewertet wird und einen wichtigen Stellenwert bezüglich der Lebensplanung von Frauen und Männern darstellt (vgl. Simm 1991, S. 333). Somit wird die Elternschaft als ein notwendiger Prädiktor für das eigene Lebensglück von knapp 75 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer betrachtet. Insgesamt gesehen gehören der Komplex der Elternschaft und der Lebensbereich der Partnerschaft zu den relevanten Themen des Erwachsenenalters, die einen maßgeblichen Einfluss auf die soziale und individuelle Entwicklung in diesem Alter abbilden (Watzlawik/Ständer/Mühlhausen 2007, S. 37).

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu postulieren, dass der Übergang in den Familienzyklus kein punktuelles Ereignis ist, sondern aus einer Kette zusammenhängender Ereignissequenzen besteht. „Diese beginnt bei der Umsetzung eines Kinderwunsches, spätestens mit der Feststellung der Schwangerschaft und geht bis zur Anpassung und Integration des neuen Kindes in ein Paarsystem“ (Gloger-Tippelt 2007, S. 514). Dementsprechend hängen also der Kinderwunsch, die Konzeption, die Schwangerschaft, das Geburtsereignis sowie die Elternschaft unmittelbar miteinander zusammen und sind nicht voneinander lösende Vorgänge (Gauda 1990, S.39).

Die Aspekte der Erwünschtheit und Geplantheit des Kindes stellen also im Idealfall die Vorläufer einer „kognitiv-motivationale[n] Antizipation von Kindern“ (Gloger-Tippelt 1991, S. 186, Zusatz v. Jennifer Stiebeling) dar, die Gloger-Tippelt gemeinhin als Kinderwunsch bezeichnet, welcher die Vorstellung enthält, „dass sich zwei Partner zu einem bestimmten Zeitpunkt kein, ein oder mehrere (weitere) Kinder wünschen und dass sie es zu einem zukünftigen Zeitpunkt, an dem bestimmte Bedingungen erfüllt sind, realisieren wollen“ (Papastefanou/Hofer 1992, S. 113f.). Dies bedeutet, dass Kinder im Leben des Paares oder der einzelnen Frauen und Männer also schon sehr viel früher eine wichtige Rolle einnehmen. Historisch betrachtet ist ein Wandel bezüglich der Qualität des Kinderwunsches zu beobachten. Entgegen den früheren extrinsischen Gründen, aus denen Kinder aus versorgungszentrierten Gründen heraus gewünscht worden sind, überwiegen heutzutage intrinsische beziehungsweise psychologische Motive (vgl. Gloger-Tippelt 2005, S. 59). „Ein Kind stellt für Paare emotionale, partnerschaftliche Werte dar. Es wird eine Erweiterung der Selbsterfahrung, des Lebenssinnes, des Wunsches nach Nähe und Zärtlichkeit gesucht. Kinder erscheinen als sinnstiftender Lebensinhalt in einer Partnerschaft und als gemeinsame Freude beider Partner. Sie erhoffen sich nicht selten durch ein Kind auch eine Stärkung ihrer Paarbeziehung“ (Gooßen 2011, S. 11).

Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung für ein Kind nicht immer bewusst getroffen und beabsichtigt wird, ein Kinderwunsch also nicht jeder Schwangerschaft automatisch vorausgeht. Trotz der medizinischen Fortschritte und Möglichkeiten sind auch heute noch zahlreiche Schwangerschaften ungeplant und ungewollt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass, auch wenn die Vorstellungen von Kindern weitestgehend positiv besetzt sind, es keineswegs als ein normativer Prozess anzusehen ist, dass diese letzten Endes auch realisiert werden. Denn die Umsetzung des Kinderwunsches wird heutzutage mitunter zugunsten konkurrierender Lebenspläne wie beispielsweise Berufs- oder Beziehungserfahrungen aufgeschoben. Dazu herrscht weiterhin die gesellschaftliche Ideologie vor, dass die Prämisse der guten Mutter mit einer außerhäuslichen Berufstätigkeit der Frau unvereinbar ist, was wiederum durch familienunfreundliche Beschäftigungsverhältnisse oder mangelnde Angebote der Kleinkindbetreuung aufrechterhalten und unterstützt wird (vgl. Gloger-Tippelt 1991, S. 189). Auch Wicki (1997, S. 83) stellt fest, dass insbesondere die höhere Erwerbs- und Bildungsbeteiligung der Frauen sowie mangelnde materielle Ressourcen, bezogen auf das Familieneinkommen und die Wohnsituation, der Realisierung des Kinderwunsches entgegenstehen.

Äußerst relevant ist aber, dass die Bedingungen, unter denen Paare den Übergang zur Elternschaft vollziehen, wichtige Weichen für die gesamte Entwicklung des Familiensystems - insbesondere sind hier vorrangig die psychische Gesundheit der Kinder sowie das Wohlbefinden der Eltern zu nennen - stellen (vgl. Gloger-Tippelt 1991, S. 188f). In diesem Zusammenhang hat beispielsweise die subjektive Erwünschtheit des Kindes einen sehr großen Einfluss darauf, ob der Übergang zur Elternschaft eher zu- oder abträglich gestaltet wird.

2.2 Die zentralen Veränderungen in Folge der Erstelternschaft

Schon Cowan & Cowan (1994, S. 46) beschreiben in ihrem Werk, dass die Entscheidung für ein Kind als die „schicksalhafteste und wichtigste Entscheidung“ angesehen wird, die ein Paar im Leben treffen kann, was vor allem darin zu begründen ist, dass die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, von den Beteiligten im Vorfeld kaum abzusehen sind.

Insbesondere der Übergang zur Erstelternschaft ist als eine der größten Herausforderungen im Erwachsenenalter zu betrachten. Mit dem Eltern-Sein wird eine große Verantwortung übernommen, indem ein anderer Mensch, der vollkommen hilfsbedürftig und abhängig ist, versorgt werden muss, und zwar zu jeder Zeit (vgl. Heinrichs/Hahlweg 1999, S. 777). Die Geburt eines Kindes stellt also ein überaus bedeutsames Lebensereignis dar, sodass dieses in der Forschungsliteratur auch häufig mit den Attributen „krisenhaft“ (z.B. Faltermaier et al. 2014, S. 171) in Verbindung gebracht wird. Dies verdeutlicht signifikant, dass die Phase der Familienwerdung sowohl über Risiken, als auch über zahlreiche Chancen verfügt. Die zentralen Veränderungen, die mit der Geburt des ersten Kindes in Verbindung gebracht werden, werden in der nachfolgenden Passage explizit zusammengetragen.

Insgesamt betrachtet gehen mit der Geburt des ersten Kindes umfassende Veränderungen und eine tiefgreifende Umstellung der Lebenssituation für die Eltern einher (vgl. Fthenakis et al. 2002, S. 62). Diese erstrecken sich im Wesentlichen auf biologische Veränderungen der Frau sowie auf die soziale Lage, auf die psychischen Befindlichkeiten und auf die partnerschaftliche Ebene der Eltern (vgl. Schneider/Rost 1995, S. 181). Die Veränderungen der Partnerschaft, die den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden, stehen allerdings erst im nachfolgenden Kapitel explizit im Mittelpunkt des Interesses. An dieser Stelle sollte beachtet werden, dass die Phase der Familienwerdung vor allem über ein gewisses Belastungspotential (vgl. Reichle 1994, S. 26) verfügt, welches in den nachfolgenden Ausführungen fokussiert wird.

Hinsichtlich biologischer Aspekte sind vor allem die körperlichen Umstellungen der Frauen relevant, die mit der Schwangerschaft und Geburt verbunden sind. Vorwiegend für Erstgebärende stellt der Geburtsakt eine außerordentliche Belastungssituation dar. Nach der Entbindung erfahren viele Frauen neben den Glücksgefühlen, auch postpartale Stimmungskrisen, die beispielsweise schwere Wochenbettdepressionen auslösen können (vgl. Jungbauer 2009, S. 39f.). Auch die unmittelbar nach der Geburt beginnende Stillperiode, die im Idealfall als primäre Nahrungsquelle des Neugeborenen dient, verlangt der Mutter sowohl physisch als auch psychisch einiges ab. Von nun an ist sie stark an die Bedürfnisse des Kindes gebunden (vgl. Bullinger 1986, S. 58).

Mit der Geburt des ersten Kindes erfolgt von einem Tag auf den anderen eine erhebliche Umstellung von der Partnerschaft auf die Elternschaft, also von der Dyade zur Triade. Dies bedeutet vor allem, dass sich bereits erprobte und bewährte Abläufe des Zusammenlebens von nun an erheblich verändern. Aus der strukturellen Perspektive vergrößert sich mit der Familienwerdung das Spektrum der Beziehungen innerhalb der Familie dahingegen, dass neben der Dyade der beiden Ehepartner, zwei neue Dyaden entstehen, nämlich eine zwischen Mutter und Kind sowie eine zwischen Vater und Kind, zusätzlich bildet sich noch die Triade Mutter-Vater-Kind heraus (vgl. Kreppner 2000, S. 177). Diese neuen sozialen Rollen der Mutterrolle, Vaterrolle und Elternrolle müssen nun in das bestehende System integriert werden, was wiederum häufig zu Problemen führt, insbesondere bezogen auf die Paarebene (Marx 2011, S. 48).

Viele Eltern sind auf die ‚24-Stunden-Aufgabe‘ mit einem Kind nur ungenügend vorbereitet (vgl. Helfferich 2017, S. 39). Denn im Gegensatz zu einer normalen Erwerbstätigkeit ist die Versorgung des Kindes zeitlich unbegrenzt. Vorrangig gilt nun - vor allem für stillende Mütter - die Bedürfnisse des Säuglings unmittelbar zu befriedigen, was in der Konsequenz eine Umstrukturierung des vorher etablierten Tagesablaufs bedeutet und in der Konsequenz zu Niedergeschlagenheit, Erschöpfungszuständen sowie einem erheblichen Schlafmangel führt (vgl. Kalicki/Peitz/Fthenakis/Engfer 1999, S. 129). Darüber hinaus ist anzuführen, dass die persönlichen Bedürfnisse zugunsten des Kindes, welches nun die volle Aufmerksamkeit der Eltern benötigt und stark einfordert, permanent zurückgestellt werden müssen, was als „Verlust belohnender Rollen“ (Kalicki/Peitz /Fthenakis/Engfer 1999, S. 129) umschrieben werden kann. „Die persönliche Freiheit von Mutter und Vater für eigene Interessen, die Berufstätigkeit, ist enorm eingeschränkt und es muss jeweils zwischen den Partnern verhandelt werden, wer welche Freiheiten oder Pflichten hat“ (Helfferich 2017, S. 39).

Mit dem Hinzukommen eines neuen Familienmitgliedes sind umfängliche neue Aufgaben zu erledigen, deren Erfüllung dadurch erfolgt, dass bisherige Aufgaben neu verteilt werden müssen (Reichle/Werneck, S. 213).

Bedingt dadurch, dass in der Regel ein Elternteil das berufliche Engagement einschränkt und das Haushaltseinkommen dadurch verringert wird, stellen auch finanzielle Konsequenzen eine zentrale Veränderung im Prozess der Familienwerdung dar. Hierbei sollte beachtet werden, dass der Wegfall eines Einkommens zusätzlich dadurch belastet wird, dass durch das Kind Mehrausgaben wie beispielsweise Kleidung und Nahrungsmittel anfallen, aber idealtypisch auch der Umzug in eine familiengerechte Wohnung erforderlich wird (vgl. Fthenakis et al. 2002, S. 63). Dies verdeutlicht, dass sich bestimmte Begebenheiten nicht nur innerhalb des Familiensystems verändern, sondern das sich auch äußere Rahmenbedingungen an die neue Situation anpassen müssen. Im Zuge der Elternschaft ist also auch zunehmend die Frage von hoher Bedeutsamkeit, wo und wie das Kind aufwachsen soll.

Der Übergang zur Elternschaft wirkt sich auch maßgeblich auf die Persönlichkeit der Eltern aus. Die Rolle der Mutter beziehungsweise des Vaters wird in das eigene Selbstkonzept eingeordnet und bewirkt somit Veränderungen hinsichtlich der Gefühle, der Einstellungen und des Verhaltens. Auch die Paarbeziehung wird aus einer elterlichen Perspektive heraus gesehen, da sich die Partner nun nicht mehr ausschließlich als Paar betrachten, sondern sich vorwiegend als ein Team bei der Kindererziehung und beim Gelingen des Familienalltags organisieren (vgl. Jungbauer 2009, S. 36).

Mit diesen neuen Anforderungen müssen persönliche Bedürfnisse zurückgestellt werden, die zuvor mit diesen Aufgaben erfüllt worden sind: „Es wird weniger geschlafen, weniger ausgegangen, Hobbys werden eingeschränkt, sexuelle Kontakte reduziert, die jungen Mütter engagieren sich weniger sozial und politisch, sind finanziell weniger unabhängig, stellen die Erfüllung von Bedürfnissen zurück, die sie zuvor mit ihrer Berufstätigkeit erfüllt haben – etwa das Bedürfnis nach finanzieller Unabhängigkeit vom Partner, nach Anerkennung für berufliche Leistung und Erfolge, nach Kontakt zu Arbeitskolleginnen und -kollegen“ (Reichle 1999, S. 14).

In diesem Kontext erwähnt Hantel-Quitmann (2013, S. 77) in seinem Werk, dass viele Eltern insbesondere die ersten Monate der Elternschaft als eine „doppelte Reduktion“ erleben. Einerseits erfahren sie eine deutliche Reduzierung auf die kindlichen Bedürfnisse und zum anderen ist eine deutliche Reduzierung bisheriger Aktivitäten auf der Paarebene zu verzeichnen. Hinzukommend wird der Kontakt zu Freunden und Bekannten minimiert, eigene Interessen stehen nun nicht mehr im Vordergrund und müssen zurückgestellt werden und die Frau muss akzeptieren, dass sie ihr berufliches Engagement für eine gewisse Zeit mindestens unterbrechen muss (vgl. Hantel-Quitmann 2013, S. 77f.).

Diese gravierenden Veränderungen der gesamten Lebenssituation, die mit der Familiengründung einhergehen, schlagen sich wiederum auf die psychischen Befindlichkeiten der Eltern nieder, die folgendermaßen zusammengefasst werden können: „Depressive Verstimmungen der Mütter, seltener der Väter, Belastungs- und Krisenerleben, Belastung infolge von Unausgeglichenheit, Unzufriedenheit mit der neuen Aufgabenverteilung, Zweifel an den eigenen Kompetenzen, Entfremdung vom Partner, Verteilungskonflikte zwischen den Partnern, Verschlechterung der partnerschaftlichen Kommunikation, Veränderungen der partnerschaftlichen Machtverteilung [sowie] Veränderungen hinsichtlich der Partnerschaftszufriedenheit“ (Reichle 1994, S. 60, Zusatz v. Jennifer Stiebeling).

Insgesamt gesehen sollte an dieser Stelle ausdrücklich betont werden, dass diese Lebensveränderungen aber nicht strikt für jede Partnerschaft Gültigkeit aufweisen. Wie diese Veränderungen letzten Endes erlebt werden, hängt auch maßgeblich mit subjektiven Bewertungsmustern zusammen (vgl. Gauda 1990, S. 38).

Auch wenn sich die vorliegende Arbeit vorwiegend mit den Auswirkungen und Herausforderungen der Familiengründung beschäftigt, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass Elternschaft nicht nur mit negativen Aspekten zu konnotieren ist, sondern dass diese auch durchaus über positiv zu bewertende Attribute verfügt. In diesem Kontext stellt die Elternschaft typischerweise einen wichtigen Prädiktor für die allgemeine Lebenszufriedenheit dar (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 111). Zu den Bereicherungen des Paares, die durch die Geburt des Kindes ausgelöst werden, zählen vor allem die Freude und der Austausch von Zärtlichkeiten im Umgang mit dem Kind, die Gewinnung des Elternstatus und die damit verbundene Anerkennung in der Gesellschaft, intensivere Kontakte zur Herkunftsfamilie sowie die Tatsache, dass die Frauen zumindest zu Beginn der Elternschaft mehr Respekt von ihrem Partner erfahren (vgl. Reichle 1999, S. 14). Zudem kann das gemeinsame Erleben von Schwangerschaft, Geburt und der Entwicklung des Kindes das Paar näher zusammenführen und sich möglicherweise als eine Erfahrung manifestieren, die über einen verbindlichen Charakter verfügt (vgl. Sierwald 1999, S. 371). Insgesamt gesehen sollten also die induzierten Veränderungen durch die Familiengründung auf die Partnerschaft nicht nur negativ betrachtet werden, da Kinder die Gefühle in der Paarbeziehung auch in einem positiven Sinne intensivieren können (vgl. Gloger-Tippelt 1999, S. 360).

2.3 Das Phasenmodell nach Gloger-Tippelt

Die Familienpsychologin Gloger-Tippelt hat im Jahre 1988 auf Grundlage von psychologischen und soziologischen Untersuchungen ein Phasenmodell für den Übergang in das Familiensystem entwickelt, welches den Verlauf des Erlebens und Verarbeitens der Elternschaft und die damit verbundenen idealtypischen Schritte aufzeigt. Dieser Ansatz, der durch nachfolgende Grafik veranschaulicht werden soll, ist durch einen Prozesscharakter gekennzeichnet. Dies verdeutlicht, dass zwar die Geburt des Kindes ein punktuelles Geschehen darstellt, aber dass die gravierenden Lebensveränderungen und die Bewältigung dieser Herausforderungen, die sich aus diesem Ereignis heraus ergeben, von den Betroffenen langfristig verarbeitet werden müssen (vgl. Reichle 1994, S. 24).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Phasenmodell nach Gloger-Tippelt, Quelle: eigene Darstellung

Das oben aufgeführte Verarbeitungsmodell lässt sich insgesamt in zwei große Zyklen unterteilen, von denen ein Zyklus in der Schwangerschaft (1) und ein weiterer nach der Geburt (2) durchlaufen wird. Somit werden insgesamt acht aufeinander aufbauende Phasen unterschieden, nämlich vier Phasen vor der Geburt nach Schwangerschaftswochen, der Geburtsakt sowie drei Schritte nach der Geburt, die sich an den Lebensmonaten und an der Entwicklung des Kindes orientieren. Die Verarbeitung dieses Lebensereignis erfolgt auf einer biologischen, psychischen und sozialen Ebene.

In der Frühschwangerschaft tritt zunächst die Verunsicherungsphase ein, die durch körperliche Veränderungen, durch innere Ambivalenzen, sowie mit einer Umstellung zukünftiger Lebensperspektiven einhergeht. In dieser Zeit ist zu erwarten, dass starke Selbstzweifel im Hinblick auf die zukünftige Kompetenz als Eltern dominieren. In der darauffolgenden Anpassungsphase, die zwischen dem vierten und sechsten Schwangerschaftsmonat beginnt, kommt es zu einer physischen und psychischen Akzeptanz der Schwangerschaft, wobei die ersten wahrnehmbaren körperlichen Bewegungen des ungeborenen Kindes einen wesentlichen Anteil dazu beitragen. Die anschließende Konkretisierungsphase ist durch ein größeres Wohlbefinden gekennzeichnet, wodurch die positive Einstellung zur Schwangerschaft weiter gefördert wird. Der erste Zyklus schließt mit der Antizipations- und Vorbereitungsphase ab, die von einer Zunahme der körperlichen Beschwerden geprägt ist. Die werdenden Eltern bereiten sich nun zunehmend auf die bevorstehende Geburt zu. Der Geburt ist ein autonom ablaufender Prozess und stellt den ersten direkten Kontakt zwischen den Eltern und dem Neugeborenen her. Die Qualität der Geburtserfahrung entscheidet maßgeblich darüber, wie dieses Ereignis nachhaltig verarbeitet wird. Nach der Geburtsphase erfolgt ein weiterer Zyklus mit drei aufeinanderfolgenden Phasen, die sich nun an den Lebensmonaten beziehungsweise an der Entwicklung des Kindes ausrichtet. Die Phase der Überwältigung und Erschöpfung, die in etwa bis zum zweiten Lebensmonat andauert, ist durch eine völlige psychische und körperliche Erschöpfung gekennzeichnet. Die Eltern erleben auf der einen Seite intensive Glücksmomente, auf der anderen Seite sind jedoch auch Gefühle der Hilflosigkeit und depressive Emotionen vorzufinden. Die anschließende Phase der Herausforderung und Umorientierung, deren Dauer nicht genau vorhersehbar ist, kann dadurch charakterisiert werden, dass sich neue Routinen im Familienalltag etablieren, wie beispielsweise die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung. Die letzte Phase dieses Prozessmodells bezeichnet die Gewöhnungsphase, die ungefähr nach 12 Lebensmonaten des Kindes eintritt. Die Elternrolle ist nun von Stabilität gekennzeichnet und erfolgreich in alltagsstrukturelle Situationen integriert (vgl. Gloger-Tippelt 1988, S. 59-113). Die erste Zeit der Schwangerschaft und die ersten Monate nach dem Geburtsakt stellen dabei die kritischen Phasen dar, da die Eltern nun mit den neuen und dauerhaften Anforderungen eines Neugeborenen allein zurechtkommen müssen (vgl. Gloger-Tippelt 2007, S. 514).

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Excerpt out of 79 pages

Details

Title
Herausforderungen junger Eltern. Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie beim ersten Kind
Author
Year
2018
Pages
79
Catalog Number
V429173
ISBN (eBook)
9783956875434
ISBN (Book)
9783956875458
Language
German
Keywords
Eltern, Partnerschaft, Paarbeziehung, Mutterrolle, Kinder, Geburt
Quote paper
Emilia Sommerland (Author), 2018, Herausforderungen junger Eltern. Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie beim ersten Kind, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429173

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