Heinrich Heine zwischen Romantik und Satire in "Mein Herz, mein Herz ist traurig"


Trabajo, 2016

20 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprachlich-stilistische Inhaltsanalyse und Interpretation

3. Rezeptionelle Zugänge
3.1. Epochale Einordnung
3.1.1. Sehnsuchtsmotivik
3.2. Gesellschaftspolitische Kritik
3.3. Biografische Zugänge
3.4. Vergleiche zu anderen Werken Heines

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Gedichte sind Kunst. Sie sind Verdichtungen von Sprache und in Werken großer Lyriker[1] ist davon auszugehen, dass jedes einzelne der verwendeten Worte absichtlich und mit einer bestimmten Intention gewählt wurde. Daher reicht es nicht, sich bei der Analyse auf nur einen Aspekt zu beschränken, sondern muss das Gedicht in der gesamten Fülle der zur Verfügung stehenden Informationen betrachten. Das Zusammenspiel von discours und histoire, also die Verknüpfung von sprachlicher Ebene und inhaltlicher Darstellung des eigentlichen Geschehens, spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle.

Zunächst muss jedoch ungeordnetes Vorwissen über verwandte Texte sowie jede biografische Kenntnis über den Verfasser ausgeblendet werden, um ausschließlich die „Eigenbewegung des Textes“[2] zu erfassen, da andernfalls Wahrheiten abgedeckt und Erkenntnisse verhindert werden können.[3]

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit Heinrich Heines 1823 im ersten Band der Reiselieder[4] erschienenem GedichtMem Herz, mein Herz ist traurig.

Rein literaturhistorisch betrachtet legt die Epoche, in die der Zeitpunkt der Veröffentlichung fällt, nahe, dass es sich dabei um ein romantisches Gedicht handelt. Und auch Titel und beschriebene Szenerie lassen zunächst nichts anderes vermuten. Doch der letzte Vers, die Pointe des Gedichts, beleuchtetjeden anderen Vers nochmal in einer neuen Perspektive. Durch den direkt ausgesprochenen Todeswunsch des lyrischen Ichs kann es sich bei dem Gedicht eigentlich nicht um ein romantisches Gedicht handeln, auch wenn mit diversen Stilmitteln der Romantik gespielt wird.

Wie kam Heine dazu, ein solches Gedicht zu verfassen? War es ein intendierter Stilbruch? Eine Gesellschaftskritik? Eine Verarbeitung seiner privaten Probleme? Die vorliegende Hausarbeit soll Zugänge und interpretatorische Möglichkeiten zu dem Gedicht liefern und einen Blick auf die Epoche der Romantik aus der Perspektive Heines ermöglichen. Dafür werden zunächst im Zuge einer sprachlich-stilistischen Inhaltsanalyse Versuche textintemer Interpretationen vorgenommen. Um weitere Texterschließungen zu ermöglichen, wird infolgedessen eine epochale Einordnung stattfinden, bevor mit biografischen Zugängen und kurzen Vergleichen zu ähnlichen Werken Heines versucht wird, ein möglichst umfassendes Verständnis der Rezeptionsmöglichkeiten des Gedichts zu erhalten.

2. Sprachlich-stilistische Inhaltsanalyse und Interpretation

Das Gedicht besteht aus sechs Strophen ä vier Versen, die auch in regelmäßiger Vers­und Strophenform notiert sind. Nach dem Schema a — b — c — b wird ein Kreuzreim angedeutet, bei dem sich der jeweils der zweite und vierte Vers reimen, der erste und dritte Vers jedoch nicht. Die jambische Prägung bleibt „volksliedhaft in den zahlreichen metrischen Lizenzen.“[5] Diese Kombination aus teils sich kontinuierlich wiederholenden und teils sich verändernden Strukturen ruft eine gewisse Unruhe hervor und kann beispielsweise eine Künstlichkeit des Idylls kennzeichnen.[6] In einigen Fällen erzielt die Wahl des Metrums noch mehr Auffälligkeiten: Während in der vierten Strophe der erste Vers „Die Mägde bleichen Wäsche“ (V. 13)[7] regelmäßig jambisch ein banaler und monotoner Vorgang beschrieben wird, entsteht im darauffolgenden Vers eine gewisse Dynamik, die durch einen eingeschobenen Daktylus betont wird: „Und springen im Gras herum“ (V. 14). Ein weiteres Beispiel für einen solchen Zusammenhang zwischen metrischer Struktur und Inhalt befindet sich ganz am Ende des Gedichts. So wird durch „die kleine Irritation der funkelnden Flinte die unverhoffte Schlusszeile wenigstens im Metrum“[8] angekündigt: „Er spielt mit seiner Flinte, / Die funkelt im Sonnenrot (V. 21f,).

In dem Gedicht wird im Grunde genommen eine romantische Szenerie beschrieben, die vom ersten und letzten Vers eingerahmt wird, welche einen Gegensatz zur sonstigen vorherrschenden Grundstimmung bieten. Eine Ausnahme bildet hier die fünfte Strophe, die durchgehend aus Jamben besteht und dadurch im Bezug zur histoire paradoxerweise flüssiger wirkt.

Schon im Titel sowie im gleich lautenden ersten Vers entsteht eine melancholische Grundstimmung, die durch die Dopplung des Ausdrucks „Mein Herz“ (V. 1) noch verstärkt wird und einer seufzenden Klage über den leidvollen Gemütszustand gleicht. Der Titel stellt zudem einen intertextuellen Verweis dar, um den Leser direkt zu Beginn eine inhaltliche Erwartungshaltung vorzugeben.[9]

Ein Grundmotiv des Gedichts sind antithetische Darstellungen, was sich bereits im zweiten Vers zeigt. Hier wird entgegen der im ersten Vers angedeuteten negativen Grundstimmung ein völlig positives Bild gezeigt, das die Ästhetik des Monats Mai beleuchtet. Die humoristischr Wahl des Ausdrucks „lustig“ (V. 2) in Verbindung mit der enthaltenen Alliteration (V. 2: „lustig leuchtet der Mai“) zeigt dabei bereits ein weiteres Grundmotiv, nämlich den abstrakten Gegensatz Mensch - Natur. In diesem Fall wird dieser Kontrast zwischen lyrischem Ich und positiver Idylle durch das oben erwähnte unregelmäßige Reimschema noch weiter verstärkt.

Neben dem Aufgriff des Monats Mai wird im dritten Vers mit der „Linde“ ein weiteres sehr typisches Merkmal der Epoche der Romantik genannt. Das lyrische Ich spricht in der ersten Person von seinem Aufenthaltsort, der sich in einiger Entfernung zu jeglichem Geschehen und jeder Interaktion befindet. Dies wird durch Formulierungen wie „Hoch auf der alten Bastei“ (V. 4) im Gegensatz zu „Da drunten fließt...“ (V. 5) oder „Jenseits“ (V. 9) besonders deutlich und baut eine Distanz zwischen lyrischem Ich und allen Aspekten der Natur und Gesellschaft auf. Es betrachtet also das Miteinander von Mensch und Natur, ohne direkten Einfluss zu nehmen. Diese räumliche Distanz kann sowohl Grund als ein Anzeichen einer Sehnsucht sein, die das lyrische Ich verspüren könnte.[10] Es ist denkbar, dass die Person zu bestreben versucht, auch durch sehr positive Beschreibungen des ihm Sichtbaren ein Teil der Gesellschaft oder der generellen Szenerie zu sein, sichjedoch ausgeschlossen und nicht akzeptiert fühlt.

In der zweiten Strophe wird genauer auf den Schauplatz eingegangen, indem der Stadtgraben beschrieben wird, in welchem ein Knabe seelenruhig angelt und, als wäre es noch nicht idyllisch genug, auch noch - fast provozierend - pfeift. Die Dopplung „in stiller Ruh“ (V. 6) verstärkt dies. Der Stadtgraben wird hier als harmonischer und ästhetischer Wasserlauf beschrieben, was vermutlich nicht den tatsächlichen Umständen entspricht. Der Knabe im Kahn tauchte bereits bei Clemens Brentano, dem Hauptvertreter der Heidelberger Romantik, auf und stellt eine wichtige lyrische Chiffre dar. Dort befindet er sich allerdings tatsächlich in einem romantischen Kontext, da er sich auf einer „endlosen Fahrt den Rhein hinunter und in die ziellose Ferne“[11] befindet. Diese bewusste und intendierte Assoziation verstärkt die Absurdität in Heines Darstellung: Der Leser stolpert nicht nur über die Tatsache, dass der Stadtgraben eher Symbol für Realität abseits von Wunschvorstellungen ist, sondern auch über die Metrik. In jeder anderen Strophe beginnt der zweite Vers mit einer unbetonten Silbe, hier müsste jedoch korrekterweise die Betonung auf der ersten Silbe liegen, was den Rhythmus durcheinanderbringen und durch das vorliegende Enjambement noch verstärken würde. Eine weitere „falsch“ zu betonende Silbe ist „Lusthäuser“[12] (V. 11). Die in der euphemistischen Darstellung des Grabens genutzte hyperbolische Ausdrucksweise findet sich auch in weiteren Versen wieder: So ist in der vierten Strophe die Rede von Mägden, die beim Bleichen ihrer Wäsche im Gras herumspringen (V. 14), was wohl nur auf einen verschwindend geringen Teil der arbeitenden Bevölkerung zutreffen konnte. Darüber hinaus wird die Gischt des arbeitenden Mühlrads als „Diamanten“ (V. 15) beschrieben. All diese Beispiele zeigen eine - wahrscheinlich absichtliche - völlige Überbewertung des Beobachteten, die das Spannungsverhältnis zwischen Idylle bzw. Traumvorstellung und der Realität aufzeigen.

In der dritten Strophe schaut sich das lyrische Ich weiter um und entdeckt in einiger Entfernung verschiedene Begebenheiten, die es anschließend völlig trocken und mechanisch auflistet. Die Schönheit der Umgebung wird durch dieses stilistische Mittel geschwächt, durch die polysyndetische Aufzählung findet also eine Relativierung des Pathos statt. Darüber hinaus wird jedes Element sowohl durch ein Komma als auch durch ein „und“ getrennt, was den Textfluss stört. Die monotone Nennung sprachlicher Bilder enthält keinerlei Dynamik, was sich in der Strophe besonders deutlich zeigt. Neben dieser stilistischen Auffälligkeit scheint auch die Wahl der Begriffe keineswegs zufällig; das Motiv Mensch - Natur wird so beispielsweise wieder aufgenommen. Wo vorher Einklang und Natürlichkeit herrschte, werden jetzt Lusthäuser an erster Stelle genannt, die von idyllischer Natur weit entfernt sind. Dann erst folgen Gärten, danach erst Menschen. Das vorher intendierte harmonische Bild wird schließlich von einem Ochsen gestört, der für die Szenerie völlig unpassend ist, weil man ihm keinerlei für die Romantik relevante Attribute zuschreibt. Durch den darauffolgenden Abschluss dieser Auflistung mit dem klassischen und melodisch klingenden Motiv „Wiesen - Wald“ wird eine gewisse Komik erzeugt, die zu einer ironischen Interpretation der Passage führen könnte.[13] Weiterhin lässt sich beobachten, dass das Wort „Ochsen“ genau in der Mitte des Gedichts steht. „Der ganze Text besteht aus 112 Wörtern, das sind zweimal 56. Das sechsundfünfzigste Wort der ersten Hälfte ist 'Ochsen', das sechsundfünfzigste Wort der zweiten Hälfte ist 'tot'.“[14] Diese keineswegs zufällige Konstellation ruft noch mehr Absurdität hervor.

Völlig zerstört wird die idyllische Darstellung jedoch durch die Wäsche bleichenden Mägde (V. 13). Lusthäuser zwar vielleicht aufgrund ihrer positiven emotionalen Verknüpfung und ihrer gemeinschaftlichen Funktion noch in das harmonische Bild passen, spätestens bei niederer körperlicher Arbeit fällt jedoch auf, dass das Gedicht thematisch umschlägt. Einen weiteren Hinweis darauf bietet auch die Metapher der „Diamanten“ (V. 15). Das hochschäumende Wasser am Mühlrad bietet zwar durch sein Funkeln in der Sonne ein ästhetisches Bild ab, erinnert jedoch auch an Materialismus und den höchst unpoetischen materiellen Nutzen von Diamanten.[15] Unmittelbar nachdem das lyrische Ich die Mägde entdeckt, die etwas bleichen, erblickt er einen alten, grauen Turm (V. 17). Es werden auf einmal negative Adjektive verwendet und es wird inhaltlich Abstand von der Idylle genommen. Zuvor wurde bereits im ersten Vers der Begriff Herz, den man direkt mit der Farbe Rot verbindet, im fünften Vers die Farbe Blau genannt - doch nun wirkt es, als hätten die Mägde symbolisch die Farbe entfernt, was einen Effekt hervorruft: Denn im Anschluss taucht ein „rotgeröckter Bursche“ (V. 19) auf, der nun auf grauem Hintergrund farblich deutlich kontrastierter und bedrohlicher wirkt, während er vor dem Schilderhäuschen, das sprachlich im Diminutiv womöglich auch eine gewisse Lächerlichkeit intendiert, patrouilliert. Die Natur wird nun überhaupt nicht mehr beachtet und der Soldat rückt in den Fokus.

In der letzten Strophe wird dieser beschrieben, wie er seelenruhig mit seiner Waffe spielt.

[...]


[1] Hier und in der gesamten folgenden Arbeit ist mit männlichen Formen von Substantiven im Zweifelsfall das generische Maskulinum gemeint.

[2] Matt, Peter von: Die verdächtige Pracht: über Dichter und Gedichte. München/Wien: Hanser Verlag 1998, S. 203.

[3] Vgl. Ebd., S. 203.

[4] Hanuschek, Sven: HeinrichHeine, 10 Gedichte. Stuttgart: Reclam Verlag2007, S. 70.

[5] Ebd.,S.72.

[6] Vgl. Ebd., S. 73.

[7] Diese und alle weiteren direkt im Fließtext gegebenen Versangaben beziehen sich auf: Kaufmann, Hans (Hg.); Heine, Heinrich: Werke undBriefe inzehnBänden. Band 1, Berlin 1961, S. 104-105.

[8] Ebd.,S.72f.

[9] Siehe auch 3.1 Epochale Einordnung

[10] Siehe auch der „Wanderer im Nebelmeer“ in Punkt 3.1.2 Sehnsuchtsmotivik

[11] Matt, Die verdächtige Pracht, S. 205.

[12] Ein „Lusthaus“ wird heutzutage fälschlicherweise oft als ein Bordell verstanden; mit Lusthäusem sind hier Veranstaltungsorte für öffentliche oder offizielle Festlichkeiten.

[13] Weiterführendes inPunkt3.2.

[14] Ebd., S. 202.

[15] Vgl. Hanuschek, Heinrich Heine, S. 72.

Final del extracto de 20 páginas

Detalles

Título
Heinrich Heine zwischen Romantik und Satire in "Mein Herz, mein Herz ist traurig"
Universidad
University of Marburg
Calificación
1,0
Autor
Año
2016
Páginas
20
No. de catálogo
V429471
ISBN (Ebook)
9783668741720
ISBN (Libro)
9783668741737
Tamaño de fichero
558 KB
Idioma
Alemán
Notas
Heinrich Heine zwischen Romantik und Satire in „Mein Herz, mein Herz ist traurig“ (1823). Sprachlich-stilistische Inhaltsanalyse und Interpretation und rezeptionelle Zugänge.
Palabras clave
heinrich, heine, romantik, satire, mein, herz
Citar trabajo
Leonard Schütz (Autor), 2016, Heinrich Heine zwischen Romantik und Satire in "Mein Herz, mein Herz ist traurig", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429471

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