Trauma und die Zeit danach. Ein individuelles oder gesellschaftliches Problem?


Term Paper, 2015

16 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1 Einleitung

2 Standardmäßige Klassifizierung von Traumafolgestörungen

3 Alternative Betrachtungsweisen von Traumata

4 Diskussion und kritische Auseinandersetzung

Literaturverzeichnis

Zusammenfassung

Immer wieder wird sichtbar, wie Personen nach einem traumatischen Ereignis Schwierigkeiten haben, dieses zu verarbeiten. Die klassische Sicht- und Vorgehensweise fokussiert hierbei auf das zurückliegende Trauma und dessen Bearbeitung sowie auf die Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten des Einzelnen.

Eine alternative Sichtweise von Keilson sieht Trauma hingegen als einen Prozess, derüber das eigentliche traumatische Ereignis hinausgeht. Der Zeit nach dem Trauma wird eine wesentliche Bedeutung beigemessen und die Bewältigung wird weniger ausschließlich den Betroffenen zugeschrieben, sondern vielmehr werden gesellschaftliche und politische Bedingungen mit einbezogen. Diese alternative Sichtweise entpathologisiert die Betroffenen.

In der Bewältigung traumatischer Ereignisse sind individuelle Lösungen unabdingbar. Ebenso wichtig scheint eine kritische und aktive Auseinandersetzung der Gesellschaft und Politik mit der Thematik, da nur so verhindert werden kann, dass Betroffene auch nach dem eigentlichen Trauma weitere traumatische Sequenzen, die durch gesellschaftliche Situationen und Normen entstehen, erleben. Ein wichtiger Bestandteil hierbei ist die Anerkennung und Bewusstwerdung in der Gesellschaft, dass beispielsweise auch extreme Gewaltformen in unserer unmittelbaren Nähe existieren und keine Ausnahme darstellen, ohne dass sich dabei Verleugnung in eine Art Voyeurismus umkehrt. Die Bewältigung traumatischer Ereignisse ist im Wesentlichen mit davon abhängig, welchen Bedingungen Betroffene nach dem Ereignis ausgesetzt sind und die gesellschaftliche, soziale und politische Situation hat hier deutlich mehr Einfluss, als häufig angenommen.

1 Einleitung

Immer wieder sind wir als Psychologen, aber auch als Gesellschaft mit Menschen konfrontiert, dieüberwältigende Ereignisse erlebt haben und als Reaktion Traumafolgestörungen entwickeln. Wie Brenssell (2013) beschreibt, scheint es jedoch zunehmend schwerer, Betroffene darin zu unterstützen, ihren individuellen Weg aus dem Trauma zu finden. Die Angebote scheinen bei Weitem nicht den Bedarf zu decken und viele Betroffene kommen nach einem Klinikaufenthalt, der der gezielten Traumabearbeitung diente, zu Beratungsstellen zurück, da sie nachwievor unter Alltagsproblemen leiden. Hier stellt sich sicherlich die Frage, wie dieses Problem zu lösen ist, aber auch wasüberhaupt mögliche Gründe für diese Schwierigkeiten sind. Einerseits ist naheliegend, dass traumatische Ereignisse so gravierende Einschnitte sind, dass deren Aufarbeitung viel Zeit benötigt und von den individuellen Ressourcen der Person mit abhängt (Schriefers, 2008). Andererseits stellt sich jedoch auch die Frage, welche Rolle gesellschaftliche Entwicklungen spielen und ob die Überwindung des Traumas wirklich der betroffenen Person alleine zugeschrieben werden kann oder ob nicht vielmehr auch gesellschaftliche, soziale und politische Aspekte eine Rolle spielen (Brenssell, 2013). Denkt man beispielsweise an den Fall Natascha Kampusch, so sieht man, dass sie sicherlich unter dem eigentlichen traumatischen Ereignis leidet. Die Reaktionen des Umfelds und der Öffentlichkeit, die sich nach ihrer erfolgreichen Flucht daran anschlossen, spielen jedoch sicherlich ebenfalls eine bedeutsame Rolle für die Verarbeitung des zurückliegenden Traumas (Kampusch, 2011). Hilgers (2007) beschreibt dieöffentliche Reaktion im Fall Kampusch als eine Art Sensationsgier, bei dem das Schicksal eines Opfers genutzt wird, um sich vor Augen zu führen, dass man selber verschont blieb und sich damit selbst zu entlasten. Andererseits spricht er aber auch von dem häufigen Wegsehen unserer Gesellschaft. Beides verschiebt die Verantwortung und Pathologisierung weg von der eigenen Person, hin zu den Betroffenen und schafft somit in vielen Fällen ungünstige gesellschaftliche, politische und soziale Rahmenbedingungen für eine gute Verarbeitung traumatischer Ereignisse.

In der folgenden Auseinandersetzung werden zunächst die standardmäßige Klassifizierung von Traumafolgestörungen sowie eine alternative Sichtweise, die Trauma als einen Prozess mehrerer traumatischer Sequenzen sieht, vorgestellt. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt in der anschließenden Diskussion und kritischen Auseinandersetzung mit dieser Thematik.

2 Standardmäßige Klassifizierung von Traumafolgestörungen

Mit der Einführung des DSM-V entstand in den internationalen Diagnoserichtlinien die neue Kategorie „trauma- and stressor-related disorders“ (American Psychiatric Association, 2003) . Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wird seitdem nicht mehr als Angststörung bezeichnet, sondern dieser neuen Kategorie zugeordnet. Sie ist mit den Symptomen Intrusionen, Vermeidung traumaassoziierter Reize, Hyperarousal sowie einer Veränderung der Kognitionen und Stimmung klar definiert (American Psychiatric Association, 2003). Dissoziative Störungen, wie beispielsweise die Dissoziative Identitätsstörung (DIS), werden trotz ihrer traumatischen Grundlage (Reinders, Willemsen, Vos, den Boer, & Nijenhuis, 2012; Reinders et al., 2006) nicht den „trauma- and stressor-related disorders“ zugeordnet, sondern fallen in die eigene Kategorie der dissoziativen Störungen.

Durch diese Kategorisierung besteht jedoch die Gefahr, dass es zu einer Pathologisierung einer eigentlich physiologischen Reaktion des menschlichen Organismus kommt. Reaktionen auf ein traumatisches Ereignis, die sich in einer PTBS-Symptomatik oder bei massiverer Traumatisierung auch in einer dissoziativen Störung, wie im schwersten Fall in einer DIS (Van der Hart, Nijenhuis, & Steele, 2008) abbilden, sind normale Reaktionen aufüberwältigende Lebensereignisse (Schriefers, 2008). Mit der Anwendung des gängigen Diagnosesystems kommt es jedoch schnell zu einer Abstraktion des eigentlichen Tatgeschehens mit einer Verschiebung des Problems hin zum Opfer und einer damit häufig verbundenen Stigmatisierung der Person. Die klassischen Klassifikationssysteme komprimieren und verkürzen die Darstellung der psychischen Reaktionen auf traumatische Ereignisse und vernachlässigen somit die individuellen Bedürfnisse, Umstände und Leiden des Betroffenen (Schriefers, 2008). Die detaillierte Unterscheidung beispielsweise zwischen DIS und DDNOS (Dissociative Disorder Not Otherwise Specified) oder auch DESNOS (Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified) wird hierbei nicht gemacht (American Psychiatric Association, 2003; Van der Hart et al., 2008). Auch wird bei der DIS nicht zwischen reaktiver DIS und tätergemachter DIS unterschieden, obwohl für die therapeutische Behandlung ausgesprochen wichtig ist, zu erkennen und zu berücksichtigen, ob die DIS reaktiv entstanden ist oder absichtsvolle Konditionierungen, Programmierungen und im gravierendsten Fall inverse Programmierungen vorhanden sind (Breitenbach, 2011). Das Problem der verkürzten und komprimierten Darstellung der Symptome, um eine standardisierte Klassifizierung zu bekommen,überträgt sich häufig auch auf die therapeutische Arbeit. Oftmals wird nach Normen und Standards behandelt, wobei die gesellschaftlichen Aspekte, die vielfach eine wesentliche Rolle spielen, außer Acht bleiben. Die Aufmerksamkeit richtet sich häufig ausschließlich auf das traumatische Ereignis und die Möglichkeiten und Grenzen des Individuums. Vielfach wird davon ausgegangen, dass das Problem mit der Bearbeitung der zurückliegenden traumatischen Situation gelöst ist, wobei Umstände, die sich in Folge des Traumas mit ergeben haben, teilweise außer Acht gelassen werden. Gesellschaftliche Mechanismen, die eine Traumatisierung andauern lassen, werden vielfach kaum berücksichtig und die Verantwortung verschiebt sich von einem gesellschaftlichen Problem hin zur betroffenen Person (Brenssell, 2013).

3 Alternative Betrachtungsweisen von Traumatisierung

Eine alternative Sichtweise, die Traumatisierung nicht als einzelnes und klar definiertes Ereignis, sondern vielmehr als Prozess betrachtet, ist von Keilson (2005) beschrieben. Diese Sichtweise steht dem gängigen Traumaverständnis entgegen, welches auf ein vergangenes und oft einmaliges traumatisches Ereignis fokussiert ist (Brenssell, 2013). In seiner Forschung konnte Keilson (2005) zeigen, dass Traumata nicht als singuläres Ereignis betrachtet werden sollten, sondern vielmehr als eine Abfolge traumatischer Sequenzen. Dies hat auch Konsequenzen auf die therapeutische Arbeit mit Traumabetroffenen, da es den Blick erweitert und wegführt von der ausschließlichen Bearbeitung des einen Ereignisses hin zur Bearbeitung einer Abfolge an Ereignissen (Brenssell, 2013). Keilson (2005) zeigte bei seiner Untersuchung an jüdischen Kriegskindern, dass für viele die Zeit nach Kriegsende und dem eigentlichen Trauma alsüberwältigender und schmerzhafter erlebt wurde, als das eigentliche traumatische Ereignis. Er stellte in seiner Untersuchung fest, dass die Kinder, die eine schwerere Verfolgung erlebt hatten, aber unter verhältnismäßig guten Bedingungen in der Nachkriegszeit weiterlebten, weniger starke Traumafolgereaktionen zeigten, als dies bei den Kindern der Fall war, bei denen die Zeit der Verfolgung - also des eigentlichen Traumas - milder verlief, die aber schwierigen Bedingungen in der Nachkriegszeit ausgesetzt waren. Diese Befunde zeigen, dass nicht allein die schwere des traumatischen Ereignisses bedeutsam ist, sondern auch die weiteren Sequenzen, die auf dieses Ereignis folgen, von entscheidender Bedeutung sind (Schriefers, 2008).

Im Verständnis des Traumas als Prozess wird weniger das traumatische Ereignis als Einzelnes fokussiert, sondern das Zusammenwirken andauernder sozialer, politischer und individueller Prozesse (Schriefers, 2008) und das „Danach“ bekommt eine entscheidende Bedeutung (Brenssell, 2013). Hierbei wird bereits deutlich, dass sich die Problematik nicht nur auf das Individuum begrenzt, sondern welche Verantwortung auch auf Seiten der Therapeuten, verschiedenster Institutionen, der Politik und der Gesellschaft als Ganzes liegt. Dieser Aspekt wird in der folgenden Diskussion noch weiter aufgegriffen. Für die individuelle Symptomatik des Einzelnen spielt sicherlich die Intensität des Traumas eine Rolle (Brenssell, 2013), aber auch die verschiedenen gesellschaftlichen Kontexte (Schriefers, 2008) und die Unfähigkeit der Gesellschaft adäquat zu reagieren (Brenssell, 2013).

Sieht man Trauma als Prozess, so richtet sich der Blick weniger ausschließlich auf die Reaktion des Betroffenen, bei der die Überwindung des Traumas allein im Bereich des Opfers liegt. Stattdessen wird die Gesellschaft mit einbezogen und eine Verknüpfung zwischen psychischen, sozialen und politischen Aspekten wird angestrebt, bei der das Opfer entpathologisiert wird (Brenssell, 2013).

4 Diskussion und kritische Auseinandersetzung

Bei der Darstellung der herkömmlichen Betrachtungsweise von Traumatisierung, bei der der Fokus auf der Behandlung des zurückliegenden traumatischen Ereignisses liegt, fällt bereits auf, dass hier die Gefahr besteht, dass eine Stigmatisierung des Opfers stattfindet und die Pathologie des Individuums im Vordergrund steht. Soziale und gesellschaftliche Umstände, die in manchen Fällen erst zur Traumatisierung geführt haben, aber die vor allen Dingen eine gute Verarbeitung der traumatischen Erfahrung erschweren, werden verschoben und zu klinischen Problemen des Opfers gemacht (Brenssell, 2013). Durch die Annahme, dass die Probleme der Betroffenen mit der Betrachtung und Verarbeitung des Traumas gelöst sind, werden die Probleme aus der gesellschaftlichen Situation herausgelöst (Brenssell, 2013).

[...]

Excerpt out of 16 pages

Details

Title
Trauma und die Zeit danach. Ein individuelles oder gesellschaftliches Problem?
College
University of Tubingen
Grade
1,3
Author
Year
2015
Pages
16
Catalog Number
V429599
ISBN (eBook)
9783668731684
ISBN (Book)
9783668731691
File size
529 KB
Language
German
Keywords
trauma, zeit, problem
Quote paper
Katrin Gehlhaar (Author), 2015, Trauma und die Zeit danach. Ein individuelles oder gesellschaftliches Problem?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429599

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