Frauen-Menschenrechtsbewegungen und die Globalisierung. Die Ungleichstellung der Frauen als falscher Standard


Seminar Paper, 2018

28 Pages, Grade: 1


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Konzept der Menschenrechte
2.1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen
2.2. Menschenrechte als moralisch-normative Kategorie
2.3. Menschenrechte als völkerrechtlich-positivistische Kategorie

3. Die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

4. Menschenrechte im Spannungsfeld zwischen Universalismus und Kulturrelativismus

5. Globalisierung, Transkulturalität und der interkulturelle Dialog über Geschlechterordnungen

6. Menschenrechte oder Männerrechte? Geschlechterstereotype und Menschenrechtsdiskurse
6.1. Beispiel: Der fundamentalistische Islam und Frauenrechte im Menschenrechtsdiskurs der Scharia
6.1.2. Das kulturrelativistische Argument am Beispiel von FGM
6.2. Europa und Frauenrechte im historischen Menschenrechtsdiskurs

7. Exkurs: Migrationsmanagement und Bildung als ͣEmpowerment-Right“

8. Die Bedeutung transnationaler Frauen-Menschenrechtsbewegungen in der Weiterentwicklung und Globalisierung des Menschenrechtsdiskurses und der Menschenrechtspolitik

9. Die Macht und Legitimität des Menschenrechtsdiskurses durch seine lokale Aneignung aus der globalen Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit

10. Die globale Vernetzung, NGOisierung und globale Grundorientierung als erfolgreiche Strategien der Frauen-Menschenrechtsbewegungen im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Globalisierung des Menschenrechtsdiskurses sowie mit der wichtigen Bedeutung der Frauen-Menschenrechtsbewegungen in der Weiterentwicklung und Globalisierung des Menschenrechtsdiskurses. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf dem rechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Mobilisierungspotential des Menschenrechtsdiskurses in der Veränderung von kulturellen Traditionen - im Sinne bestimmter Denkweisen, Überzeugungen und Handlungsmuster, die in einer Gesellschaft weitergegeben werden - welche die Ungleichstellung und Unterordnung von Frauen gegenüber Männern als ͣnatürlich“, kulturspezifisch oder gottgewollt rechtfertigen und sich in der Diskriminierung von Frauen bis hin zu geschlechtsspezifischer Gewalt manifestieren.

Kapitel 2 liefert, zunächst, eine grobe Übersicht über das Konzept der Menschenrechte als moralisch- normative sowie als völkerrechtlich-positivistische Kategorie; und Kapitel 3 gibt eine kurze Zusammenfassung der CEDAW, eines der wichtigsten internationalen Menschenrechtsdokumente für Frauen. Kapitel 4 beleuchtet das Thema Menschenrechte im Spannungsfeld zwischen Universalismus und Kulturrelativismus. Kapitel 5 beschäftigt sich mit den Themen Globalisierung und Transkulturalität sowie ihrer Bedeutung in interkulturellen Dialogen über Geschlechterordnungen und Menschenrechte; wobei hier auch auf das Thema Migrationsmanagement eingegangen wird. Kapitel 6 fragt, ͣMenschenrechte oder Männerrechte?“ und entdeckt diskriminierende Geschlechterstereotype sowie die Ungleichstellung von Frau und Mann sowohl im zeitgenössischen, islamischen Menschenrechtsdiskurs als auch im historischen, europäischen Menschenrechtsdiskurs. Kapitel 7 bietet einen Exkurs zu Migrationsmanagement und Bildung als ͣEmpowerment-Right“ im Menschenrechtsdiskurs. In Kapitel 8 wird danach ausführlich die zentrale Bedeutung der transnationalen Frauen-Menschenrechtsbewegungen in der Globalisierung und Weiterentwicklung des Menschenrechtsdiskurses und der Menschenrechtspolitik analysiert und dargestellt. Kapitel 9 steht in Ergänzung zu dem in Kapitel 4 beschriebenen Spannungsfeld zwischen Universalismus und Kulturrelativismus, indem es die Macht und Legitimität des Menschenrechtsdiskurses durch seine Aneignung von Frauen und Frauenrechtsbewegungen auf lokaler Ebene aufzeigt. In Kapitel 10 werden die globale Vernetzung, NGOisierung und globale Grundorientierung der Frauen- Menschenrechtsbewegungen als erfolgreiche Strategien im Kampf um globale Geschlechtergerechtigkeit als Fazit zusammengefasst.

2. Das Konzept der Menschenrechte

2.1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen

Unter dem Eindruck der Gewaltverbrechen des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen, 1948, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Artikel 1 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte besagt, ͣ lle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“. Der Bezug zum Menschenbild der ufklärung, ͣsie sind mit Vernunft und Gewissen begabt“ wird deutlich (Wolf, 2015: UN, 1948). Auch in der Berufung auf zwischenmenschliche Begegnungen ͣim Geiste der Brüderlichkeit“, zeigt sich eine deutliche Parallele zur Wertetrias (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) der Französischen Revolution (ebd.). Artikel 2 verbietet die Diskriminierung des Menschen aufgrund von Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen. Die Artikel 3-21 beinhalten die bürgerlichen und politischen Rechte. Die bürgerlichen und politischen Rechte sind negative Rechte beziehungsweise werden als Abwehrrechte bezeichnet, da sie eine Unterlassung bestimmter Handlungen des Staates fordern wie zum Beispiel Enteignung (Artikel 17, Absatz 2) oder Zensur (Artikel 19), (ebd.). Die Artikel 22-27 beziehen sich auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, die auch als Teilhaberechte bezeichnet werden; sie gelten äquivalent als positive Rechte, da sie eine Handlung des Staates fordern beziehungsweise den Anspruch auf bestimmte Eingriffe des Staates meinen, wie zum Beispiel die Garantie eines unentgeltlichen Bildungssystems (Artikel 26) oder den Anspruch auf besondere Unterstützung und Fürsorge von Müttern und Kindern (Artikel 25, Absatz 2), (ebd.). Anschließend folgt Artikel 28, der den Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung gewährt, die dem Menschen die Verwirklichung dieser Rechte ermöglicht. In Artikel 29 werden die Verpflichtungen jedes Menschen gegenüber der Gemeinschaft und die Bedeutung der Gemeinschaft für die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen betont. Artikel 30 verbietet die Abschaffung der vorstehenden Rechte (Wolf,2015: UN, 1948).

Grundsätzlich gibt es zwei Betrachtungsweisen und funktionale Bedeutungszusammenhänge der Menschenrechte: Erstens, Menschenrechte als moralisch-normative Kategorie, die das Zusammenleben der Menschen bestimmen soll; und zweitens, Menschenrechte als völkerrechtlichpositivistische Kategorie zu verstehen (Wolf, 2015).

2.2. Menschenrechte als moralisch-normative Kategorie

In der Präambel werden die Menschenrechte als ͣdas von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal“ verstanden, das den Anspruch aller Menschen auf ihre Rechte ermöglichen und den Staaten deren Einhaltung vorschreiben soll (Wolf, 2015: UN, 1948). Die Erklärung soll darüber hinaus die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten fördern. In ihrem Verständnis als moralisch-normative Kategorie sind die von den Vereinten Nationen artikulierten Rechte jedes menschlichen Wesens per definitionem universell, angeboren, unveräußerlich und unteilbar (Wolf, 2015). Menschenrechte sind naturrechtlich begründet mit der bloßen Existenz eines Individuums als menschliches Wesen und als moralisch-normative Kategorie werden sie von ihren Verfechtern sowohl als die Grundvoraussetzung menschlichen Zusammenlebens als auch als Zielvorstellung der Gestaltung menschlicher Gemeinschaft verstanden (ebd.). Das Konzept natürlicher und angeborener, unveräußerlicher und universeller Rechte, welches auch von der UNO als Menschenrechtskonzept akzeptiert wird, soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Grundlage für den Begriff der Menschenrechte dienen.

2.3. Menschenrechte als völkerrechtlich-positivistische Kategorie

Das Verständnis der Menschenrechte als völkerrechtlich-positivistische Kategorie äußert sich in ihrer Bedeutung in der internationalen Politik und ihrer wichtigen Stellung im Völkerrecht (Wolf, 2015). Jeder Mitgliedstaat ist zur Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet, sobald er der UNO beitritt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) ist zwar lediglich eine richtungweisende Deklaration, die nicht von den einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden kann und somit nicht völkerrechtlich einklagbar ist, aber dennoch eine sehr anerkannte Deklaration, die einen wesentlichen Grundpfeiler der Vereinten Nationen darstellt (ebd.). Die Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte innerhalb eines Staates gilt nicht selten offiziell als Legitimierungsprinzip für staatliche Souveränität und als Bedingung für internationale Handelsabkommen (ebd.). Um die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit zu fördern und sie zu einem wichtigen Bestandteil des Völkerrechts zu erheben, traten 1976 der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ͣZivilpakt“, 1966) und der Internationale Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (ͣSozialpakt“, 1966) in Kraft. Der Zivilpakt wird oft als die ͣErste Generation der Menschenrechte“ und der Sozialpakt als die ͣZweite Generation der Menschenrechte“ bezeichnet. us juristischer Sicht sind unter dem Begriff ͣMenschenrechte“ meist die Rechte jedes Menschen gemeint, die in der International Bill of Human Rights festgehalten werden, welche aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), dem Zivilpakt (1966), dem Sozialpakt (1966) sowie den zugehörigen Fakultativprotokollen besteht (Wolf, 2015).

3. Die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW, 1979)

Zwar nicht zum Kern der International Bill of Human Rights, jedoch zum völkerrechtlichen Verständnis von Menschenrechten gehören rund 60 Konventionen der Vereinten Nationen, dazu zählt, unter anderem, die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, CEDAW), die 1979 verabschiedet und 1982 in Kraft trat (Wolf, 2015). CEDAW ist das wichtigste internationale Menschenrechtsdokument für Frauen. Es stellt die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Frauen, die schon in den beiden internationalen Pakten (Zivilpakt und Sozialpakt, 1966) enthalten sind, detailliert in den Rahmen zweier Vorschriften: des Diskriminierungsverbots von Frauen auf der Grundlage ihres Geschlechts und Familienstands sowie des Gleichberechtigungs-, Gleichbehandlungsund Gleichstellungsgebots mit Männern (Schöpp-Schilling, 2009).

4. Menschenrechte im Spannungsfeld zwischen Universalismus und Kulturrelativismus

In internationalen, politischen Debatten über die Universalität oder Relativität des Menschenrechtskonzepts stehen sich häufig zwei antagonistische Positionen gegenüber: die Theorie des Universalismus auf der einen Seite und die These des Kulturrelativismus auf der anderen Seite (Wolf, 2015). Innerhalb dieser beiden Theorien gibt es, jedoch, verschiedene Begründungszugänge.

Die Theorie des Universalismus betrachtet alle Menschenrechte als natürliche, angeborene und unveräußerliche Rechte jedes Menschen (ebd.). Der Universalismus versteht Menschenrechte als Universalien, nicht als Werte; Menschenrechte sind nach naturrechtlichem Verständnis jedem Menschen aufgrund seiner Existenz zu eigen. Weltweite Verletzungen der Menschenrechte stellen ihre universelle Geltung daher nicht in Frage. Unabhängig vom jeweiligen kulturellen Kontext müssen jedem menschlichen Wesen die Menschenrechte garantiert werden. Die Menschenrechte und der ihnen implizierten Universalitätsanspruch werden international vor allem von den Vereinten Nationen verteidigt, aber auch viele Staaten, die sich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angeschlossen haben, setzen sich für die Verbreitung der Menschenrechte ein (ebd.).

Die Theorie des Kulturrelativismus, hingegen, betrachtet das Menschenrechtskonzept als Konstrukt von Normen und Werten, die in der westlichen Kultur verankert sind, und verneint die Legitimation einer Universalisierung dieses Konstruktes (ebd.). Der Kulturrelativismus verwirft den universalistischen Anspruch des Menschenrechtskonzeptes, da dieses durch seinen ͣwestlichen“, ͣabendländischen“ Entstehungskontext der griechischen und römischen Antike, des Christentums sowie der Aufklärung und Französischen Revolution geprägt ist und nicht auf andere Kulturen übertragbar sei (ebd.). Die Annahme der Gleichheit aller Menschen und deren Anspruch auf Wahrung von Freiheitsinteressen spiegele ein typisch westliches Verständnis von Individualismus, Liberalismus und Rechtsethik wider, das auf andere Völker nicht übertragbar sei. Der unterschiedliche kulturelle Kontext außereuropäischer Staaten lasse eine Implementierung des deutlich westlich geprägten Menschenrechtskonzepts nicht zu. Der universalistische Anspruch der Menschenrechtsidee sei daher eine Form des Kulturimperialismus und auch nur wenig sinnvoll, da er in nicht-westlichen Staaten auf keine Akzeptanz stoße. Der Vorwurf, das Menschenrechtskonzept sei ͣwestlich“ geprägt und lasse deshalb eine Implementierung im kulturellen Kontext nicht-westlicher Staaten nicht zu, basiert hauptsächlich auf drei Argumentationslinien (Wolf, 2015):

1) Individualismus vs. Kollektivismus

Erstens wird der deutliche Bezug der Menschenrechte auf Individuen statt auf Kollektive hervorgehoben (ebd.). Die Betonung von individuellen Rechten im Menschenrechtskonzept wird als nicht vereinbar mit kollektivistischen Tendenzen asiatischer oder afrikanischer Völker gesehen. In den meisten asiatischen und afrikanischen, besonders auch in arabisch geprägten Ländern erfährt der familiäre Zusammenhalt eine sehr viel stärkere Betonung als in europäischen und amerikanischen Ländern (ebd.). Eine Person wird in erster Linie über ihre Gemeinschaft definiert und betrachtet. Der Zusammenhalt und die Harmonie der Gemeinschaft werden oft als wichtiger betrachtet als das individuelle Wohlempfinden. Das bedeutet, dass das Individuum in einem Konflikt zwischen eigenen und kollektiven Interessen zurückstehen und auf die Belange der Gemeinschaft Rücksicht nehmen muss (ebd.). In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine strenge Trennung von Individuum und Gemeinschaft weder im Westen noch in nicht-westlichen Gesellschaften möglich ist und dass viele Menschenrechte nicht allein auf das Individuum bezogen sind, sondern oft nur in der Gemeinschaft wahrgenommen werden können. Denn, in allen Gesellschaften existiert ein Zusammenhang von Individualität und Sozialität; eine Abhängigkeit des Menschen von sozialer Steuerung und seine Angewiesenheit auf Unterstützung und Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft: ͣNur in Gesellschaft und Gemeinschaft kann der Mensch seine Individualität finden; und nur im Respekt vor der Integrität jedes Einzelnen (͙) können Gesellschaften und Gemeinschaften sich freiheitlich entwickeln“ (Wolf, 2015: Bielefeldt 1998: S. 166)

2) Rechte vs. Pflichten

Zweitens wird von Vertretern des Kulturrelativismus kritisiert, dass das im westlichen Menschenrechtskonzept Rechte klar hervorgehoben werden, während von Pflichten kaum die Rede ist. Von Pflichten ist lediglich in Artikel 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Rede, der jedes Individuum dazu anhält die ͣPflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist“ zu beachten (Wolf, 2015: AEMR, Art. 29, 1948). Besonders in stärker hierarchisch strukturierten Gesellschaften ist der Gedanke von Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, aber, stärker ausgeprägt als der Gedanke von Rechten des Individuums. Das Verhältnis von Rechten und Pflichten hängt daher stark mit der Dichotomie von Individuum und Gemeinschaft zusammen. Der sehr gemäßigte muslimische Politikwissenschaftler Bassam Tibi, der selbst die Forderung nach einem ͣEuro-Islam“ aufgestellt hat, hält fest: ͣDer grundlegende weltanschauliche Konflikt besteht darin, dass Muslime von der Zugehörigkeit des Menschen zum Kollektiv, zur Umma (Gemeinschaft aller Muslime) ausgehen, während die westliche Zivilisation den Menschen als Individuum bestimmt und mit einklagbaren ͣentitlements“ (Berechtigungen) gegenüber Staat und Gesellschaft ausstattet“ (Tibi 2003: S. 212). Ob dem nun so ist oder nicht soll an dieser Stelle offen bleiben. Es lässt sich jedoch darauf hinweisen, dass (individuelle) Rechte und Pflichten (gegenüber einer kollektiven Gemeinschaft) miteinander in Wechselwirkung stehen, da die Möglichkeit, ein Recht wahrzunehmen und einen Anspruch daraus zu formulieren, zwangsweise einen kollektiven Adressaten mit sich bringt, nämlich den Staat, die Mitbürger oder die jeweilige Gemeinschaft, welche/r dem Individuum seine Rechte garantiert. Kurz gesagt: ͣDer notwendig soziale Charakter des Rechts impliziert zugleich eine Korrespondenz von Recht und Pflicht“ (Wolf, 2015: Bielefeldt 1998: S. 163).

3) Politische und bürgerliche Rechte vs. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Ein dritter Kritikpunkt, der von kulturrelativistischen Vertretern an die Theorie des Universalismus gerichtet wird, bezieht sich auf die offizielle Unteilbarkeit der Menschenrechte und die im Widerspruch dazu stehende Priorisierung von bürgerlichen und politischen Rechten (liberalen Rechten) über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Wolf, 2015). Damit dominiere die liberalistische Philosophie das Menschenrechtskonzept und stelle ihr Wertesystem über das Wertesystem anderer Philosophien, beispielsweise des Sozialismus. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) aus dem Jahr 1950 beispielsweise beinhaltet nur bürgerliche und politische Rechte; einzig das Recht auf Bildung wird in Artikel 2 des Zusatzprotokolls von 1952 gewährt. (ebd.). Die USA hat bis heute nur den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt), nicht jedoch den Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Sozialpakt) ratifiziert (ebd.). Des Weiteren kritisieren die Kulturrelativisten auch die nicht gleichwertige Anerkennung der Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, welche 1982, in Banjul (Gambia), von der Organisation of African Unity (seit 2002 African Union, AU), beschlossen wurde und die 1986 in Kraft trat (ebd.). Die genannte Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (ͣBanjul-Charta“) betont neben Individualrechten besonders die Kollektivrechte wie das Recht auf Entwicklung, das Recht auf Frieden und das Recht auf eine saubere Umwelt. Diese Kollektivrechte oder ͣSolidarrechte“ werden auch als so genannte ‚Dritte Generation’ der Menschenrechte bezeichnet. Eine Besonderheit der Banjul-Charta ist Artikel 29, der neben den Rechten des Einzelnen auch dessen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft anerkennt (ebd.). Eine weitere Debatte über ein kulturell spezifisches Verständnis von Menschenrechten kam mit der Erklärung von Bangkok 1993 auf, in der Singapur, Malaysia, Taiwan und China eigene, asiatische Werte (ͣ sian Values) dem westlichen Menschenrechtskonzept gegenüberstellten und damit letzteres als nicht übertragbar auf den asiatischen Kontext verwarfen (Wolf, 2015). Die Asian Values beziehen sich dabei auf die folgenden vier Hauptargumente: 1) Kulturspezifik des Rechts: Die Entstehung von Konzepten wie die Menschenrechte seien immer in ihrem kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kontext zu betrachten; 2) Kollektivismus: Das Wohl der Gemeinschaft sei eines der wichtigsten Elemente der asiatischen Kultur; die Priorisierung des Individuums - wie im westlichen Menschenrechtskonzept - sei mit dieser Grundvoraussetzung nicht vereinbar; 3) Priorität der wirtschaftlichen Rechte: Wirtschaftliche und soziale Rechte nähmen in der asiatischen Kultur einen weitaus wichtigeren Stellenwert ein als politische und bürgerliche Rechte; 4) Nationale Souveränität: Menschenrechte seien Teil der Innenpolitik und damit nicht von externen Akteuren zu beeinflussen oder zu beanstanden (ebd.). Es gibt darüber hinaus eine Reihe an islamischen Menschenrechtserklärungen, wie beispielsweise die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1981 oder die Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam von 1990, in welchen die aufgeführten Menschenrechte unter dem Vorbehalt der Scharia stehen und die Begründung der enthaltenen Menschenrechte aus dem Koran und der Sunna abgeleitet werden, um damit einen eigens muslimischen, im Gegensatz zu einem westlichen Ursprung der Menschenrechte nachzuweisen (ebd.). Neben der International Bill of Rights (AEMR, Zivilpakt und Sozialpakt) sind also einige regionale Menschenrechtserklärungen- und abkommen entstanden, deren Wirkung und Bedeutung jedoch umstritten ist. Einerseits, können sie als weitere Unterstützung der Idee der Menschenrechte und ihre Einbindung in jeweilige kulturelle Traditionen gedeutet werden. Anderseits, können diese regionalen Menschenrechtsabkommen als Regionalisierung und damit auch als Relativierung des Universalitätsgedankens von Menschenrechten verstanden werden (Wolf, 2015).

Zusammenfassend kann das Spannungsfeld zwischen Universalismus und Kulturrelativismus auch als eine Debatte um die Verankerung der Menschenrechte in verschiedenen Kulturen verstanden werden aus der sich auch eine Diskussion über die Diffusion oder Ubiquität eines Menschenrechtskonzepts ergibt (Wolf, 2015). Geht man bezogen auf die Frage der Menschenrechte von einem diffusionistischen Standpunkt aus, so ist die Idee von Menschenrechten allein im kulturhistorischen Entstehungskontext Europas und merikas (ͣWesten“) zu sehen, von wo aus sie sich in andere Gesellschaften und Kulturen verbreitet hat. Geht man bezogen auf die Frage der Menschenrechte, hingegen, von einem ubiquitären Standpunkt aus, so ist eine Idee von Menschenwürde und Menschenrechten in jeder Kultur vorhanden, wobei sich nur die kulturspezifische Interpretation unterscheidet (ebd.).

Eine ähnliche kulturelle Prägung Nordamerikas und Europas, die sowohl ihre Wurzeln in der griechischen und römischen Antike findet, als auch im Christentum, bis hin zur Aufklärung und den gesellschaftspolitischen Umwälzungen und Revolutionen des 17./18. Jahrhunderts in Amerika und Europa, ist unbestritten. In der Debatte über Universalität oder Kulturrelativität der Idee von natürlichen Menschenrechten wird jedoch meist Folgendes außer Acht gelassen: Zunächst, wie unterschiedlich die Meinungen in den verschiedenen Gesellschaften des ‚Nicht-Westens’, aber auch innerhalb des ‚Westens’ sind und dass bei genauerem Hinsehen eine Fülle unterschiedlicher, oft auch gegensätzlicher Traditionslinien zutage treten (Wolf, 2015). Kulturen sind nicht homogen und in einer Kulturgemeinschaft haben die Menschen meist unterschiedliche Meinungen darüber, welche Werte und Praktiken vorzuziehen sind und woraus die gemeinsame kulturelle Tradition besteht (Huysmans, 2004). Gegensätzliche Stimmen existieren normalerweise bereits innerhalb von Kulturen und der Wunsch nach Veränderung von kulturellen Traditionen kommt nicht ausschließlich von außen, das heißt aus einer anderen kulturellen Tradition (ebd.). Kultur und Gesellschaft als eine Einheit von Personengruppe mit homogenem Sinnhorizont sowie Lebensform und einer Selbstidentifizierung als Kollektiv mag es - wenn überhaupt - vielleicht in frühzeitlichen Gesellschaften gegeben haben. Moderne, von Globalisierung geprägte Gesellschaften, insbesondere jene mit starkem Migranten- Anteil, sind jedoch eher durch Heterogenität, eine Interferenz von Kulturen und Formen der Kreolisierung und wechselseitigen Durchdringung gekennzeichnet. Deshalb ist auch das Modell des Multikulturalismus im Migrationsmanagement abzulehnen, da ihm ein homogenitätsorientierter, essenzialistischer Kulturbegriff zugrunde liegt, der intrakulturelle Pluralität und Heterogenität ausblendet (Gmainer-Pranzl, 2017). Kulturen sind keine homogene, klar voneinander abgrenzbare, Einheiten sondern dynamische heterogene Gebilde die miteinander vernetzt sind und deren Mitglieder Waren, Wissen und Ideen austauschen. Kulturen waren eigentlich schon immer miteinander vernetzt durch Migration, Flucht, weitläufige Handelsbeziehungen und politischen Bündnisse zwischen Völkern. Dies gilt für europäische Kulturen genauso wie für arabische, asiatische, amerikanische oder afrikanische Kulturen. Der Austausch von Waren, Wissen und Ideen (sowie Genen) zwischen verschiedenen Kulturen und Völkern ist Teil der Erfolgsgeschichte des Menschen. Vor diesem Hintergrund ist Globalisierung - als ein globales Netzwerk, über welches Waren, Wissen, Ideen und Glaubensvorstellungen zwischen verschiedenen Kulturen und Völkern ausgetauscht werden - kein neues Phänomen und kulturelle Traditionen in Form von bestimmten Denkweisen, Überzeugungen und Handlungsmustern, die in einer Gesellschaft weitergegeben werden, sind und waren durch diesen Austausch de facto veränderlich.

5. Globalisierung, Transkulturalität und der interkulturelle Dialog über Geschlechterordnungen

Die fortgeschrittene Globalisierung hat Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Unter Globalisierung versteht man, unter anderem, den Prozess der zunehmenden weltweiten Verflechtung in allen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation etc.), die damit einhergehenden Transformationsprozesse in Ökonomie, Politik, Kultur sowie die damit einhergehende, zunehmende Interdependenz gesellschaftlichen Lebens. Die Globalisierung wird nach Anthony Giddens verstanden ͣim Sinne einer Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse am einen Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt“ (Wolf, 2015, 85: Giddens, 1995). Diese Intensivierung der globalen Beziehungen geschieht auf der Ebene von Individuen, Institutionen und Staaten. Als wesentliche Ursachen der Globalisierung gelten der technische Fortschritt, insbesondere in den Kommunikations-und Transporttechniken, das Ende des kalten Krieges sowie die politischen Entscheidungen zur Liberalisierung des Welthandels (Schöneberg, 2017). Globalisierung, verstanden als ein Prozess des sozialen Wandels, bezieht sich auf die Entwicklung von immer umfassenderen und intensiveren sozialen Beziehungen von globaler Reichweite, die mit zunehmender Geschwindigkeit und mit größerer Wirkung operieren (Huysmans, 2004). Nicht nur die gegenseitige Einflussnahme und wachsende wirtschaftliche Interdependenz zwischen verschiedenen Teilen der Welt, sondern auch die Kommunikationsmöglichkeiten und damit Dialogführung ist sehr viel stärker möglich als früher (Wolf, 2015). Dadurch kommt es zu einer stärkeren Überschneidung verschiedener Kulturräume (Transkulturalität) und es findet ein größerer Austausch zwischen den Mitgliedern verschiedener Kulturen statt (Interkulturalität) (Schöneberg, 2017; Gmainer-Pranzl, 2017; Saal, 2014). Das Konzept der Transkulturalität betrachtet Kulturen als dynamische Gebilde, die sich durch geschichtliche oder interkulturelle Wandlungen in einem stetigen Fluss befinden, in welchen sich kulturelle Identitäten durch die Vermischung von Elementen verschiedener Kulturen konstituieren (IKUD Seminare, 2017). Kulturen sind also keine homogene, statische, klar voneinander abgrenzbare Einheiten, sondern dynamisch und werden zunehmend vernetzt und vermischt (IKUD Seminare, 2017; Schöneberg, 2017; Saal, 2014). Kulturen und moderne Gesellschaften sind somit strukturell heterogen und kulturelle Traditionen in Form von bestimmten Denkweisen, Überzeugungen und Handlungsmustern, die in einer Gesellschaft weitergegeben werden, sind veränderlich. Kultur und kulturelle Identität bilden sich nicht nur innerhalb einzelner Nationen, sondern formieren sich in verschiedenen transkulturellen Kollektiven wie zum Beispiel religiösen, politischen oder sozialen Gruppierungen. Ein Individuum kann also mehreren Kollektiven angehören. So geht auch das Konzept der multiplen Identitäten und pluralen Zugehörigkeiten von Ruth Wodak davon aus, dass - abseits von Migration und Globalisierung - jeder Person vielfältige ͣoftmals miteinander konfligierende regionale, überregionale, kulturelle, sprachliche, ethnische, religiöse, sexuelle und andere Wir-Identitäten“ als ͣIdentifikationsangebot“ zur Verfügung stehen aus dem jeder/jede einzelner/einzelne seine/ihre ͣmultiple“ Identität komponiert (Artner-Sulzer, 2016: Wodak, 1998). Insofern hat jeder Mensch eine multiple Identität, die er kontinuierlich gestaltet. Die kulturelle Prägung eines Menschen kann also nicht als ͣangeborene Identität“ verstanden werden, sondern hat mit der Pflege einer bestimmten Lebensform und Praxis zu tun.

Der Begriff der Transkulturalität begreift Globalisierung, untere anderem, als einen vielfältigen kulturellen Transformationsprozess, welcher infolge intensivierter Begegnungen unterschiedlicher Kulturen transkulturelle Umbrüche in bisherigen kulturellen Ordnungen und Denkweisen bewirkt (IKUD Seminare, 2017; Gmainer-Pranzl, 2017). Unter Interkulturalität versteht man genau dieses Aufeinandertreffen von zwei oder mehr Kulturen, bei dem es trotz kultureller Unterschiede zur gegenseitigen Beeinflussung kommt (ebd.). Interkulturelle Begegnungen spielen sich zwischen konkreten Menschen ab (und nicht zwischen abstrakten ͣKulturen“). Der Begriff Interkulturalität bezieht sich auch auf die Einnahme der und das Denken aus der jeweilig anderen Perspektive, um die eigene und fremde kulturelle Identität und Prägung wechselseitig erfahrbar zu machen. Ein wichtiger Aspekt von Interkulturalität ist also die bewusste Entscheidung sich auf wechselseitige Lernprozesse und -erfahrungen einlassen zu wollen (ebd.). Die fremde und die eigene Kultur treten so in eine produktive Beziehung des gegenseitigen ustausches und nach und nach wird so das ͣfremde ndere“ zur Vertrautheit und lässt sich reziprok und partiell in die eigene Kulturerfahrung integrieren. Während das Transkulturalitätskonzept in erster Linie den Aspekt der wechselseitigen Durchdringung von Kulturen hervorhebt und damit auf einen neuen, offenen und dynamischen Kulturbegriff abzielt, bezeichnet Interkulturalität vor allem den Prozess der Begegnung, des Austauschs und der Kommunikation und damit den Raum zwischen den (Trans-)Kulturen (Saal, 2014). Die dezidierte Berücksichtigung kultureller Differenz ist dabei wichtig, da sie Anknüpfungspunkte für einen vielstimmigen, interkulturellen Dialog darstellt. Der Begriff der kulturellen Differenz bezieht sich dabei auf das produktive Potential differenter Perspektiven im Rahmen interkultureller, aber auch intrakultureller Verhandlungen und Austauschprozesse (Saal, 2014). Nur durch eine multiperspektivische Sichtweise kann man der Vielschichtigkeit kultureller und sozialer Differenzen wie auch der Praxis eines vielstimmigen interkulturellen Dialogs gerecht werden (Mae/Saal, 2014, a). Eine wichtige Aufgabe des Migrationsmanagements im Bereich der Integration ist es kulturellen Differenzen gerecht zu werden, ihnen aber auch ihre separatistische Bestimmungsmacht zu entziehen, was es notwendig macht, der abgrenzenden Wirkungsmacht von Kultur entgegenzuwirken. Dies erfordert Differenzen und Überschneidungen zusammenzudenken, und das notwendige Instrument dazu ist die Kommunikation beziehungsweise der interkulturelle Dialog (Saal, 2014). Mit einem offenen, dynamischen und dialogischen Kulturverständnis kann auch die kulturalistische, kulturessentialistische und zentristische Tendenz im Zusammenhang mit Multikulturalität überwunden werden, nämlich dann, wenn sich der Begriff der Multikulturalität auf die Vielfalt von Trans-Kulturen bezieht (ebd.). Indem der Zwischenraum zwischen (Trans-)Kulturen als Ort der Erfahrung von Differenz und Ähnlichkeit sowie als Ort des Austauschs und des Dialogs besondere Aufmerksamkeit erfährt, wird die Vorstellung von kultureller Homogenität durchbrochen und kulturelle Tradition in Form von bestimmten Denkweisen, Überzeugungen und Handlungsmustern zeigen sich als veränderlich. (ebd.). Vor dem Hintergrund eines politischen Konzepts des Multikulturalismus wäre man mit diesem transkulturellen Kulturverständnis auch im Migrationsmanagement dazu aufgefordert, die intrakulturelle Heterogenität und Durchmischung stärker mit zu berücksichtigen. Durch das Konzept der Transkulturalität muss das Konzept der Multikulturalität nicht hinfällig werden, sondern die Konzepte Transkulturalität, Multikulturalität und Interkulturalität können unterschiedliche Fokusse darstellen (Saal, 2014). Mit dem Zusammenwirken der drei Begriffe wird man sowohl der Durchlässigkeit von Kultur(en) als auch der intrakulturellen Heterogenität sowie schließlich der interkulturellen Unterschiede und Überlappungen mit der Möglichkeit des Austauschs - also der Komplexität gegenwärtiger Verhältnisse, die das Migrationsmanagement betreffen - am ehesten gerecht. Diese Erkenntnis ist Teil von Interkultureller Kompetenz, welche meist als spezifisches Set von Fähigkeiten, Kenntnissen und Einstellungen beschrieben wird, das Menschen unterschiedlicher Herkunft nicht nur dazu befähigt, effektiv miteinander zu kommunizieren, sondern auch im Sinne eines antidiskriminierenden Verständnisses zu handeln (Castro Varela, 2007). Interkulturelle Kompetenz wird dabei aber auch als Möglichkeit verstanden, ein Bewusstsein für die eigene kulturelle Perspektivität zu entwickeln (Saal, 2014). Vor diesem Hintergrund stellt sich Transkulturelle Kompetenz als die Fähigkeit dar, in der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen neben der Differenz das Verbindende, die Anschluss- und Übergangsmöglichkeiten zu entdecken und diese in eine gemeinsame Lebenspraxis zu integrieren (v. Helmolt, 2007). Von einem solchen reflektierten, transkulturellen Standort aus können dann auch in einem wechselseitigen kritischen Dialog eigen- und fremdkulturelle Konstruktionen erkannt, analysiert und kritisch diskutiert werden (Saal, 2014). Das gilt in besonderem Maß für die jeweils kulturell bestimmte Genderordnung (ebd.). Der Begriff ͣGender“ bezieht sich hier auf die sozial konstituierte und kulturell geprägte Geschlechterordnung, die sich in differenten sozialen und gesellschaftspolitischen Positionierungen von Frauen und Männer manifestiert und in Interdependenz mit anderen machtvolle Kategorien wie etwa, ͣHerkunft“, ͣEthnie“, ͣHautfarbe“, ͣKlasse“ ͣ lter“, ͣSexualität“ ͣkörperliche und psychische Befähigung“ etc. zu betrachten ist (Castro Varela, 2007). In ähnlicher Weise wie die interkulturelle Kompetenz erfordert auch Genderkompetenz ein spezifisches Wissen und eine dazugehörende Einstellung. Genderkompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit, geschlechtsspezifische Festlegungen im privaten und beruflichen Alltag zu erkennen und so damit umzugehen, dass den Geschlechtern neue Möglichkeiten eröffnet werden (ebd.). Werden im Migrationsmanagement die drei Schlüsselqualifikationen interkulturelle Kompetenz, transkulturelle Kompetenz und Genderkompetenz gleichzeitig gedacht und gefordert, so ergibt sich daraus die Herausforderung, Überschneidungen und Interdependenzen von Gender, Interkulturalität und Transkulturalität herauszuarbeiten und in Methoden und Strategien umzusetzen, deren Ziel die Überwindung sozialer Ungleichheiten auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ist. Da sich die Genderfrage quer durch die verschiedenen Kulturen hindurchgehend stellt, ist hier über den interkulturellen Vergleich und Austausch hinaus die Einsicht in die transkulturelle Verfasstheit von Kulturen von entscheidender Bedeutung (Saal, 2014). Gerade weil Genderfragen nicht losgelöst vom Kulturbegriff und damit auch nicht vom jeweiligen kulturellen Kontext gestellt und bearbeitet werden können, benötigen sie eine transkulturelle Perspektive, um ihren Gegenstand angemessen erfassen zu können. Denn, die Verwobenheit der Kategorien Kultur und Gender in kulturellen Identitätsdiskursen ist ein kulturübergreifendes, transkulturelles Phänomen, das oft gerade dort in den Vordergrund tritt, wo sich Tendenzen zeigen, die traditionelle Genderordnung aufzubrechen : ͣDie Verbindung von Kultur mit Gender kommt immer dann zum Vorschein, wenn die Genderordnung als der jeweils eigenen Tradition zugehörig und als eine wesentliche Grundlage der eigenen Kultur verstanden wird. Dort, wo sich Tendenzen zeigen, die traditionelle Genderordnung aufzubrechen, kann dies als Bedrohung der ,eigenen' Tradition und Kultur empfunden werden. Genau diese Art von Verwobenheit der Kategorien Kultur und Gender in kulturellen Identitätsdiskursen gilt es als ein grenzüberschreitendes und kulturübergreifendes, das heißt als transkulturelles Phänomen zu erkennen“ (Mae/Saal, 2014, b: S. 9). Aus einer selbstreflexiven, inter- und transkulturellen Perspektive, die in Auseinandersetzung mit der eigenen und anderen Kulturen neben der Differenz auch das Gemeinsame zu erkennen sucht, wird klar, dass sich eine ungleiche Geschlechterordnung, welche sich in ungleichen sozialen und gesellschaftspolitischen Positionierungen von Frauen und Männer manifestiert hat, sowohl in nicht- westlichen als auch in westlichen Kulturen als transkulturelles Element finden lässt. Somit sollte, sowohl in westlichen Ländern als auch im nicht-westlichen Ländern, die autochthone und die migrantische Zivilbevölkerung der Hauptadressat eines intrakulturellen und interkulturellen Dialogs über Menschenrechte und eine ungerechte Geschlechterordnung sein, damit diesbezüglich ein innergesellschaftlicher, kritischer Reflexions- und Aushandlungsprozess über Geschlechternormen und -hierarchien stattfinden kann. Denn, wenn die Annäherung an universelle Menschenrechte und das Konzept der Gleichberechtigung von Männern und Frauen nicht top-down erfolgt, sondern im Rahmen eines intrakulturellen und interkulturellen Dialogs, der von der Zivilbevölkerung ausgeht, können sich kulturelle Traditionen einer ungleichen Geschlechterordnung, in Form von neuen Denkweisen, Überzeugungen und Handlungsmustern innerhalb der Zivilbevölkerung, auf lange Sicht, verändern. Auch, weil Kultur eben kein statisches Gebilde darstellt, sondern sowohl Kontinuität als auch Wandel und wechselseitige, kulturelle Durchdringung einschließt. Die Thematisierung einer ungleichen Geschlechterordnung als transkulturelles Phänomen kann hierbei vielleicht auch dazu beitragen, dass Geschlechterhierarchien eben nicht mehr mit dem Hinweis auf kulturelle Besonderheiten in der jeweiligen Kultur, Tradition oder Religion begründet oder gerechtfertigt werden können. Das Ziel eines interkulturellen Dialogs über Menschenrechte ist also nicht das Menschenrechtskonzept in Frage zu stellen, aber Ziel könnte sehr wohl die Erweiterung des Konzepts um wesentliche Rechte sein, die von nicht-westlichen Kulturen für ein würdevolles Leben als konstitutiv betrachtet werden (Wolf, 2015). Impulse und Plattformen für intrakulturelle Dialoge als auch interkulturelle Dialoge über Menschenrechte zu setzen ist folglich auch eine zentrale Aufgabe von Migrationsmanagement.

6. Menschenrechte oder Männerrechte? Geschlechterstereotype und Menschenrechtsdiskurse

Die kultur- und gesellschaftskritische Stoßrichtung, die der Idee universaler und gleicher Menschenrechte innewohnt, zeigt sich nirgendwo so prägnant wie im Kontext des Geschlechterverhältnisses (Bielfeldt, 2009).

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Excerpt out of 28 pages

Details

Title
Frauen-Menschenrechtsbewegungen und die Globalisierung. Die Ungleichstellung der Frauen als falscher Standard
College
University of Salzburg
Grade
1
Author
Year
2018
Pages
28
Catalog Number
V430827
ISBN (eBook)
9783668736924
ISBN (Book)
9783668736931
File size
651 KB
Language
German
Keywords
Frauen, Menschenrechte, Entwicklung, Globalisierung, Rechte, Menschen, Gesetz, Sexismus
Quote paper
Nicola Maier (Author), 2018, Frauen-Menschenrechtsbewegungen und die Globalisierung. Die Ungleichstellung der Frauen als falscher Standard, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430827

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