Der Zustand der Schwangerschaft birgt eine Fülle grundsätzlicher Fragen in sich: Woher kommen wir? Was genau geschieht im Mutterleib? Ab welchem Zeitpunkt muss das Ungeborene als eigenständige Person oder überhaupt erst als Mensch betrachtet werden? All diesen Fragen wohnt noch heute einige Brisanz inne, sowohl im philosophischen und medizinisch-wissenschaftlichen als auch im gesellschaftlichen und juristischen Diskurs.
Das obige Zitat von Laura Gowing fasst die im frühneuzeitlichen England vorherrschende Wahrnehmung schwangerer Frauen als nach allen Seiten hin 'offene' und damit potentiell gefährliche Trägerinnen neuen Lebens zusammen. Barbara Duden hingegen beschreibt die Konzeption der Schwangerschaft als 'Zweiheit in Einheit', die letztlich zur Entkörperung und Entmachtung der Frau durch ihre Degradierung zum bloßen "'Umfeld' eines in ihr ablaufenden, weitgehend selbstständig gedachten Prozesses" führe, als Phänomen der Gegenwart.
Beiden Beobachtungen liegen bestimmte, auffallend negativ konnotierte Vorstellungen vom Körper der Schwangeren zugrunde. Sie sollen auf der Grundlage eines deutschsprachigen medizinischen Traktats, entstanden inmitten der aufklärerischen Wissenschaftskultur an der Universität Halle, einer Überprüfung unterzogen werden.
Es ist das Ziel dieser Arbeit, die Schwangerschaft, wie sie sich in diesem Werk widerspiegelt, zu untersuchen, wobei das Hauptaugenmerk auf die Wahrnehmung körperlicher Grenzen zwischen Mutter und Ungeborenem, so vorhanden, gerichtet sein wird. Als Grenze gilt gemeinhin jener Ort, ob fassbar oder abstrakt, der zwei voneinander unterscheidbare Größen voneinander trennt. Diese zunächst einmal geographische oder räumliche Kategorie findet jedoch auch in der Philosophie Anwendung. Der Zustand der Schwangerschaft erscheint aufgrund seiner in der Natur einmaligen Eigenschaft, zwei Organismen aufs Engste miteinander zu verbinden, besonders geeignet, der Frage nach Konzeptionen von Individualität und vom menschlichen Wesen an sich nachzugehen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretischer und wissenschaftlicher Kontext
- Das Leib-Seele-Problem
- Zeugungstheorien im 18. Jahrhundert
- Die Wahrnehmung körperlicher Grenzen in der Schwangerschaft
- Nicolais Körperbild und Zeugungstheorie
- Die psychophysische Gemeinschaft von Mutter und Ungeborenem
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Wahrnehmung körperlicher Grenzen in der Schwangerschaft anhand eines medizinischen Traktats von Ernst Anton Nicolai aus dem Jahr 1746. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Frage, wie Nicolai die Beziehung zwischen Mutter und Ungeborenem im Kontext seiner Zeugungstheorie und seines Körperbildes versteht. Die Arbeit untersucht, wie Nicolai die Schwangerschaft als eine Einheit von zwei Körpern begreift und welche Bedeutung er den physischen und psychischen Grenzen zwischen Mutter und Ungeborenem beimisst.
- Das Leib-Seele-Problem in der medizinischen Theorie des 18. Jahrhunderts
- Nicolais Zeugungstheorie und seine philosophischen Einflüsse
- Die Wahrnehmung des Ungeborenen als eigenständiger Organismus
- Die Rolle der körperlichen Grenzen in der Schwangerschaft
- Die psychophysische Verbindung zwischen Mutter und Kind
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den historischen und wissenschaftlichen Kontext der Arbeit dar. Sie beleuchtet die unterschiedlichen Perspektiven auf die Schwangerschaft in der frühneuzeitlichen und modernen Gesellschaft und führt die zentrale These der Arbeit ein: Nicolai's Werk stellt eine bemerkenswerte Verbindung zwischen medizinischen und philosophischen Konzepten dar, die ein komplexes Bild von der Beziehung zwischen Mutter und Ungeborenem zeichnen.
- Theoretischer und wissenschaftlicher Kontext: Dieses Kapitel beleuchtet den wissenschaftlichen und philosophischen Hintergrund der Arbeit. Es analysiert das Leib-Seele-Problem, eine zentrale Frage der Philosophie seit Descartes, und beleuchtet die Bedeutung der Zeugungstheorien im 18. Jahrhundert.
- Die Wahrnehmung körperlicher Grenzen in der Schwangerschaft: Dieses Kapitel analysiert Nicolais Körperbild und seine Zeugungstheorie. Es untersucht die Frage, wie er die Schwangerschaft als ein Zusammenspiel von Mutter und Ungeborenem begreift und welche Rolle die körperlichen und psychischen Grenzen zwischen beiden spielen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Schwangerschaft, Leib-Seele-Problem, Zeugungstheorie, Körperbild, psychophysische Einheit, medizinisches Traktat, Ernst Anton Nicolai, 18. Jahrhundert, Philosophie, Wissenschaft, Historische Kontext, Grenzen.
- Quote paper
- Nejla Demirkaya (Author), 2017, Zwei Seelen in einem Körper. Die Wahrnehmung körperlicher Grenzen in der Schwangerschaft bei Ernst Anton Nicolai, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430889