Bereits im 19. Jahrhundert hatten sich die Medizin sowie andere eng mit ihr verwandte Wissenschaften als höchste Autoritäten in Fragen menschlicher Sexualität etabliert. Diesen Status sollten sie auch im 20. Jahrhundert behalten. Im Kampf gegen die Unterdrückung des männlichen Homosexuellen spielten sie seit jeher jedoch eine zwiespältige Rolle. Da die homophobe Haltung in der deutschen Gesellschaft der frühen Nachkriegszeit trotz des Niedergangs der NS-Diktatur ungebrochen fortlebte – der Jurist Hans Joachim Schoeps ging noch 1962 sogar so weit zu konstatieren: „Für die Homosexuellen ist das dritte Reich noch nicht zu Ende“– muss der Einfluss des medizinischen Diskurses auch in dieser Epoche hinterfragt werden. Indem diese Arbeit die während der frühen Nachkriegszeit diskutierten und veröffentlichten Thesen und Theorien in Bezug auf die Homosexualität untersucht, geht sie der Frage nach, ob die Grundlagen zur fortgesetzten Diskriminierung und strafrechtlichen Verfolgung durch die §§ 175 und 175a Strafgesetzbuch (StGB)2 in der medizinischen Forschung auszumachen sind.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Historischer Kontext
- 2.1. Die strafrechtliche Verfolgung in der frühen BRD
- 2.2. Die Sexualmoral der 1950er Jahre
- 2.3 Der medizinische Diskurs im Kontext
- 3. Medizinische Gutachten zu Fragen der Homosexualität
- 3.1. Ätiologie
- 3.2. Therapie
- 3.3. Soziale Gefährlichkeit und die §§ 175 und 175a StGB
- 4. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den medizinischen Diskurs über männliche Homosexualität in der BRD der 1950er Jahre. Sie fragt nach dem Einfluss dieses Diskurses auf die anhaltende Diskriminierung und strafrechtliche Verfolgung aufgrund der §§ 175 und 175a StGB. Die Analyse basiert auf medizinischen Gutachten, insbesondere aus der Großen Strafrechtsreform von 1958, sowie auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
- Der Einfluss des medizinischen Diskurses auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Homosexualität.
- Die Rolle medizinischer Gutachten in der juristischen Verfolgung homosexueller Männer.
- Die Debatte um die Ätiologie und Therapierbarkeit von Homosexualität in den 1950er Jahren.
- Der Zusammenhang zwischen medizinischen Theorien und der Aufrechterhaltung der §§ 175 und 175a StGB.
- Die Analyse der juristischen Entwicklungen, der Sexualmoral und des medizinischen Diskurses im Kontext der frühen BRD.
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der medizinischen Autorität in Fragen der Sexualität im 20. Jahrhundert ein und stellt die Forschungsfrage nach dem Einfluss des medizinischen Diskurses auf die anhaltende Diskriminierung homosexueller Männer in der frühen BRD. Sie beschreibt die verwendeten Quellen – medizinische Gutachten und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts – und begründet die Auswahl dieser Quellen mit ihrem prägnanten Charakter und der Expertise der beteiligten Gutachter. Die Arbeit fokussiert auf die drei Kernfragen der Großen Strafrechtsreform bezüglich der angeborenen oder erworbenen Natur von Homosexualität, deren Therapierbarkeit und ihrer sozialen Auswirkungen im Kontext der §§ 175 und 175a StGB.
2. Historischer Kontext: Dieses Kapitel beleuchtet den historischen Kontext der frühen BRD, fokussiert auf die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Männer basierend auf der unveränderten Übernahme des § 175 StGB aus der NS-Zeit. Es wird die anhaltende, und sogar im Vergleich zum Dritten Reich erhöhte, quantitativ hohe Zahl der Verurteilungen hervorgehoben, trotz eines qualitativen Unterschieds. Weiterhin wird die Sexualmoral der 1950er Jahre und die Einbettung des medizinischen Diskurses in diesen Kontext untersucht. Der Abschnitt zeigt die anhaltende Diskriminierung und Drangsalierung homosexueller Männer auf, die bis zur juristischen Verfolgung ehemaliger KZ-Häftlinge reichte.
3. Medizinische Gutachten zu Fragen der Homosexualität: Dieses Kapitel analysiert die medizinischen Gutachten, die zu Fragen der Homosexualität erstellt wurden, insbesondere im Kontext der Großen Strafrechtsreform. Es betrachtet die Debatten um die Ätiologie (angeboren vs. erworben), Therapierbarkeit und die soziale Gefährlichkeit von Homosexualität, die in den Gutachten diskutiert werden. Die Analyse umfasst die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen diesen medizinischen Einschätzungen und der Aufrechterhaltung der §§ 175 und 175a StGB. Der Vergleich von Gemeinsamkeiten und Widersprüchen in den Gutachten soll eine Quintessenz des medizinischen Diskurses liefern.
Schlüsselwörter
Männliche Homosexualität, BRD, 1950er Jahre, Medizinischer Diskurs, §§ 175 und 175a StGB, Strafrechtliche Verfolgung, Ätiologie, Therapie, Soziale Gefährlichkeit, Große Strafrechtsreform, Gutachten, Diskriminierung, Homophobie.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Text: Medizinischer Diskurs und Homosexualität in der BRD der 1950er Jahre
Was ist der Gegenstand des Textes?
Der Text untersucht den medizinischen Diskurs über männliche Homosexualität in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er Jahre und dessen Einfluss auf die anhaltende Diskriminierung und strafrechtliche Verfolgung aufgrund der Paragraphen 175 und 175a StGB. Die Analyse basiert auf medizinischen Gutachten, insbesondere aus der Großen Strafrechtsreform von 1958, und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Der Text beleuchtet den Einfluss des medizinischen Diskurses auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Homosexualität, die Rolle medizinischer Gutachten in der juristischen Verfolgung, die Debatte um Ätiologie und Therapierbarkeit von Homosexualität in den 1950er Jahren, den Zusammenhang zwischen medizinischen Theorien und der Aufrechterhaltung der §§ 175 und 175a StGB sowie die juristischen Entwicklungen, die Sexualmoral und den medizinischen Diskurs im Kontext der frühen BRD.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Analyse basiert auf medizinischen Gutachten, die im Kontext der Großen Strafrechtsreform von 1958 erstellt wurden, sowie auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Auswahl dieser Quellen wird mit ihrem prägnanten Charakter und der Expertise der beteiligten Gutachter begründet.
Wie ist der Text aufgebaut?
Der Text gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zum historischen Kontext, ein Kapitel zur Analyse medizinischer Gutachten und eine Schlussbetrachtung. Die Einleitung stellt die Forschungsfrage und die Methodik vor. Der historische Kontext beleuchtet die strafrechtliche Verfolgung und die Sexualmoral der 1950er Jahre. Das Kapitel zu den medizinischen Gutachten analysiert die Debatten um Ätiologie, Therapierbarkeit und soziale Gefährlichkeit von Homosexualität. Die Schlussbetrachtung fasst die Ergebnisse zusammen.
Was sind die zentralen Ergebnisse der Analyse der medizinischen Gutachten?
Die Analyse der medizinischen Gutachten betrachtet die Debatten um die Ätiologie (angeboren vs. erworben), die Therapierbarkeit und die soziale Gefährlichkeit von Homosexualität. Es wird untersucht, wie diese medizinischen Einschätzungen mit der Aufrechterhaltung der §§ 175 und 175a StGB zusammenhängen. Der Vergleich von Gemeinsamkeiten und Widersprüchen in den Gutachten soll eine Quintessenz des medizinischen Diskurses liefern.
Welche Rolle spielte die Große Strafrechtsreform von 1958?
Die Große Strafrechtsreform von 1958 spielt eine zentrale Rolle, da die medizinischen Gutachten, die in diesem Kontext erstellt wurden, den Kern der Analyse bilden. Die Reform bot den Anlass, die Fragen der Ätiologie, Therapierbarkeit und sozialen Gefährlichkeit von Homosexualität im Detail zu untersuchen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Text?
Schlüsselwörter sind: Männliche Homosexualität, BRD, 1950er Jahre, Medizinischer Diskurs, §§ 175 und 175a StGB, Strafrechtliche Verfolgung, Ätiologie, Therapie, Soziale Gefährlichkeit, Große Strafrechtsreform, Gutachten, Diskriminierung, Homophobie.
Für wen ist dieser Text relevant?
Dieser Text ist relevant für Wissenschaftler, Studierende und alle Interessierten, die sich mit der Geschichte der Homosexualität in Deutschland, dem Einfluss des medizinischen Diskurses auf gesellschaftliche Normen und die Auswirkungen von Paragraphen 175 und 175a StGB auseinandersetzen möchten. Er bietet einen fundierten Einblick in die Diskriminierung homosexueller Männer in der frühen BRD.
- Quote paper
- Nejla Demirkaya (Author), 2016, Die männliche Homosexualität zwischen Pathologisierung und Emanzipation. Der medizinische Diskurs in der BRD der 1950er Jahre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430892