Die Ursachen für Sprachtod und Sprachbedrohung im allgemeinen und der 'Todesfall' Manx im besonderen


Essay, 2005

12 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


„If we understand others’ languages, but not their cultures,

we can make fluent fools of ourselves.”

W.B. Gudykunst

Ungefähr 5000[1] gesprochene Sprachen gibt es laut Dixon[2] derzeit auf der Welt, die meisten von ihnen sind vom Aussterben bedroht: „ ...at least three-quarters (some people say 90% or more) will have ceased to be spoken by the year 2100“[3]. Eine erschreckende Aussage, die Anlaß zur Frage nach den Ursachen für die Bedrohung und, schließlich, den Verlust von Sprachen gibt.

Die Gründe, die zum Untergang von Sprachen führen, sind vielschichtig. Oft greifen mehrere Faktoren ineinander. Am deutlichsten treten diese zutage, wenn man die neuere Geschichte betrachtet, die Dixon im 15. Jahrhundert ansetzt, als die Kolonisation der Europäer über den Rest der Welt begann. Die „weiße Rasse“ schuf politische Überlegenheit und zwang den Völkern, die sie beherrschte, ihre Sprachen auf.[4] Diese Situation hielt bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg an und änderte, trotz der Machtergreifung der einheimischen Völker, bzw. der freiwilligen Rückgabe durch die Kolonialmächte, an der Tatsache wenig bis nichts, daß gewissermaßen eine sprachliche Wüstenlandschaft das Ergebnis war.

Was Dixon zufolge geschehen war, war der Eingriff in das linguistische Gleichgewicht, das zuvor an vielen Orten der Welt noch existierte[5] und nun zerstört war: selbst nach dem Beginn der politischen Unabhängigkeit blieben die ‚Weißen’ den indigenen Völkern gegenüber zahlenmäßig überlegen und hielten auch weiterhin an ihrer Kultur und Sprache fest. Somit bleiben die Einheimischen weiterhin Angehörige unterprivilegierter Minderheiten in Ländern mit europäischem Charakter. Viele ihrer Sprachen sind bereits tot, andere sterben gerade und beinahe der gesamte Rest kann als moribund angesehen werden.[6]

Eine weitere Ursache für den Wandel der Sprachen bis hin zum Tod ist unter anderem die Entwicklung in der Kommunikation selbst. Ab ca. 1830 gab es große einschneidende Innovationen im Transportwesen[7], aber auch die Möglichkeiten, sich neuer Medien zu bedienen, wuchsen stetig an. Mit der Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten schritt die Alphabetisierung voran, es gab eine steigende Zahl an Zeitungen, Radio- und Fernsehsendungen. Einer der größten Eingriffe fand offensichtlich im Schulwesen statt:

„Once schooling was introduced, instruction was generally through the prestige language of the nation, and

invariably in the prestige dialect of that language. Children whose parents spoke Irish or Welsh or the

Yorkshire dialect of English were schooled in the London dialect of English and punished for any deviation

from this norm.”[8]

Die erhöhte Kommunikationsfähigkeit führt überall auf der Welt zu Sprachverlust und zur Abnahme dialektaler Unterschiede: ob in England oder auf den Fidschi-Inseln, überall tendieren Sprecher dazu, ihre regionalen Dialekte immer mehr an die Standardsprache anzupassen. Neue Sprachen entstehen aus sich voneinander entfernenden Dialekten, jedoch ist diese Entwicklung, mit Ausnahme der Kreolsprachen, heute rückläufig.[9]

Die wichtigsten Ursachen für den Verlust von Sprachen stellt Dixon in vier Hauptgruppen dar:

Das Verschwinden einer Bevölkerung

Wie können ganze Bevölkerungsgruppen aufhören zu existieren? Die Antwort, die Dixon liefert, lautet: durch Mord oder Krankheiten. Als Beispiel soll hier der ‚Yeeman’-Stamm dienen, der in Südost-Queensland beheimatet war. Im Jahre 1857 metzelten weiße Siedler den gesamten Stamm nieder. Alles, was man heute noch weiß, ist der Name dieses Stammes, es wurde kein einziges Wort seiner Sprache aufgezeichnet. Diese Art von Genozid wiederholte sich häufiger u.a. auch in Süd- und Nordamerika.[10] Alternativ dazu gab es auch die Versklavung, bei der ein gesamtes Volk gefangengenommen wurde und sich wortwörtlich ‚zu Tode’ arbeiten mußte.[11]

Die Eroberer schleppten jedoch auch Krankheiten ein wie Masern, Pocken oder die gemeine Erkältung. Die Bewohner anderer Kontinente besaßen keine Immunität gegen die Krankheitserreger und gingen in kürzester Zeit zugrunde. Hierzu ein Beispiel Dixons: In Australien, in der Umgebung Sydneys starben zur Zeit der ersten britischen Besiedlung 1789 (innerhalb von zwei Jahren europäischer Ankunft) mehr als die Hälfte der Eingeborenen an Pocken. Die Epidemie breitete sich fast auf dem ganzen Kontinent aus und es folgten weitere. Solcherlei Massenerkrankungen wirkten stark demoralisierend auf die Bevölkerung, die nun auch nicht mehr in ausreichendem Maße in der Lage war, um Eigentum und Rechte zu kämpfen.[12] Damit war der ‚Krieg’ fast ohne Kampf gewonnen. Für die Sprachsituation bedeutete dies: „Many languages have ceased to be spoken, through the merger of political groups, and those languages that remain have considerable substrata from varying sources.”[13]

Gewaltsamer Verlust von Sprache

Sprachen sterben auch deshalb aus, weil die dominante Gruppe eines Landes schlicht verbietet, sie zu sprechen oder die Dinge so arrangiert, daß kein Kontakt zwischen Sprechern der gleichen Sprache zustande kommen kann. Hier dient einmal mehr Australien als Beispiel, weil es eines der Hauptforschungsgebiete Dixons ist: Die Überlebenden eines Stammes, die nicht aufgrund von Krankheiten oder Massakern zugrunde gegangen waren, wurden durch die Behörden auseinandergerissen dergestalt, daß sie in unterschiedliche Gesandtschaften und Regierungsbereiche geschickt wurden. Da ihnen dort kaum jemand geblieben war, der ihre Sprache verstand, mußte zwangläufig Englisch gesprochen werden. Verbreitete Praxis war es, Kinder von ihren Eltern zu trennen, in geschlossenen Wohnheimen unterzubringen und sie zu bestrafen, sobald sie begannen, ihre Muttersprache zu gebrauchen.[14]

Der forcierte Sprachverlust gilt laut Dixon als einer der Hauptfaktoren des Sprachtodes.[15]

Der freiwillige Sprachwechsel

Häufig gehen Sprachen dadurch verloren, daß Sprecher in einer bilingualen Gemeinschaft eigenständig die Entscheidung für die Lingua franca und gegen die eigene traditionelle Sprache treffen. So geschieht es, daß Eltern glauben, ihren Kindern Gutes damit zu tun, ihnen die eigene Sprache nicht beizubringen. Sie glauben, ihre Kinder hätten bessere Zukunftschancen.[16] Damit liegen sie oftmals richtig, allerdings stellt sich die Frage, ob es nicht möglich wäre, diese Kinder zweisprachig aufwachsen zu lassen, denn offenbar bedauern viele später, nicht auch die traditionelle Sprache gelernt zu haben.

Es gibt jedoch auch den anderen Fall, in dem die Kinder sich für die Lingua franca entscheiden, wenn sie sich in ihrer Umgebung mit zwei Sprachen konfrontiert sehen. Diese Wahl basiert auf verschiedenen Ursachen: zum einen wird die Prestigesprache als nützlicher eingeschätzt, hauptsächlich aus ökonomischer und sozialer Sicht, andererseits kann es aber auch sein, daß die Verkehrssprache einfachere grammatische Strukturen aufweist, oder aus anderen Gründen als ‚leichter erlernbar’ wahrgenommen wird.[17]

[...]


[1] Diese Zahl ist variabel: in anderen Werken findet man unterschiedliche Angaben (zwischen 3000 und 10 000). Es handelt sich hierbei um eine Frage der Definition und der Abgrenzung, ob eine Sprache als eigenständig, oder als Dialekt gewertet wird.

[2] Dixon: 116f.

[3] ebd.

[4] Diese sind: Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Arabisch, Niederländisch, Französisch, Deutsch und Italienisch. Vgl. Dixon: 103.

[5] ebd. 103f.

[6] ebd. 104.

[7] Hier sei an die Entwicklung der Züge, Dampfschiffe, Busse, Autos und Flugzeuge erinnert. Vgl. Dixon: 104.

[8] Dixon: 104. Die Verwendung der Prestigesprache allein wäre nicht unbedingt das hauptsächliche ‚Vergehen’, vielmehr ist es die Tatsache, daß die Klassen, die einheitlich aus Mitgliedern der indigenen Gruppe bestanden, ausschließlich Geschichte, Kultur und Werte der Invasoren gelehrt bekamen. Die eigene Identität wurde faktisch ‚ausgeblendet’.

[9] ebd. 105.

[10] ebd. 107.

[11] Das erste Volk, das Christoph Columbus in Amerika antraf, waren die ‚Taino’ (eine Gruppe der Arawak-Indianer). Innerhalb von 25 Jahren hatten die Spanier die gesamte Bevölkerung auf die Insel Hispaniola verschleppt und dort versklavt. Sie starben binnen weniger Generationen aus. Vgl. Dixon: 107.

[12] Ähnlich geartete Fälle wiederholten sich u.a. in Südamerika. Vgl. Dixon: 107f.

[13] Dixon: 108.

[14] Diese Praxis gab es ebenfalls in Südamerika, Neu Guinea und an anderen Orten der Welt bis Mitte des 20. Jh. Vgl. Dixon: 108f.

[15] ebd. 109.

[16] „Irish is spoken today, as first language, by only a few thousand people in the far north-west of the island; they belong to the lowest socio-economic group […] talking Irish while everyone else spoke English has left them as the most disadvantaged group and they see no reason to perpetuate this situation.” Dixon: 109.

[17] Ein Beispiel hierfür sind die ‚Yimas’-Kinder in Neu Guinea, die ihre eigene Sprache nicht sprechen wollen, weil sie eine zu hohe grammatische Komplexität aufweist. Stattdessen sprechen sie eine nationale Kreolsprache, die sich ‚Tok Pisin’ nennt. Vgl. Dixon: 110.

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Die Ursachen für Sprachtod und Sprachbedrohung im allgemeinen und der 'Todesfall' Manx im besonderen
College
European University Viadrina Frankfurt (Oder)  (Kulturwissenschaftliche Fakultät)
Course
Sprachverlust und untergegangene Sprachen
Grade
2,0
Author
Year
2005
Pages
12
Catalog Number
V43151
ISBN (eBook)
9783638410205
File size
691 KB
Language
German
Notes
Referat (Ausarbeitung) in Essayform. Alte deutsche Rechtschreibung!!!
Keywords
Ursachen, Sprachtod, Sprachbedrohung, Todesfall, Manx, Sprachverlust, Sprachen
Quote paper
Silke Hübner (Author), 2005, Die Ursachen für Sprachtod und Sprachbedrohung im allgemeinen und der 'Todesfall' Manx im besonderen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43151

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