Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Dominanz der offiziellen Sprache
2.1 Bourdieus Kritik am Formalismus de Saussures und Chomskys
2.2 Die zensierende Macht legitimer Sprachpraxen
3 Sprache als Instrument sozialer Praxis
3.1 Bourdieus Rückgriff auf Austins Kategorie performativer Sprechakte
3.2 Das symbolische Kapital anerkannter Sprecher
4 Die symbolische Macht der Sprache
5 Resümee
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der französische Philosoph, Ethnologe und Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002) zählt zu den einflussreichsten Sozialwissenschaftlern und politisch engagierten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Seine interdisziplinär ausgerichtete Forschungstätigkeit verbindet empirische Studien mit theoretischer Reflexion, wobei die Analyse sozialer Praxis und gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse einen Schwerpunkt bildet. Im Rahmen seiner Untersuchungen arbeitet Bourdieu die Wechselwirkungen zwischen dem überindividuellen Gesellschaftsgefüge und den alltäglichen Handlungen der Subjekte heraus und betont die Relation zwischen sozialen Strukturen und symbolischen Systemen. Hierbei schreibt er insbesondere der Sprache und ihrem Gebrauch eine hohe Relevanz für die Genese und Reproduktion sozialer Unterschiede zu. In Anbetracht ihrer sozialen Dimension kennzeichnet Bourdieu Sprache als das zentrale Medium symbolischer Macht, ein Terminus, der auf jene Manifestationen von Macht zielt, die von den Subjekten im Alltag häufig verkannt werden.
Diesen für Bourdieus Sprachanalyse wichtigen Gedanken möchte ich in der vorliegenden Hausarbeit näher untersuchen. Dabei soll die Frage leitend sein, wie Bourdieu die spezifische Macht der Sprache definiert und worin er ihre Wirksamkeit begründet sieht: Wie bestimmt Bourdieu den Zusammenhang zwischen Sprache und symbolischer Macht? Hierzu wird sein Buch Was heißt sprechen? Zur Ökonomie des sprachlichen Tausches herangezogen, das die wichtigsten Schriften seiner Sprachanalyse umfasst, sowie einschlägige Passagen aus seinem Werk Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Anhand dieser Primärliteratur lassen sich wesentliche Machtdimensionen des Sprachgebrauchs aufzeigen und hinsichtlich des Theorems der symbolischen Macht konkretisieren.
Zunächst steht die Dominanz der offiziellen Sprache im Mittelpunkt. Hier gilt es, in einem ersten Schritt Bourdieus kritische Auseinandersetzung mit den sprachwissenschaftlichen Konzepten Ferdinand de Saussures und Noam Chomskys nachzuzeichnen. Daran anschließend wird Bourdieus Analyse der zensierenden Wirkmechanismen legitimer Sprachpraxen erläutert, die er in Abgrenzung zu den Modellen der formalen Linguistik entwickelt. Sodann ist Bourdieus Vorstellung von Sprache als einem Instrument sozialen Handelns zu diskutieren. Dazu werden insbesondere zwei wichtige Aspekte beleuchtet: Bourdieus Bezug auf John L. Austins Kategorie performativer Sprechakte und sein Begriff des symbolischen Kapitals. Hier soll deutlich werden, dass Bourdieu sowohl den sozialen Bedingungen der Textproduktion und -rezeption als auch der gesellschaftlichen Anerkennung der Sprechenden eine essentielle Bedeutung für die performative Kraft der Wörter beimisst. Schließlich kann Bourdieus Konzept der symbolischen Macht am Beispiel der Einsetzungsriten konkretisiert werden, jenen performativen Kommunikationsakten, bei denen einer Person qua kollektiv anerkannter Grenzziehung eine soziale Identität zugeschrieben wird. Abschließen möchte ich mit einigen Überlegungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Phänomene, die Bourdieu als Voraussetzung für die Wirksamkeit performativer Äußerungen kennzeichnet.
2 Die Dominanz der offiziellen Sprache
Eine wichtige und zumeist verkannte Machtdimension des Sprachgebrauchs sieht Bourdieu in der Dominanz der offiziellen Sprache, die innerhalb eines bestimmten Staatsgebietes zur Nationalsprache erklärt und in allen öffentlichen Diskursen verwendet wird. Als Beispiel für den Prozess der sprachlichen Vereinheitlichung untersucht Bourdieu die Entwicklung des Französischen. Im Zuge der gesellschaftspolitischen Umwälzungen der Französischen Revolution wird die bis dahin vorherrschende Mehrsprachigkeit – Angehörige der unteren Klassen und Bauern sprechen lokale Dialekte, während Adel und Bürgertum Zugang zur Amtssprache haben – durch eine Politik der sprachlichen Einigung aufgehoben. Qua Erhebung zur Nationalsprache fungiert die offizielle Sprache als verbindliche Norm mündlicher und schriftlicher Sprachpraxen. Daneben können Dialekte und andere divergierende Sprechweisen weiterhin die Kommunikation im privaten Alltag dominieren. Mithilfe der obligatorischen Nationalsprache wird die neue staatliche und soziale Ordnung dauerhaft installiert: Begünstigt durch ihren nun institutionalisierten und legitimierten Gebrauch des Französischen, können sich die Angehörigen der oberen Klasse das politische Monopol sichern.[1]
Bourdieu hebt explizit auf die Bedeutung der soziohistorischen Zusammenhänge für die Genese der offiziellen Sprache ab und betont den artifiziellen Charakter der Vereinheitlichung sprachlicher Praktiken. Damit distanziert er sich von den sprachwissenschaftlichen Ansätzen Ferdinand de Saussures (1857–1913) und Noam Chomskys (geb. 1928), die – so Bourdieu – „die offizielle Definition der offiziellen Sprache einer bestimmten politischen Einheit“[2] als selbstverständlich voraussetzen. Da Bourdieus kritische Auseinandersetzung mit Saussure und Chomsky für seine Sprachanalyse von großer Bedeutung ist, wird dieser Aspekt im Folgenden genauer betrachtet.
2.1 Bourdieus Kritik am Formalismus de Saussures und Chomskys
Ein wesentlicher Kritikpunkt Bourdieus zielt auf die Tendenz der strukturalen Sprachwissenschaft, Sprache losgelöst von den gesellschaftspolitischen und historischen Bedingungen ihrer Genese und ihres Gebrauchs zu analysieren: In den linguistischen Modellen, so Bourdieu, werde Sprache nicht als soziohistorisches Phänomen verstanden, sondern als abstrakter Gegenstand konzipiert.[3] Den Ausschluss alles Gesellschaftlichen aus dem Untersuchungsfeld der Linguistik führt Bourdieu auf de Saussure zurück. Indem er „die ‚äußere‘ von der ‚inneren‘ Sprachwissenschaft“ trenne und sich ausschließlich letzterer zuwende, leiste de Saussure einem intellektualistischen Ansatz Vorschub, der „das sprachwissenschaftliche Instrumentarium von den gesellschaftlichen Bedingungen seines Gebrauchs“ ablöse.[4] Bourdieu lehnt explizit alle Formen „einer rein immanenten und formalen Analyse“[5] ab, die im Anschluss an de Saussure den Fokus primär auf textimmanente Aspekte legen und soziohistorische Kontexte ausklammern. Damit wendet er sich zugleich gegen die in den 1960er Jahren verbreitete Einflussnahme grundlegender Prinzipien der strukturalen Sprachtheorie auf sozialwissenschaftliche Disziplinen.[6] So führt etwa die Betrachtung synchroner Ordnungen und differentieller Relationen im Bereich von Ethnologie und Anthropologie zu einem Primat der Struktur; historische und soziale Dimensionen treten in den Hintergrund.[7]
Ein weiterer Einwand Bourdieus richtet sich gegen zwei aus seiner Sicht zentrale Grundunterscheidungen der Sprachmodelle: De Saussure unterscheidet zwischen Langue, der Sprache im Sinne eines formalen Zeichensystems und Parole, dem Akt des Sprechens als Realisierung dieses Systems; Chomsky trennt zwischen Kompetenz, der individuellen Sprachkenntnis und Performanz, der konkreten Realisierung der Sprachkompetenz.[8] Bourdieu lehnt de Saussures und Chomskys methodologische Unterscheidungen ab, da diese theoretischen Konstrukte die soziohistorischen Bedingungen der Sprachaneignung außer Acht lassen. Zudem kritisiert Bourdieu die Vorstellung des gemeinschaftlichen und gleichen Zugangs zur Sprache – die de Saussure mit der Metapher des Sprachschatzes markiert – da sie eine homogene Sprachgemeinschaft suggeriere, in der alle Mitglieder über die gleichen Voraussetzungen zum Spracherwerb verfügen.[9]
Gemäß Bourdieu zielen die linguistischen Untersuchungen de Saussures und Chomskys auf ein idealisiertes Konzept, das er als „Illusion des Sprachkommunismus“[10] bezeichnet: Indem die sprachwissenschaftlichen Modelle ein bestimmtes Sprachsystem zur universellen Norm des korrekten Sprachgebrauchs erklären, festigen sie die Vorstellung einer gemeinsamen legitimen Sprache.[11] Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von der Vereinheitlichung des sprachlichen Marktes, dieser Prozess gehe zwangsläufig mit der „Entstehung sprachlicher Herrschaftsverhältnisse“ einher.[12] Als anerkannte Norm übt die offizielle Sprache zensierenden Einfluss auf alle Sprachpraktiken einer Gemeinschaft aus.
2.2 Die zensierende Macht legitimier Sprachpraxen
Um die Präsenz der offiziellen Sprache in einer Gesellschaft dauerhaft sicherzustellen, ist ihre Standardisierung und Kodifizierung durch staatliche Institutionen ebenso unabdingbar wie der Spracherwerb durch Gewöhnung im Alltag. Bourdieu betont, dass die Möglichkeiten zur Aneignung der legitimen Sprache sehr ungleich verteilt sind, während ihre Anerkennung allgemein verbreiteter ist.[13] Wird in sozial privilegierten Haushalten der Umgang mit legitimen Ausdrucksweisen bereits mit der frühkindlichen Erziehung vermittelt, erhalten Kinder bildungsferner Eltern einen vergleichsweise späten schulischen Zugang zum Erlernen der offiziellen Sprache.
Dementsprechend schreibt Bourdieu der Entstehung eines organisierten Bildungssystems für die Akzeptanz der sprachlichen Hierarchisierung eine entscheidende Bedeutung zu: Staatliche Bildungsinstitutionen legitimieren und propagieren die Vorherrschaft der offiziellen Sprache. Der korrekte mündliche und schriftliche Gebrauch der legitimen Sprache ist zum Erwerb von Bildungsabschlüssen obligatorisch, so dass der autorisierten Sprachkompetenz auch in ökonomischer Hinsicht ein Wert zukommt. Die Vereinheitlichungsprozesse des Bildungs- und Arbeitsmarktes führen, mit Bourdieu gesprochen, zur „Entstehung eines Sprachmarktes“, auf dem um „die legitime Sprachkompetenz als sprachliches Kapital“[14] gerungen wird. Der Gebrauch der kanonisierten Sprache wird umso zwingender, je offizieller der sprachliche Markt, also der Anlass des Diskurses ist. Somit hat die Etablierung der legitimen Sprache eine systematische Unterordnung lokaler Dialekte und volkstümlicher Sprachvarianten zur Folge, sie verlieren an gesellschaftlicher und ökonomischer Relevanz.
Mit seiner Untersuchung des dominierenden Sprachgebrauchs geht Bourdieu weit über eine Betrachtung sprachwissenschaftlicher Kriterien hinaus. Er definiert das konkurrierende Verhältnis divergierender Sprachpraxen als „ein System soziologisch relevanter sprachlicher Gegensätze, das mit dem System sprachlich relevanter Gegensätze nichts zu tun hat.“[15] Hiermit fokussiert Bourdieu seine Analyse auf die soziale Dimension der Sprache und des Sprechens. Dementsprechend liegt für ihn der „ eigentliche soziale Wert der sozialen Verwendungen der Sprache […] in ihrer Tendenz, Systeme von Unterschieden […] zu bilden, die das System der sozialen Unterschiede […] widerspiegeln.“[16] Bourdieu zieht hier eine enge Verbindung zwischen den verschiedenen Sprachstilen – als symbolische Systeme differentieller Relationen – und der gesellschaftlichen Ordnung im Sinne eines Systems sozialer Unterschiede. Mit anderen Worten: Sprachvarianten bilden die Hierarchie zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen ab und die soziale Position spiegelt sich im Sprachgebrauch wider. So zeugen beispielsweise Sprachstile, Redewendungen oder Artikulationen, die in der Oberschicht zirkulieren von der Zugehörigkeit zu diesem bestimmten Milieu und schaffen zugleich die Möglichkeit der Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen.
Vor diesem Hintergrund versteht Bourdieu Sprache als ein „Unterscheidungsmerkmal“[17]: Wer die legitime Sprache beherrscht, erlangt einen „ Distinktionsprofit “ [18] und über eine gesellschaftlich relevante Sprachkompetenz verfügt nur derjenige, welcher in der Lage ist, den zensierenden Normen legitimer Sprachpraxen zu entsprechen. Erst in ihrer „ zensierten, von allen volkstümlichen Wendungen […] gereinigten “[19] Form und in Relation zu allen potenziellen Sprachstilen erhält die offizielle Sprache ihre distinktive Funktion. Legitimes Sprechen ist demnach weitaus mehr als nur die Fähigkeit, grammatisch korrekte Sätze zum Austausch von Informationen zu entwickeln. Ein solches Vermögen, so Bourdieu, „kann völlig unzureichend sein, um Sätze zu bilden, auf die gehört wird“ [20]. Für Bourdieu ist die legitime Sprachkompetenz „keine rein fachliche Fähigkeit, sondern eine statusabhängige Fähigkeit“[21], die es ermöglicht, Worte zu sprechen, die sozial akzeptabel sind.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Bourdieu im Zuge seiner Auseinandersetzung mit den formalen Modellen Saussures und Chomskys einen genuin sprachsoziologischen Ansatz entwickelt. Indem Bourdieu sein Augenmerk gezielt auf die soziohistorischen Hintergründe der Genese und des Gebrauchs der offiziellen Sprache richtet, enthüllt er deren latent zensierenden Einfluss auf alle Sprachpraxen. Aufgrund des ungleichen Zugangs zur legitimen Sprache sind jeder sprachlichen Interaktion die gesellschaftlichen Hierarchiestrukturen inhärent; für Bourdieu sind Sprache und Sprechen also eng in die soziale Welt eingebunden. Die Problematik der sozialen Dimension des Sprachgebrauchs steht in direktem Zusammenhang zu Bourdieus Theorem der symbolischen Macht und bedarf daher einer näheren Betrachtung.
3 Sprache als Instrument sozialer Praxis
Wenn Bourdieu auf die soziale Funktion der Sprachkompetenz abhebt, macht er zugleich deutlich, dass die symbolischen Wirkungen sprachlicher Äußerungen nur in sozialen Kontexten erfolgen, „die der eigentlichen sprachlichen Logik des Diskurses gänzlich äußerlich sind.“[22] Mit seiner Definition der legitimen Sprachkompetenz als einem Vermögen, das „eine performativ anerkannte Wirkung impliziert“[23], nimmt Bourdieu Bezug auf die Sprechakttheorie von John L. Austin (1911–1960). Die von Austin in seiner Vorlesungsreihe How to do things with words (1955) entwickelte Theorie der Sprechakte erfährt in den 1970er Jahren eine breite Diskussion unter französischen Philosophen und Sprachwissenschaftlern.[24] Auch Bourdieu setzt sich im Rahmen seiner Untersuchungen der Sprache und des Sprechens mit Austins Ansatz auseinander.
3.1 Bourdieus Rückgriff auf Austins Kategorie performativer Sprechakte
In seinen Überlegungen greift Bourdieu einen zentralen Gedanken Austins auf, demzufolge zwei wesentliche Möglichkeiten der Sprachverwendung unterschieden werden können: konstative und performative Äußerungen. Im ersten Fall handelt es sich um die Wiedergabe von bereits Existierendem, beispielsweise die Beschreibung eines Sachverhalts, die wahr oder falsch sein kann. Performative Sprechakte – etwa das Versprechen, die Taufe oder der Richterspruch – vollziehen dagegen eine Handlung. Sie sind Austin zufolge weder wahr noch falsch, vielmehr können sie glücken oder auch missglücken. Geglückte performative Aussagen verwirklichen, was sie besagen, sie implizieren eine Handlungsmacht. Neben dem Aussprechen der Worte schreibt Austin den Umständen, unter denen sie geäußert werden, für den Vollzug der Handlung eine entscheidende Bedeutung zu: Eine Schiffstaufe kann nur von einer befugten Person innerhalb eines bestimmten rituellen Ablaufs vor Publikum vollzogen werden. Die bloße Aussage ‚Hiermit taufe ich dieses Schiff…‘ reicht für den Taufakt nicht aus. Somit kennzeichnet Austin die gesellschaftlichen Umstände als eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit performativer Äußerungen.[25]
Wenngleich Austin die Bedeutung sozialer Kontexte für das Gelingen performativer Sprechakte markiert, kritisiert Bourdieu, dass Sprachwissenschaftler im Anschluss an Austins Theorie die soziale Dimension nicht in der erforderlichen Tragweite beachten. Bourdieu argumentiert, dass die Wirkmechanismen performativer Aussagen unter rein sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht in vollem Umfang erfasst werden können. Daher fordert er eine differenzierte Analyse derjenigen sozialen Phänomene, die erfüllt sein müssen, damit Worte zu Taten werden. Performative Sprechakte können nicht unabhängig von den sozialen Bedingungen ihrer Durchführung betrachtet werden, ihre Kraft wird nur innerhalb eines sozialen Systems interdependenter Beziehungen entfaltet.[26] Dementsprechend ist die „magische Wirkung“ performativer Aussagen für Bourdieu „nicht von der Existenz einer Institution zu trennen“.[27]
In Auseinandersetzung mit Austins Konzept nennt Bourdieu drei Bedingungen, die für das Gelingen performativer Sprechakte erfüllt sein müssen: Zunächst muss die performative Aussage, etwa der Richterspruch, von einer dazu legitimierten Person ausgesprochen werden. Werden Urteile von nichtautorisierten Sprechern verkündet, bleiben sie wirkungslos. Weiterhin sind die Adressaten des performativen Aktes von Bedeutung. Um ein Urteil wirksam zu vollstrecken, wird es öffentlich ausgesprochen, es bedarf der Anerkennung eines Publikums. Schließlich ist ein formales Regelwerk einzuhalten, Bourdieu spricht von „ liturgischen Bedingungen“. Die Verkündung eines juristischen Urteils erfolgt im Rahmen eines standardisierten Ablaufs, in bestimmten Räumlichkeiten, mit entsprechender Kleidung und Insignien.[28]
Bourdieu vermerkt, dass autoritäre Diskurse, beispielsweise der Richterspruch oder die Predigt, „lediglich die paradigmatische Form“[29] jener symbolischen Äußerungen darstellen, die Austin mit dem Terminus des Performativen kennzeichnet. Legitimes und autoritäres Sprechen gibt es nicht nur in öffentlichen Diskursen, sondern ebenso in privaten Kommunikationsbeziehungen. Auch im Alltagsleben, so Bourdieu, diene eine sprachliche Interaktion in der Regel nicht nur dem informellen Austausch, vielmehr sei ein wesentlicher Zweck des Sprechens das „Streben nach symbolischem Profit“[30]. Hier klingt eine ökonomische Terminologie an, die charakteristisch für Bourdieus Sprachmodell ist.
[...]
[1] Vgl. Pierre Bourdieu, Was hei ß t sprechen? Zur Ö konomie des sprachlichen Tausches, Wien 2005, 48–55.
[2] Ebd., 49.
[3] Vgl. ebd, 38.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Vgl. John B. Thompson, „Einführung“, in: Pierre Bourdieu, Was heißt spre- chen?, a.a.O., 4.
[7] Vgl. Stephan Moebius, Lothar Peter, „Strukturalismus”, in: Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. v. Gerhard Fröhlich und Boike Rehbein, Stuttgart 2014, 22.
[8] Vgl. Thompson, „Einführung“, a.a.O., 5.
[9] Vgl. Bourdieu, Was heißt sprechen?, 47 f.
[10] Ebd., 47.
[11] Die neuere sprachwissenschaftliche Forschung korrigiert das strukturalistische Saussure-Bild und zeigt auf, dass auch in de Saussures Denken die soziohisto- rische Dimension der Sprache enthalten ist. Vgl. hierzu Ludwig Jäger, Ferdi- nand de Saussure zur Einführung, Hamburg 2010, insbesondere 172–190.
[12] Bourdieu, Was heißt sprechen?, 50.
[13] Vgl. ebd., 69.
[14] Ebd., 61.
[15] Ebd., 59.
[16] Ebd., 60.
[17] Ebd., 64.
[18] Ebd., 61.
[19] Ebd., 65.
[20] Ebd., 60.
[21] Ebd., 76.
[22] Ebd., 79.
[23] Ebd., 76.
[24] Vgl. Thompson, „Einführung“, 9.
[25] Vgl. John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words) (1962), Stuttgart 1979, 25–34.
[26] Vgl. Bourdieu, Was heißt sprechen?, 80 f. u. 105 ff.
[27] Ebd., 80.
[28] Vgl. ebd., 105–107.
[29] Ebd., 105.
[30] Ebd., 73.