Rembrandt und seine Selbstbildnisse. Gesichter für den Markt?


Hausarbeit, 2018

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Das Selbstporträt als Massenprodukt
1. Authentische Subjektivität versus Werbebilder
2. Das Selbst und sein Ausdruck: Rembrandts Affektstudien

III. Das Selbst am Markt
1. Selbstinszenierung als Kassenschlager
2. Eingravierte Tragik: Rembrandt als Grafiker

IV. Fazit

V. Literaturverzeichnis

VI. Abbildungsverzeichnis

I. Einleitung

Every portrait that is painted with feeling is a portrait of the artist, not of the sitter.1

In seiner Geschichte des wohlhabenden Schönlings, der ein Bild von sich besitzt, das anstelle seiner Selbst altert, stellt OSKAR WILDE (1854-1900) eine Vermutung auf, die bereits LEONARDO DA VINCI (1454-1519) geäußert haben soll. Die Vorstellung, dass ein Künstler in jedem seiner Werke einen Teil seiner Seele abbildet, existierte bereits in der Renaissance,2 sie hält sich bis heute und wird wohl bei keinem Maler so vielfältig diskutiert wie bei REMBRANDT HARMENSZOON VAN RUN (1606-1669). Kein Künstler betrachtete sich so häufig im Spiegel, um die eigene Erscheinung kritisch zu beobachten, wieder und wieder zu studieren und detailverliebt für die Ewigkeit festzuhalten. Die Zahl der ihm zugeschrieben Selbstbildnisse variiert stark und ändert sich jährlich, aber sie ist mit Abstand die höchste uns bekannte aus dem Œuvre eines einzigen Menschen. Seine Gründe hierfür boten der Forschung seit jeher einen fruchtbaren Nährboden für Spekulationen aller Art. Vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren diese zumeist biografisch­psychologischer Natur und erzählten mit viel Pathos eine Mär vom einsamen Genie auf der Suche nach sich selbst. Genauere Untersuchungen der Umstände in denen REMBRANDT lebte und arbeitete, ein Blick auf den gerade entstehenden Kunstmarkt und das Aufblühen des Kapitalismus im ״goldenen Zeitalter“ der Niederlande, wecken jedoch Zweifel an den eingestaubten Thesen. Sind seine Selbstporträts der malerische Versuch, das eigene Ich zu verstehen? Waren seine Leinwände das Fundament einer in dunklen Farben verbildlichten Depression? War er ein Narzisst? Oder war er viel eher ein gewiefter Geschäftsmann, ein Trendsetter, der wusste was gefragt war und genau das produzierte? Diese Fragen Stehen im Zentrum der vorliegenden Seminararbeit.

II. Das Selbstporträt als Massenprodukt

1. Authentische Subjektivität versus Werbebilder

״ Alles was er liebte, waren seine Freiheit, die Malerei und das Geld. “3

״Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“4 gehen Hand in Hand. Diese Erkenntnis ist seit JOHANNES CALVIN (1509-1564) keine Neuigkeit mehr, sprach er doch die bis dato katholisch sozialisierten Geschäftsleute von ihren Bedenken frei, sich durch persönliche Bereicherung der Todsünde schuldig zu machen, indem er verkündete, dass Reichtum zu besitzen, mitnichten eine Sünde sei.5 Doch mit den attraktiven Freiheiten, die die neue Glaubensauslegung bot, kam auch die Verantwortung für das eigene Handeln, die man von nun an gänzlich allein zu tragen hatte. Von den menschlichen Lastern freigesprochen zu werden, sollte ein den Katholiken vorbehaltenes Privileg bleiben. Die Abschaffung der Beichte brachte somit eine Intensivierung der Selbstbefragung mit sich und das Selbst mitsamt seiner Einzigartigkeit gewann an Bedeutung. Publikationen wie RENÉ DESCARTES1596-1650) ־) Traktat ״Les passions de ľáme“, in dem er ״von den Leidenschaften überhaupt und bey der Gelegenheit von der ganzen Natur des Menschen“6 schreibt oder KAREL

VAN MANDERs (1548-1606) ״Schilder-Boeck“7, das den ״Erscheinungsformen der Leidenschaften auf dem Gesicht“8 gleich ein ganzes Kapitel widmet, spiegeln literarisch wieder, dass Mitte des 17. Jahrhunderts ein Interesse an der menschlichen Psyche und ihrer optischen Erscheinung aufflammte. Dieser Sinneswandel schlug sich auch in der Rezeption und Produktion von bildender Kunst nieder. Der Künstler hatte von nun an ״die Gefühle des Betrachters anzusprechen, ja er sollte diese geradezu provozieren. Damit wurde der Rezipient erstmals als eine eigenständige Größe mit eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen wahrgenommen.“9, schreibt THOMAS KIRCHNER (*1954) und vertritt dabei die These, dass die Beziehung zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter durch Emotionen entsteht. Für deren besonders authentische Darstellung war REMBRANDT bereits zeit seines Lebens weit über die Landesgrenzen seiner niederländischen Heimat hinaus bekannt.10

2. Das Selbst und sein Ausdruck: Rembrandts Affektstudien

Das Selbstbildnis mit aufgerissenen Augen (Abb. 1) aus dem Jahr 1630 ist ein Paradebeispiel für REMBRANDTS detailverliebte Auseinandersetzung mit der Physiognomie des menschlichen Antlitzes und dessen Verkörperung von Gemütszuständen: Unvermittelt blicken die weit geöffneten, runden Augen dem Betrachter entgegen. Die Lippen des jungen Malers sind gespitzt, der Mund leicht geöffnet. Er wirkt überrascht, fast erschrocken. Die Augenpartie ist hell beleuchtet, wobei der Lichteinfall einen starken Schlagschatten auf seiner linken Wange erzeugt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Selbstbildnis mit aufgerissenen Augen, 1630, Radierung: 5,1 X 4,6 cm, Amsterdam, Rijksmuseum.

Die krause Lockenmähne schließlich wirkt ״als dunkler Kranz und Abschluss nach oben“.11 Die mit einem Grabstichel in eine Metallplatte eingeritzte und gerade einmal 51 X 46mm große Kaltnadel-Radierung hat durch ihre lockere Ausführung und die zahlreichen, groben Linien eine skizzenhafte Optik. Diese ״modern wirkende Liniensprache“ zeugt von REMBRANDTS ״unermüdliche[!·] Experimentierfreude“,12 die auch seinem Zeitgenossen FILIPPO BALDINUCCI (1624-1697) ins Auge fiel, als er in einer Abhandlung über Druckgraphiken die ״ungewohnt freizügige Handschrift“ des Künstlers in Form von ״unregelmäßigen Linien“ lobte.13 Menschliche Affekte und ihre Visualisierung begeisterten REMBRANDT bereits mit 18 Jahren, als er und sein Malerkollege TAN T,TEVENS (1607-1674) bei der Eröffnung ihres ersten eigenen Ateliers, das Ziel verfolgten, den gemeinsamen Lehrer PIETER LASTMAN (1583-1633) in der ״Schilderung des Gemütsausdrucks durch Mimik und Gebärden [zu] Übertreffen.“14 Als ehemaliger Lateinschüler war er geprägt von einer umfassenden humanistischen Bildung und übertrug die Strategien der Rhetorik, deren zentraler Bestandteil seit der Antike die Affektenlehre war, nun auf die bildende Kunst.15 Mit unzähligen radierten, gezeichneten und gemalten Affektstudien erprobte er am eigenen Leib, mithilfe eines Spiegels, all jene Gefühlsregungen, die sich später in den Gesichtern der Figuren seiner Historienbilder wiederfanden. Ebenso wie CICERO (106-46 V. Chr.) vertrat er die Ansicht, dass ״das Geheimnis der Kunst, Gefühlswirkungen zu erregen“, darin bestünde, ״sich selbst der Erregung hinzugeben.“16 Es kommt nicht von ungefähr, dass REMBRANDTS Werke häufig mit Worten beschrieben werden, die der Theaterwissenschaft entliehen sind. Einer seiner berühmtesten Lehrlinge, der Dichter und Maler SAMUEL VAN HOGSTRAATEN (1627-1678), soll gar mit seinen eigenen Schülern jene Szenen nachgespielt haben, die sie anschließend malerisch zu inszenieren gedachten.17 Um nämlich Leidenschaften lebensnah darstellen zu können, sollte der Schöpfer selbiger diese nicht nur geistig begreifen, sondern vor allem selbst erleben.18 Wie fortschrittlich HOOGSTRATENs Praxis samt der ihr zugrunde liegenden Philosophie war, zeigt die Tatsache, dass sie auch dreihundert Jahre später, als KONSTANTIN STANISLAWSKI (1863-1938) in Moskau seine Schauspieltheorie des Method Acting entwickelt, nichts an Aktualität verloren hat.

[...]


1 WILDE, OSCAR: The Picture of Dorian Gray. Philadelphia 1890.

2 Vgl. MANUTH, VOLKER: ״Rembrandts Künstlerporträt und Selbstbildnis: Tradition und Rezeption“. In: Ausst.- Kat. London, National Portrait Gallery 1999. Den Haag, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis 2000. Rembrandts Selbstbildnisse. Stuttgart 2000, s. 20.

3 Im Original: ״II n’amoit que sa liberté, la Peinture, et l’argent.”. In: DESCAMPS, JEAN-BAPTISTE: La Vie des Peintres Flamands, Allemands et Hollandais. 4 Bde. Paris 1753-1764. Bd.2, S.90.

4 Zwischen 1904 und 1905 in Fonn zweier Abhandlungen erschienenes Werk des Soziologen CARL EMIL MAXIMILIAN WEBER (1864-1920) in der Zeitschrift ״Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik“.

5 AFHÜPPE, SVEN: ״Gottgewollter Reichtum.“ In: Die Zeit, 19. August 1999, http://www.zeit.de/1999/34/199934.biblio-serie.xml. (08.03.2018)

6 TILESIUS, BALTHASAR HEINRICH; DECARTES RENÉ: Tractat von den Leidenschaften der Seele. Frankfurt 1723.

7 zu dt. ״Maler-Buch“, veröffentlicht 1606.

8 KIRCHNER, THOMAS ״״De l’usage des passion“. Die Emotionen bei Künstler, Kunstwerk und Betrachter.“ In: Herding, Klaus; Stumpfhaus, Bernhard (Hrsg.): Pathos - Affekt - Gefühl. Die Emotionen in den Künsten. Berlin 2004, S.360.

9 KIRCHER, THOMAS: ״״De l’usage des passion“. Die Emotionen bei Künstler, Kunstwerk und Betrachter.“ In: Herding, Klaus; Stumpfhaus, Bernhard (Hrsg.): Pathos - Affekt - Gefühl. Die Emotionen in den Künsten. Berlin 2004, s. 361.

10 Das geht aus der Autobiografie des Dichters und Komponisten constanti™ HUYGENS (1596 -1687) hervor. / Vgl. VAN DE WETERING, ERNST: ״Die mehrfache Funktion von Rembrandts Selbstporträts“. In: Ausst.Kat. London, National Portrait Gallery 1999. Den Haag, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis 2000. Rembrandts Selbstbildnisse. Stuttgart 2000, s. 21.

11 HÖVELBORN, ERNST: Selbstdarstellung und Verwandlung. Rembrandt Hannensz van Rijn. Materialien zum Abiturschwerpunktthema 2012, herausgegeben vom BDK-Landesverband Baden-Württemberg. Heilbronn 2013, s. 10.

12 SCHÄFER, DORIT: In: Ausst.-Kat. Ich bin hier! Von Rembrandt zum Seifte. Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe 2016. Köln 2016, s. 62.

13 VAN DE WETERING, ERNST: ״Die mehrfache Funktion von Rembrandts Selbstporträts“. In: Ausst.-Kat. London, National Portrait Gallery 1999. Den Haag, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis 2000. Rembrandts Selbstbildnisse. Stuttgart 2000.

14 TÜMPEL, CHRISTIAN: Rembrandt. Köln 2002'׳ (Hamburg 1977), s. 20.

15 CICERO war der Überzeugung, dass ״die Sprache des Körpers natürlichen Ursprungs und daher allgemein verständlich sei.“ (LÖFFLER, PETRA: Affektbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik. Bielefeld 2004, S.51.)

16 KIRCHNER, THOMAS 2004, s. 375.

17 Vgl. ALPERS, SVETLANA: Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt. Köln 2004, s. 84.

18 Vgl. KIRCHNER, THOMAS 2004, s. 365.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Rembrandt und seine Selbstbildnisse. Gesichter für den Markt?
Hochschule
Universität zu Köln  (Kunsthistorisches Institut)
Veranstaltung
Rijksmuseum : Geschichte und Sammlung
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
16
Katalognummer
V432729
ISBN (eBook)
9783668749825
ISBN (Buch)
9783668749832
Dateigröße
793 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rembrandt, Selbstbildnis, Kunstmarkt, Selbstdarstellung, Selbstporträt, Rijksmuseum, Amsterdam, Malerei, Barock
Arbeit zitieren
Franziska Heinrich (Autor:in), 2018, Rembrandt und seine Selbstbildnisse. Gesichter für den Markt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/432729

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