Das sportliche Interesse von Asylanten


Masterarbeit, 2017

122 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tebellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsdefinition: Migration

3 Zahlen und Fakten

4 Sport als Integrationsmotor – theoretische Grundlagen
4.1 Der allgemeine Integrationsbegriff
4.2 Vereinswesen in Deutschland
4.2.1 Herausforderungen
4.3 Sportbezogene Integration
4.3.1 Ein kritischer Überblick
4.4 Hindernisse im Bereich Sport und Integration
4.4.1 Kulturelle Differenzen
4.4.2 Sozioökonomische Differenzen
4.5 Integrative Maßnahmen
4.5.1 „Spin – sport interkulturell“

5 Methodik
5.1 Das Erhebungsinstrument
5.2 Gestaltung des Interviewleitfadens
5.3 Zugänge zum Forschungsfeld
5.4 Beschreibung der Befragten
5.5 Beschreibung des Interviewablaufs
5.6 Auswertungsmethode
5.7 Aussagekraft der Daten

6 Ergebnisdarstellung
6.1 Kategorien im Überblick
6.2 Kategorie „Sport im Heimatland“
6.2.1 Subkategorie „Sportarten“
6.2.2 Subkategorie „Anzahl der Tage pro Woche“
6.2.3 Subkategorie „Schulsport“
6.2.4 Subkategorie „Organisation“
6.2.5 Subkategorie „Stellenwert“
6.2.6 Subkategorie „Hindernisse“
6.3 Kategorie „Sport in Deutschland“
6.3.1 Subkategorie „ausführende Sportarten“
6.3.2 Subkategorie „Anzahl der Tage pro Woche“
6.3.3 Subkategorie „Organisation“
6.3.4 Subkategorie „Hindernisse“
6.4 Kategorie „Motive des Sporttreibens“
6.5 Kategorie „Spezifische Bedürfnisse“
6.5.1 Subkategorie „Sportarten“
6.5.2 Subkategorie „Geschlechtertrennung“
6.5.3 Subkategorie „Ort der Sportausübung“
6.5.4 Subkategorie „Gruppensport“
6.5.5 Subkategorie „Gruppenzusammensetzung“
6.5.6 Subkategorie „Interesse am vermehrten Sporttreiben“

7 Kernkategorie Gewohnheit
7.1 Kategorie „Sport im Heimatland“ zur Kernkategorie Gewohnheit
7.2 Kategorie „Sport im Deutschland“ zur Kernkategorie Gewohnheit
7.3 Kategorie „Spezielle Bedürfnisse“ zur Kernkategorie Gewohnheit
7.4 Kategorie „Motive“ zur Kernkategorie Gewohnheit

8 Schlussbetrachtung

9 Methodenkritik

10 Ausblick

11 Literaturverzeichnis

12 Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Bevölkerung mit Migrationshintergrund in absoluten Zahlen (in Tausend), Anteile an der Gesamtbevölkerung in Prozent, 2015

Abb. 2: Typen der Sozialintegration von Migranten (Esser, 2007, S. 19)

Abb. 3: Die Organisation des „Drittes Sektors“ zwischen Staat, Markt und dem informellen Sektor (modifiziert nach Braun, 2003, S. 46).

Abb. 4: Probleme der Vereine nach Migrantenanteil (Breuer et al., 2011, S. 57)

Abb. 5: Unterschiede im Organisationsgrad im Sportverein zwischen Jungen (obere Angabe) und Mädchen (untere Angabe), differenziert nach Herkunftsland (Mutz, 2012, S. 147)

Abb. 6: Induktion und Deduktion nach Losee (1977) (Lamnek, 2010, S.223)

Abb. 7: Ablaufmodell des problemzentrierten Interviews (Mayring, 2002, S. 71)

Abb. 8: Kategorienbildung nach axialem Kodieren

Abb. 9: Überblick über die Subkategorien der Kategorie „Sport im Heimatland“

Abb. 10: Codes der Subkategorie „Sportarten“

Abb. 11: Codes der Subkategorie „Anzahl der Tage pro Woche“

Abb. 12: Codes der Subkategorie „Schulsport“

Abb. 13: Codes der Subkategorie „Organisation“

Abb. 14: Codes der Subkategorie „Stellenwert“

Abb. 15: Codes der Subkategorie „Hindernisse“

Abb. 16: Überblick über die Subkategorien der Kategorie „Sport in Deutschland“

Abb. 17: Codes der Subkategorie „ausführende Sportarten“

Abb. 18: Codes der Subkategorie „Anzahl der Tage pro Woche“

Abb. 19: Codes der Subkategorie „Organisation“

Abb. 20: Codes der Subkategorie „Hindernisse“

Abb. 21: Überblick über die Subkategorien der Kategorie „Motive des Sporttreibens“

Abb. 22: Überblick über die Subkategorien der Kategorie „Sportinteresse“

Abb. 23: Codes der Subkategorie „Sportarten“

Abb. 24: Codes der Subkategorie „Geschlechtertrennung“

Abb. 25: Codes der Subkategorie „Ort der Sportausübung“

Abb. 26: Codes der Subkategorie „Gruppensport“

Abb. 27: Codes der Subkategorie „Gruppenzusammensetzung“

Abb. 28: Codes der Subkategorie „Interesse am vermehrten Sporttreiben“

Tebellenverzeichnis

Tab. 1: Bevölkerung nach Migrationshintergrund in Tausend. Die Daten beruhen auf dem Mikrozensus der Jahre 2005-2015 (in Anlehnung an das Statistisches Bundesamt, 2016b)

Tab. 2: Zusammensetzung der Stichprobe

1 Einleitung

“We are facing the biggest refugee and displacement crisis of our time. Above all, this is not just a crisis of numbers; it is also a crisis of solidarity.” (Ban Ki Moon, UNHCR 2016, S. 5).

Angesichts der unstabilen politischen Lage in vielen Ländern der Welt sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr (vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2016, S. 1). Statistiken des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR besagen, dass seit 2015 weltweit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Ein Jahr zuvor waren es 59,5 Millionen und im Jahr 2011 42,5 Millionen. Insofern ist die Anzahl der weltweit Flüchtenden in den letzten fünf Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen (vgl. UNHCR, 2016, S. 5). Die Menschen fliehen aufgrund von Kriegen oder allgemein ungünstigen Lebensbedingungen. Bei den meisten Flüchtenden handelt es sich um Vertriebene innerhalb des Heimatlandes (40, 8 Millionen, 2015). Der restliche Anteil flieht in die Nachbarländer oder macht sich auf den Weg nach Europa. Aufgrund des Sozialsystems und der florierenden Wirtschaft gilt auch Deutschland als ein beliebtes Ziel (vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2016, S. 1). Aus den Berichten des UNHCR geht hervor, dass 2015 weltweit zwei Millionen Asylanträge (Erstanträge) eingereicht worden sind. Davon wurden allein rund 442.000 in Deutschland gestellt – mehr als in jedem anderen Land (vgl. UNHCR, 2016, S: 3). Von Januar bis November 2016 wurden insgesamt 723.027 Asylanträge vom Bundesamt entgegengenommen, dies bedeutet eine Erhöhung der Antragszahlen um 70,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr desselben Zeitraums (rund 425.000 Asylanträge von Januar bis November 2015) (vgl. BAMF, 2016, S. 4). In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen in den Hauptherkunftsländern, zu denen unter anderem Syrien und Afghanistan angehören, ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Flüchtenden zukünftig weiter steigen wird. Demzufolge gewinnt die Integration dieser Menschen immer mehr an Relevanz und ist zukünftig eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Herausforderung (vgl. Kalb, 2016b, S. 2). Um ein gemeinsames Miteinander verwirklichen zu können, muss die Integration als ein wechselseitiger Prozess angesehen werden. Dafür bedarf es einerseits der Bereitschaft der Zuwanderer sich zu integrieren und andererseits der Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft sich mit fremden Kulturen auseinanderzusetzen. Ein besonders integratives Potenzial wird dem Sport zugeschrieben. Nach dem Motto „Sport spricht alle Sprachen“ stellt er eine ideale Plattform zur Zusammenführung von Menschen unterschiedlicher Herkunft dar (vgl. Kapitel 4.3).

Daher ist das Ziel dieser Arbeit herauszufinden inwiefern die deutsche Art der Sportausübung (Vereine) für Asylanten attraktiv ist und wie sportinaktive Asylanten zum Sport sozialisiert werden können. Demnach gilt es die Beweggründe, die deren sportliche Aktivität beeinflussen, zu untersuchen. Die Ergebnisse sollen aufzeigen, welche zielgruppenspezifischen Maßnahmen in den folgenden Jahren erforderlich sind um Flüchtlinge mit Sport, insbesondere durch Vereine, in die Gesellschaft zu integrieren.

Um nachvollzuziehen zu können warum bisher aufgestellten Theorien zur Integration von Migranten analog zu der von Flüchtlingen anzusehen sind, wird zu Beginn der Arbeit der Begriff der Migration erläutert. Anschließend werden Zahlen und Fakten über die Gesamtbevölkerung sowie die unverzichtbare Stellung Deutschlands als Einwanderungsland vorgestellt. In Kapitel 4 steht der Sport als Integrationsmotor im Fokus. Dazu wird zunächst der Integrationsbegriff definiert und das Vereinswesen in Deutschland aufgezeigt. In einem weiteren Unterpunkt wird ein Blick auf die Herausforderungen, vor denen die Vereine stehen, geworfen. Dadurch soll deren Initiative in Bezug auf bisherige integrative Sportangebote verdeutlicht werden. Es folgt eine Erläuterung weshalb der Sport als integrationsfördernd angesehen wird. Ebenso wird er diesbezüglich einer kritischer Betrachtung unterzogen. Daraufhin werden kulturelle und sozioökonomische Differenzen als mögliche Hindernisse für die Teilnahme am Sport beleuchtet. Schließlich wird das Projekt „spin-sport-interkulturell“ als bereits durchgeführte Maßnahme dargelegt. In Kapitel 5 wird die Methodik erklärt. Anschließend folgt eine ausführliche Beschreibung der Datenerhebung, der Teilnehmer des Leitfadeninterviews und der Auswertungsmethode. In Kapitel 6 werden die auf Kategorien basierenden Ergebnisse veranschaulicht und interpretiert. Nach der Vorstellung der herausgearbeiteten Kernkategorie werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Abschließend erfolgen eine methodenkritische Auseinandersetzung und ein Ausblick.

2 Begriffsdefinition: Migration

„Migrationsbewegungen von Menschen sind in allen Zeiten zu beobachten“ (Han, 2005, S. 6) und werden immer wichtiger (vgl. Treibel, 2008, S. 297). Von der Wanderbewegung der Sammler- und Jägerkultur, der Nomaden- und Völkerwanderung bis hin zum Sklavenhandel, bei dem Arbeitskräfte aus Afrika unfreiwillig nach Nordamerika auswanderten, bilden diese Formen einen festen Bestandteil der menschlichen Kulturgeschichte (vgl. ebd.). Aus einem gemeinsamen Beitrag der UN-DESA[1] und der OECD[2] geht hervor, dass im Jahr 2013 rund 232 Millionen Migranten weltweit verteilt waren (vgl. OECD, 2013, S. 1). Der Begriff Migration kommt von dem lateinischen Wort migrare (wandern, wegziehen) oder migratio (Wanderung). Die Sozialwissenschaften verstehen darunter Bewegungen von Personen oder Personengruppen, die einen dauerhaften Wohnortwechsel, über die Landesgrenze des Heimatlandes hinweg, vollzogen haben, unabhängig davon ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschieht. In Anlehnung an die Empfehlung der Vereinten Nationen werden Migranten in einer internationalen Statistik als solche erfasst, sobald der Wohnsitzwechsel mindestens ein Jahr andauerte (vgl. Han, 2005, S. 7).

„Dagegen wird in Deutschland das Kriterium der Dauerhaftigkeit des Wohnortwechsels bei der statistischen Erfassung der Migrationsbewegung als erfüllt angesehen, wenn die Migration mit einem tatsächlichen Wohnortwechsel verbunden ist“ (ebd.).

Folglich werden Reisende und beruflich bedingte Pendler von dem Phänomen der Migration ausgenommen (vgl. ebd., S. 10). Forscher wiederum definieren Migranten unabhängig von der Dauer ihres Aufenthaltes im Aufnahmeland. Stattdessen bezeichnen sie Menschen als Migranten, wenn jene sich selbst als solche wahrnehmen oder wenn jene von ihrer Umgebung als solche angesehen werden (vgl. Treibel, 2008, S. 198). Elias und Scotson (1990) vertreten ebenfalls die Ansicht, dass geografische Aspekte weniger relevant sind als soziologische. Es ist weitaus mehr als nur das „bloße“ bewegen von einem zum anderen Ort – Zuwanderer treffen auf bereits etablierte Gesellschaftsgruppen und werden von diesen aufgrund von Verdrängungs- und Konkurrenzängsten zu Außenseitern gemacht (vgl. Oswald, 2007, S. 17). Aufgrund der Tatsache, dass Wanderungsprozesse sehr komplex sind, gibt es, in Anbetracht der eben aufgeführten Definitionsbeispiele, keine einheitliche Definition für den Begriff Migration (vgl. Oswald, 2007, S. 17). Oft wird zwischen Migranten und Ausländern unterschieden, da Erstere im Gegensatz zu Letzteren bereits die Staatsbürgerschaft erworben haben (vgl. Ackermann et al., 2006, S. 12). Des Weiteren wird häufig zwischen Migranten und Flüchtlingen differenziert, da Migranten nicht aus ihrem Heimatland flüchten, sondern das Land wechseln um die Lebensqualität zu steigern (vgl. Schmickler, 2015, o. S.). Das statistische Bundesamt hat im Jahr 2005 den Mikrozensus[3] Bevölkerung und Erwerbstätigkeit um die Kategorie „Menschen mit Migrationshintergrund“[4] erweitert und dadurch das Phänomen der Migration konkretisiert. Mittlerweile wird die Ausdrucksweise auch im allgemeinen Sprachgebrauch häufiger verwendet (vgl. Statistisches Bundesamt, 2009, S. 5).

In Anlehnung an den Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes (2009, S. 6) zählen zu den Menschen mit Migrationshintergrund „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderte, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“.

Anders ausgedrückt schließt jene Definition im Vergleich zu den Vorherigen die Nachkommen der eigentlichen Migranten mit ein. Außerdem umfasst sie Ausländer, Eingebürgerte, (Spät-)Aussiedler sowie Asylbewerber (vgl. Statistisches Bundesamt, 2009, S. 5)[5]. Diese Begrifflichkeiten werden nun genauer erläutert.

Ausländer zählen in Sinne des Grundgesetzes (GG) in Artikel 116 Absatz 1 aufgrund der fehlenden deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu Deutschen. „Dazu zählen auch Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit“ (ebd., S. 336). Des Weiteren kann es sich dabei um zugewanderte Ausländer, die eigene Migrationserfahrungen mitbringen, handeln oder um deren nicht zugewanderte in Deutschland geborene Kinder, die trotz fehlender eigener Migrationserfahrungen ebenso zu den Ausländern zählen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2016a, S. 5). Durch die Erfüllung gewisser Voraussetzungen, unter anderem zählt dazu der achtjährige Aufenthalt in Deutschland sowie das Bestehen eines Einbürgerungstests, können Ausländer durch die Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erlagen und damit zu „Deutschen“ werden. Grundsätzlich gilt, dass damit der Verlust der alten Staatsangehörigkeit einhergeht (vgl. BAMF, 2015a, o. S.). Unter Spätaussiedlern versteht man die vor dem 1. Januar 1993 nach Deutschland übergesiedelten „Volkzugehörigen“[6] der ehemaligen Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten, deren Vorfahren teilweise vor mehreren Generationen dorthin übersiedelt worden waren.[7] Bis zum 31. Dezember 1992 wurden sie nach dem Bundesvertriebenengesetz als Aussiedler bezeichnet (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2016, o. S.). Diese Migrantengruppe gilt im Sinne des deutschen Grundgesetzes als „Deutsch“ und hat somit im Anschluss an die Übersiedlung ein Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft (vgl. Ackermann et al., 2006, S. 14). Im Mikrozensus werden sie daher als Deutsche mit Migrationserfahrung erfasst, wobei deren in Deutschland geborene Kinder zu den Deutschen ohne eigene Migrationserfahrung zählen.

Nun stellt sich die Frage zu welcher der erläuterten Begrifflichkeiten Flüchtlinge zählen. Zunächst müssen jedoch die unterschiedlichen Kategorien von Flüchtlingen herausgearbeitet werden.

Im Allgemeinen sind „Flüchtlinge […] Menschen, die in Folge von Kriegen, Bürgerkriegen, Unterdrückung von politischen, religiösen, sozialen und ethnischen Minderheiten, aufgrund von Vertreibungen, Repressionen und Menschenrechtsverletzungen ihre Herkunftsländer verlassen“ (Heckmann, 1992, S. 23).

Ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anerkannter Flüchtling (Asylberechtigter) genießt durch das im Grundgesetz verankerte Asylrecht zunächst eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis. Sofern der Schutzstatus anschließend nicht wiederrufen wird, erhält er eine unbefristete Niederlassungserlaubnis (vgl. Schmickler, 2015, o. S). Asylbewerber (auch bekannt als Asylsuchende) hingegen sind Flüchtlinge, die einen Asylantrag gestellt haben und auf deren Bearbeitung warten. Wird dieser abgelehnt, resultiert daraus aufgrund der von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht zwangsläufig deren Ausreise oder Abschiebung (vgl. Heckmann, 1992, S. 24).

„Sie bilden die Gruppe der sogenannten ‚De-facto-Flüchtlinge‘; zu ihnen zählen z.B. Iraner, Palästinenser, Flüchtlinge aus den ehemaligen sozialistischen Ländern und aus Afghanistan. […]. Sie besitzen keinen gefestigten Rechtsstatus wie Asylberechtigte“ (ebd.), sodass ihr Status als De-facto-Flüchtling jederzeit wieder aufgehoben werden kann.

Es handelt sich dabei um Personen, für die eine Rückkehr ins Heimatland aus humanitären oder politischen Gründen unzumutbar wäre (vgl. ebd.). Des Weiteren gibt es Abschiebungshindernisse, wie Erkrankung, unverschuldete Passlosigkeit oder fehlende Verkehrsverbindungen in das Heimatland, die ihre vorübergehende weitere Anwesenheit (Duldung) im Bundesgebiet erfordern (vgl. Parusel, 2009, S. 33). „Ist in absehbarer Zeit mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses zu rechnen, darf keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“ (ebd.).

Nun folgt die Antwort auf die zuvor gestellte Frage, zu welcher „Kategorie“ Flüchtlinge angehören: Sie gehören zu den Ausländern, gelten damit als ausländische Flüchtlinge (Fluchtmigration) und werden von den ausländischen Arbeitsmigranten (Arbeitsmigration)[8] unterschieden (Veranschaulichung in Abbildung 1) (vgl. Oswald, 2007, S103). Wobei sich aufgrund der multikausalen Entscheidungsprozesse schwer erschließen lässt, inwieweit Geflohene zur Migration aufgrund einer lebensgefährlichen politischen Lage gezwungen worden sind oder doch freiwillig ihre Herkunftsregion verlassen (vgl. Treibel, 2008, S. 295; Oswald, 2007, S. 73 f.). „Auch wenn niemand eine Waffe auf sie richtet“ (Treibel, 2008, S. 295) wollen diese Menschen ebenso wie Arbeitsmigranten ihre Lebensbedingungen verbessern. Des Weiteren können Flüchtlinge Zuwanderer mit Bleibeabsicht werden und in die Arbeitsmigration übergehen (vgl. Oswald, 2007, S. 74 ff.). Der wesentliche Unterschied zwischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten liegt somit nicht in Anbetracht der Migrationsentscheidung, sondern in der Komplexität des Asylverfahrens. Die Anerkennung kann sich über mehrere Jahre ziehen, während welcher die Asylbewerber mehreren Auflagen, wie dem Arbeitsverbot oder beschränkten Selbstversorgungsmöglichkeiten, unterworfen sind und meist in Sammelunterkünften leben (vgl. Heckmann, 1992, S. 24 f.). Da der Ausländerbegriff häufig negativ assoziiert wird, bemüht sich die Öffentlichkeit darum den Zuwandererbegriff zu verwenden, da jener weitaus mehr Akzeptanz erzeugt (vgl. Ackermann et al., 2006, S. 11). In der vorliegenden Arbeit werden im Theorieteil Personen ohne Migrationshintergrund der Einfachheit halber als Deutsche bezeichnet. Die Begriffe Migrant und Zuwanderer werden synonym verwendet. Da (Spät-)Aussiedler und Ausländer, sprich Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, in Bezug auf die Integration in einem anderen Land vor ähnlichen Herausforderungen stehen (vgl. Oswald, 2007, S. 103), können sie alle unter den Begriff Migrant/Zuwanderer zusammengefasst werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Bevölkerung mit Migrationshintergrund in absoluten Zahlen (in Tausend), Anteile an der Gesamtbevölkerung in Prozent, 2015

3 Zahlen und Fakten

Im Jahr 2015 betrug die Anzahl der Gesamtbevölkerung in Deutschland rund 81,4 Millionen Menschen. Laut dem Mikrozensus des Jahres 2015 hatten davon etwa 17,1 Millionen Einwohner einen Migrationshintergrund (Zugewanderte und ihre Nachkommen), also etwa jede fünfte in Deutschland lebende Person (vgl. Abbildung 1). Unter ihnen waren die Deutschen mit Migrationshintergrund, die sich in (Spät-) Aussiedler und eingebürgerte Zuwanderer unterteilen, mit 9,3 Millionen gegenüber den Ausländern mit 7,8 Millionen in der Mehrheit (vgl. Statistisches Bundesamt, 2016a, S. 7). Allerdings ist der Anteil letzterer von 2012 bis 2015 um 19,6 Prozent angestiegen, während der Anteil der Deutschen mit Zuwanderungshintergrund mit einem Anstieg von 5,7 Prozent verhältnismäßig stabil geblieben ist (vgl. gelbe Schattierungen in Tabelle 1). Die größte bisherige Steigung lässt sich bei den Ausländern zwischen 2014 und 2015 verzeichnen (vgl. dunkelgelbe Schattierungen in der Tabelle 1). Dies hängt überwiegend mit den Schutzsuchenden, die im vergangenen Jahr einen Asylantrag stellten, zusammen. Gemäß den Angaben des BAMF wurden in dem Jahr insgesamt 476.649 Asylanträge eingereicht, davon waren 441.649 Erstanträge und 34.750 Folgeanträge (vgl. BAMF, 2015b, S. 4)[9]. Die meisten kamen aus Syrien, Afghanistan und Irak (vgl. ebd., S. 5) – diese Personengruppen bilden den Hauptschwerpunkt dieser Arbeit. Im bisherigen Berichtsjahr (Januar bis November 2016) wurden insgesamt 723.027 Asylanträge vom Bundesamt entgegengenommen, dies bedeutet eine Erhöhung der Antragszahlen um 70,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr desselben Zeitraums (425.035 Asylanträge von Januar bis November 2015) (vgl. BAMF, 2016, S. 4).

Wird die Gesamtanzahl aller Zuwanderer des Jahres 2015 mithilfe von Tabelle 1 mit den Mikrozensus-Daten der Vorjahre verglichen, so ist festzustellen, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ausnahmslos stetig steigt (vgl. rote Schattierung in Tabelle 1), während die der Menschen ohne Migrationshintergrund im Großen und Ganzen sinkt. Von 2013 auf das Jahr 2014 gab es zwar einen leichten Anstieg, verglichen mit dem Jahr 2005, in dem die Anzahl derer bei 66, 9 Millionen lag und dem Jahr 2015, in dem sie auf 64,3 Millionen gesunken ist, lässt sich jedoch eher eine rückläufige Tendenz der Menschen ohne Migrationshintergrund erschließen (vgl. blaue Schattierung in Tabelle 1). Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass etwa ein Drittel (35,9 Prozent; 2015) aller in Deutschland lebenden Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund aufwiesen. Generell scheinen Zuwanderer mit einem Durchschnittsalter von 36 gegenüber den Deutschen ohne Migrationshintergrund mit einem Durchschnittsalter von 47,7 Jahren jünger zu sein (vgl. Statistisches Bundesamt, 2016a, S. 7). In Anbetracht dieser Tatsachen stellte die Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ [10] folgende Prognose auf:

„Ohne weitere Zuwanderung und bei gleichbleibender Kinderzahl pro Frau wird die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2050 voraussichtlich von derzeit 82 Millionen auf weniger als 60 Millionen sinken. In diesem Fall würde die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland von heute 41 auf 26 Millionen zurückgehen. Die Lebenserwartung der Menschen steigt, die Zahl der Geburten geht weiter zurück, die Bevölkerung altert insgesamt. Dies gilt auch dann, wenn zukünftig wieder mehr Kinder pro Familie geboren werden sollten, da es bereits jetzt weniger potenzielle Eltern als in früheren Generationen gibt“ (Bundesministerium des Innern, 2001, S. 26).

„Wir brauchen Zuwanderung“, weil sich die deutsche Bevölkerung andernfalls angesichts der fortschreitenden demokratischen Entwicklung voraussichtlich mit unerwünschten „Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Innovationskraft von Wirtschaft und Gesellschaft“ auseinandersetzen muss (ebd., S. 11). Dementsprechend muss das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern verbessert und die Integration von nach Deutschland neu hinzukommenden Menschen gefördert werden, um den bislang herrschenden Wohlstand sicherstellen zu können. Dies zu erreichen wird in den nächsten Jahrzehnten zu den wichtigsten politischen Aufgaben gehören (vgl. ebd.). Im nachfolgenden Kapitel werden Möglichkeiten aufgezeigt wie Integration gelebt werden kann.

Tab. 1: Bevölkerung nach Migrationshintergrund in Tausend. Die Daten beruhen auf dem Mikrozensus der Jahre 2005-2015 (in Anlehnung an das Statistisches Bundesamt, 2016b)

Abbildung in dieser eseprobe nicht enthalten

4 Sport als Integrationsmotor – theoretische Grundlagen

In der Grundsatzerklärung des Deutschen Sportbundes (DSB)[11] zum Thema „Sport und Zuwanderung“ heißt es, dass der Sport die „Verständigung zwischen den Kulturen“ fördert und „einen wichtigen und wertvollen Beitrag zum demokratischen und toleranten Zusammenleben leiste[t]“ (DSB, 2004, S. 5 f.). Ebenso geht aus dem Sportbericht der Bundesregierung hervor, dass nur der Sport Menschen mit unterschiedlicher Sprache, Hautfarbe und Religion so mühelos und unkompliziert zusammenbringen könne (vgl. Bundesministerium des Innern, 2006, S. 89 f.). Infolgedessen wird insbesondere dem organisierten bzw. dem vereinsbezogenen Sport eine besondere Rolle zugeordnet, weshalb er als „Integrationsmotor“ gilt. Um die Integration von Zuwanderern effizient unterstützen zu können, verpflichteten sich der Bund, die Länder, die Kommunen und die Verbände im Nationalen Integrationsplan [12] zur Ergreifung vielfältiger Maßnahmen (vgl. Bundesregierung, 2007). Dementsprechend dienen unter anderem Kampagnen wie „Sport spricht alle Sprachen“ oder „Sport tut Deutschland gut“ dazu vor allem Personen mit Migrationshintergrund in den organisierten Sport einzubinden. Dieser soll durch seine werteorientierten Inhalte sowie durch den organisatorischen Aufbau Integration erzielen. Hier verbinden sich gesellschaftspolitische Ambitionen mit spezifischen Verbandsinteressen (vgl. Mutz, 2012, S. 12 ff.; Braun & Nobis, 2011, S.18).

In diesem Kapitel wird zunächst der Begriff Integration definiert sowie verschiedene Auffassungen von Integration vorgestellt. Neben dem Vereinswesen im Allgemeinen wird auf die Herausforderungen, die den Vereinen bevorstehen und auf das damit verbundene Verbandsinteresse der Mitgliedergewinnung, eingegangen. Inwiefern der (organisierte) Sport den soeben beschriebenen, positiven Zusprüchen in Bezug auf Integration gerecht wird und was die Schwierigkeiten dabei sind, geht es aus dem Darauffolgenden hervor. Abschließend werden bisher durchgeführte sowie mögliche integrative Maßnahmen vorgestellt.

4.1 Der allgemeine Integrationsbegriff

„Unter Integration wird – ganz allgemein – der Zusammenhalt von Teilen in einem „systematischen“ Ganzen verstanden, gleichgültig zunächst worauf dieser Zusammenhalt beruht. […] Die Integration eines Systems […] [definiert sich] somit über die Existenz von bestimmten Relationen der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den Einheiten und der Abgrenzung zur jeweiligen Umwelt […] durch ihre Interdependenz“ (Esser, 2001, S. 1).

Über das Ausmaß der Eingliederung und Einbindung sagt der Begriff nichts aus, wobei sich, je nachdem wie stark die wechselseitigen Relationen ausgeprägt sind, zwangsläufig unterschiedliche Abstufungen ergeben (vgl. Fassmann, 2007, S. 1 f.). „Integration kann für perfekte Anpassung stehen wie für eine lose Eingliederung von gesellschaftlichen Gruppen“ (Fassmann, 2007, S. 1). Damit ist zunächst nicht nur die ausländische Bevölkerung einer Gesellschaft gemeint, sondern alle in ihr existierenden Personengruppen. Im Klartext bedeutet dies, dass kein systematisches Ganzes vorliegen kann, wenn Zuwanderer und Einheimische nicht untereinander interagieren und folglich anstelle des Ganzen voneinander unabhängige Teilsysteme bestehen (vgl. Fassmann, 2007, S. 1 f.). In der Literatur wird zudem zwischen Systemintegration und Sozialintegration unterschieden (vgl. Esser, 2001, S. 3). Ersteres bezieht sich auf die Ebene der Gesellschaft und meint damit das eingebundene Ausmaß in das institutionelle Grundgefüge sowie die Partizipation im politischen System, wobei sich Letzteres auf die Integration von einzelnen Individuen durch soziale Beziehungen, bezieht (vgl. Fassmann, 2007, S. 2). Grundsätzlich können beide Systeme unabhängig voneinander existieren[13], wobei sie im Großen und Ganzen miteinander einhergehen, da „es bei extrem geringer Systemintegration auch nur eine geringe Sozialintegration bei den Akteuren geben kann“ (Esser, 2001, S. 5) und andersherum. Das bisher Genannte ist allgemein zutreffend und noch nicht auf ethnische Gruppen bezogen. Um daher im Rahmen dieser Masterarbeit den Schwerpunkt auf Zuwanderer zu lenken, wird nun die doppelte Perspektive, und zwar die Relation der Sozialintegration in die Herkunftsgesellschaft auf der einen Seite und die der Aufnahmegesellschaft auf der anderen Seite, genauer erläutert. Marginalität, Segmentation, Mehrfachintegration und Assimilation – so lauten die vier verschiedenen Typen der Sozialintegration von Migranten und ethnischen Minderheiten:

1) Die Marginalität ergibt sich, wenn ein Zuwanderer weder in die Aufnahmegesellschaft, noch in die Herkunftsgesellschaft integriert ist. Dementsprechend gehört er zu keinem gesellschaftlichen System und „ist ein Fremder, wohin auch immer er geht“ (Esser, 2001, S. 15). Im dem von Robert Ezra Park entworfenen Konzept des „race-relation-cycle“ wird solch eine Person als „marginal man“ bezeichnet. Dieser löst sich zu Gunsten der neuen Umgebung von den Zwängen seiner alten Kultur. Gleichzeitig wird er aufgrund von Vorurteilen nicht von der neuen Gesellschaft akzeptiert. Als mögliche Folge dessen sieht Park in solch einer desorientierten Persönlichkeit die Kriminalisierung (vgl. Farwick, 2009, S. 28 f.).
2) Die Segmentation wird bei Migranten häufig beobachtet (vgl. Esser, 2007, S. 20). Sie entspricht der fehlenden sozialen Integration in die Aufnahmegesellschaft. Im Gegensatz zum marginal man sind sie auf der Ebene der Herkunftsgesellschaft stark verwurzelt und leben deshalb in ethnischen Wohnquartieren, bei denen es sich meistens um infrastrukturschwache innerstädtische Gebiete handelt. Folglich besteht die Gesellschaft aus mehreren Subgruppen, deren Relationen zueinander auf ein Minimum beschränkt sind (vgl. ebd., S. 20; Fassmann, 2007, S. 4). Sozialintegration kann jedoch nur gelingen, wenn Interaktionen über die Primärgruppe hinausgehen (vgl. Oswald, 2007, S. 110).
3) Die Mehrfachintegration definiert sich durch eine erfolgte Sozialintegration in die Aufnahmegesellschaft auf der einen Seite, sowie eine weiterhin existierende Sozialintegration in die Herkunftsgesellschaft. Manifestationen solch einer „multikulturellen“ Sozialintegration sind die Mehrsprachigkeit, die Vermischung sozialer Beziehungen und die multiple Identifikation (vgl. Fassmann, 2007, S. 4).
4) Assimilation bedeutet, dass sich Zuwanderer gänzlich mit der Aufnahmegesellschaft identifizieren, indem sie ihre ethnische Kultur ablegen und dadurch zu Einheimischen werden (vgl. ebd.). Diese Auffassung von Assimilation wird nach Ronald Taft auch als monistische Assimilation bezeichnet (vgl. Han, 2005, S. 321 f.). „Sie beruht auf der Vorstellung, dass man die Wertvorstellungen der dominanten Mehrheit positiver bewertet als die der Minderheiten“ (ebd., S. 322). „Assimilation in diesem Sinne findet eher bei Einzelnen als in einer Minderheitengruppe statt, weil in jeder ethnischen Minderheitengruppe das Bestreben vorhanden ist, ihre ethnische Tradition und Kultur zu pflegen und aufrechtzuerhalten“ (ebd., S. 321).

Zur Veranschaulichung der soeben vorgestellten Relationen dient die dichotomisierte Darstellungsweise der Vierfeldertafel in Abbildung 2.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Typen der Sozialintegration von Migranten (Esser, 2007, S. 19)

Ethnische und kulturelle Vielfalt wurde insbesondere bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts überwiegend durch die Assimilationsvorstellung geprägt. Kultureller Pluralismus wurde als Hindernis angesehen, den es zu überwinden galt (vgl. Heckmann, 1992, S. 165; Han, 2005, S. 321). Auch wenn die politische Leitvorstellung bezüglich der Integration nach wie vor vorherrschend durch die Assimilationsform geprägt ist, entwickelte sich dem kulturellen Pluralismus gegenüber seit den 60er Jahren eine zunehmende Akzeptanz (vgl. ebd., 1992, S. 166). Diese Entwicklung gründet auf mehreren Faktoren. Der Migrationsprozess ist als lange Phase der Resozialisation zu verstehen, in welcher sich Zuwanderer zunächst die funktionalen Lern- und Anpassungsprozesse (Akkomodation) aneignen. Dazu gehört beispielsweise das Lernen der Sprache sowie von Verkehrsregeln oder das Bezahlen von Rechnungen, um in der Gesellschaft interaktions- und arbeitsfähig sein zu können (vgl. Oswald, 2007, S. 111; Heckmann, 1992, S. 168). Der nächste Schritt wäre dann Handlungsmuster und Werte der Herkunftskultur aufzugeben. Dabei erzeugen die kulturellen Unvereinbarkeiten Stresssituationen, die eine Persönlichkeitsdestabilisierung, verschiedene Arten von Aggressionen oder mangelnde Identifikation mit der neuen Gesellschaft verursachen (vgl. ebd., 1992, S. 168, S. 175). „Dieser lange und komplexe Prozess ist störungsanfällig und stark abhängig vom politischen Willen der Aufnahmegesellschaft, Institutionen entsprechend zu gestalten und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren“ (Oswald, 2007, S. 111). Eine uneingeschränkte Integration, speziell für Asylsuchende und teilweise für Arbeitsmigranten, war von der Politik lange Zeit jedoch nicht vorgesehen. Da die Integration innerhalb des umfassenden Assimilationsprozesses allerdings ein Teilprozess ist, geriet die defensiv orientierte Integrationspolitik seitens der Öffentlichkeit unter massiven Druck als sich die beiden Personengruppen in Deutschland dauerhaft niederließen (vgl. Han, 2005, S. 334, S. 342). Angesichts all dieser Tatsachen war eine Weiterentwicklung bisheriger Konzepte unabdingbar (vgl. Oswald, 2007, S. 101). Dementsprechend zielte die pluralistische Assimilation auf die Erhaltung und Akzeptanz kultureller Unterschiede in einer Gesellschaft ab (vgl. Han, 2005, S. 322).

4.2 Vereinswesen in Deutschland

„In einer einfachen Definition kann man freiwillige Vereinigungen als frei gewählte Zusammenschlüsse von Menschen charakterisieren, die ihre Ziele gemeinsam im Rahmen einer formalen – d.h. geplanten, am Ziel der Vereinigung ausgerichteten und von bestimmten Personen unabhängigen – Organisationstruktur zu verfolgen suchen“ (Braun & Nagel, 2003, S. 517).

Bei freiwilligen Vereinigungen handelt es sich vorwiegend um Non-Profit-Organisationen wie Vereinen oder Stiftungen (vgl. Braun, 2003, S. 47 f.). Diese Definition lässt bereits Rückschlüsse auf die idealtypischen Merkmale von organisierten Vereinen schließen.

Das erste Kriterium wird durch die freiwillige Mitgliedschaft gebildet. Demgemäß kann sich eine Person für einen Beitritt oder Verbleib entscheiden, wenn das Angebot und die Ziele des Vereins mit den eigenen Interessen und Erwartungen übereinstimmen, ebenso kann sie jederzeit ohne sich daraus ergebende Folgen austreten, wenn dem nicht so ist. Allerdings kann der Verein Bedingungen (Aufnahmegebühren, Mitgliedsbeiträge, Mitarbeit etc.) aufstellen, deren Erbringung für das potenzielle Mitglied verpflichtend wäre. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder solch einer Vereinigung beitreten kann, denn aufgrund der inneren Homogenisierung bilden sie häufig ein geschlossenes soziales Netzwerk (vgl. Heinemann, 2007, S. 128 ff.; Braun, 2003, S. 48).

Das Kriterium der Orientierung der Organisationsziele an den Mitgliederinteressen ist entscheidend für den Fortbestand der Vereine, denn deren inhaltlich festgelegte Ziele hängen mit der Motivation der Mitglieder zusammen. Wird das Versprochene nicht in die Praxis umgesetzt, erhält der Verein folglich einen „Funktionsverlust“, wodurch die Gefahr des Mitgliederaustrittes entsteht (vgl. Heinemann, 2007, S. 131 ff.; Braun, 2003, S.48). Agricola und Wehr (1997, S. 20) beschreiben die Bedingungen für den Erhalt eines Vereines folgendermaßen: „Der idealtypische Personenverein gewinnt seine Entscheidungsgrundlagen durch und über seine Mitglieder. Sein Existenzrisiko besteht darin, dass er eines Tages nicht mehr dem Bedarf seiner Mitglieder entspricht oder daß seine Mitglieder aussterben“.

Ein weiteres Charakteristikum von Vereinen ist deren Autonomie von Dritten. Durch den Besitz einer unabhängigen Führungsstruktur sind sie in der Lage sich selbst zu verwalten (vgl. Braun, 2003, S. 46 ff.). Ebenso müssen die (finanziellen) „Mittel für die Zielerreichung aus eigener Kraft (bzw. der Leistungsbereitschaft seiner Mitglieder)“ aufgebracht werden (Heinemann, 2007, S. 132). Demzufolge sind sie von Ressourcen Dritter unabhängig – dies ist grundlegend für die selbstbestimmende Zielverfolgung (vgl. Braun, 2003, S. 48).

Angesichts der autonomen Selbstverwaltung ist die Freiwilligenarbeit ein konstruktives Merkmal von Vereinen (vgl. Heinemann, 2007, S. 132). „Die Ziele werden durch die Verbindung verschiedener Formen der freiwilligen Mitgliederbeteiligung und -mitarbeit in die […] Praxis umgesetzt“ (Braun, 2011, S. 32). Die Vorstandsführung erfolgt durch ehrenamtlich tätige Personen. Des Weiteren werden anfallenden Arbeiten für eine gemeinsame Sache spontan durch aktive Vereinsmitglieder unentgeltlich ausgeführt (vgl. Agricola & Wehr, 1997, S. 17, S. 61). In Deutschland beschäftigen rund ein Viertel der Vereine bezahlte Mitarbeiter (vgl. Breuer & Feiler, 2015, S. 24), die in der Regel für administrative Aufgaben eingesetzt werden (vgl. Agricola & Wehr, 1997, S. 17), um ehrenamtliche Mitarbeiter zu entlasten. Allerdings entsteht dadurch das Problem der Zeitparadoxie. Einerseits ist der Arbeitseinsatz ehrenamtlich Tätiger zeitlich begrenzt, anderseits wird durch die verringerte Mitwirkung am Geschehen die Einbindung in die Gruppe sowie die Selbstverwaltung, die wesentlich zur freiwilligen Mitarbeit motivieren, geschwächt (vgl. Heinemann, 2007, S. 130). Im Großen und Ganzen ist die auf Freiwilligenarbeit begründete Hilfsbereitschaft und Solidarität eine unentbehrliche Ressource für Vereine (vgl. Braun, 2003, S. 95).

Neben dem freiwilligen Engagement erfolgt die autonome Selbstverwaltung der Vereine mittels demokratischer Entscheidungsstrukturen (vgl. Braun, 2003, S. 48). Demzufolge regen Vereine zur Mitwirkung am vereinspolitischen Geschehen an, „denn demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sind die Voraussetzung dafür, dass Mitglieder ihre Interessen“ artikulieren (Baur & Braun, 2003, S. 19). Unabhängig davon erwerben die Mitglieder unter anderem durch das Leiten von Sitzungen, das Organisieren von Veranstaltungen, das Halten von Reden oder das Sammeln von Mehrheiten die Organisationsfähigkeit, welche zum Handwerk eines demokratischen politischen Systems gehört (vgl. Heinemann, 2007, S. 147). Angesichts der interaktiven Prozesse, die sich in Vereinen abspielen, gelten Vereine als Nährboden bürgerschaftlicher Kompetenzen (vgl. Baur, 2003, S. 92; Braun & Nagel, 2003, S. 518).

„Diese Kompetenzen [ließen sich] […] auf andere Lebensbereiche übertragen, so dass aus freiwilligen Vereinigungen letztlich der „kompetente Bürger“ hervorginge, der über entsprechende kognitive und sozialmoralische Eigenschaften verfüge, die in demokratischen Gesellschaften als qualifikatorische Zugangsvoraussetzungen zum Bürgerstatus zu betrachten seien“ (Braun & Nagel, 2003, S. 518).

Mit rund 30 Mio. Mitgliedschaften in etwa 90.000 Sportvereinen bilden sie die größte Personenvereinigung Deutschlands[14]. Zusammen mit den soeben beschriebenen Strukturbesonderheiten überrascht es daher nicht, dass insbesondere den Sportvereinen zivilgesellschaftliche Integrationsprozesse zugeschrieben werden (vgl. Braun & Nobis, 2011, S. 13). Neben dem Einüben von Verhaltensweisen und Tugenden, wie Kommunikations-, Kooperations- und Hilfsbereitschaft, denen eine nachhaltige Wirkung nach außen nachgesagt wird (vgl. ebd., S. 32), sollen Sportvereine zudem aufgrund der Non-Profit-Struktur kostengünstig und somit für jedermann leicht zugänglich sein (vgl. Baur & Braun, 2003, S. 14). Außerdem wird dem Sport aufgrund der vornehmlich körperlichen und dementsprechend nonverbalen Aktivität sowie aufgrund der ethnisch gemischten Konstellation und den daraus resultierenden sozialen Beziehungen (soziale Integration), eine hohe Integrationskraft zugesprochen (vgl. Kapitel 4.3) (vgl. Mutz, 2012, S. 15 f.).

„,Assoziative Demokratie‘ lautet eine entsprechende Vision, in der die Zusammenschlüsse engagierter Bürgerinnen und Bürger als Paradebeispiel für soziale Kohäsion, als Ressource gelebter Solidarität und Prüfstein für die innere Konsistenz einer ‚integrierten Gesellschaft‘ beschrieben werden“ (Braun & Nobis, 2011, S. 11).

Braun und Nobis (2011, S. 11) bezeichnen solche Zusammenschlüsse bzw. freiwillige Vereinigungen als „Assoziationswesen“, andere Autoren wiederrum als Dritter-Sektor-Organisationen (vgl. Abbildung 3) (vgl. Baur & Braun, 2003; Heinemann, 2007).

„Der Dritte Sektor wird von Organisationen gebildet, die sich zwischen den Polen ‚Markt‘, ‚Staat‘, ‚Familie/informeller Sektor‘ angesiedelt haben. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie (a) im Gegensatz zu Familie und Freundeskreis formale Organisationsformen ausgebildet haben, (b) im Unterschied zu Unternehmen keine erwerbswirtschaftlichen Ziele verfolgen; genauer, dass sie erzielte Überschüsse entweder wiederum nur für die Zwecke der Organisation einsetzen bzw. für gemeinnützige Zwecke verwenden dürfen; (c) im Gegensatz zum Staat keine genuin hoheitlichen Aufgaben erfüllen und damit letztlich weder Familie (informeller Sektor), Staat noch Markt sind“ (Heinemann, 2007, S. 143).

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Abb. 3: Die Organisation des „Drittes Sektors“ zwischen Staat, Markt und dem informellen Sektor (modifiziert nach Braun, 2003, S. 46).

Der Sportverein unterscheidet sich von der formalen Organisation erwerbswirtschaftlicher Unternehmen, aber auch von sozialen Gruppen des informellen Sektors in wichtigen Merkmalen. Letztere sind in der Regel weder an eindeutig definierten Zielen noch an eindeutig ausformulierten sozialen Strukturen ausgerichtet. Fest geregelte Arbeitsteilungen existieren ebenso wenig und wenn doch sind diese meist rudimentär. Stattdessen wird der informelle Sektor durch das sogenannte „Wir-Gefühl“, einen gemeinsamen Konsens, Emotionalität und gegenseitiges Vertrauen geprägt. Im Gegensatz dazu herrscht in Unternehmen (welche dem Marktsektor zugehörig sind) eine formale Organisation, die sich in einer klaren Arbeitsteilung sowie in verschiedenen Autoritätsebenen wiederspiegelt. Dabei geht es nicht um die Orientierung am Gemeinwohlinteresse der Mitglieder, sprich der Mitarbeiter, sondern um die Bedürfnisse und das Interesse (potenzieller) Kunden. Dementsprechend werden die Mitarbeiter nicht über das Zusammengehörigkeitsgefühl oder gemeinsames Interesse, sondern über Arbeitsverträge und Besoldung als Mittel zum Zweck eingebunden (vgl. Heinemann, 2007, S. 129 ff.). Angesichts dieser funktional spezifischen und emotional neutralen Beziehung „können Ziele und Angebote flexibel entsprechend den Änderungen der Marktlage angepasst werden“ (ebd., S. 131). Vereine hingegen schütten ihre Erträge nicht an die Mitglieder oder den Leitenden aus und schützen aus bereits genannten Gründen die Interessen ihrer Mitglieder – damit grenzen sie sich vom Marktsektor ab (vgl. ebd., S. 148; Braun, 2011, S. 32).

„Vereine sind – entgegen der Ethik des Marktes – „Wertegemeinschaften“, die nicht nur auf egoistisch begründeten Rechtsbezeichnungen basieren“. „Vielmehr denkt der Einzelne in seinem Handeln gleichzeitig an den anderen mit, bindet also das „Wir“ in das „Ich“ mit ein“ (Heinemann, 2007, S. 146).

Insofern kommen in organisierten Vereinen zwei unterschiedliche Strukturprinzipien zusammen. Zumal das Mindestmaß an formalisierten Strukturen schwer zu bestimmen ist, gerät der Verein in ein Dilemma. Wird die Arbeitsteilung und Formalisierung zu sehr betrieben, besteht die Gefahr, dass die Motivation der Mitglieder an Kraft verliert (vgl. ebd., S. 129). Um dies zu verhindern, weisen Vereine informelle und damit besondere Strukturen auf. Daraus resultiert eine angenehme Atmosphäre, wodurch die Motivation der ehrenamtlichen Mitarbeit steigt. Im Gegensatz zu kommerziellen Unternehmen gibt es keine explizit formalisierten Regelungen – diese ergeben sich vielmehr aus dem offenen Zusammenspiel der Beteiligten und verfestigen sich im Laufe der Zeit im Handlungsmuster (vgl. ebd., S. 135). Ebenso wenig existieren festgelegte Sanktionen, die den Ausschluss aus dem Verein androhen. Informelle Sanktionen in Form eines mündlichen Tadels oder einer Ironisierung wirken sich „gleichsam moralisierend auf die Gesamtpersönlichkeit“ aus (ebd., S. 136). Der arbeitsteilige Koordinationsbedarf weist in Vereinen ebenfalls einen informellen Charakter auf. Oftmals handelt es sich dabei um spontane oder auf einen speziellen temporären Anlass bezogene lose Zusammenkünfte (vgl. ebd.; Braun, 2003, S. 45 f.). Hinzu kommt, dass Sitzungen nicht unter reinen Effizienzpunkten gestaltet werden dürfen, sondern auch der sozialen Integration und Kommunikation dienen (vgl. Heinemann, 2007, S. 129 f.). Darüber hinaus sind freiwillige Vereinigungen vom Staat getrennt, dies bedeutet jedoch nicht, dass sie deshalb auf staatliche Unterstützungsleistungen verzichten müssen, zumal die Vereine oft im Sinne der Entlastung staatliche Aufgaben übernehmen (vgl. Braun, 2007, S. 46; Heinemann, 2007, S. 144 f.). Angesichts des kooperativen Verhältnisses greift das Vereinskriterium der Unabhängigkeit von Dritten nicht zwingend (vgl. Heinemann, 2007, S. 145). Aufgrund der Tatsache, dass nicht alle soeben ausführlich beschriebenen Kriterien in den Vereinen in idealtypischer Ausprägung vorzufinden sind, werden im Folgenden die Herausforderungen, vor denen die Sportvereine stehen und die eine Abweichung von den idealtypischen Merkmalen herbeiführen, vorgestellt.

4.2.1 Herausforderungen

Oft wird der Anteil der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund unterschätzt. Im Jahr 2015 hatten rund 17,1 Millionen Personen der insgesamt 81,4 Millionen Einwohner einen Migrationshintergrund (Zugewanderte und ihre Nachkommen) – dies sind 723.000 Personen mehr als im Vorjahr (vgl. Statistisches Bundesamt, 2016a, S. 7). Parallel zu diesem Anstieg ist in der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ein Geburtenrückgang festzustellen. Laut der Analyse von Breuer und Wicker (2011a, S. 83, S. 111) zur Situation der Sportarten geben Fußball- und Turnvereine an, angesichts der demografischen Entwicklung in der Region, Probleme mit der Bindung und Gewinnung von Mitgliedern zu haben. Aus den Daten des Sportentwicklungsberichtes 2009/2010 geht hervor, dass im Jahr 2009 2,6 Millionen Mitglieder des Sportvereins einen Migrationshintergrund besaßen (Breuer & Wicker, 2011b, S. 19), was lediglich etwa ein Zehntel des Gesamtmitgliederbestandes ausmacht.[15]

„Diese Unterrepräsentanz von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gewinnt für den vereins- und verbandsorganisierten Sport […] [somit] nicht nur unter einer integrationspolitischen Perspektive an Brisanz, sondern auch unter einer Organisationsperspektive des Sportvereinswesens. Denn im Zuge des demografischen Wandels droht mit dem Schrumpfungsprozess der Bevölkerung das ‚Stammklientel‘ der Sportvereine – die Kinder und Jugendlichen – zu erodieren. […] Sportvereine [handeln] offenbar gerade in Regionen mit hohen Zuwanderungsquoten im wohlverstandenen Eigeninteresse […], wenn sie sich zum Erhalt ihres Mitgliederbestandes interkulturell öffnen und Mitglieder mit Zuwanderungsgeschichte gewinnen“ (Braun & Finke, 2010, S. 7).

Den Daten des Sportentwicklungsberichtes 2013/2014 zufolge ist der Anteil der Mitglieder mit Migrationshintergrund, trotz des kontinuierlichen Anstiegs der Personen mit Migrationshintergrund in der Gesamtbevölkerung, auf 1,7 Millionen gesunken (vgl. Breuer & Feiler, 2015, S. 22). Auf welche Aspekte diese Schwankung letzten Endes zurückzuführen ist, lässt sich allerdings nicht nachvollziehen. Diesbezüglich lassen sich lediglich Vermutungen aufstellen – entweder hängt es mit der Schwierigkeiten der Erfassung der Daten zusammen oder es liegt daran, dass die Vereine die Vorhaben des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bezüglich der Orientierung an den Bedürfnissen der Zuwanderer nicht umsetzten. Dies könnte auch der Grund dafür sein, warum vor allen Dingen zugewanderte Mädchen und Frauen am organisierten Sportgeschehen kaum teilnehmen.

„Während sich z. B. Jungen aus Migrantenfamilien in ihrem sportlichen Engagement kaum von deutschen Jungen unterscheiden, sind die Mädchen deutlich weniger sportlich aktiv als deutsche Mädchen, obwohl unabhängig von der nationalen Herkunft sich fast die Hälfte der Mädchen mehr Möglichkeiten, öfters Sport zu treiben, wünscht“ (DSB, 2004, S. 4).

Demzufolge hängt die Sportabstinenz von Migrantinnen nicht mit mangelndem Sportinteresse zusammen. Schätzungen zufolge liegt der Anteil der erwachsenen Frauen in Sportvereinen gerade einmal bei eins bis drei Prozent (vgl. Klein, 2011, S. 130 f.). Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass die Ergebnisse einer Studie von Kleindienst-Cachay der Stadt Düsseldorf im Jahr 1998 zeigen, dass große Sportvereine keine erwachsenen muslimische Frauen als Mitglieder haben und dass diese wenn nur vereinzelt in Sondersportgruppen, wie zum Beispiel „Sport nach dem Schlaganfall“, vertreten waren (vgl. Kleindienst-Cachay, 2007, S. 19). Mädchen mit ausländischer Herkunft gehören im Vergleich zu den deutschen Mädchen mit 42 Prozent nur zu 28 Prozent einem Sportverein an. Auch hier bilden die türkischen Mädchen im Vergleich zu anderen Ethnien die niedrigste Mitgliedschaftsquote (mehr dazu in Kapitel 4.4.1) (vgl. ebd., S. 20; Klein, 2007, S. 130). Auf der einen Seite stehen die Vereine vor der Herausforderung den Sportinteressen der Personen mit Migrationshintergrund gerecht zu werden, auf der anderen Seite müssen sie wiederum gemäß den Kriterien eines Vereins die Interessen der langjährigen Mitglieder vertreten. Ebenso diskussionswürdig ist die idealtypische Extremansicht des Ehrenamts, die sich in einzelnen Vereinen selten realisiert findet. Dies lässt sich durch das zunehmende Bedürfnis nach Selbstverwirklichung begründen. Das selbstlose Handeln und die „Aufopferung“ für andere, sprich das freiwillige Engagement ist unbezahlt schwer zu gewinnen, da anstelle der „Laientätigkeit“ (beruflich verwertbare) Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen gefordert werden. Demzufolge entwickelt sich in Nonprofit-Organisationen ein Trend der Professionalisierung, welches ein zweckrationales und am eigenen Interesse orientiertes Verhalten mitbringt (vgl. Heinemann, 2007, S. 133; Braun, 2003, S. 95). Während die Anzahl ehrenamtlich Tätigen laut dem Sportentwicklungsbericht 2009/2010 bei 1,85 Millionen lag, so ist sie bis zum Sportentwicklungsbericht 2013/2014 auf 1,7 Millionen gesunken. Des Weiteren konnte ein rückläufiger Arbeitsumfang pro Ehrenamtlichem festgestellt werden. Werden die Vereine und deren volkswirtschaftliche Bedeutung betrachtet, so liegen die den rückläufigen Engagementzahlen zugrunde liegenden Probleme auf der Hand. Bei einer Anzahl von 1,85 Millionen ehrenamtlichen Positionen konnte eine Wertschöpfung von rund 6,7 Milliarden Euro erzielt werden. Anzumerken ist, dass hierbei nicht die Leistungen der etwa 7 Millionen freiwilligen Helfer, die sich unentgeltlich an der Organisation von Vereinsfesten, Sportveranstaltungen, Renovierungen oder Putzaktionen beteiligen, miteingerechnet waren (vgl. Breuer & Wicker, 2011b, S. 18 f.; Breuer & Feiler, 2015, S. 16).

Die Bertelsmann Stiftung hat in einer Studie mittels einer Befragung das Engagement von Jugendlichen (14 bis 24 Jahren) untersucht. Dabei kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass Jugendliche nicht faul oder unmotiviert wären, sondern dass sie aufgrund der steigenden Belastung durch die Umstellung vom neun- zum achtjährigen Gymnasium (G 8) sowie durch die Umstellung der Bachelor- und Masterstudiengänge keine Zeit für Gemeinschaft und Engagement hätten (vgl. Anders, 2011, o. S.). Selbiges gilt für Erwerbstätige, denn in einer Bevölkerungsbefragung von Rosenbladt und Picot (1999, S. 44) nennen Nicht-Engagierte am weitaus häufigsten „Zeitmangel“ als Hinderungsgrund (71 %) für die Ausführung ehrenamtlicher Tätigkeit.

Forciert durch den demografischen Wandel, durch die Entwicklung der Verberuflichung des Ehrenamts sowie durch den Zeitmangel der Gesellschaft suchen Verbände und Vereine nach Alternativen zur Mobilisierung ihrer Ressourcen. Vor diesem Hintergrund bemühen sie sich darum „engagementbereite Mitglieder aus bislang deutlich unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen zu gewinnen“ (Braun & Nobis, 2011, S. 18). Werbeslogans fordern dazu auf das Vereinsgeschehen mitzugestalten statt nur daran teilzunehmen.

„Ob im Vorstand oder als Übungsleiterin, in den Stützpunktvereinen haben rund ein Viertel (26,9 %, 2015) der freiwillig Engagierten“ laut des DOSB (2016, S. 14) einen Migrationshintergrund.[16] Analysen von Breuer, Wicker und Forst (2011, S. 56) zeigen allerdings, dass in Sportvereinen mit höherem Migrantenanteil größere Probleme mit der Gewinnung von Ehrenamtlichen auftreten. Im Jahr 2009 lag der Anteil der Vereinsmitglieder mit Migrationshintergrund von 2,6 Millionen bei etwa 9 Prozent.[17] Nachdem ungefähr 7.600 Sportvereine (8,4 Prozent) bestimmte Strategien und Maßnahmen zur generellen Einbindung von Migranten ergriffen haben, konnte durch die Untersuchungen nach zwei Jahren in ebendiesen Vereinen ein Migrantenanteil von etwa 21 Prozent festgestellt werden. Des Weiteren zeigten die Ergebnisse, dass die Sportvereine durch die Ergreifung von Integrationsmaßnahmen im Vergleich zu den anderen Vereinen deutlich geringere Probleme mit der demografischen Entwicklung in ihrer Region sowie mit der Gewinnung jugendlicher Leistungssportler aufwiesen. Jedoch war ebenso auffällig, dass genau diese Vereine dann Schwierigkeiten mit der Bindung und Gewinnung von ehrenamtlichen Positionen hatten (vgl. Breuer et al., 2011, S. 49-57). Die soeben beschriebenen Erkenntnisse der Analyse lassen sich mithilfe von Abbildung 4 nachvollziehen. Fußballvereine mit mehr als 30 Kindern und Jugendlichen bewerten die Bindung/Gewinnung von Übungsleitern als größeres Problem“ (Breuer et al., 2011, S. 58). Folglich hängt die Problemrelevanz von der Art des Vereins sowie von der Anzahl an Kindern und Jugendlichen ab.[18]

Unabhängig von der Schwierigkeit der Mitglieder- und Engagementgewinnung kommt für die Vereine durch kommerzielle Anbieter, aber auch durch Sportangebote von Kirchgemeinden oder dem Rotem Kreuz, ein weiteres Problem hinzu. Diese richten ihre Angebote nach den Bedürfnissen der „Kunden“ und stellen für Vereine dementsprechend eine Konkurrenz dar (vgl. Breuer & Wicker, 2011, S. 84; Andersen, 2001, S. 169). „Vor gut 20 Jahren besaß der Sportverein weitgehend das Monopol als Sportanbieter“ (Hübner, 1995, S. 107). In dieser Zeit hat sich die Anzahl der Menschen, die außerhalb der Sportvereine Sport treiben schätzungsweise verzehnfacht. Dies hängt jedoch nicht nur mit den gewerblichen Anbietern zusammen, sondern auch mit dem zunehmend selbstorganisiertem Sport, wie den Joggern, den Skateboardfahrern oder den Streetbasketballern (vgl. ebd.). Angesichts all dieser Tatsachen stehen die Vereine vor vielerlei Herausforderungen.

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Abb. 4: Probleme der Vereine nach Migrantenanteil (Breuer et al., 2011, S. 57)

4.3 Sportbezogene Integration

Nachdem im Vorherigen der Integrationsbegriff im Allgemeinen sowie das Vereinswesen in Deutschland erläutert worden sind, findet im folgenden Kapitel eine differenzierte Auseinandersetzung mit Integration statt, in welcher die integrativen Potenziale des Sports im Allgemeinen und insbesondere die des organisierten Sports genauer betrachtet werden.

„Sport verfügt über ein besonderes integratives Potenzial, weil er soziale Fähigkeiten wie Teamwork, Gemeinschaftsgeist, Fairness, Respekt und Toleranz fördert und mehr Menschen zu gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe verhilft. Sport ist somit eine wichtige Triebkraft gesellschaftlichen Zusammenhalts. Darüber hinaus leistet Sport einen wichtigen Beitrag zu Gesundheit, Bildung, Erziehung […] und internationaler Verständigung“ (Schmid, 2015, S. 18).

Angesichts dieser Eigenschaften wird der Sport für Menschen mit Migrationshintergrund als Sprungbrett in die Gesellschaft oder als „Integrationsmotor“ angesehen (vgl. Mutz, 2012; Nobis & Mutz 2011, S.159). Im Nationalen Integrationsplan beschreibt die Bundesregierung (2007, S.139) den Sport als eine „ideale Plattform zur Zusammenführung von Menschen unterschiedlicher Herkunft“. In diesem Sinne wurde 1989 das bislang umfangreichste Integrationsprojekt „Integration durch Sport“ eingerichtet, das vom Bundesministerium des Innern (BMI) und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis heute jährlich in Millionenhöhe finanziert wird (vgl. DOSB, 2010, S. 4; Altenberger, 2015, S. 38; Nobis & Mutz 2011, S. 159). Während das Programm zu Beginn nur für (Spät-)Aussiedler galt, wurde es 2001 für alle Menschen mit Migrationshintergrund ausgeweitet (vgl. DOSB, 2010, S. 4). Allerdings schloss dies zunächst nur Menschen mit Bleiberecht ein – angesichts der politischen Lage wurde das Programm jedoch kürzlich auch für Asylbewerber erweitert (vgl. DOSB, 2016, S. 14). Im Sport wird grundsätzlich zwischen zwei Zielperspektiven unterschieden:

Durch die Integration in den Sport [19] , beziehungsweise durch das Wahrnehmen von Sportangeboten, wird zunächst im Sport die „sportbezogene Handlungsfähigkeit“ und damit eine Verbesserung der sportlichen Kompetenzen und Leistungen erzielt. Neben den motorischen, konditionellen und koordinativen Fähigkeiten zählen dazu sportspezifische Werte und Normen wie Fairness, regelkonformes Verhalten, Hilfsbereitschaft, Durchhaltevermögen und Teamgeist (vgl. Nobis & Mutz, 2011, S. 160; Mutz, 2012, S. 42). Bei der zweiten Zielperspektive spricht man von einer Integration durch den Sport, wobei es sich um den Erwerb „generalisierter Handlungsfähigkeiten“ handelt. Dabei wird angenommen, dass die durch den Sport geschaffenen Strukturen, eine weitreichende, über die Entwicklung der eben erwähnten sportspezifischen Kompetenzen hinausreichende Integrationsprozesse herbeiführen (vgl. ebd. 2011, S. 160).

Im Folgenden werden die Integrationschancen, die durch die Einbindung in und durch den Sport einhergehen können, ausführlicher beschrieben:

Die soziale Integration [20] kann erreicht werden, wenn Personen aus unterschiedlichen Ethnien miteinander in Kontakt kommen und Beziehungen aufbauen. Dieses Potenzial liegt der Tatsache zugrunde, dass sportliche Aktivitäten, insbesondere die der leistungs- und wettkampforientierten Sportarten oder die des Vereinskontextes, prinzipiell soziale Interaktionen einschließen. Die partizipierenden Personen beziehen sich wechselseitig aufeinander, weshalb sich neben der sportlichen die soziale Kompetenz[21] entwickelt. Des Weiteren können durch die Beteiligung am Training über einen längeren Zeitraum hinweg soziale Bindungen oder gar Freundschaften entstehen, die auch außerhalb des Sports gepflegt und gefestigt werden. Neben der sozialen Integration im Sport erfolgt durch den Sport eine implizite, individuelle Entwicklung, denn die durch sportliche Interaktionen angeeigneten Kompetenzen können auf außersportliche Handlungszusammenhänge (z.B. Schule oder Beruf) transferiert werden (vgl. Nobis & Mutz, 2011, S. 161; Mutz, 2012, S. 37 ff.).

Geht es um die kulturelle Integration entsteht häufig die Diskussion zwischen dem assimilativen und dem pluralistischen Integrationskonzept, welche bereits in Kapitel 4.1 vorgestellt wurden. Letzteres zielt auf den Erwerb interkultureller Kompetenzen bei Personen mit und ohne Migrationshintergrund ab. Dementsprechend geht es um den Erwerb alltäglicher Umgangsformen und von Sprachkenntnissen seitens der Zuwanderer sowie um den Abbau von Ängsten und Vorurteilen beiderseits (vgl. Nobis & Mutz 2011, S. 161). Dies kann allerdings „nur dann gelingen, wenn sowohl die Zuwanderer als auch die Einheimischen ein Mindestmaß an Integrationsbereitschaft, Toleranz, Sensibilität und Aufgeschlossenheit mitbringen“ (Nobis & Mutz 2011, S. 161). Ebendies fordert und kommuniziert offensichtlich die DOSB und sieht Verschiedenheit als gesellschaftliche Bereicherung:

„Vielfalt und Besonderheiten unterschiedlicher Kulturen werden nicht als Gegensatz, sondern Ergänzung zueinander und als Gewinn für alle betrachtet. Dazu gehört die Pluralität unserer Gesellschaft sowie die Potenziale, Erfahrungen und Kompetenzen (z. B. Umgang mit verschiedenen Sprachen, Systemen und Kulturen), die Zugewanderte aufgrund ihrer Migrationsgeschichte einbringen können, anzuerkennen und zu nutzen“ (DOSB 2014, S. 5).

In diesem Sinne ist die Integration ein gesellschaftlicher Prozess, der sich damit nicht ausschließlich an die zugewanderte Bevölkerung richtet und erfordert stattdessen ebenso die aktive Mitwirkung der Aufnahmegesellschaft (vgl. DOSB, o.J., S. 12). Näheres zur tatsächlichen Realisierung geht aus dem anschließenden Kapitel hervor.

Die alltagspolitische Integration kann im Sportverein über die Partizipation am vereinspolitischen Geschehen errungen werden (Bundesregierung, 2007, S. 140). Sportvereine bieten nicht nur die Möglichkeit sich an sportlichen Aktivitäten und sozialen Interaktionen zu beteiligen, sondern geben ihren Mitgliedern die Gelegenheit Verantwortung zu übernehmen, indem sie durch demokratische Mitgestaltung und freiwilliges Engagement an den strukturellen Rahmenbedingungen mitwirken (vgl. Braun & Nobis, 2011, S. 14). Durch das Prinzip der Selbstorganisation werden Vereine als „Schule der Nation“ (Mutz, 2012, S. 13) oder als „Demokratie im Kleinen“ (Nobis & Mutz, 2011, S. 32) angesehen. Die Erfahrungen und Kenntnisse, die dabei gesammelt werden, lassen sich auch in außersportlichen Kontexten einsetzen (Braun & Nobis 2011, S. 24). Diese nach Esser (2001) sogenannte Systemintegration führt zusammen mit den vorher beschriebenen sozialen Kompetenzen schließlich zur Ausbildung bürgerschaftlicher Kompetenzen (vgl. Mutz, 2012, S. 39). An dieser Stelle ist es wichtig anzubringen, dass sich die Integrationschancen gleichermaßen auf Personen mit und ohne Migrationshintergrund auswirken.

Ein Slogan wie „Sport verbindet“ suggeriert die Annahme, dass das reine Sporttreiben an sich für Menschen mit Migrationshintergrund eine (sozial)integrative Wirkung hätte. Diese stellt sich beim Sporttreiben jedoch nicht automatisch ein, stattdessen „bedarf es auch im vereinsorganisierten Sport anspruchsvoller, organisatorischer und konzeptioneller Arrangements“, um die sportintegrativen Potenziale aktivieren zu können (Braun & Finke, S. 2011, S. 137). Dementsprechend muss der Integrationsprozess im und durch den Sport aktiv gestaltet werden (vgl. DOSB, 2010, S. 5). Wie die Gestaltung solcher Maßnahmen aussehen kann, sind dem Kapitel 4.5 zu entnehmen.

4.3.1 Ein kritischer Überblick

In der Theorie werden dem Assoziationswesen und damit auch den Vereinen maßgebliche Integrationseffekte zugeschrieben. Aus empirischer Sicht hingegen bestehen diesbezüglich nach wie vor Defizite (vgl. Braun, 2003, S. 89). Baur, Burrmann und Nagel (2003, S. 162) zufolge handelt es sich bei den Integrationsthesen lediglich um Plausibilitätsannahmen. Im Folgenden werden die Faktoren, die auf solch eine Annahme hindeuten, ausführlicher behandelt.

Pilz (1982) sieht den Sport als einen Motor für Gewaltentwicklung. Er kritisiert, dass Sport in vielen Hinsichten als „Allheilmittel“ beschrieben wird. Stattdessen gibt es im Gegensatz zum Sport als Integrationsmotor empirische Befunde dafür (vgl. Klein, 2002, S. 160), dass „Unfairneß und die Bereitschaft zu gewalttätiger Regelverletzung umso größer wird, je intensiver die Verbindung mit dem Sport und je länger der Sport ausgeübt wird“ (ebd.). Die Konflikte im Fußball als idealtypisches Beispiel machen dies besonders deutlich. Der Fußballsport ist die Nationalsportart vieler Länder, dementsprechend hoch emotional besetzt und folglich ein Katalysator für Konfliktaustragungen (vgl. Klein et al., 2000, S. 312). Auch Mutz (2012, S. 85) vertritt die Auffassung, dass der Sport „als Bühne für einen ‚Kampf der Kulturen‘ geradezu prädestiniert“ sei. Abgesehen vom Wandel des Zuschauerverhaltens (Hooligans) sind Begegnungen zwischen einer deutschen und einer anderen ethnischen Mannschaft oder zwischen zwei ethnisch verschiedenen Mannschaften im Amateurfußball und in den unteren Klassen der Fußball-Ligen häufig mit verbalen Provokationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen verbunden (vgl. ebd.; Mutz, 2012, S. 84). In Anbetracht dieser Tatsache wird der ambivalente Charakter des Sports erkennbar – „Sport verbindet und trennt “ (Jütting, 1995, S. 160).

Der Sportverein als Freiwilligenorganisation ist weitgehend auf die Beteiligung und Mitgestaltung seiner Vereinsmitglieder angewiesen. Durch deren solidargemeinschaftliches Engagement werden wiederum die ihm zugrunde liegenden sozialen Beziehungen und Werteorientierungen verstärkt. Im Zusammenhang mit den gemeinsam geteilten Interessen und Überzeugungen entsteht eine homogene Gruppe, die als „Vereinsmeierei“ bezeichnet wird. Im Sprachgebrauch wird dieser Begriff als eher negativ angesehen. Problematisch an Vereinen mit einer hohen sozialen Integration ist, dass sie mit einer ausgeprägten Tendenz zur sozialen Geschlossenheit nach außen einhergehen (vgl. Baur et al., 2003, S. 165). In anderen Worten: „Für den solidargemeinschaftlichen Sportverein wird die eigene Mitgliederschaft die primäre Zielgruppe darstellen, zu deren Gunsten Dritte eher ausgeschlossen werden“ (ebd., S. 165). Dementsprechend wird dem organisierten Sport häufig fehlende interkulturelle Öffnung zugeschrieben (vgl. Ilgün-Birhimeoğlu, 2014, S. 378). Obendrein geht aus der Grundsatzerklärung des DSB „Sport der Ausländischen Mitbürger“ von 1981 hervor, dass Migrantenvereine aus Angst vor Überfremdung der deutschen Vereine entstanden sind (vgl. Deutscher Bundestag, 2009, S. 6).

Die teilweise fremdenfeindliche Reaktion der deutschen Bevölkerung hängt unter anderem mit der aufkommenden Angst zusammen, die entsteht, wenn es um die Verteilung von Gütern geht. Aufgrund deren Knappheit (z.B. Wohnungen und Arbeitsplätze) werden „Fremde“ als eine Bedrohung und schließlich als Konkurrenten empfunden. Die Angst vor Überfremdung und das Konkurrenzdenken begründen sich zum einen im Geburtenrückgang der einheimischen Bevölkerung und zum anderen in der vermehrten Zuwanderung von außen (vgl. Oppat, 2010, S. 15 ff.; DOSB, o. J., S. 13). „Der Fremde als Exot und ein dementsprechendes positives Interesse ihm gegenüber, trifft meist nur in dieser Form im Urlaub auf, dort, wo er keine unmittelbare Bedrohung darstellt“ (Oppat, 2010, S. 15). Wenn auch nicht gewollt, entsteht Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber eine Wertung, die mitschwingt und die Betroffenen vermuten lässt, eher geduldet als erwünscht zu sein (vgl. DOSB, o.J., S. 14). Daraus resultiert, dass seit der Mitte der neunziger Jahre eine „Tendenz zum Rückzug auf die eigene Bevölkerungsgruppe zu beobachten“ ist (ebd.). Dies liegt insbesondere der Suche nach Identität und Anerkennung zugrunde (vgl. ebd.). Mittlerweile haben die Verbände von dem Gedanken der Überfremdung Abschied genommen und verfolgen stattdessen in Bezug auf eine gelungene Integration tolerante und partizipatorische Ansätze. Entsprechend den neu angelegten Grundsätzen des DSB wird Vielfalt als eine Bereicherung angesehen, weshalb dazu aufgefordert wird sich interkulturell zu öffnen, damit eine Annäherung von Kulturen erfolgen kann (vgl. Deutscher Bundestag, 2009, S. 6; DSB, 2003, S. 6).

Ebenso sollten die Auswirkungen der Entwicklung von Migrantenvereinen im Sinne der Integration differenziert betrachtet werden. Und zwar wird die in Kapitel 4.1 beschriebene soziale Integration auch in Migrantenvereinen realisiert. Setzen sich die Vereinsmitglieder aus einer bestimmten Ethnie zusammen, so ist innerhalb der jeweiligen Organisation sogar mit einer starken sozialintegrativen Wirkung zu rechnen (vgl. Baur, 2003, S. 491). Demnach erbringen ethnische Sportvereine einerseits die gleichen allgemeinen Sozialisations- und Integrationsleistungen wie es auch andere Vereine tun und sie bringen Migranten, die sonst für deutsche Sportvereine nicht zu gewinnen wären zum Sport[22]. Andererseits kann durch die Segregation kaum Kontakt zwischen Deutschen und Migranten hergestellt werden, sodass die sozialen Distanzen zwischen ihnen stetig vertieft werden. Um das integrative Potenzial des Sports jedoch völlig ausschöpfen zu können, bedarf es einer interkulturellen Verständigung (vgl. Stahl, 2011, S. 66; DOSB, 2010, S. 6).

[...]


[1] UN-DESA: United Nations-Department of Economic and Social Affairs

[2] OECD: Organisation for Economic Co-operation and Development

[3] Beim Mikrozensus handelt es sich um eine repräsentative Befragung der amtlichen Statistik in Deutschland. Stellvertretend für die gesamte Bevölkerung wird 1 % der Bevölkerung stichprobenartig zu ihren Lebensbedingungen befragt (vgl. Ackermann et al., 2006, S. 12).

[4] Ebenso gewinnt die Begrifflichkeit „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ zunehmend an Bedeutung (vgl. Mayer & Vanderheiden, 2014, S. 45).

[5] Aus Gründen der Lesbarkeit werden in dieser Arbeit nur männliche Personenbezeichnungen verwendet.

[6] Die „Volkszugehörigkeit“ suggerierte zunächst die Annahme, dass es sich bei der Zuwanderung von (Spät-)Aussiedlern lediglich um eine Verlegung des Wohnortes handle und dass sie daher im Wesentlichen dieselben Lebensweisen und Wertevorstellungen hätten. Erst als erkannt worden ist, dass es sich auch bei ihnen um eine „echte“ Einwanderung und daraus resultierenden Problemen handelt, wurden Integrationsmaßnahmen unternommen (vgl. Oswald, 2007, S. 104).

[7] Einer Internetquelle nach erließ 1762 die russische Zarin Katharina II. ein Einladungsmanifest für Ausländer, insbesondere für Deutsche, indem sie sie dazu einlud sich im Zarenreich niederzulassen. Sie erhoffte sich dadurch wirtschaftlichen Aufschwung und sicherte den Siedlern Privilegien, wie die Befreiung vom Militär- und Zivildienst und befristete Steuerfreiheit, als Anreiz zu. „Die deutsche Siedlungsbewegung war damit ganz offensichtlich eine Folge der gezielten Werbung durch das russische Reich“ (Schneider, 2005, o.S.).

[8] Zu Beginn der Fünfzigerjahre fehlte es der Bundesrepublik aufgrund der Kriegstoten und –gefangenen, im Sinne der wachsenden westdeutschen Wirtschaft, an Arbeitskräften. Durch organisiertes Anwerben wurden Arbeitskräfte aus südeuropäischen Ländern gesucht. Auf diesem Wege sind bis 1973 etwa 14 Millionen Ausländer in Deutschland eingewandert, von denen rund 3 Millionen nicht in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren (vgl. Ackermann et al., 2006, S. 13). „Seit dem ‚Anwerbestopp‘ von 1973 können Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Staaten nur dann in die Bundesrepublik übersiedeln, wenn ihre Stelle nicht durch einen Arbeitnehmer deutscher Staatsangehörigkeit bzw. durch einen EU-Bürger zu besetzen wäre“ (ebd.). EU- und EWR-Bürger (Staatsangehörige des Europäischen Wirtschaftsraums) haben im Sinne der Freizügigkeit zum deutschen Arbeitsmarkt einen unbeschränkten Zugang (vgl. BAMF, 2014). D ie Blaue Karte EU ermöglicht akademischen Fachkräften aus Drittländern einen einfachen und unbürokratischen Zuzug nach Deutschland, solange sie eine Gehaltsmindestgrenze von 49.600 Euro einhalten. Für sogenannte deutsche Mangelberufe (Ärzte, Ingenieure etc.) liegt die Gehaltsmindestgrenze bei nur 38.688 Euro (vgl. BAMF, 2015b, o. S).

[9] Aus der IT-Anwendung EASY (E rstverteilung der Asy lbegehrenden) geht hervor, dass im Jahr 2015 tatsächlich fast 1,1 Millionen Schutzsuchende nach Deutschland kamen (vgl. DOSB, 2016, S. 27).

[10] Die Unabhängige Kommission bestand aus einem Gremium unterschiedlicher Gruppen und Lobbys: „Politiker aller wichtiger Parteien aus Bund und Ländern, Interessensvertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Kirchen, Rechtsexperten und Migrationsforscher“ (Ackermann et al., 2006, S. 10 f.).

[11] Im Mai 2006 wurde der Deutsche Sportbund (DSB) „durch den Zusammenschluss mit dem Nationalen Olympischen Komitee in Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) umbenannt“ (Heinemann, 2007, S. 138)

[12] Der Nationale Integrationsplan bietet ebenfalls einen Einblick in die sportintegrativen Potenziale (vgl. Bundesregierung, 2007, S. 140).

[13] Märkte sind ein Beispiel dafür, dass die Systemintegration durch Organisation und formale Beziehungen unabhängig vom Grad der Sozialintegration ablaufen kann. Folglich können die Positionen einer Organisation stetig durch neue Akteure besetzt werden (vgl. Esser, 2001, S. 5).

[14] Mitgliedschaftsquoten sowie die Anzahl der Vereine in Deutschland variieren von Literatur zu Literatur. Die Schätzungen hängen wohlmöglich damit zusammen, dass in Deutschland keine amtliche Vereinsmitgliederstatistik existiert (vgl. Agricola & Wehr, 1997, S. 27).

[15] Wie genau diese Daten zustande kommen, ist unklar. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Schätzungen, da der Migrationshintergrund bei der Anmeldung von den Vereinen nicht abgefragt wird und die Sportverbände demzufolge keine entsprechende Mitgliederstatistik mit dem Merkmal „Nationalität“ führen (vgl. Kleindienst-Cachay, 2007, S. 19).

[16] Wie dieser Prozentanteil zustande gekommen ist, lässt sich nicht nachvollziehen. Von den insgesamt 1,7 Millionen ehrenamtlich Tätigen im Jahr 2013 hatten etwa 45.600 einen Migrationshintergrund – dies würde einem Anteil von 2,7 Prozent entsprechen. Für das Jahr 2015 lässt sich aus dem Sportentwicklungsbericht lediglich die Gesamtzahl der ehrenamtlichen Positionen (1,7 Mio.) entnehmen und macht einen Vergleich daher unmöglich. Es ist nicht anzunehmen, dass sich ein solch rasanter Anstieg in solch einer kurzen Zeit vollzogen hat. Insbesondere deswegen nicht, weil es im Sportentwicklungsbericht 2013/2014 heißt, dass ein signifikanter Rückgang der Ehrenamtlichen mit Migrationshintergrund festzustellen ist. Es besteht die Möglichkeit, dass die 7 Millionen freiwilligen Helfer miteinberechnet worden sind, allerdings ist dann unklar wie die Aufteilung auf die Ehrenamtlichen mit und ohne Migrationshintergrund stattfand. Im Großen und Ganzen lässt sich festhalten, dass es sich bei den Mitgliederzahlen sowie den Angaben über die ehrenamtlich Tätigen um Dunkelziffern handelt. Vergleicht man beispielsweise die letzten vier Sportentwicklungsberichte miteinander, so ist selbst der Rückgang des Ehrenamts anhand der dort angegeben Zahlen nicht gänzlich nachvollziehbar (vgl. Breuer & Wicker, 2011b; Breuer & Feiler, 2013; 2015; 2016).

[17] Bei der Errechnung dieser Prozentzahl ist man von einem Mitgliedergesamtbestand von 30 Millionen ausgegangen.

[18] Dies könnte auch ein Grund dafür sein, warum im Rahmen der Flüchtlingskrise die Integrationsarbeit („1:0 für ein Willkommen“; „Willkommen im Fußball“) überwiegend im Fußballbereich ergriffen wird (vgl. DOSB, 2016, S. 13).

[19] Die Integration in den Sport kann auch als Sozialisation zum Sport bezeichnet werden (vgl. Mutz, 2012, S. 35).

[20] Vergleichbar mit der Sozialintegration nach Esser (2001) (siehe Kapitel 4.1).

[21] Der wechselseitige Bezug von Personen als Voraussetzung für einen Sozialisationsprozess gleicht der interaktionistischen Rollentheorie von Krappmann (1972). Um den Inhalt zu vertiefen, siehe Kleindienst-Cachay, 1983, S. 187 oder Cachay & Kleindienst, 1975, S. 352.

[22] Sozialisations- und Integrationseffekte werden dem Sport zugeschrieben. Mit wem der Sport letztlich ausgeführt wird, ob unter Gleichgesinnten oder nicht, ist irrelevant. Fairness, Regeleinhaltung, Gesunderhaltung kann auch in monoethnischen Vereinen gefördert werden.

Ende der Leseprobe aus 122 Seiten

Details

Titel
Das sportliche Interesse von Asylanten
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Sportwissenschaft)
Note
1,0
Jahr
2017
Seiten
122
Katalognummer
V432903
ISBN (eBook)
9783668765320
ISBN (Buch)
9783668765337
Dateigröße
1622 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Um die Forschungsfrage beantworten zu können, wurde ein problemzentrierte Leitfadeninterviews/narrative I. (Mischform) mit mehreren Asylanten durchgeführt. Abschließend wurden die erhobenen Daten mithilfe des Software-Programs MAXQDA gemäß dem Analysestil der Gounded Theory von Glaser und Strauss ausgewertet. Ergebnisdarstellung: Kategorien wurden gemeinsam mit ihren Subkategorien und Codes durch Mind-Maps grafisch dargestellt. Transkriptionsausschnitte von Aussagen der Befragten, sogenannte Ankerbeispiele, dienen dazu die Untersuchungsergebnisse zu konkretisieren und nachzuweisen.
Schlagworte
Asylanten, Sportinteresse, Integration, qualitative Studie, Migration, Verein, Sportverein, Grounded Theory, Leitfadeninterview
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Das sportliche Interesse von Asylanten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/432903

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