Empirische Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Polychronizität


Bachelorarbeit, 2018

66 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Achtsamkeit
2.1 Definition
2.2 Östlicher Ursprung
2.3 Westliche Auslegung und Verbreitung
2.4 Verwendung am Arbeitsplatz
2.5 Aktueller Forschungsstand

3 Polychronizität
3.1 Definition
3.2 Entwicklung im interkulturellen Kontext
3.3 Polychronizität und Multitasking
3.4 Aktueller Forschungsstand im Unternehmenskontext

4 Methode
4.1 Forschungsfrage
4.2 Stichprobe
4.3 Auswahl der Erhebungsmethode
4.4 Gestaltung des Fragebogens
4.4.1 IPV
4.4.2 MAAS
4.5 Ablauf der Studie
4.6 Auswertungsverfahren

5 Ergebnisse
5.1 Beschreibung der Stichprobe
5.2 Deskriptive Statistik
5.3 Inferenzstatistik

6 Interpretation
6.1 Limitationen
6.2 Diskussion

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

9 Anhang

Abstract

Basierend auf den Definitionen von Achtsamkeit und Polychorinizität, wird ein Überblick zum Forschungsstand und zu Forschungsentwicklungen gegeben. In der Forschungsfrage wird der Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Polychronizität untersucht und mit Hilfe einer Online-Umfrage an Versuchspersonen getestet. Zur Erfassung der beiden Ausprägungen werden in der Online-Umfrage zwei psychologische Testverfahren angewandt: Die „Mindful Attention Awareness Scale“ (MAAS) und die „Inventory of Polychronic Values“ (IPV). Die Stichprobengröße liegt bei 120 Probanden und umfasst Teilnehmer im Alter von 18 bis 72 Jahren. Die heterogene Stichprobe, die mittels verschiedener Online-Kanäle rekrutiert wird, hat keine Einschränkungskriterien bezüglich Bildungsgrad und Erwerbstätigkeit. Die Daten werden in einem Zeitraum von acht Wochen erhoben und anschließend mit der Statistik-Software SPSS ausgewertet. Mit den Mittelwerten der IPV-Items von 3.12 und der MAAS-Items von 3.72 zeigen die Ergebnisse der deskriptiven Statistik eine durchschnittliche Ausprägung der beiden Persönlichkeitseigenschaften. Bei der Reliabilitätsanalyse weist die MAAS mit dem Alpha-Wert .87 und einer Trennschärfe von .52 eine höhere interne Konsistenz als die IPV mit einem Alpha-Wert von .34 und einer Trennschärfe von .16 auf. Der Shapiro-Wilk-Test bestätigt eine Normalverteilung beider Skalen. Da keine signifikanten Korrelationen zwischen den Gruppen wie auch den Extremgruppen festgestellt werden können, kann die Hypothese über den Einfluss der Achtsamkeit auf Polychronizität nicht bestätigt werden. Die Arbeit schließt mit einer Diskussion über die Limitationen und einem Forschungsausblick.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. Der Achtfache Pfad des Buddhismus (eigene Darstellung nach Anderssen-Reuter, A. & Schulze H., 2017, S. 45).

Abbildung 2. Anwendungsmethoden (eigene Darstellung nach Ernst, Esch S., Esch T., 2009, S. 298).

Abbildung 3. Erwerbstätigkeiten der Umfrageteilnehmer (eigene Darstellung).

Abbildung 4. Antwortverteilung weltweit und Abschlussquote (eigene Darstellung).

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Altersverteilung der Stichprobe (eigene Darstellung).

Tabelle 2: Arithmetisches Mittel und Standardabweichungen des MAAS-Items (eigene Darstellung).

Tabelle 3: Mittelwerte und Standardabweichungen der IPV-Items (eigene Darstellung).

Tabelle 4: Zusammenfassung deskriptiver Werte der beiden Skalen IPV und MAAS (eigene Darstellung).

Tabelle 5: Reliabilitätsanalyse von Polychronizität (IPV) und Achtsamkeit (MAAS) (eigene Darstellung).

Tabelle 6: Tests zur Prüfung der Normalverteilung (eigene Darstellung).

Tabelle 7: Korrelationskoeffizienten r nach Pearson (eigene Darstellung).

Tabelle 8: Extremgruppen der Gesamttestwerte des Achtsamkeits-Tests (eigene Darstellung).

1 Einleitung

In unserem Alltagserleben sind wir häufig nicht im lebendigen Kontakt mit der Gegenwart, sondern unser Körper macht das eine (z.B. Autofahren) und unsere Gedanken kreisen um Vergangenes oder Zukünftiges (z.B. die zurückliegende Sitzung oder der Artikel, der noch geschrieben werden muss). Achtsamkeit üben bedeutet demgegenüber, die Aufmerksamkeit immer wieder absichtsvoll zum Erleben des gegenwärtigen Augenblicks zurückzuholen. (Michalak, Heidenreich, Ströhle & Nachtigall, 2008, S. 200)

Die psychotherapeutische Auffassung geht bei dem ursprünglich aus der östlichen Meditationstradition entstammendem Prinzip der Achtsamkeit davon aus, dass dieses eine Voraussetzung für die seelische Gesundheit darstellt und erst das gemeinschaftliche Funktionieren einer Gesellschaft ermöglicht. Achtsamkeit ist jedoch eng verknüpft mit dem Zeiterleben eines Individuums. Mitunter aufgrund durch die Industrialisierung einsetzenden sozialen Wandels entwickelt sich eine Schnellfeuerkultur, die auf hohes Tempo bezüglich der Wahrnehmungen und Handlungen setzt. Gegensätzlich dazu erfährt der Mensch Achtsamkeit durch das Ausblenden des alltäglichen Zeitdrucks und die Fokussierung auf die inneren, individuellen Prozesse. Die Suche nach dem Stichwort „Zeit“ ist in vielen psychologischen und psychiatrischen Publikationen vergeblich, obwohl es nahe liegt, dass jegliche Handlungen wie auch Wahrnehmungen zu einem bestimmten Zeitpunkt passieren. Das Lebenstempo und die Fokussierung oder Streuung von Handlungen scheinen demzufolge zusammenzuhängen. So unterscheiden sich die Vorstellungen der Gesellschaft über das Lebenstempo und die Dimension des Zeiterlebens grundlegend zwischen Monochronizität und Polychronizität (Bonney, 2011, S. 48-51). Insbesondere die Polychronizität erweist sich als wenig erforschtes Zeitmodell obwohl es sich auf jeden Alltag reflektieren lässt. Hall (1959, S. 184) definiert das Konstrukt ursprünglich als kulturelle Variable mit den drei Dimensionen der Zeitnutzungspräferenz (d.h. Ausmaß, in dem eine Kultur mehr als eine Aufgabe oder Aktivität gleichzeitig durchführt), der Dimension (d.h. der Grad der Präzision in der Kommunikationsweise einer Kultur und der Grad, in dem sie auf situative Kontexte reagiert), und der zeitlichen Greifbarkeit (d.h. das Ausmaß, in dem eine Kultur die Zeit wahrnimmt). In jüngerer Zeit wird die Polychronizität von Bluedorn, Kaufman und Lane (1992, S. 17-26) definiert „as the extent to which individuals (a) prefer to be engaged in two or more tasks or activities at the same time and (b) believe that this performance is the best way to do things.”

Interessanterweise offenbaren sich bei detaillierter Befassung mit der Literatur diverse Lücken in Bezug auf Achtsamkeit in Kombination mit unterschiedlichen Zeitauffassungen. Insbesondere stellt sich hier die Frage ob eine achtsame Lebensweise mit einem polychronen Zeiterleben überhaupt möglich ist. Oder lässt sich möglicherweise das polychrone Lebenstempo mit seinen Handlungen und Wahrnehmungen mit einer achtsamen Grundhaltung kontrollieren? Um der Problemstellung auf den Grund zu gehen, beschäftigt sich die Forschungsarbeit mit der Frage ob es einen Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und der Präferenz, zwei oder mehrere Tätigkeiten im gleichen Zeitraum zu verrichten (Polychronizität), gibt. Die zu ergründende Hypothese ob die Ausprägung an Achtsamkeit einen Einfluss auf die Ausprägung an Polychronizität hat, soll durch ein empirisches Forschungsmodell bestätigt werden. Beim abschließenden Ausblick der Arbeit werden die Bedeutungen der Forschungsergebnisse kritisch beleuchtet und künftige Forschungsbedarfe der Themenstellung offen gelegt.

2 Achtsamkeit

Die Bekanntheit sowie praktische Umsetzung der Achtsamkeit steigt seit einigen Jahren zunehmend an. Die Forschung zur Wirksamkeit und Wirkweise von achtsamkeitsbasierten Eingriffen ist ein brandaktuelles Thema in der Wirtschaft und Wissenschaft als auch in der Medizin, Psychologie und den Neurowissenschaften. Meditation, Coaching oder Suchttherapie sind typische Einsatzgebiete dieser Interventionen. Bei gründlicherer Betrachtung und Sichtung der Literatur wird klar, dass der Erfahrungsbezug der praktizierten Achtsamkeit im Widerspruch zu einer wissenschaftlichen Definition des Konzepts steht. Die jeweilige Konzeption von Achtsamkeit wird in Zusammenhang mit dem kontextspezifischen Hintergrund und mit dem entsprechenden Anwendungsfeld begutachtet. Entscheidend ist hierbei die Motivation mit der die Achtsamkeit praktiziert wird. „Im frühen Buddhismus, in dem die Achtsamkeit das erste Mal explizit auftaucht, ist die Motivation auf spirituelles Wachstum und Selbsttransformation gerichtet. In unserer modernen, westlichen Gesellschaft finden sich neben den spirituellen auch säkulare Motive“ (Schmidt, 2014, S. 13). In der Praxis wird Achtsamkeit abhängig von der Ausgangsmotivation, wie das Streben nach Tiefenentspannung und Selbstfindung oder klinische und pädagogische Einsätze, umgesetzt. Da die Ursprünge des Begriffs der Achtsamkeit aus dem Buddhismus stammen, wird ausgehend von den historischen und religiösen Wurzeln im asiatischen Raum bis hin zu der weltlichen und modernen Auslegung der westlichen Gesellschaft, die Entwicklung und Entfaltung der Achtsamkeit im folgenden Abschnitt genauer durchleuchtet (Schmidt, 2014, S. 13-14).

2.1 Definition

Anknüpfend an die buddhistische Psychologie schlagen Grossmann und Reddemann (2016, S. 223) folgende Definition vor: „Achtsamkeit ist die Übung einer vorurteilsfreien, offenen, gleichmütigen Haltung gegenüber unseren wahrnehmbaren Erlebnissen, während diese Erlebnisse sich von Moment zu Moment entfalten. Diese Prozesse und Ereignisse unseres Erlebens beinhalten Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken, einschließlich Erinnerungen, Gefühle, Imagination, sowie jeden anderen mentalen Inhalt, der uns in einem Moment bewusst wird.“ Hierbei stehen nicht die aufmerksamkeitsfokussierten Aspekte der Achtsamkeit im Zentrum, sondern Handlungen, in denen sich die Aufmerksamkeit mit bestimmten Einstellungen verknüpft, um den Zustand der Achtsamkeit zu erreichen. Triviale Wertungen oder Beurteilungen können mittels einer achtsamen Attitüde durch Vorzüge wie Toleranz, Geduld und Offenheit ersetzt werden. Heidenreich und Michalak (2006) betonen bei ihrer Definition von Achtsamkeit den alltäglichen Autopilotenmodus, in dem wir uns oftmals befinden:

Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass wir eben nicht in Kontakt mit der Erfahrung der Gegenwart stehen, sondern in Erinnerungen und Zukunftsgedanken gefangen sind, ohne uns dessen bewusst zu sein. Stattdessen denken wir an die Sitzung, die in einer halben Stunde beginnt oder hängen dem Gespräch mit unserem Kollegen nach, das wir gerade geführt haben. Der Kontakt mit der gegenwärtigen Situation ist äußerst verschwommen und halbbewusst – Körper und Geist bilden keine Einheit. (S. 232)

Achtsamkeit dient auch hier als spezielle Form der Aufmerksamkeitsrichtung, in welcher die Erfahrungen des aktuellen Moments auf eine absichtsvolle und wertfreie Art und Weise fokussiert und angenommen werden. Diesen „aktuellen Moment“ benennen Berking und Znoj (2006, S. 308) als theoretischen Konstrukt, auf das sich die eigene Konzentration nicht lenken lässt. Viel mehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf die sogenannten Stellvertreter der Gegenwart beziehungsweise auf die derzeitige Wahrnehmung. Dies schließt das absichtsvolle Vernehmen eines Gedankens nicht aus. Somit lässt sich die grundlegende Facette des besagten Konstrukts als bewusste Konzentration auf die Wahrnehmung bezeichnen. Um jedoch den Schritt von der Wahrnehmung zu der Achtsamkeit zu erreichen, bedarf es zudem die Akzeptanz aller wahrgenommenen Momente und eine liebenswerte, annehmende Grundhaltung zur Selbstunterstützung.

Bei jeder Definition von Achtsamkeit ist allgemein gültig, dass das Erlernen und Praktizieren dieser Fertigkeit kulturunabhängig und losgelöst von Religion oder Weltanschauung ist. Zu differenzieren sind allerdings die unterschiedlichen Strömungen und Auslebungen der Achtsamkeit, die sich entstammend aus den buddhistischen Wurzeln auf globaler Ebene weiterentwickelt haben. Insbesondere das Auseinanderdriften der östlichen und westlichen Interpretation der Achtsamkeit wird bei genauer Betrachtung der Literatur deutlich und soll wie folgt gründlicher analysiert werden.

2.2 Östlicher Ursprung

Die ältesten schriftlich überlieferten Hinweise auf das Konstrukt der Achtsamkeit sind im sogenannten Palikanon des Theravada-Buddhismus in der Sprache Pali zu finden. Jegliche buddhistische Strömungen wie beispielweise der Zen-Buddhismus oder der tibetische Buddhismus haben ihren Ursprung in dieser Tradition. Theravada bedeutet wörtlich die Schule der Älteren und ist die älteste buddhistische Lehre, die bis heute noch in Ländern wie Thailand, Kambodscha, Laos, Myanmar und Sri Lanka praktiziert wird. Überlieferungen belegen, dass buddhistische Mönche etwa im ersten Jahrhundert vor Christus die Reden und Lehren des Buddha im besagten Palikanon als erstes schriftliches Manifest zusammengetragen haben (Schmidt, 2014, S. 14). Dieses autoritative Schrifttum nennen seine Anhänger das Tipitaka oder auch den „Drei-Korb“. So bezeichnen zwar auch die anderen existierenden Schulen des Buddhismus ihren Kanon, jedoch ist nur der Palikanon tatsächlich in drei Teilen überliefert. Der erste Teil umfasst die Regulationen des mönchischen Lebens. Der zweite enthält die ältesten Lehrvorträge und Dialoge des Buddhas und dient meist als stellvertretender und wichtigster Teil des Palikanons. Der dritte „Korb“ ist der jüngste aller Teile und gibt die buddhistischen Lehren in scholastischer Form wieder. Jedoch ist diese Form eher für die jüngeren Altersklassen wie den Schulbetrieb ausgelegt. Für das Studium der Achtsamkeit spielt vorwiegend der zweite „Korb“, auch Sutta-Pitaka genannt, eine zentrale Rolle. (Hamm, 1975, S. 331). Die dort enthaltenen Meditationsanweisungen der traditionellen Theravada-Meditation beinhalten die praktische Umsetzung der Achtsamkeit, allerdings keinen konzeptionellen Ansatz. Bei dieser Meditationsform ist es fundamental die Übungen gewaltfrei und ungezwungen auszuführen. Die Konzentration stellt sich infolge von schlichtem Aufmerken (sati) und tiefem Verstehen (sampajañña) von selbst ein. Diese Aufmerksamkeit oder „sati“ und das Verstehen entspringen aus den Lehrreden des Satipatthāna Sutta und sollen auf alle Vorgänge des menschlichen Lebens und die gesamte menschliche Existenz projiziert werden (Dumoulin, 1962, S. 80). Wird „sati“ in der Praxis während der Meditation praktiziert, kann es als Zustand des Gewahrseins im Augenblick beschrieben werden, in dem der Geist versucht zu beobachten ohne einzugreifen (Schmidt, 2014, S. 14). Das Aufmerken kann sich hier auch auf das der Atmung folgende Heben und Fallen des Unterleibes beziehen und wird als Ānāpānasati Sutta bezeichnet. Die Beobachtung der eigenen Unterleibsbewegung dient hier als Übung um die Aufmerksamkeit auf die Atmung zu lenken und soll zu einer Beruhigung des Gesamtorganismus dienen (Dumoulin, 1962, S. 80). Für die Praxis des Buddhismus wird die außergewöhnliche Bedeutung des „sati“ deutlich hervorgehoben. Ausschließlich durch die Kombination der praktischen Ausübung und Pflege von Achtsamkeit kann das höchste Ziel der Befreiung erlangt werden. Aus Sicht eines Buddhisten führt eine dauerhafte Ausübung von Achtsamkeit zu Einsichten in entscheidende Wahrheiten und der individuell erfahrenen Einsicht, die schlussendlich zu der Befreiung führt. Diese Achtsamkeitsmeditation ist auch unter dem Begriff Vipassanā (d.h. Einsichts-) Mediation bekannt. Die „Vier Edlen Wahrheiten“ stehen im Mittelpunkt der buddhistischen Lehre und drücken vereinfacht gesagt aus, dass jegliches menschliches Leiden mit Hilfe der ethischen Anweisungen und Praktiken des sogenannten „Edlen Achtfachen Pfad“ beendet werden kann:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Der Achtfache Pfad des Buddhismus (eigene Darstellung nach Anderssen-Reuter, A. & Schulze H., 2017, S. 45).

Wie in der Abbildung 1 ersichtlich, wird der Pfad in drei Bereiche Weisheit, Sittlichkeit und Vertiefung unterteil. Die Sittlichkeit spiegelt nichts anderes wieder als rechtmäßiges, menschliches Verhalten und die Vertiefung steht für die Mediationspraxis. Die praktische Übung von der rechten Achtsamkeit oder auch sammā sati genannt ist eines der acht Glieder dieses spirituellen Weges. Diese acht Pfade sind die Basis für den Weg einer persönlichen Transformation. Die rechte Achtsamkeit ist wie in der Abbildung 1 klar erkennbar, nicht von den anderen sieben Gliedern trennbar sondern als Teil des gesamten Pfades eingebettet. Die weiteren Aspekte umfassen meditative Übungen, Weisheiten wie auch eine Folge von ethischen Verhaltensregeln (Schmidt, 2014, S. 15).

Diese zwei beschriebenen Lehren des Buddha, beziehungsweise Suttas sind zwar die ersten schriftlich überlieferten Quellen der Idee der Achtsamkeit, können jedoch nicht als feststehendes theoretisches Konstrukt betrachtet werden. Im Gegensatz zur westlichen Anschauung beschreibt es viel mehr eine Erfahrung, die aus der eigenen Praxis erlangt wird und die Erste-Person-Perspektive miteinbezieht. Demzufolge ist es kein statisches Konzept, sondern ändert sich fortlaufend in Abhängigkeit von der Erfahrung der Meditierenden. In Anbetracht der westlich geprägten Wissenschaft, die versucht im Sinne einer Dritten-Person-Perspektive und frei von subjektiven Einflüssen die Begriffe klar zu definieren, scheint es eine untypische Erläuterung der Achtsamkeit zu sein. Schmidt (2014) sagt zusammenfassend, dass:

Die Praxis der Achtsamkeit im ursprünglichen buddhistischen Kontext nicht nur eine einzelne für sich stehende Meditationstechnik ist, um eine Zeit der Stille oder Selbstexploration zu erfahren, sondern Teil eines umfassenderen spirituellen Weges. Hauptmotiv und Absicht, diesen Weg zu gehen liegen darin, sich auf einen Prozess persönlicher Transformation einzulassen, der zu Mitgefühl gegenüber allen Lebewesen führt und dessen höchstes Ziel die Befreiung (entweder in diesem oder in einem anderen Leben). (S. 14)

2.3 Westliche Auslegung und Verbreitung

Wie oben erwähnt führen die unterschiedlichen Auffassungen über die Achtsamkeit und ihren Stellenwert schon im Buddhismus zur Bildung verschiedener Strömungen, welche das Konstrukt je nach eigener Vorstellung interpretieren. Im Laufe der Geschichte beansprucht das Konzept der Achtsamkeit reichlich Zeit, um auf vielseitige Art und Weise definiert und abstrahiert zu werden. Auch der aktuellen, westlichen Psychologie fällt es schwer eine klare, konzeptuelle Definition festzulegen (Berking & Znoj, 2006, S. 308).

Im Vergleich zu allen westlichen Ländern haben die Vereinigten Staaten von Amerika den stärksten Einfluss des Buddhismus sowie die damit verbundene Etablierung der Achtsamkeit vorzuweisen. Grund dafür ist in erster Linie ihre geographische Lage und die im vergangen Jahrhundert einhergegangene Landnahme der Siedler und Goldgräber bis hin zum Pazifik. Als der Nachbar Japans und Chinas mit ihren hochentwickelten buddhistischen Kulturen, kommt mit der im letzten Viertel des 19. Jahrhundert begonnenen Einwanderung von japanischer und chinesischer Familien, auch der Buddhismus in die Vereinigten Staaten. Der Buddhismus erstreckt sich dabei bezüglich seiner geistigen Entfaltung weit über die Grenzen der buddhistischen Gemeinden und ihr geschlossenes Gemeindeleben hinaus. Als Religionsphilosophie sowie Meditationsform und Ausübung geistlicher Lebensgestaltung hat er überraschenden Erfolg zu verzeichnen, der über die Impulse einer organisierten buddhistischen Mission hinausreicht. Die Ausbreitung des Buddhismus in dem Bildungsbürgertum Amerikas hat zur Folge, dass neben Tempeln und Zusammenschlüssen auch vielerlei Forschungsinstitutionen aufgebaut werden, die sich mit der Schule des Buddha und deren Gesamtüberlieferung über Philosophie, Meditation und Kunst auseinandersetzen. Einige Institutionen wie „The American Buddhist Academy“ in New York oder „The Berkeley Buddhist Institute“ sind heute führende Forschungseinrichtungen dieser Strömung. Benz (1969, S. 358) betont, dass die Streuung des Buddhismus und das Erforschen von Achtsamkeit in den Vereinigen Staaten nicht nur einer Philosophie gleicht, sondern ebenso einen „Lebensstil repräsentiert, der nicht nur einer bestimmten Form der Mediation, der Selbstbesinnung, sondern auch in einer bestimmten Einstellung zur Natur, zum Tier, zum Menschen und zum Universum sich realisiert, und der in einer besonderen Weise zu einem künstlerischen Ausdruck drängt.“

Der Buddhismus an sich breitet sich danach auch in anderen Teilen der westlichen Länder aus, allerdings hat der amerikanische Wissenschaftler Kabat-Zinn (2013, S. 228) erstmals das Prinzip der Achtsamkeit in die westliche Schulmedizin eingeführt und beschreibt es als spezielle Form der Aufmerksamkeitslenkung, die charakterisiert wird durch ein nicht wertendes, unmittelbares und fortwährendes Gewahrsein geistiger und körperlicher Zustände und Prozesse von einem Moment zum anderen. Es handelt sich um eine Fertigkeit oder innere Einstellung, die jedem Menschen eigen ist und die durch systematisches Üben von Achtsamkeitsmeditation gekräftigt werden kann. Ausgehend von den vielfältigen Strömungen hat sich die Idee der Achtsamkeit in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft entfaltet. Nach Transfer- und Anpassungsprozessen verkörpert die Achtsamkeit heutzutage einen etwas unspezifischen Sammelbegriff, welcher auf verschiedenartigen Bezügen und Bedeutungen beruhen kann wie beispielsweise: eine formale Meditationspraxis, ein theoretisches Konzept der buddhistischen Lehre, eine bestimmte innere Grundhaltung in Bezug auf die eigene Erfahrungen und Handlungen im täglichen Leben, ein psychologisches Konzept, das von der buddhistischen Lehre abstammt, aber in Begrifflichkeiten der westlichen Psychologie definiert wird. Wie im vorherigen Kapitel erwähnt wird, ist bei der westlichen Anschauung zu beachten, dass die Konzeptionen und Definitionen aus einer durchweg wissenschaftlichen Dritten-Person-Perspektive entwickelt werden und es die Praxis des Buddhismus vorsieht, die gegensätzliche stetig, ändernde Erste-Person-Perspektive, in anderen Worten die Erfahrung der Meditierenden, an oberste Priorität zu setzen. Infolgedessen steht die Achtsamkeit in ihrer ursprünglichen Form oft im Widerspruch zu der westlichen Wissenschaftsanschauung. Dennoch wird Achtsamkeit heutzutage in der modernen Kultur des Westens ausgehend von mannigfachen Motiven formal und informell praktiziert, das direkt einhergeht mit dem aktuellen Forschungsstand des Konstrukts der Achtsamkeit (Schmidt, 2014, S. 16-18).

2.4 Verwendung am Arbeitsplatz

Wie aus vorherigen Kapiteln deutlich wird, ist die Achtsamkeitsforschung in den letzten Jahren in mehreren Wissenschaftsbereichen stark angewachsen. Nichtsdestoweniger haben wenige Forscher die Achtsamkeit aus einer Arbeitsplatzperspektive untersucht. Dieser Abschnitt stellt einen kurzen Überblick über Achtsamkeit am Arbeitsplatz dar und das Ausmaß, in dem die Menschen in ihrer Arbeitsumgebung achtsam handeln. Seit Jahrhunderten verkünden die Lehren vieler Kulturen die Vorteile von Achtsamkeit als psychologischer Zustand, indem die Konzentration auf Ereignisse im gegenwärtigen Moment gerichtet ist (Brown und Ryan, 2003, S. 822). Während Achtsamkeit oftmals zuerst mit Traditionen verbunden wird, die eher philosophisch als wissenschaftlich sind, gibt es in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Zuwachs der Forschungsaktivitäten in klinischer und beratender Psychologie (Bishop et al., 2004), Sozial- und Persönlichkeitspsychologie (Giluk, 2009), Neurowissenschaften (Way, Creswell, Eisenberg & Lieberman, 2010), Medizin (Epstein, 1999) und Bildung (Burke 2010). Die Verknüpfung zwischen psychischem und physischem Wohlbefinden am Arbeitsplatz und der Achtsamkeit ist dabei ein Teil davon. Untersuchungen zeigen, dass Achtsamkeit positiv mit Vitalität, Lebenszufriedenheit und zwischenmenschlicher Beziehungsqualität korreliert und negativ mit Depression, Angst und Stress (Brown et al., 2007). In Anbetracht dessen argumentieren Forscher, dass Achtsamkeit Individuen ermöglicht, Ereignisse objektiv und leidenschaftslos zu sehen (Shapiro et al., 2006) und es ihnen erlaubt, ihre Gedanken, Emotionen und physiologischen Reaktionen stärker und effektiv zu regulieren (Lakey, Campbell, Brown, Goodie, 2007). In Bezug auf die Aufgabenleistung ziehen Wissenschaftler einen positiven Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und der Urteilsgenauigkeit (Kiken & Shook, 2011), der einsichtsbezogenen Problemlösung (Ostafin & Kassman, 2012) und der akademischen Leistung (Shao & Skarlicki, 2009). Weitere Forschungsergebnisse zeigen, dass auch die kognitive Flexibilität verbessert (Moore und Malinowski, 2009) und die exekutive Funktion gefördert wird. Alle der genannten Eigenschaften haben einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitsleistung und implizieren, dass Achtsamkeit am Arbeitsplatz nützlich sein kann.

Dennoch gibt es erhebliche individuelle Unterschiede im Ausprägungsmaß an Achtsamkeit und seine Implementierung in die unterschiedlichen Arbeitsumgebungen der Gesellschaft. Beispielsweise deuten Studien darauf hin, dass Individuen durch Übung und Training erlernen können, ihre Aufmerksamkeit innerhalb eines gegeben Leistungskontextes achtsamer zu fokussieren (Hülsheger et al., 2013). Daher sind einige Menschen aufgrund ihrer spezifischen Erfahrung bei der Arbeit achtsamer als andere. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass kontextuelle Elemente des Arbeitsplatzes einen tiefgreifenden Einfluss darauf haben, wie sich eine Person bei der Arbeit verhält und wie sie die Aufmerksamkeit auf das Arbeitsumfeld richtet (Zhong & House, 2012). Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangspunkte je nach Erfahrung und Kontext, unterstützen bestimmte Merkmale eines Arbeitsumfeldes die Achtsamkeit eines Individuums mehr oder weniger stark.

Insbesondere in dynamischen Arbeitsumgebungen findet das Konzept der Achtsamkeit Anklang. Dynamische Umgebungen erfordern, dass Individuen eine Reihe voneinander abhängiger Entscheidungen in Echtzeit treffen können (Gonzalez, 2005). In derartigen Umgebungen ist es wichtig, sich einer Vielzahl von Ereignissen zu widmen, da jedes Ereignis kritische Informationen mit sich bringen kann und dadurch die weiterführenden Entscheidungen beeinflussen kann (Dane, 2013). Achtsamkeit erleichtert das Leistungsverhalten in einer dynamischen Umgebung, da es teilweise durch eine breite Aufmerksamkeitsspanne gekennzeichnet ist, um einer hohen Anzahl von Ereignissen und Stimuli gewissenhaft zu begegnen (Dane, 2011). Über die Förderung der kognitiven Leistungsfähigkeit und Wachsamkeit hinaus, schützt eine achtsame Haltung vor Ablenkungen und Leistungsfehlern. Es hilft Individuen dabei Fehler, die durch das Abweichen der Aufmerksamkeit vom gegenwärtigen Moment auftreten, zu vermeiden (Herndon, 2008).

Dynamische Arbeitsumgebungen sind häufig auch mit einem hohen Maß an emotionaler Belastung und Stress verbunden, welche als Nebenprodukt des Zeitdrucks und der Unvorhersehbarkeit in diesen Umgebungen auftreten (Brehmer, 1992). Im Laufe der Zeit passiert es häufig dass dieser Druck bis zum unerträglichen steigt und die Menschen an ihrem Arbeitsumfeld zweifeln (Begley, 1998). Forschungen zeigen hierbei, dass Achtsamkeit Menschen dazu führt herausfordernde oder stressige Situationen proaktiv und adaptiv zu begegnen (Weinstein et al., 2009). Insbesondere erleichtert Achtsamkeit die Selbstregulation (Glomb et al., 2011) und ermöglicht es, auf potenziell stressige Ereignisse mit mehr Gleichmut und weniger Nachsinn zu reagieren (Carlson, 2013). Folglich erweist sich Achtsamkeit als Möglichkeit sich vor emotionaler Erschöpfung bei der Arbeit zu schützen und als Fähigkeit mit Belastungen besser umgehen zu können ohne das Arbeitsumfeld wechseln zu müssen (Hülsheger et al., 2013).

Ebenso wird Bezug zu dem Arbeitsengagement genommen. Dieses wird meist als das Ausmaß definiert, in dem sich das Individuum durch seine Arbeit gestärkt, engagiert und absorbiert fühlt. Die erstgenannte Dimension der Stärke spiegelt die Intensität der mentalen Belastbarkeit und Energie wider, mit welcher die Person arbeitet (Bakker, 2011). Die zweite Dimension der Hingabe erfasst den Grad an Stolz, Inspiration und Bedeutung, der aus der Bereitwilligkeit der eigenen Arbeit resultiert (Schaufeli & Bakker, 2004). Die dritte Dimension also Absorption, repräsentiert das Ausmaß an Konzentration und Tiefgründigkeit seiner Arbeitsweise. Eine spezielle Form dieser dritten Dimension umfasst die individuellen Höchstleistungserfahrungen und den Umgang mit maximalst herausfordernden Aufgaben (Schaufeli, Salanova, Gonzales-Roma & Bakker, 2002). Somit lässt sich das Engagement für die Arbeit in gewisser Hinsicht mit der Achtsamkeit am Arbeitsplatz vergleichen. Die soeben erwähnten Dimensionen führen zu einer achtsamen Haltung am Arbeitsplatz wie beispielweise durch die mentale Fokussierung auf arbeitsplatzbezogene Ereignisse und Aufgaben (Leroy, Anseel, Dimitrova & Sels, 2013). Darüber hinaus betont die grundlegende Forschung zum Arbeitsengagement die Vorzüge der gegenwärtigen Achtsamkeit als Schlüsselmerkmal (May, Gilson, & Harter, 2004). Die Achtsamkeit am Arbeitsplatz unterscheidet sich im Gegensatz zum Arbeitsengagement aber darin, dass sie ein kognitives Konstrukt darstellt, welches sich mit dem Ausmaß befasst, in dem sich die Aufmerksamkeit auf eine große Bandbreite von Ereignissen aus dem Arbeitskontext konzentriert.

Wenn es um die Vorhersage von Arbeitsleistung und Umsatzabsicht geht, lassen sich auch diverse Parallelen zur Achtsamkeit am Arbeitsplatz ziehen. Die Kontrolle der Dimensionen des Arbeitseinsatzes kann auf einzigartige Art und Weise zu jedem Arbeitsereignis beitragen. Hinsichtlich der Arbeitsleistung argumentieren Forscher, dass die Auswirkungen von dem Arbeitseinsatz durch eine grundlegende Beobachtung verstanden werden können: Engagement motiviert. Solange die Individuen gestärkt, engagiert und von ihrer Arbeit absorbiert werden können, werden diese wahrscheinlicher viel Mühe für eine hohe Leistungsbereitschaft aufwenden (Halbesleben und Wheeler, 2008). Dies bedeutet, dass Arbeitsengagement die Persistenz und Intensität mit der die Aufgaben erfüllt werden, beeinflusst (Christian, Garza & Slaughter, 2011, S.101). Die Achtsamkeit spielt hierbei jedoch mehr die kognitive als die motivierende Rolle. Bezogen auf die Umsatzabsicht stellen Schaufeli und Bakker (2004) in einer Studie von Mitarbeitern einer Serviceorganisation fest, dass der Ausscheidungsgrad aus einer Organisation alle drei Dimensionen des Arbeitseinsatzes beeinflusst. Ergänzend zu diesen Befunden, werden Wissenschaftler darauf aufmerksam, dass engagierte Mitarbeiter stark in ihre Arbeit investieren um sich Stück für Stück mit ihr identifizieren zu können (Bakker, 2011). Diese Mitarbeiter zögern in der Regel eher, ihre Mitgliedschaft in ihrer Organisation aufzugeben, da ihnen die Mitgliedschaft eine selbstverwirklichende Arbeit ermöglicht. So beeinflusst das Arbeitsengagement, welches durch eine achtsame Arbeitsweise intensiviert wird, auch die Umsatzabsicht durch seine positiven Auswirkungen auf die organisationale Bindung (Macey und Schneider, 2008). Abschließend lässt sich sagen, dass dispositionelle Unterschiede zwischen Individuen in Bezug auf Achtsamkeit auch die Ausprägung der Achtsamkeit am Arbeitsplatz beeinflussen, diese jedoch trainiert und weiterentwickelt werden kann. Die Zusammenhänge zwischen Achtsamkeit und der Arbeitsleistung, Umsatzabsicht und organisationalen Bindung sind demzufolge unverkennbar. Doch obwohl es in der Achtsamkeitsforschung schon viele Ansätze zu verschiedenen Disziplinen im Arbeitsumfeld gibt, bleiben diesbezüglich noch diverse Lücken über weitere Verknüpfungen in der empirischen Forschung offen.

2.5 Aktueller Forschungsstand

Unter den in Kapitel 2.3 erwähnten formellen und informellen Motiven versteht Kabat-Zinn (2013, S. 399-407) einerseits die formellen Achtsamkeitspraktiken wie Sitz- oder Gehmeditation, welche spezielle Übungen zur Stabilisierung des Zustandes der Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment beinhalten. Andererseits die informellen Übungen um die Achtsamkeit bei alltäglichen Aktivitäten wie Duschen, Essen oder Gehen aufrecht zu erhalten und eine achtsame Haltung als Lebensweise zu integrieren. Mögliche Motive unzähliger achtsamkeitsbasierter Ansätze und Interventionen können beispielsweise Stressreduktion, Umgang mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Borderline, Suchttherapie, Verbesserung der Lebens- und Arbeitsqualität, Selbsttransformation oder eine spirituelle Motivation sein. In der dargestellten Abbildung 2 werden wesentliche Anwendungsmethoden der aktuellen Achtsamkeitsforschung dargestellt. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wird nur ein Teil der aufgelisteten Therapien beleuchtet sowie auf zugrunde liegende Wirkmechanismen eingegangen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2. Anwendungsmethoden (eigene Darstellung nach Ernst, Esch S., Esch T., 2009, S. 298).

Das Mindfulness-Based Stress Reduction Programm (MBSR) führt Jon Kabat-Zinn im Jahre 1979 als achtwöchiges unspezifisches also störungsübergreifendes Gruppenprogramm an der medizinischen Stress-Reduction Klinik in Massachusetts ein. Obwohl es ursprünglich insbesondere für Patienten mit Schmerzstörung entwickelt wird, wird es üblicherweise nicht an störungshomogenen Gruppen angewandt, sondern an Patienten mit verschiedenen psychischen oder körperlichen Leiden oder Erkrankungen. Das Programm besteht einesteils aus konkreten Übungen und anderenteils stellt der Transfer der Übungsinhalte auf die informelle Praxis des Alltags ein zentrales Element des MBSR dar. „Die formelle Praxis des MBSR-Programmes setzt sich aus Sitz-und Gehmeditation, Body-Scan und Yoga Übungen zusammen, Anleitungen und gemeinsame Übungen in acht wöchentlichen Gruppensitzungen, sowie einem ganztägigen Seminar. Die Teilnehmer werden angehalten, täglich ca. 45 Minuten anhand einer CD zu üben“ (Michalak, Heidenreich & Bohus, 2006, S. 235). Diese achtsamkeitsbasierte Stressreduktion soll die Gesundheit langfristig verbessern sowie stärken und wird durch die Vermittlung wichtiger Grundlagen der Stressforschung angereichert.

Die Mindfull-Based Cognitive Therapy (MBCT) ist ein störungsspezifisches Verfahren, das Menschen mit rezidivierenden depressiven Episoden unterstützt und ihr Rückfallrisiko verringern soll. In einem achtwöchigen Trainingsprogramm werden Teile der MBCT-Therapie mit Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie nahe gebracht. Es wird davon ausgegangen, dass Patienten mit rezidivierenden Depressionen dazu neigen, bei einer minimalen Verschlechterung der Stimmungslage erneut negative Gedankenmuster zu erzeugen und in eine depressive Episode zurückfallen. MBCT ist dafür ausgelegt den betroffenen Personen die Fertigkeit zu vermitteln, negative Gedankenmuster vorzeitig zu erkennen und loszulassen (Tenberger, Teismann & Michalak, 2009, S. 169-170).

Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) ist ebenfalls eine störungsspezifische Intervention um Patienten mit Borderline-Erkrankung zu behandeln. Einerseits werden Umgangsweisen mit akuten Krisen, Suizidalität und parasuizidalem Verhalten herausgearbeitet und andererseits mit Hilfe von Gruppentherapien elementare Fähigkeiten wie innere Achtsamkeit, der Umgang mit Gefühlen, Stresstoleranz oder zwischenmenschliche Fertigkeiten erworben. Obwohl der positive Einsatz von DBT empirisch belegt ist, lässt sich nicht abschätzen wie hoch der Anteil der Achtsamkeit am Gesamterfolg des komplexen Therapieverfahrens tatsächlich ist (Michalak et al., 2006, S. 244-245).

Bezüglich der Acceptance and Commitment Therapy (ACT) erfolgen psychische Beschwerden laut Villatte, Vilardaga, Villatte, Vilardaga (2016, S.53-55) insbesondere aus dem Versuch, Gefühle und Gedanken zu kontrollieren und nicht aus den Gefühlen selbst. Patienten sollen zum einen eine akzeptierende Haltung gegenüber der eigenen Erfahrung entwickeln und zum anderen sollen sie sich ihrer Werte bewusst werden und diese dementsprechend ausleben. Die Endabsicht besteht darin, Kontrollversuche zu unterlassen und Gefühle wie auch Gedanken stattdessen ohne Bewertung zu beobachten und zu akzeptieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz methodischer Schwachpunkte die bisherigen Forschungsergebnisse die Wirksamkeit der Achtsamkeit belegen. Die achtsamkeitsbasierten Ansätze, Programme oder Therapien unterstützen nicht nur unterschiedliche körperliche Beschwerden sondern auch psychische Erkrankungen und Leiden. Um die empirischen Befunde noch stärker zu kräftigen bedarf es weiterer randomisierter Studien, um insbesondere spezifische von unspezifischen Wirkungen abzugrenzen und die dazugehörigen Wirkmechanismen tiefgreifender zu untersuchen. Die gemäße Operationalisierung von Achtsamkeit spielt hierbei eine entscheidende Rolle, steht jedoch in Konflikt mit der ursprünglichen Bedeutung des traditionellen Konstrukts der Achtsamkeit. Da der kulturelle Kontext jedoch ein unabdingbarer Anteil der positiven Wirksamkeit der Achtsamkeitstherapien sein könnte, gilt es diese noch genauer zu untersuchen. Ein komplementärer und unterstützender Einsatz kann nichtsdestotrotz schon heute als selbsthilfeorientierter und kostengünstiger Ansatz begleitend mit einer ausgewählten medizinischen Behandlung bei diversen Krankheitsbildern empfohlen werden. Da speziell auf das gesundheitsförderliche Potenzial in der Primärforschung hingewiesen wird, würde eine Beurteilung medizinischer und mittel-bis langfristigen Kosten-Nutzen-Effekte laut Ernst et al. (2009, S. 301-302) definitiv Sinn machen.

3 Polychronizität

Sowohl Forscher als auch Praktiker richten ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf die Multitasking-Anforderungen von gegenwärtigen Arbeitskontexten. Vorherige Arbeiten legen nahe, dass die Polychronizität eine zentrale Rolle bei der Motivation von Individuen spielt, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen. Bei detaillierter Untersuchung der vorhandenen Literatur wird jedoch klar, dass unterschiedliche Konzeptualisierungen und Operationalisierungen dieses Konstrukts sowie inkongruente Ergebnisse hinsichtlich der Auswirkungen von Polychronizität vorliegen (König & Waller, 2010, S.173). Polychronizität kann als Präferenz für das Ausführen mehrerer Aufgaben gleichzeitig verstanden werden, während Monochronizität die Vorliebe für die sequenzielle Bearbeitung von Aufgaben ist (Hall, 1959, S.178). Besonders interessant bei dem Konstrukt ist, dass es einfach zugänglich ist, da es mit fast jeder Tätigkeit im Alltag in Verbindung gebracht werden kann. Probeweise könnte sich jeder einzelne einmal selbst fragen ob er beispielsweise eine Abschlussarbeit lesen möchte während er schon mal die Wäsche zusammenlegt oder jede der beiden Tätigkeit von Anfang bis Ende erledigt und dann zur nächsten übergeht. Mit anderen Worten, selbst wenn der Leser nie etwas über Polychronizität gehört haben muss, kann er seine eigene Arbeitsweise, Multitasking und Multikommunikation reflektieren um die Bedeutung des Konzepts zu verstehen (Reinsch, Turner & Tinsley, 2008, S. 297). Daher ist es nicht verwunderlich, dass Polychronizität sowohl Forscher als auch Manager auf der ganzen Welt fasziniert. Diese Manager sehen Polychronizität als wichtige Voraussetzung ihrer Mitarbeiter an, um eine vielseitige und schnelllebige Arbeitsatmosphäre zu gewährleisten und die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens zu steigern (Arndt, Arnold & Landry, 2006, S.320). Es stellt sich jedoch als Trugschluss heraus, dass Polychronizität ein scheinbar direkter Weg zu schnelleren und effizienteren Multitasking-Mitarbeitern ist. Das anknüpfende Kapitel soll einen Überblick über die Definition und Entwicklung des Konstrukts verschaffen und mögliche Inkongruenzen kritisch betrachten.

3.1 Definition

Im Laufe der Zeit werden mehrere unterschiedliche und überlappende Definitionen von Polychronizität entwickelt, die einerseits Unterschiede in der theoretischen Konzeptualisierung, andererseits verschiedene Operationalisierungen des Konstrukts beinhalten. Erstmals wird der Begriff „Polychronizität“ von dem Anthropologen Edward T. Hall (1959, S. 181-184) in seinem bahnbrechenden Buch „The Silent Language“ erwähnt. Hall ist an den stillen Dimensionen von Kultur interessiert, die jedoch selten explizit sind, viel mehr einen Rahmen für die Wahrnehmung von Ereignissen und Menschen bilden. Seine Forschungen führen ihn dazu, Polychronizität als eine stillschweigende kulturelle Dimension zu identifizieren und den entgegengesetzten Pol der Monochronität als das Erledigen einer Tätigkeit nach der anderen, anzusehen (Hall, 1959, S.178). In einem späteren veröffentlichen Interview mit Allen Bluedorn (1998, S. 109) erweitert Hall die Bedeutung von Polychronizität in zweierlei Hinsichten. Zunächst ändert er die Bedeutung der Polychronizität durch das Hinzufügen eines zusätzlichen Elements. Er erläutert, dass eine polychrone Kultur eine Kultur ist, in der Menschen darauf Wert legen und sich unterdessen darin üben, an mehreren Aktivitäten und Ereignissen gleichzeitig beteiligt zu sein (Bluedorn, 1998, S. 110). Diese Definition umfasst demnach ein Verhaltenselement, sprich das Multitasking-Verhalten, und ein Bewertungselement sowie den Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden. Sein vermuteter Grund weshalb polychrone Personen mehrere Aktivitäten gleichzeitig ausführen, ist ihre wertschätzende Haltung diesbezüglich. Zweitens subsumiert Hall mehrere andere Phänomene unter dem Konzept der Polychronizität: Beispielsweise behauptet er, dass polychrone Menschen beziehungsorientierter sind, breitere Informationsnetzwerke haben, weniger auf formale Zeitbeschränkungen achten und leichter unterbrochen werden können als monochrome Menschen (Hall & Hall, 1990, S. 380).

Eine weitere Änderung in der Definition von Polychronizität tritt 1999 durch den Vorschlag von Bluedorn, Kalliath, Strube und Martin (S. 214) über eine neue Konzeptualisierung. Sie definieren es als Teil einer Kultur, die es vorzieht sich an zwei oder mehreren Aufgaben oder Ereignissen gleichzeitig zu beteiligen und annehmen, dass ihre Präferenz der beste Weg ist. Bemerkenswert ist, dass sie ähnlich wie Hall die Polychronizität als eine kulturelle Variable definieren und sie zusätzlich keine Bezugnahme auf das tatsächliche zeitgleiche Ausführen der Tätigkeiten (das Multitasking-Verhalten) nehmen. Stattdessen liegt der Fokus auf der Präferenz des Individuums und inwiefern er oder sie diese Präferenz für andere verallgemeinert. Sie beziehen sich hier auf den Fragenbogen, den sie als Inventar der polychronen Werte entwickelt haben. Auch andere Wissenschaftler haben sich bei Forschungsarbeiten auf diese Definition berufen. Da es jedoch oftmals nach wie vor für Verwirrung sorgt, schlagen König und Waller (2010, S. 175) folgende Definition vor, um für Klarheit zu sorgen: „The term polychronicity should only be used to describe the preference for doing several things at the same time, whereas the behavioral aspect of polychronicity should be referred to as multitasking.” Darüber hinaus ist eine klare Unterscheidung zwischen einer Präferenz (Polychronizität) und einem beobachteten Verhalten (Multitasking) entscheidend, da es keine theoretische Notwendigkeit einer Verbindung zwischen den beiden Konstrukten gibt (Spink, Cole & Waller, 2008, S. 102). Insbesondere angesichts der dynamischen Arbeitsbelastung, mit der viele Arbeitnehmer an modernen Arbeitsplätzen konfrontiert sind, spielen die Komponenten „Zeit“ und „Aufgabe“ eine entscheidende Rolle. Je nach Definition dieser beiden Elemente, lässt sich ein Verhalten als Monochronität oder Polychronizität klassifizieren. Hall (1959, S. 46) differenziert bei der Auffassung von Zeit zwischen den abweichenden Prioritäten verschiedener Kulturen.

3.2 Entwicklung im interkulturellen Kontext

Die Bedeutung von Zeit als kulturelle Dimension spielt seit den letzten Jahren innerhalb eines globaleren und wettbewerbsintensiveren Marktes eine entscheidende Rolle für „Zeitmanagement-orientierte“ Organisationen. Erst im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass der Umgang mit Zeit von einigen Kulturen unterschiedlich betrachtet wird und sich demzufolge Unterschiede in den Erscheinungsformen des Arbeitsstils widerspiegeln (Adam & van Eerde, 2010, S.764). Hall (1959, S. 116) macht auf die Unterscheidung zwischen Monochronität und Polychronizität zwischen andersartigen Kulturen aufmerksam: Die Newtonsche Lehre der absoluten Zeit dominiert bis zum zwanzigsten Jahrhundert das Denken der westlichen Industrie. Jede Minute hat den gleichen Wert und die Zeit wird als linear verlaufende gleichbleibende Gerade visualisiert. Der Pünktlichkeit bei Terminen und der Zeiteffizienz sowie dem Einhalten von Deadlines und dem Vermögenswert dahinter wird im Westen eine hohe Priorität eingeräumt. Aufgaben werden sequenziert nacheinander ausgeführt und die Interaktion mit den Mitarbeitern am Arbeitsplatz ist eher beschränkt, da die Einteilung der Arbeit wie auch die Bestimmung von Deadlines bei fixen Meetings festgelegt werden um keine Zeit zu verschwenden. Die goldenen Regeln dieser Uhrzeitkulturen sind „Zeit ist Geld“ und „die Uhr hört nie auf zu ticken.“ In diesem eher monochromen System stellen Weitsicht und die lineare Zukunftsplanung weitere wichtige Aspekte dar.

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Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Empirische Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Polychronizität
Hochschule
FOM Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, München früher Fachhochschule
Note
1,3
Jahr
2018
Seiten
66
Katalognummer
V433234
ISBN (eBook)
9783668789975
ISBN (Buch)
9783668789982
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polychronizitä, Achtsamkeit, Multitasking, Psychologie, Bachelorarbeit, Abschlussarbeit, Awareness, polychronic
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Empirische Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Polychronizität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/433234

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