Die Gestensprache feministisch-informierter Kunst

Exposé als Vorbereitung für eine längere Arbeit


Modèle, Exemple, 2015

27 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis
3.1 Ketty la Rocca Le mie parole e tu? (1971/1972)
3.2 Shirin Neshat: Women of Allah (1994)

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1 Zentrale Fragestellung und Problemstellung
Die Ausstellung Feministische Avantgarde ­ Kunst der 1970er-Jahre
der SAMMLUNG VERBUND, Wien in der Hamburger Kunsthalle
(13.03.­31.05.2015) präsentiert Werke von 34 amerikanischen und
europäischen Künstlerinnen. Sie weisen auf ihre zeitgenössische Prob-
lematik hin, dass es nur wenige Arbeits-, Ausstellungs- und Diskurs-
räume für Künstlerinnen und ihre politischen, theoretischen und ästhe-
tischen Konzepte gab. Ihre Kunstwerke repräsentieren Aktionen, For-
derungen und Intentionen der Frauenbewegung; Wahrnehmung, Identi-
tät und Rollenbilder ,,der Frau" in der patriarchalen Gesellschaft stehen
auf dem Prüfstand. Die domestizierte Frau als Mutter, Hausfrau, Sex-
objekt und Schönheit stellt dabei die Anti-Ikone der feministisch-
informierten Künstlerinnen dar. Ihre Körper bzw. ihre Selbstdarstellun-
gen sind das zentrale Mittel der Selbstermächtigung. Sie brechen mit
dem ,,Bild der Frau" als Objekt von Gewalt und Begierde und verwei-
sen auf Machtrelationen im Kunstfeld und in der Gesellschaft.
Die Betonung der Rückaneignung des eigenen Körpers in der feminis-
tisch-informierten Kunst zog vor allem eine körperbetonte kunstwis-
senschaftliche Auseinandersetzung mit sich. Die Erforschung der
Handlungsräume und Subversionsstellen in den Werken, die durch eine
Betrachtung der spezifischen Körperbewegung der Gestik erfolgt, wird
daher als relevante und fruchtbare Erweiterung bisheriger Ergebnisse
betrachtet.
Im Anschluss an die Theorien geschlechtlicher Vorbestimmtheit und
Geprägtheit von gesprochener Sprache bei Lacan (1994), Kittler (1985)
und Derrida (2003) werden die Werke feministisch-informierter Künst-
lerinnen auf Aspekte einer geschlechtlichen oder feministischen Ges-
tensprache untersucht. Die zentralen Fragestellungen behandeln zum
einen die Un-/Möglichkeit einer geschlechtlichen Gestensprache und
zum anderen das subversive Potential von Gestensprache in der femi-
nistisch-informierten Kunst. Dabei kann und soll kein Kanon einer
,,feministischen Gestik" begründet werden. Vielmehr wird mittels eines
weiteren Zeichensystems ­ der Gestensprache ­ Zugang zu den einzel-
nen feministischen Positionen und politischen Intentionen gesucht.

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2 Forschungsstand
Die kunsthistorische bzw. kunstwissenschaftliche Aufarbeitung der
feministisch-informierten Kunst, die in den 1960ern verstärkt aufkam,
ist breit gefächert. Fragen der Identität, Körperlichkeit, Pose und Mas-
kerade wurden in Kunstwerken und kunstwissenschaftlichen Publikati-
onen ebenso thematisiert wie der Gebrauch reproduzierbarer Medien
der Künstlerinnen. Ausgangspunkt sind dabei stets Repressionen des
Patriarchats ­ vom Schönheitszwang über sexuelle Gewalt bis zur
Strafverfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen.
Für die Deutungen der feministisch-informierten Kunst bedient sich die
Kunstwissenschaft sowohl der Gender Studies, um Entwicklungen des
Feminismus darzulegen, der Theorien von Machtverhältnissen von
Bourdieu (1973;1982;2001) und Foucault (1976), sowie einer neuen
Psychoanalyse von Irigaray (1974) und Montrelay (1982). Insbesonde-
re Fragen der Körperlichkeit und geschlechtlichen Identität werden
jedoch mit Beauvoir (1949), Friedan (1963), Millett (1970) und Butler
(1990;1993;1995;2004) diskutiert. Häufig zielen die Auseinanderset-
zungen dabei auf den gesamten Frauenkörper als Repräsentations- und
Projektionsfläche der Objekthaftigkeit, der Lust und Fantasien des Pat-
riarchats ab, mit denen gebrochen werden soll.
Eine Publikation, die explizit die Gestik in Werken feministisch-
informierter Kunst in den Fokus stellt, ist nicht bekannt. Es existieren
jedoch zahlreiche Publikationen zur Gestik als epochen- und stilüber-
greifendes Spezifikum, die zumeist die Kunst vor 1900 besprechen.
Beispielhaft zu nennen sind; Ernst H. Gombrichs Aufsätze Ritualized
Gesture and Expression in Art (1965) bzw. Action and Expression in
Western Art (1972), Marcus Mrass Publikation Gesten und Gebärden:
Begriffsbestimmung und -verwendung in Hinblick auf kunsthistorische
Untersuchungen (2005), sowie Barbara Pasquinelli und Franziska Kirs-
tens Sammelband Körpersprache: Gestik, Mimik, Ausdruck (2007).
Für eine retrospektive Untersuchung der dargestellten Gestik in den
feministisch-informierten Werken sollte, aufgrund der geringen Dichte
zeitgenössischer kunsthistorischer Auseinandersetzungen mit ihr, zu-
sätzlich die Gestenforschung herangezogen werden. Obwohl die Gestik

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als Teil der Rhetoriklehre schon von Quintilian in der Antike erforscht
und gelehrt wurde, erfuhr sie insbesondere zur zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts größere wissenschaftliche Aufmerksamkeit und konnte
schließlich eine eigenständige Disziplin (Gesture Studies) institutiona-
lisieren. Die Alltagsgesten Hörender werden beispielsweise im doppel-
bändigen Handbuch über die Multimodalität menschlicher Interaktion
Body ­ Language ­ Communication (2013), herausgegeben von Jana
Bressem et al., thematisiert.
Die relativ junge Gestenforschung bietet vielfältige Konzepte zu Ges-
ten und ihren Klassifikationen. Die durchschlagkräftigste Definition der
Geste scheint die »kommunikative Bewegung mit Armen und Hän-
den«. In vereinzelten Konzepten ist der Bereich des Gestischen auf
Bewegungen in Gesicht, des Blicks, des Kopfes, bis hin zu Torso-,
Schulter- und Beinbewegungen erweitert. Grundlage der meisten Ges-
tentypologien bildet dabei Efrons Studie Gesture and environment
(1941), in der er fünf Kategorien nonverbaler Kommunikation unter-
schied: Illustration, Adaption, Emblem, Affizierung, Regulation . Wei-
tere Klassifizierungen richten sich nach dem Ausdruck und unterschei-
den in Mimesis und Performanz, nach der Funktion in Deixis, Ikon und
Lexem sowie nach kulturellem oder nationalem Kontext. Dabei stellen
die verschiedenen Gestentypen jedoch keine sich wechselseitig aus-
schließenden Kategorien dar .
Die jüngsten Ergebnisse der Gestenforschung sollen in dieser For-
schungsarbeit die Untersuchung von Geschlechtlichkeit und Politizität
in der feministisch-informierten Kunst unterstützen. Ausgehend von
Butler, die Geschlecht als soziokulturell geformtes statt einem biologi-
schen natürlichen argumentiert, werden u.a. die mimetischen und per-
formativen Gesten unter dem Aspekt der Reflexion und Kommentie-
rung patriarchaler Strukturen und feministischer Anliegen betrachtet.
Zur Historie des Gestenbegriffs und weiteren Typologien, siehe Anja Stukenbrock,
Deixis in der face-to-face-Interaktion, Boston/Berlin: De Gruyter, 2015.
Siehe hierzu Adam Kendon, Gesture: Visible action as utterance, Cambridge/New
York: Cambridge University Press, 2004, S.104 und vgl. Stukenbrock, Deixis, S.22.

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3 Theoretische Rahmung und Werkauswahl
Methodisch folgt die Forschungsarbeit der kunsthistorischen Bildbe-
schreibung und Interpretation. Für die Analyse und Interpretation wer-
den auf Theorien und Diskurse primär aus der Semiotik und Linguistik,
den Gender Studies und der Gestenforschung zurückgegriffen. Sie
werden durch philosophische Zugänge von Derrida und Foucault, so-
wie weitere von Bourdieu, Elias (1976) und Lévi-Strauss (1958) zu
sozialen Strukturen, Relationen und ihrer Institutionalisierung ergänzt.
Die Untersuchung von Gesten in feministisch-informierten Kunstwer-
ken dient einer Spezifizierung des zu Teilen erforschten Aspekts des
geschlechtlichen Körpers und seiner Sprache, beispielsweise durch die
Pose, und legt ihr politisches Potential dar. Grundlage der Bildanalysen
ist daher die Anerkennung der Charakteristika von Gesten, die Kennt-
nis ihrer Klassifikationen und ihrer Grenzen. Gesten gelten als erlern-
bar, transformierbar, polysemisch, teils geschlechts- und klassenspezi-
fisch, und different vom Zeichensystem der Schrift . Als eine ,,Ver-
schränkung von Körper und Geist" können sie bewusst und unbewusst
ausgeführt werden . Ähnlich Butlers soziokultureller Normierung von
geschlechtlichen Körpern gibt es in der Gestenforschung den Begriff
des ,,Körperwissens", der emblematische bzw. institutionalisierte Ges-
ten bezeichnet.
Die mimetische Gesten, die eine geschlechtliche Identität re-
/präsentieren, sind in Werken wie von Ulrike Rosenbach Art is a crimi-
nal action no.4 (1969-70) und Lynda Benglis Self (1970-76) zu finden.
Dabei zeigt Rosenbachs Werk primär eine Körperhaltung (Pose), in der
die Geste aus einer auf die Betrachter_innen gerichteten Waffe besteht.
Aber auch Benglis Farbeimerwurf à la Pollock stellt eher eine ausla-
dende Ganzkörperbewegung als eine Geste dar.
Alternative Werke, in denen die Hand- und Armbewegung im Fokus
steht,
sind Hannah Wilkes Gestures (1974) und Nancy Wilson-Pajics
Covering my Face: My Grandmother's Gestures (1972); während Wil-
Siehe hierzu Christoph Wulf, Gesten: Inszenierung, Aufführung, Praxis, München:
Fink, 2010, S.287,290.
Siehe Wulf, Gesten, S.287.

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ke ausgehend von Gesten, die zu Beginn an schönheitserweiternde und
-erhaltende Praxen vom Schminken und Pflegen erinnern, ihr Gesicht
in Grimassen verwandelt, spielt Wilson-Pajic in ihren Gesten nicht nur
auf den Reinheits- und Schönheitszwang für Frauen an, sondern zusätz-
lich auf die generationenübergreifende soziokulturelle Normierung von
Gesten und Tradierung ihrer Verbote. Mit der Repräsentation dieser
Alltagsgesten, die oft unreflektiert in ein Körperwissen übergangen
sind, stoßen die Künstlerinnen ihre Betrachter_innen auf geschlechts-
normierte Praktiken hin. Der Aufruf zur Bewusstwerdung und die fe-
ministische Kritik werden unmittelbar deutlich.
Andere Werke wie Helena Almeidas Estudo para dois espaços (1977)
oder Nil Yalters La femme sans tête ou La danse du ventre (1974) be-
dürfen hingegen weiterer Lektüren als die der Bilder, um ihren Gehalt
gänzlich zu entschlüsseln. Die türöffnenden und sich durch Gitter ste-
ckenden Hände in Almeidas Werk verweisen auf die politische Situati-
on Portugals in den 1970ern; auf das Ende der Diktatur von Salazar.
Nil Yalters Bauchtanz bietet bereits selbst einen Kontext; ihre Hand
notiert einen Auszug aus René Nellis misogynem Text Éoritque et civi-
lisations (1972) auf ihrem Bauch. Durch ihre ,,Autorinnenschaft" und
den Bezug auf ein Ritual der ländlichen Regionen der Türkei, das den
Frauenkörper sexualisiert objektifiziert, verkehrt Yalter diese frauen-
feindlichen Praktiken in eine politische Geste gegen eben jene.
Da aber die schreibende Hand bei Yalter noch als Geste klassifziert
werden müsste, werden an dieser Stelle zwei Werke präsentiert, die
ebenfalls diskursive Gestik und Schrift vereinen und die es in der For-
schungsarbeit auf ihre Geschlechtlichkeit bzw. Politizität zu prüfen gilt.
3.1 Ketty la Rocca Le mie parole e tu? (1971/1972)
In sechs schwarz-weiß Fotografien mit Tinte auf Aluminium der Größe
50 x 60 cm zeigt Ketty la Rocca je eine Hand pro Bild, die behaart ist
und daher als männlich identifiziert werden kann. Den Betrach-
ter_innen ist sie vom Handrücken präsentiert wie zum Gruß, zu einem
Handschlag. Mit jedem weiteren Bild des Polyptichons jedoch knickt
ein weiterer Finger ein, sodass das im letzten Bild die Hand wie eine

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Faust erscheint. Wesentliches Merkmal der Fotografien ist dabei die
Beschriftung der Hände mit Tinte durch die Künstlerin selbst. Ketty la
Rocca schwärzt dabei nicht nur Falten, Schatten und Haare nach, son-
dern schreibt vielfach das Wort ,,you" auf die Hand.
Die Hand und ihre Beschriftung bzw. der Adressierte und die Adressie-
rende (nämlich la Rocca) weisen nicht nur auf ein linguistisches Mo-
dell, sondern auf die Beziehung zwischen Mann und Frau hin. Die
Künstlerin nutzt den linguistischer Shifter ,,you", der je nach Anwen-
der_in in einem Gespräch vor und zurück wandelt , um sowohl Mann
als auch Frau als ,,Andere_n" zu markieren. Der Akt des Benennens
von la Rocca indiziert im Bildnarrativ ihre Herrschaft bzw. Macht über
die männliche Hand . Gleichzeitig stellt die Verwendung des ,,you" als
,,other" einen selbstreflexiven Akt dar, der die Handlungseinschrän-
kung von Frauen in der Gesellschaft durch Männer assoziiert und des-
halb eine (Rück-)Aneignung des Selbst anstrebt . Diskussionen zu
Scheidungen und Schwangerschaftsabbruch sowie über das Familien-
gesetz boten den Kontext für dieses Werk zu Beginn der 1970er in Ita-
lien.
In der Forschungsarbeit wird zu untersuchen sein, um welche Form der
Geste ­ die hier fast wie eine Gebärdensprache auftritt ­ es sich han-
delt, wie sie den Diskurs vermittelt und ob durch sie dem Werk eine
subversive Kraft zugeschrieben werden kann.
3.2 Shirin Neshat: Women of Allah (1994)
Die Schwarz-Weiß-Fotografie aus der Serie Women of Allah (1993-
1997) von Shirin Neshat stellt Frauenhände mit geöffneten Handflä-
chen dar. Sie sind mit Tinte in Farsi beschriftet. Sie wirken wie typo-
graphische Ornamente und erinnern an Mehndis. Die Hände und Un-
terarme im Bildzentrum werden mit einem diagonal auf den Armen
Vgl. Rosalind Krauss, ,Poststructuralism and deconstruction', in: Art since 1900,
hrsg. von Hal Foster, New York (NY): Thames & Hudson, 2011, S.40-48, hier S.41.
Siehe hierzu Jacques Derrida, Einsprachigkeit des Anderen oder die ursprüngliche
Prothese, München: Fink, 2003, S.67.
Siehe Angelandreina Rorro, ,Ketty la Rocca. Reduktion der Sprache', in: Feministi-
sche Avantgarde: Kunst der 1970er Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien, hrsg.
von Gabriele Schor und Verbund AG, München: Prestel, 2015, S.131-137, hier S.131.
Fin de l'extrait de 27 pages

Résumé des informations

Titre
Die Gestensprache feministisch-informierter Kunst
Sous-titre
Exposé als Vorbereitung für eine längere Arbeit
Université
Leuphana Universität Lüneburg  (Philosophie und Kunstwissenschaft)
Cours
Feministische Kunst der 1970er Jahre
Note
1,7
Auteur
Année
2015
Pages
27
N° de catalogue
V433525
ISBN (ebook)
9783668754188
ISBN (Livre)
9783668754195
Taille d'un fichier
859 KB
Langue
allemand
Mots clés
Feminismus, Feministische Kunst, Kunst, Zeitgenössische Kunst, Rollenbilder, Geschlechterrollen, Gestensprache, Gestik, Mimik, Körper, Ketty la Rocca, Shirin Neshat
Citation du texte
Laura Kowalewski (Auteur), 2015, Die Gestensprache feministisch-informierter Kunst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/433525

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