Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist soziale Exklusion?
3. Objektive und subjektive Exklusion
3.1 Objektive Exklusion
3.2 Subjektive Exklusion
4. Verfestigung sozialer Exklusion
4.1 Ursachen sozialer Exklusion
4.2 Rolle des sozialen Milieus
5. Schluss und Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Randale am Feiertag. Knapp 900 Autos in Frankreich angezündet.“[1] Diesen Titel trug ein Artikel, der einen Tag nach dem französischen Nationalfeiertag von der afp verfasst und u.a. in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde. Darin wird berichtet, dass es auch am diesjährigen Nationalfeiertag wieder zu gewaltsamen Krawallen und Angriffen auf Sicherheitskräfte gekommen ist. Dass es sich dabei um keinen Einzelfall, sondern sich um ein alljährlich wiederholendes Ereignis handelt, belegt folgender Satz: „Um den Nationalfeiertag kommt es in Frankreich – insbesondere in sozialen Brennpunktvierteln größerer Städte – immer weder zu Ausschreitungen.“[2] Auffällig daran ist, dass in diesem Zusammenhang vor allem die sozialen Brennpunktviertel hervorgehoben werden. Dies führt zu der Frage welche Verbindung zwischen diesen gewaltätigen Demonstrationen und den sozialen Brennpunktvierteln bestehen. Zwei mögliche Zusammenhänge sollen im Folgenden genannt werden: Zum einen lassen sich diese Gewaltakte gegen fremdes Eigentum und Repräsentanten des Staates, wie in diesem Fall der Polizei und anderen Sicherheitskräften, als Protest gegen den Staat und seine Vertreter verstehen. Zum anderen könnte man diese wiederkehrenden Aktionen als einen Ruf nach Aufmerksamkeit verstehen - einem Aufschrei aus einer „Zone mit hoher Arbeitslosigkeit oder massiver Unterbeschäftigung, maroden Schulen und demolierten Bahnhöfen und Bushaltestellen.“[3] Ein kurzfristiges, aber wiederkehrendes und zerstörerisches Aufbegehren aus Gegenden, in denen „ökonomische Marginalisierung, ziviler Verfall und räumliche Abschottung“[4] zusammenkommen. Dabei ist das Phänomen der „[…] gezielte[n] Abgrenzung, funktionale[n] Ausschließung und existentielle[n] Überflüssigkeit […]“[5] nicht auf die Vororte französischer Großstädte beschränkt, sondern findet sich sowohl in vielen Metropolen als auch in kleineren Städten Europas. In der englischen Hauptstadt London ebenso wie in Lüttich, der zweitgrößten Stadt Belgiens, oder auch in deutschen Städten, wie Duisburg, Aachen, Reutlingen und vielen anderen.
Die vorliegende Arbeit setzt sich eingehend mit der Frage auseinander, wie es zur Verfesti-gung von sozialer Exklusion kommen kann und wie diese Ausgrenzung von den Betroffenen subjektiv wahrgenommen wird, aber auch wie sie objektiv feststellbar und messbar ist. Dabei soll zunächst der Begriff Exklusion definiert und seine gesellschaftliche Bedeutung erläutert werden. Anschließend werden die subjektive und die objektive Exklusion dargestellt. Daran anknüpfend sollen sowohl die Ursachen als auch die Rolle des sozialen Milieus als Faktoren der Verfestigung sozialer Ausgrenzung erläutert werden. Den Abschluss der Arbeit bildet eine kurzen Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte und es soll zudem näher auf die Bedeutung der sozialen Exklusion für die Gesamtgesellschaft und für die Demokratie eingegangen werden.
2. Was ist soziale Exklusion?
Bevor dargestellt werden kann anhand welcher Zahlenkomplexe die Exklusion messbar gemacht werden kann und wie Exklusion subjektiv von den betroffenen Individuen wahrgenommen wird, muss zunächst der Begriff der sozialen Exklusion umfassend erläutert werden. Dazu soll zunächst der Ursprung des Begriffs eingegangen und seine Definitionsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Damit ist sichergestellt, dass den weiteren Betrachtungen klare Begrifflichkeiten zu Grunde liegen. Anschließend wird seine Verwendung anhand des Modells der Exklusion und Inklusion veranschaulicht und damit verbunden werden auch die Dimensionen aufgezeigt, in denen die Individuen von Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen sein können.
Der Ursprung des Begriffs der Exklusion geht laut Robert Castel auf die Bemühung zurück „die seit Mitte der 1970er Jahre deutlich werdenden gesellschaftlichen Auflösungsphänomene zu benennen.“[6] In diesem Kontext hat sich Exklusion „in Frankreich ab den 1980er Jahren zunehmend als Chiffre durchgesetzt[.]“[7] In der Bundesrepublik wurde der Begriff der „»Ausgrenzung« zeit-gleich mit, aber unabhängig von der französischen Diskussion zum ersten Mal Mitte der 80er Jahre im Rahmen der Diskussion um »die neue Armut« […] in den Sozialwissenschaften“[8] verwendet. Der Begriff Exklusion breitete sich rasch über die Länder der europäischen Union aus und so wurden auch Definitionsmöglichkeiten gesucht. Im Folgenden sollen zwei Varianten vorgestellt werden.
Die EU-Komission definierte Exklusion als einen „Prozess, durch den bestimmte Personen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und durch ihre Armut bzw. wegen unzureichender Grund-fertigkeiten oder fehlender Angebote für lebenslanges Lernen oder aber infolge von Diskriminierung an der vollwertigen Teilnahme gehindert werden.“[9] Anhand dieser Definition lassen sich einige zentrale Punkte festmachen. Zum einen handelt es sich bei sozialer Exklusion um einen Prozess in dessen Verlauf die Betroffenen zunächst „an den Rand der Gesellschaft gedrängt“ werden und am Ende sogar aus der Gesamtgesellschaft exkludiert werden. Nimmt man die Exklusion als Prozess wahr, erweitert sich dessen Perspektive: der Blick wird „nicht nur auf die Betroffenen, sondern ebenso auf die Akteure und Agenturen der Ausschließung“[10] gelenkt. Zudem lassen sich „die Ursachen, die Abstufungen und die Form der Ausgrenzungen bis in den Kern der Gesellschaft zurückzuverfolgen.“[11] Dabei betont Kronauer, dass „Exklusionsprozesse […] weder unaufhaltsam noch unumkehrbar“[12] sind. Ein weiterer wichtiger Punkt dieser Definition ist, dass sie eine Unterscheidung vornimmt zwischen eingeschränkter Teilhabe der Betroffenen „durch ihre Armut“ oder aber „wegen unzureichender Grundfertigkeiten oder fehlender Angebote für lebenslanges Lernen oder aber infolge von Diskriminierung[.]“ Für Heinz Bude und Andreas Willisch wird durch diese Differenzierung die Erkenntnis darüber zum Ausdruck gebracht, „dass es nicht allein die von der Allgemeinheit in Form staatlicher Transfereinkommen bereitgestellten finanziellen Mittel sind, die über die Art und Weise der gesellschaftlichen Teilhabe entscheiden.“[13] Eine ähnliche Definition des Begriffs Exklusion, welche ebenfalls deren Prozesshaftigkeit aufgreift, stammt von Petra Böhnke, die die soziale Ausgrenzung bezeichnet „als kumulative[n] und interdependente[n] Prozess der Benachteiligung in einer Vielzahl unterschiedlicher, für die Lebensführung relevanter Funktionsbereiche der Gesellschaft[.]“[14] Für die nachfolgenden Betrachtungen wird dem Verständnis des Exklusionsbegriffs die Definition der EU-Kommission zugrunde gelegt. Nach der Begriffsklärung soll nun auf den Verwendungskontext der Exklusion näher eingegangen werden.
Die Untersuchung und Analyse der Sozialstruktur[15] einer moderner Gesellschaften kann, abhängig von der Fragestellung, mittels unterschiedlicher Modelle vorgenommen werden. Dabei unterscheidet Geißler zwischen folgenden Ansätzen: „das Modell der sozialen Schichten und Klassen, das Modell der sozialen Lagen, das Modell der sozialen Milieus und das Modell der Ex-klusion und Inklusion.“[16] Da dieses Kapitel die Frage klären soll was man unter sozialer Exklusion versteht, wird die Betrachtung hierzu auf das Modell der Exklusion und Inklusion beschränkt. Dieses Modell der sozialen Ausgrenzung ist das „jüngste der vier Modelle“[17] und betrachtet nicht die „Schichtungshierachie“[18] - also die Verortung von Individuen innerhalb der Gesamtgesellschaft in einem Oben und einem Unten, sondern in einem Drinnen und Draußen.[19] Robert Castel hat im Rahmen seiner Studie zur französischen Arbeitsgesellschaft dieses bipolare Modell um eine Zone erweitert. Er spricht in seinem Konzept, welches die Verortung in insgesamt drei Zonen vorsieht, von einer Zone der Integration, welche durch ein „stabiles Arbeitsverhältnis [und ein] solides Eingegliedertsein in soziale Beziehungen“[20] gekennzeichnet ist und einer zweiten, unsicheren Zone, als die Zone der Verwundbarkeit, die „ein prekäres Verhältnis zur Arbeit mit einer fragilen Unterstützung durch die nächste Umgebung kombiniert[.]“[21] Die dritte Zone seines Modells bezeichnet er als Zone der Entkopplung, in welcher „die negativen Auswirkungen des Fehlens jeglicher produktiver Tätigkeit und der Mangel an gesellschaftlichen Beziehungen“[22] zur Entkopplung des Individuums aus der Gesamtgesellschaft führen. Hier klingen bereits zwei Dimensionen der Ausgrenzung an. Zum einen die Arbeitslosigkeit als Ausgrenzung von der Erwerbstätigkeit und zum anderen fehlende soziale Kontakte. Die Dimensionen des Begriffs Exklusion lassen sich darüber hinaus noch erweitern. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zudem „Armut, […] räumliche Ausgrenzung durch Wohnen und Leben in Armutsvierteln oder sozialen Brennpunkten [sowie] der Ausschluss von einer angemessenen politischen und kulturellen Teilhabe[.]“[23]
Das folgende Kapitel geht der Frage nach wie Exklusion objektiv messbar gemacht werden kann und wie sie von den Betroffenen subjektiv wahrgenommen und eingeschätzt wird.
3. Objektive und subjektive Exklusion
3.1 Objektive Exklusion
Um festzustellen, welcher Anteil der Bevölkerung von Exklusion betroffen ist und um gleichzeitig zu verdeutlichen, dass dies keine Einzelfälle sind, bedarf es statistischer Erhebungen. Dies wirft die Frage auf, welche Statistiken für „die Vergegenwärtigung des sozialen Ausschlusses“[24] heran-gezogen werden können. Bude führt dazu insgesamt vier Arten von Zahlen an, welche unter-schiedliche Lebensbereiche, Voraussetzungen und Wahrnehmungen der Befragten aufgreifen. Die dabei zur Analyse herangezogenen Daten gehen „um den Begriff der Armut und damit um den der Arbeit, ein zweiter um den der Bildung, ein dritter um die Vorstellung einer geschlossenen Unterschicht und ein vierter um registrierbare Empfindungen des gesellschaftlichen Aus-schlusses.“[25] Im Folgenden sollen die drei Komplexe von Zahlen näher dargestellt werden. Durch den Zahlenkomplex der registrierbaren Erfahrungen erfährt die Exklusion eine Erweiterung. Daher ist diesen Erhebungen ein eigenes Kapitel gewidmet.
[...]
[1] AFP: Randale am Feiertag. Knapp 900 Autos in Frankreich angezündet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (15.07.2017).
[2] ebd.
[3] Bude Heinz; Willisch, Andreas: Das Problem der Exklusion. In: Bude, Heinz; Willisch, Andreas (2006): Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige. Hamburg: Hamburger Edition, S. 7-23, hier: S. 7
[4] ebd.
[5] ebd., S. 8
[6] Castel, Robert: Die Wiederkehr der sozialen Unsicherheit. In: Castel, Robert; Dörre, Klaus (Hrsg.) (2009): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt am Main [u.a.]: Campus-Verlag, S. 21-34, hier: S. 28
[7] ebd.
[8] Kronauer, Martin (2010): Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus. 2., aktualisierte und erw. Aufl. Frankfurt, New York: Campus Verlag, S. 35 Zur ursprünglichen Bedeutung sei an dieser Stelle angemerkt, dass „unter Ausgrenzung zunächst die rechtliche Ausschließung von Arbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung verstanden [wurde], damit einhergehend aber zugleich soziale Ausgrenzung infolge von Stigmatisierung, die sich aus dem Bezug von Sozialhilfe ergab.“ s. hierzu: ebd.
[9] Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration der Europäischen Kommission (Hrsg.) (2004): Gemeinsamer Bericht über die soziale Eingliederung. Brüssel., S. 12
[10] Kronauer, Martin (2010), S. 48
[11] ebd.
[12] ebd.
[13] Bude Heinz; Willisch, Andreas (2006), S. 8
[14] Böhnke, Petra: Wahrnehmung sozialer Ausgrenzung. In: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte (2015), Nr. 10. S. 18-25, hier: S. 18
[15] Hradil definiert den Begriff Sozialstruktur als die „Gesamtheit der relativ dauerhaften sozialen Gebilde (Gruppierungen, Institutionen, Organisationen) einer Gesellschaft, der sozialen Beziehungen und Wechselzusammenhänge innerhalb und zwischen diesen Gebilden sowie deren Grundlagen[.]“ s. hierzu: Hradil, Stefan (2004): Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 14
[16] Geißler, Rainer (2014): Facetten der modernen Sozialstruktur.
[17] Geißler, Rainer (2014): Facetten der modernen Sozialstruktur.
[18] Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang; Kühn, Susanne: Bildungsarmut, Exklusion und die Rolle sozialer Verarmung und Social Illiteracy. In: Quenzel, Gudrun; Hurrelmann, Klaus (2010): Bildungsverlierer. Neue Ungleichheiten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 137-155, hier: S. 139
[19] vgl. hierzu: Bude Heinz; Willisch, Andreas (2006), S. 8
[20] Castel, Robert (2000) Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UVK, S. 13
[21] ebd.
[22] ebd.
[23] Geißler, Rainer (2014): Facetten der modernen Sozialstruktur.
[24] Bude, Heinz (2008), S. 36
[25] ebd., S. 36 f.