Wahlen sind für viele Bürger die einzige genutzte Möglichkeit, ihren politischen Willen auszudrücken. Das Wahlsystem ist das entscheidende, fundamentale institutionelle Element zur Umrechnung von Stimmen in Mandate. Diese Mandate fallen verschiedenen Parteien zu, welche eine entscheidende Rolle im politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß innehaben. Daher liegt es nahe zu untersuchen, ob das Wahlsystem einen Einfluss auf das Parteiensystem hat. In der Wahl- und Parteiensystemforschung gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, welchen Effekt das Wahlsystem auf das Parteiensystem hat.
In dem vorliegenden Essay werde ich mich auf die theoretischen Auswirkungen des Mehrheitswahlrechts auf das Parteiensystem beschränken, da die Untersuchung aller Wahlsysteme den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Folgende These soll anhand der Aussagen von Dieter Nohlen (2004) und Arend Lijphart (1994,1999) diskutiert werden: Das Mehrheitswahlrecht erzeugt Zweiparteiensysteme.
Die Literatur zu diesem Thema ist sehr umfangreich, deshalb werde ich mich hauptsächlich auf die beiden genannten Autoren beziehen. Die Begründer der Wahlsystemforschung wie Duverger und Rae haben normative Aussagen wie die obige These aufgestellt, die noch heute viel zitiert, aber auch kritisiert werden.
Dieter Nohlen gehört zu den Kritikern und vertritt die These, dass „das Wahlsystem in der Tat nur ein Faktor unter anderen ist, die auf die Gestalt eines Parteiensystems einwirken. “ (Nohlen, 1990, S. 294)
Arend Lijphart hingegen bewertet den Einfluss des Wahlsystems etwas stärker und beruft sich immer wieder auf die Forschungsergebnisse Duvergers und Raes: „Electoral Systems are also a crucial determinant, though by no means the sole determinant, of party systems“ (Lijphart 1999, S. 144)
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Forschungsansätze
- 3. Nohlen im Vergleich zu Lijphart und weitere soziokulturelle Ansätze
- 4. Mehrheitswahl und Verhältniswahl
- 5. (Kapitel 5 fehlt im Ausgangstext)
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Essay untersucht die These, dass das Mehrheitswahlrecht Zweiparteiensysteme erzeugt. Die Arbeit vergleicht die Ansätze von Dieter Nohlen und Arend Lijphart zur Beziehung zwischen Wahlsystem und Parteiensystem. Sie analysiert die methodischen Unterschiede der beiden Forscher und diskutiert alternative soziokulturelle Erklärungsansätze für die Entstehung von Parteiensystemen.
- Einfluss des Wahlsystems auf das Parteiensystem
- Vergleich der Forschungsansätze von Nohlen und Lijphart
- Diskussion alternativer soziokultureller Erklärungsansätze
- Unterschiede zwischen Mehrheits- und Verhältniswahl
- Definition und Abgrenzung wichtiger Wahlsystem-Begriffe
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Der Essay untersucht den Einfluss des Mehrheitswahlrechts auf die Entstehung von Zweiparteiensystemen. Die These, dass das Wahlsystem ein entscheidender Faktor ist, wird anhand der Positionen von Dieter Nohlen und Arend Lijphart diskutiert. Nohlen betont die Bedeutung weiterer Faktoren, während Lijphart den Einfluss des Wahlsystems stärker bewertet, wobei er sich auf die Arbeiten von Duverger und Rae bezieht. Der Essay konzentriert sich auf die theoretischen Auswirkungen des Mehrheitswahlrechts, da eine umfassendere Betrachtung aller Wahlsysteme den Rahmen sprengen würde.
2. Forschungsansätze: Dieses Kapitel vergleicht die methodischen Ansätze von Lijphart und Nohlen. Lijphart verwendet eine empirisch-statistische Methode, die den Zusammenhang zwischen Wahlsystem und Parteiensystem in 27 Demokratien von 1945 bis 1990 untersucht. Er analysiert Wahlformel, Wahlkreisgröße und die Sperrklausel. Nohlen hingegen bevorzugt einen historisch-empirischen Ansatz, der sozio-strukturelle und historische Faktoren berücksichtigt und die unidimensionalen Gesetzmäßigkeiten anderer Forscher in Frage stellt. Der Essay diskutiert die Vor- und Nachteile beider Ansätze, wobei der empirisch-statistische Ansatz eine breite Vergleichbarkeit ermöglicht, aber Kontextfaktoren vernachlässigt, während der historisch-empirische Ansatz detaillierte Analysen ermöglicht, aber die Vergleichbarkeit erschwert.
3. Nohlen im Vergleich zu Lijphart und weitere soziokulturelle Ansätze: Dieses Kapitel vertieft den Vergleich der Ansätze von Nohlen und Lijphart und stellt diese den soziokulturellen Ansätzen von Lipset und Rokkan (Cleavage-Theorie) sowie Lepsius (Milieutheorie) und der Interessentheorie gegenüber. Während Lijphart institutionelle Faktoren betont, betonen die soziokulturellen Ansätze den Einfluss von Gesellschaftsstruktur, Sozialmilieus und rationalem Nutzenkalkül auf die Entstehung von Parteiensystemen. Diese Ansätze betrachten das Wahlsystem oft als abhängige Variable, im Gegensatz zu den institutionellen Ansätzen von Nohlen und Lijphart, die den Einfluss des Wahlsystems auf das Parteiensystem untersuchen. Die Milieutheorie wird als methodisch problematisch eingeschätzt.
4. Mehrheitswahl und Verhältniswahl: Dieses Kapitel definiert die zentralen Begriffe Proporz und Majorz und erläutert die Unterscheidung zwischen Repräsentationsprinzipien und Entscheidungsregeln im Kontext von Mehrheits- und Verhältniswahl. Mehrheitswahl zielt auf parlamentarische Mehrheitsbildung ab und akzeptiert Disproportionalität zwischen Stimmen und Mandaten, während Verhältniswahl eine proportionale Repräsentation anstrebt und Koalitionsbildung fördert. Der Essay konzentriert sich auf die Auswirkungen des relativen Mehrheitswahlrechts in Einerwahlkreisen, wobei andere Wahlsysteme nur kurz erwähnt werden.
Schlüsselwörter
Mehrheitswahlrecht, Verhältniswahlrecht, Parteiensystem, Zweiparteiensystem, Wahlsystem, Dieter Nohlen, Arend Lijphart, empirisch-statistische Methode, historisch-empirischer Ansatz, soziokulturelle Ansätze, Cleavage-Theorie, Milieutheorie, Interessentheorie, Proportionalität, Disproportionalität.
Häufig gestellte Fragen zum Essay: Wahlsystem und Parteiensystem
Was ist das zentrale Thema des Essays?
Der Essay untersucht die These, dass Mehrheitswahlrecht Zweiparteiensysteme erzeugt. Er vergleicht dazu die Ansätze von Dieter Nohlen und Arend Lijphart und diskutiert alternative soziokulturelle Erklärungsansätze für die Entstehung von Parteiensystemen.
Welche Forschungsansätze werden verglichen?
Der Essay vergleicht den empirisch-statistischen Ansatz von Lijphart (Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Wahlsystem und Parteiensystem in 27 Demokratien von 1945 bis 1990) mit dem historisch-empirischen Ansatz von Nohlen (Berücksichtigung sozio-struktureller und historischer Faktoren). Die Vor- und Nachteile beider Ansätze werden diskutiert.
Welche Rolle spielen soziokulturelle Ansätze?
Der Essay stellt die Ansätze von Nohlen und Lijphart den soziokulturellen Ansätzen von Lipset und Rokkan (Cleavage-Theorie), Lepsius (Milieutheorie) und der Interessentheorie gegenüber. Es wird diskutiert, wie diese Ansätze den Einfluss von Gesellschaftsstruktur, Sozialmilieus und rationalem Nutzenkalkül auf die Entstehung von Parteiensystemen sehen und wie sie das Wahlsystem im Vergleich zu den institutionellen Ansätzen von Nohlen und Lijphart betrachten.
Wie werden Mehrheitswahl und Verhältniswahl unterschieden?
Der Essay definiert die Begriffe "Proporz" und "Majorz" und erläutert die Unterscheidung zwischen Repräsentationsprinzipien und Entscheidungsregeln im Kontext von Mehrheits- und Verhältniswahl. Es wird hervorgehoben, dass Mehrheitswahl auf parlamentarische Mehrheitsbildung und die Akzeptanz von Disproportionalität abzielt, während Verhältniswahl proportionale Repräsentation und Koalitionsbildung fördert.
Welche konkreten methodischen Unterschiede zwischen Nohlen und Lijphart werden aufgezeigt?
Lijphart verwendet eine quantitative, empirisch-statistische Methode, die auf vergleichenden Daten basiert. Nohlen hingegen favorisiert einen qualitativen, historisch-empirischen Ansatz, der den Kontext stärker berücksichtigt. Der Essay diskutiert die Stärken und Schwächen beider Methoden bezüglich Vergleichbarkeit und Berücksichtigung von Kontextfaktoren.
Welche weiteren Autoren werden im Essay behandelt?
Neben Nohlen und Lijphart werden die Arbeiten von Duverger, Rae, Lipset, Rokkan und Lepsius herangezogen, um verschiedene Perspektiven auf den Zusammenhang zwischen Wahlsystem und Parteiensystem zu beleuchten. Insbesondere werden die Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan sowie die Milieutheorie von Lepsius im Detail diskutiert.
Welche Schlüsselbegriffe werden im Essay behandelt?
Schlüsselbegriffe sind Mehrheitswahlrecht, Verhältniswahlrecht, Parteiensystem, Zweiparteiensystem, Wahlsystem, Dieter Nohlen, Arend Lijphart, empirisch-statistische Methode, historisch-empirischer Ansatz, soziokulturelle Ansätze, Cleavage-Theorie, Milieutheorie, Interessentheorie, Proportionalität, und Disproportionalität.
Welche Kapitel umfasst der Essay?
Der Essay umfasst (mindestens) vier Kapitel: Einleitung, Forschungsansätze, Nohlen im Vergleich zu Lijphart und weitere soziokulturelle Ansätze, und Mehrheitswahl und Verhältniswahl. Ein fünftes Kapitel wird im Ausgangstext vermisst.
Was ist die zentrale These des Essays und wie wird sie belegt?
Die zentrale These ist, dass das Mehrheitswahlrecht Zweiparteiensysteme erzeugt. Diese These wird durch den Vergleich der Ansätze von Nohlen und Lijphart, die Berücksichtigung soziokultureller Faktoren und die Analyse von Mehrheits- und Verhältniswahlsystemen belegt. Die Stärke der Belege hängt von der Gewichtung der verschiedenen Ansätze und der Interpretation der empirischen Daten ab.
- Arbeit zitieren
- Sven Diekmann (Autor:in), 2004, Erzeugt das Mehrheitswahlrecht Zweiparteiensysteme?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43383