Zur Gestaltung barrierefreier Reiseangebote im Kulturtourismus - dargestellt am Beispiel der städtischen Destination Dresden


Elaboration, 2005

54 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen zur Gestaltung barrierefreier Reiseangebote
2.1 Tourismus und Behinderung
2.1.1 Barrieren im Tourismus
2.1.2 Barrierefreies Reisen – ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor
2.1.3 Das Konzept des Tourismus für Alle
2.2 Die Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Reisenden
2.2.1 Definition und Einteilung der Zielgruppe
2.2.2 Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Reisender
2.2.3 Das Reiseverhalten der mobilitätseingeschränkten Reisenden
2.3 Zielgruppenspezifisches Marketing
2.3.1 Informations- und strategisches Marketing
2.3.2 Zielgruppenspezifische Leistungserstellung
2.3.2.1 Das Produkt als Servicekette
2.3.2.2 Anforderungen an die Elemente der Servicekette in Bezug auf Barrierefreiheit
2.3.3 Marktsegmentspezifische Kommunikations- und Distributionspolitik
2.3.3.1 Kommunikationspolitik
2.3.3.2 Distributionspolitik

3 Barrierefreies Reisen in Dresden
3.1 Entwicklungsstand des barrierefreien Reiseangebotes
3.2 Ziel der Dresden-Werbung und Tourismus GmbH
3.3 Aktuelle und potenzielle Reiseveranstalter mit barrierefreien Reiseangeboten für die Destination Dresden
3.3.1 Reiseveranstalter mit Reisen für mobilitätseingeschränkte Menschen
3.3.2 Erfahrungen von Reiseveranstaltern mit der Destination Dresden im Programm
3.3.3 Kommunikations- und Distributionspolitik der Spezialreiseveranstalter

4 Optimierungsempfehlungen zur barrierefreien Reiseangebotsgestaltung
4.1 Erwartungen der Reiseveranstalter
4.2 Problemstellungen
4.3 Ausbau des Kontaktes zu Reiseveranstalter für Behinderte
4.4 Kommunikation der barrierefreien touristischen Leistungsangebote
4.5 Mobilisierung der Leistungsanbieter
4.6 Verbesserung des öffentlichen Service

5 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anlage

Erklärung

Einleitung

„Ich finde es unter integrativen Gesichtspunkten wichtig, dass versucht wird, Barrieren für alle Menschen abzubauen.“[1]

Meine derzeitige Tätigkeit als pädagogischer Mitarbeiter in einem Berufsbildungswerk für Körperbehinderte und chronisch Kranke beinhaltet unter anderem die Organisation und Durchführung von Freizeit- und Wochenendausflügen. Im Verlauf dieser Unternehmungen sind mir immer wieder viele Probleme und Schwierigkeiten aufgefallen, welche aus den technischen und sozialen Barrieren resultieren, die in der touristischen Praxis anzutreffen sind.

1999 lebten hochgerechnet ca. 11 Millionen behinderte Menschen in Deutschland. Es besteht hier ein Marktsegment, das bislang von der Tourismusbranche bei weitem nicht hinreichend in seinen Urlaubs-, Ferien- und Reisebedürfnissen ernst genommen wird. Damit Menschen mit Behinderung am Tourismus teilhaben können, gilt es Angebote zu entwickeln, in denen die architektonischen, verkehrlichen und sozialen Barrieren weitestgehend minimiert werden. Durch eine verbesserte Zugänglichkeit kulturtouristischer Objekte und Events kann sich der Kulturtourismus, neben seiner gesellschaftlichen Verantwortung, auch einen Attraktivitäts- und Wettbewerbsvorteil verschaffen. (vgl. Wilken 2002, S.23)

Mit diesen Überlegungen wandte ich mich an die Dresden-Werbung und Tourismus GmbH, die an dieser Thematik großes Interesse zeigte. Sie beauftragte mich daraufhin, folgende Fragestellungen zu untersuchen:

- Welche Reiseveranstalter bieten in separaten Katalogen speziell für Behinderte Reisen an?
- Welche Kommunikationswege werden genutzt?
- Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um erfolgreich eine Reise anbieten zu können?
- Wie könnte demzufolge ein Reiseangebot nach Dresden aussehen?

Ausgehend von diesen Fragestellungen erläutere ich im ersten Teil (Kap. 2) theoretische Grundlagen zur Gestaltung barrierefreier Reisenangebote. Dabei gehe ich auf Barrieren im touristischen Alltag, das barrierefreie Reisen als einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor und auf das Konzept des „Tourismus für Alle“ ein. Weiterhin beleuchte ich die Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Reisenden hinsichtlich ihrer Einteilung, ihrer Bedürfnisse und ihres Reiseverhaltens. Das zielgruppenspezifische Marketing sind Inhalt des letzten Abschnittes im ersten Teil. Erläutert werden darin Aussagen zum Informations- und strategischen Marketing, zur zielgruppenspezifischen Leistungserstellung und zur marktsegmentspezifischen Kommunikations- und Distributionspolitik. Im zweiten Teil (Kap.3) stelle ich einen Praxisbezug zur Destination Dresden her. Darin werden der aktuelle Entwicklungsstand des barrierefreien Reisens in Dresden, das Ziel der Dresden-Werbung und Tourismus GmbH und aktuelle und potenzielle Reiseveranstalter dieses Marktsegmentes aufgezeigt. Mit diesem Kapitel sollen die ersten beiden Fragestellungen beantwortet werden. Der dritte Teil (Kap.4) gibt Antwort auf die letzten beiden Fragestellungen. Hier werden Optimierungsempfehlungen für die barrierefreie Reiseangebotsgestaltung der Destination Dresden gegeben.

Die Wahl der Methoden zur Beantwortung der Fragestellungen fiel auf:

- eine intensive Literatur- und Internetrecherche,
- Interviews mit Fachexperten und
- schriftliche Befragungen der Reiseveranstalter aus diesem Marktsegment.

Die Thematik des barrierefreien Reisen ist momentan von hoher Aktualität. Mitte März dieses Jahres unterzeichneten die Behinderten- und Wirtschaftsverbände eine Zielvereinbarung zur Darstellung barrierefreier Angebote in Hotellerie und Gastronomie.[2]

Die vorliegende Arbeit erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Aufgrund der Komplexität der Thematik kann diese Arbeit nur einen kleinen Teil der aufgeworfenen Fragen beantworten. Allerdings bietet sie einen Einstieg in die Praxis des barrierefreien Reisens.

1 Theoretische Grundlagen zur Gestaltung barrierefreier Reiseangebote

1.1 Tourismus und Behinderung

1.1.1 Barrieren im Tourismus

Der Tourismus in Deutschland hat sich in den letzten Jahren qualitativ stark verbessert. In Sachsen startete man zum Beispiel mit einer umfassenden Qualitätsoffensive.

Trotz großer Anstrengungen und viel Erreichtem, können immer noch nicht alle Personengruppen ihre Reise- und Urlaubsbedürfnisse befriedigen. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung ist aufgrund der immer noch zahlreich vorhandenen Barrieren nicht in der Lage, am touristischen Geschehen teilzunehmen. Technische, verkehrliche und auch soziale Barrieren verhindern einen einfachen Zugang zu den touristischen Angeboten für mobilitätseingeschränkte Personen. Darunter zählen Behinderte, vorübergehend eingeschränkte Personen und ältere Menschen. Auch Familien mit Kinderwagen haben es oft nicht leicht die Hürden zu überwinden.

Der Zugang zu touristischen Attraktionen, wie z.B. Burgen, Türme, historische Gebäude oder Museen, wird oft durch Treppen, Stufen, enge Eingänge oder Provisorien (Hebebühnen, Aufzüge am Hintereingang) erschwert. Viele Fahrgastschiffe und andere öffentliche Transportmittel sind noch nicht auf die Bedürfnisse der mobilitätseingeschränkten Reisenden eingestellt. Unwegsame Begehungen auf touristischen Pfaden und Wanderwegen oder auch der Zugang zu Stränden sind Barrieren in der touristischen Praxis, die das Reiseerlebnis erheblich beeinträchtigen.

Oftmals sind Sehenswürdigkeiten zwar zugänglich, jedoch ist der Besuch immer mit einem ziemlich hohen Aufwand verbunden. Der Besuch vieler Objekte oder Veranstaltungen mit Sitzplatz sind oft nur für ein bis zwei Rollstuhlfahrer geeignet. Manche Rollstuhlfahrer werden durch umständliche Zugänge und Umwege ausgegrenzt. Schlecht zu erkennende Ausschilderungen können für sehbehinderte und geistig Behinderte Orientierungsprobleme auslösen.

Des weiteren ist die Planung einer Reise mobilitätseingeschränkter Personen viel aufwendiger. Sie müssen für fast jeden Ausflug jede Aktivität und jede Eventualität im Vorfeld schon abklären und können nicht spontan handeln, obwohl gerade Spontaneität zu den modernen Bedürfnissen der Touristen zählen. Aufwendig ist auch die Anreise dieser Zielgruppe mit ihrem eigenem Pkw.

In einer Quellgebietsbefragung, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA 2003) durchgeführt wurde, wurden rund 4000 behinderte Touristen nach ihren Bedürfnissen und Verhalten untersucht. Befragt nach der Bedeutung der einzelnen Elemente der Servicekette[3], wurde die Unterkunft von 82% der Befragten am höchsten eingestuft, gefolgt von Fortbewegung am Urlaubsort (76%) und die An- und Abreise (74%). Kulturelle Aktivitäten sind für 62% wichtig gewesen.

Die größten Beeinträchtigungen bei touristischen Angeboten sind dagegen bei der Teilnahme an kulturellen Aktivitäten (67%), der Fortbewegung am Urlaubsort (65%) sowie bei Ausflügen und sportlichen Aktivitäten (55%) zu finden.

Eine weitere Problematik besteht darin, dass bei touristischen Aktivitäten viele Reisende dieser Zielgruppe auf Betreuer oder Assistenten angewiesen sind. Das sind zusätzliche Kosten und bei unbekannten Assistenten müssen sich beide erst miteinander vertraut machen, welches wieder einen höheren Aufwand bedeutet.

Neben technischen und verkehrlichen Barrieren sind auch soziale Barrieren große Hindernisse. Oft werden Behinderte aufgrund ihres ungewöhnlichen Äußeren gemieden. Die in touristischen Situationen Beteiligten sind oft verunsichert. Sie schwanken teilweise zwischen Zuwendung oder Vermeidung.(Wilken 2002, S. 32) Besonders geistig Behinderte, vor allem in Gruppen, können andere Urlauber stark irritieren, so dass viele Tourismusanbieter diese Zielgruppe weniger willkommen heißt. Dies bestätigt auch der Inhaber von B&S Reisen Chemnitz in einem Gespräch. Er bemängelt das fehlende Verständnis vieler Beherbergungsbetriebe gegenüber der Gruppe der geistig Behinderten. Sie werden im Tourismus selten akzeptiert.

Große Empörung löste das „Frankfurter Urteil“ von 1980 aus. Eine Urlauberin, die sich am Urlaubsort durch die Anwesenheit einer Gruppe von geistig und körperlich schwer behinderten Miturlaubern in ihrem Urlaubsgenuss beeinträchtigt fühlte, bekam durch dieses Urteil einen Teil ihrer Reisekosten erstattet. (vgl. ebd., ADAC 2003, S.9)

1.1.2 Barrierefreies Reisen – ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor

Neben der gesellschaftspolitischen Aufgabe stellt der barrierefreie Tourismus auch eine ökonomische Notwendigkeit dar.(NatKo 2004, S. 3).

Von einer Minderheit kann mit der Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Reisenden nicht gesprochen werden, wenn man alle Personen mit Behinderung oder mit altersspezifischen Bedürfnissen und ihre Angehörigen, Freunde und Assistenten mitrechnet. Das sind ca. ¼ bis 1/3 unserer Bevölkerung.(Wilken 2002, S.28). Wilken (ebd.) spricht daher auch von einer „letzten großen Marktlücke im Tourismus“. Neumann[4] spricht von ca. 20 Millionen Menschen mit Mobilitäts- und Aktivitätseinschränkungen und macht dabei die erhebliche ökonomische Bedeutung dieses Marktsegmentes deutlich. Durch den steigenden Anteil der älteren Menschen wird diese sogar weiter zunehmen.

Die Ergebnisse der Untersuchung vom BMWA (2003, S.29; ebenfalls unter Mitarbeit von Neumann) bezeugen ein erhebliches Nachfragepotenzial, das zur Zeit nicht befriedigt wird : 37% der Befragten verzichteten auf eine Reise aufgrund fehlender barrierefreier Angebote. 17,3% der Auslandsreisenden fahren aufgrund der barrierefreien Angebote ins Ausland. 48,5% würden häufiger verreisen, wenn es mehr barrierefreie Angebote gäbe. 45,6% wären bereit, für adäquate Angebote durchschnittlich 12,50€ pro Urlaubstag mehr auszugeben.

Die hohe ökonomische Bedeutung des barrierefreien Tourismus wird durch nachfolgende Zahlen besonders deutlich (ebd, S. 37): Der aktuelle Nettoumsatz liegt bei 2.500 Mio. Euro. Dabei besteht noch ein mögliches Steigerungspotenzial von 620 – 1.930 Mio. Euro. Dies kann zu ökonomische Impulsen von bis zu 4.825 Mio. Euro führen und es könnten bis zu 90.000 neue Vollzeit-Arbeitsplätze geschaffen werden. Zusätzliche Impulse können sich aus dem Tagestourismus, dem ausländischen Kundenpotenzial und den Begleitpersonen behinderter Reisender ergeben.

Auch Wilken (2002) geht im Marktsegment von Menschen mit Handicaps von einem Attraktivitäts- und Wettbewerbsvorteil durch eine weitestgehende Barrierefreiheit von Gebäuden, Anlagen und Verkehrsmitteln aus.

Die tourismuspolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, Undine Kurth, verdeutlicht die ökonomische Bedeutung des barrierefreien Reisens: "Barrierefreies Reisen ist ein Zukunftsmarkt, der von der Tourismuswirtschaft noch nicht ausreichend erkannt ist. Menschen mit Behinderungen geben jährlich 1,5 Milliarden Euro im Tagestourismus und 1,6 Milliarden Euro für Übernachtungen aus. Sie unternehmen zwei Millionen Urlaubsreisen pro Jahr und buchen im Schnitt 14 Tage. Andererseits haben rund 40 Prozent der Behinderten in Deutschland schon einmal auf eine Reise verzichtet, weil es keine Angebote gab, die auf ihre Handicaps Rücksicht nahmen" (in Röbke 2004).

1.1.3 Das Konzept des Tourismus für Alle

Die Entwicklung barrierefreier Gestaltung touristischer Angebote ist schon seit den 80er Jahren von einigen Fremdenverkehrsanbietern, Behindertenverbänden und auch von der Politik vorangetrieben worden.

Auf gesamteuropäischer Ebene wurde das „Design für Alle“ erarbeitet. Es besagt, dass Umwelt, Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten sind, dass „alle Menschen in der Lage sind, gleichberechtigt an den gesellschaftlichen Aktivitäten teilzuhaben“(BMWA 2003, S.2). Daraus wurde die Philosophie des „Tourismus für Alle“ abgeleitet: „Jede Person sollte unabhängig von einer Behinderung in der Lage sein zu reisen – zu einem Land, innerhalb eines Landes oder zu einer Destination, Sehenswürdigkeit oder Veranstaltung, die sie besuchen möchte“(ebd.).

Die Herstellung von Barrierefreiheit ist im Interesse aller Menschen. In der Praxis wird sie jedoch meist auf die Personengruppe der Behinderten bezogen. Eine barrierefreie Umwelt ist für ca. 10% der Bevölkerung zwingend erforderlich, für etwa 30 bis 40% notwendig und für 100% komfortabel. (vgl. NatKo 2004)

Das Konzept des Tourismus für alle bekräftigt auch der Landestourismusverband Sachsen (2002, S.2f). Er fordert barrierefreie Angebote aus 4 Gründen:

1. Menschen mit Mobilitätseinschränkung haben wie alle das grundlegende Recht auf die Befriedigung ihrer Freizeit- und Tourismusbedürfnisse.
2. Die Zielgruppe stellt aus wirtschaftlicher Sicht ein großes Potenzial zur Steigerung der Umsätze im Tourismus- und Freizeitbereich dar.
3. Die Reiseinteressen behinderter Menschen unterscheiden sich kaum von denen Nichtbehinderter.
4. Die Reiseausgaben pro Person stellen einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor dar.

Die barrierefreie Gestaltung des Tourismus für Alle sichert allen Teilen der Bevölkerung einen einfachen und sicheren Zugang. Dadurch kann der Komfort, die Attraktivität und Qualität von touristischen Angeboten und Dienstleistungen erheblich gesteigert werden.

1.2 Die Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Reisenden

1.2.1 Definition und Einteilung der Zielgruppe

Nach §39 BSHG werden als behindert Personen verstanden, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind (Vogel in Wilken 2002, S.217). Das Forum „behinderter Juristen“ definiert Behinderung: „wenn Menschen in der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft infolge einer Einschränkung der körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelischen Gesundheit beeinträchtigt sind oder werden“(Frehe/ Neumann in ADAC 2003, S.12 ).

Laut Statistik des Statistischen Bundesamtes von 2003 waren Ende 2001 in der Bundesrepublik Deutschland 6,7 Mio. Menschen als schwerbehinderte Menschen, Behinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50, amtlich anerkannt. Das entsprach einem Anteil von rund 8,1 % der Bevölkerung. Davon waren rund 53% Männer und ca. 52% über 65 Jahre alt. (vgl. ADAC 2003, S13)

In einer früheren Angabe des Soziodata-Institutes (Wilken 2003, S. 17) wurde, bezogen auf die Gesamtgruppe behinderter Personen, von einem Anteil von 13,54% ausgegangen, das sind hochgerechnet 11 Mio. Menschen.

Bei einem weiter gefassten Behinderungsbegriff, der Mobilitätsbehinderung, der vom Bundesministerium für Verkehr 1997 in Diskussion gebracht wurde, wird sogar von einem Anteil von 30% der deutschen Bevölkerung ausgegangen. Zu dieser Gruppe gehören alle Menschen, die sowohl im Alltag als auch in reisespezifischen Situationen Probleme bei der Bewegung und Orientierung im Raum haben. (vgl. ADAC 2003, S.13)

Der ADAC (ebd., S.12f) kritisiert, dass in der offiziellen Definition von Behinderung im §3 BGG persönliche Lebensumstände und soziale Einschränkungen der Menschen mit Behinderung nicht mit einbezogen sind. Die Autoren postulieren: „Menschen mit Behinderung sollten nicht mehr als Personen mit Kompetenzdefizit, sondern als Personen mit individuellen Fähigkeiten und Begabungen und damit auch als ganz normale Gäste wahrgenommen und behandelt werden.“

In der bereits oben erwähnten Studie des BMWA weisen die befragten mobilitäts- und aktivitätseingeschränkten Reisenden folgende soziodemografische Merkmale auf: Es besteht ein hoher Anteil an über 65-jährigen. Der Lebensunterhalt wird überwiegend durch Rente/ Pension und Vermögen finanziert. Das mittlere Haushaltsnettoeinkommen beträgt 2.250 Euro. Über 50% der Befragten gaben einen Grad der Behinderung von 100 an. Die größte Gruppe waren körperbehinderte Menschen im weiteren Sinne.

Wilken (2002, S.22) unterteilt bezogen auf behindertentouristische Gestaltungsaussagen die Gesamtzahl der mobilitätseingeschränkten Personen in drei wesentliche Zielgruppen:

- Behinderte Personen im engeren Sinne, bei denen körperliche, geistige oder seelische Funktionen sowie das Hören, Sprechen oder Sehen beeinträchtigt sind,
- Chronisch erkrankte Menschen, etwa mit Herz-Kreislaufschäden, Diabetes oder Dialysepatienten und
- Altersbehinderte Personen.
Der ADAC (2003) unterscheidet wiederum fünf große Gruppen von Behinderten:
- Reisende im Rollstuhl
- Gehbehinderte Reisende
- Sehbehinderte und blinde Reisende
- Hörbehinderte und gehörlose Reisende
- Lern- und geistig behinderte Reisende

Im Seminar „Gastfreundschaft für Alle“[5] wurde die oben genannte Einteilung durch die Gruppe der Menschen mit Allergien oder anderen chronischen Erkrankungen erweitert.

1.2.2 Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Reisender

Die Gruppe der mobilitätseingeschränkten Reisenden wollen genauso behandelt werden, wie jeder andere Reisende auch. Diese Aussagen bestätigten mir mehrere Reiseveranstalter auf eine Email-Umfrage. Sie möchten möglichst ohne Hilfe anderer ihre Urlaubsaktivitäten wahrnehmen. Spezialangebote vermitteln eher den Eindruck einer nicht gleichberechtigten Zugehörigkeit aller Gäste. Bei bestimmten Behinderungen sind aber Extraangebote erwünscht, z.B. Stadtführungen für Blinde oder Gehörlose.

Unabhängig von der Art der Behinderung weisen behinderte und ältere Menschen folgende Bedürfnisse auf (NatKo 2004, S.27):

- kundenorientierter Service, der über die Gäste grundsätzlich informiert ist und ihre spezifische Situation sensibel berücksichtigt,
- Respekt und Würde, kein Bemitleiden oder Bevormunden,
- genaue und vollständige Informationen über bestehende Dienstleistungsangebote, bauliche Gegebenheiten und Freizeitmöglichkeiten,
- an die Behinderungsformen angepasste Transportdienstleistungen, z. B. Abholdienste vom Bahnhof zur Unterkunft, Gepäckservice o. ä.,
- Beseitigung aller Hindernisse bzw. Barrieren, sei es baulicher oder kommunikativer Art und
- Zugang zu allen touristischen Infrastrukturen.

1.2.3 Das Reiseverhalten der mobilitätseingeschränkten Reisenden

Zu Aussagen über das Reiseverhalten dieser Zielgruppen wird in der Literatur meist auf die Reiseanalysen von 1980, 1986 (Gayler 2003 und Wilken 2003) und 2003 (ADAC 2003 und BMWA 2003) verwiesen. Ich beziehe mich im Folgenden auf die Ergebnisse der Reiseanalyse von 2003, wie sie in der Studie des BMWA (2003) beschrieben worden sind.

Reiseintensität:

Die Reiseintensität betrug 2002 54,3%. Sie liegt damit deutlich unter der gesamten deutschen Bevölkerung (75,3%). Geringere Unterschiede liegen bei Kurz- und Wochenendreisen, 32,3% bei Menschen mit Behinderung und 37,5% bei der Durchschnittsbevölkerung.

Reisehäufigkeit:

Die Reisehäufigkeit der mobilitätseingeschränkten Reisenden ist fast identisch mit der deutschen Gesamtbevölkerung.

Reisedauer:

Die Reisedauer des Urlaubes betrug bei den mobilitätseingeschränkten Reisenden durchschnittlich 13,9 Tage im Gegensatz zu nur 13,5% bei der Gesamtbevölkerung.

Reisearten und –motive

Der Erholungsurlaub wird von 82% der mobilitätseingeschränkten Reisenden nachgefragt, gefolgt von Gesundheitsurlaub (34%) und Kultururlaub (21%). Im Kurzurlaub dagegen bevorzugen 59,7% die Städtereise, gefolgt von Erholung und Kultur.

Der Erholungsurlaub ist auch bei der Gesamtbevölkerung am wichtigsten. Im Kurzurlaub unternehmen jedoch lediglich 41,7% eine Städtereise.

Die Motive für eine Reise unterscheiden sich kaum voneinander. Entspannen, keinen Druck haben und sich nicht unter Druck setzen lassen sind für alle das wichtigste Motiv. Gesundheit und Naturerleben sind bei den mobilitätseingeschränkten Reisenden als weiteres besonders bedeutsam.

Verkehrsmittelwahl

71,6% der Urlaubsanreisen und 72,8% der Kurzurlaubsreisen im Inland erfolgen mit dem eigenen PKW. Weitere wichtige Reiseverkehrsmittel sind für diese Zielgruppe der Reisebus (21,8%) und die Bahn mit 17,2%. Im Verkehr vor Ort ist der öffentliche Nahverkehr für 20,4% wichtig.

Saisonalität

Von den mobilitätseingeschränkten Reisenden wird bei Urlauben und Kurzurlauben verstärkt die Nebensaison genutzt. Die Hauptzeiten sind Mai, September und Oktober.

Reiseausgaben

Die mobilitätseingeschränkten Reisenden gaben pro Kopf 945 Euro aus. Die Ausgaben der Gesamtbevölkerung lagen im Gegensatz dazu bei 818 Euro pro Kopf. Viele Reisende mit Behinderung (ca.62%) wären auch bereit für entsprechende Angebote höhere Kosten in Kauf zu nehmen.

Reiseziele und Reisegebietstreue

41,2% der Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Reisenden verbringen ihren Urlaub in Deutschland, bei Kurzurlauben sogar 80%. Der Anteil der Haupturlaubsreisen der Gesamtbevölkerung innerhalb Deutschlands liegt dabei nur bei 30,5%.

Die beliebtesten Reiseländer in Deutschland sind Bayern, Schleswig Holstein und Baden-Württemberg bei den Haupturlauben und Bayern, Baden-Württemberg und Berlin bei den Kurzurlauben.

Etwa ein Viertel der mobilitätseingeschränkten Reisenden bleiben einem einmal gewählten Reiseziel treu.

Reisebegleitung und Assistenz

Auf eine Begleitperson sind 52% der Menschen mit Behinderung angewiesen. Davon benötigen etwa die Hälfte eine ganztägige Unterstützung (meist Hilfestellungen bei der Fortbewegung und Freizeitgestaltung).

Reiseverzicht

37% der Menschen mit Mobilitäts- und Aktivitätseinschränkungen haben bereits auf eine Reise verzichtet, weil keine barrierefreien oder behindertengerechte Angebote, Einrichtungen oder Dienstleistungen vorhanden waren, besonders in den Serviceelementen An- und Abreise, Ausflüge, kulturelle Aktivitäten und Fortbewegung. Wenn es zusätzliche barrierefreien Angebote gäbe, würden 48,1% der behinderten Menschen häufiger verreisen.

1.3 Zielgruppenspezifisches Marketing

Die im folgenden dargestellte Thematik erhebt aufgrund ihrer Komplexität nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern bietet allein einen kurzen Einblick in das Feld des Marketing-Management. Es werden jene Punkte Erwähnung finden, die in Bezug auf die Problematik von Relevanz sind.

1.3.1 Informations- und strategisches Marketing

Mit der Entscheidung, sich der Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Menschen zu öffnen und dafür entsprechende barrierefreie Reiseangebote zu entwickeln, muss ein auf diese Zielgruppe gerichtetes Marketing folgen.

Im Allgemeinen sollte die Marketingsegmentierung sich nicht an dem Alter oder der Behinderung, sondern an den Bedürfnissen orientieren. (vgl. NatKo 2004, S. 68) Für speziell auf einzelne Behinderungsformen ausgerichtete Angebote sind jedoch entsprechende Informationen und Handlungsableitungen aufzubereiten.

Eine einseitige Positionierung auf die Zielgruppe der mobilitätseingeschränkten Menschen kann ein negatives Image erzeugen. Behinderte wollen nicht nur mit Behinderten ihren Urlaub verbringen. Andere potenzielle Gäste fühlen sich durch solche zielgerichteten Angebote ausgegrenzt oder abgeschreckt. Das Marketing hat hier eine integrative Funktion.

Die anvisierten Zielgruppen sind auf ihre Bedürfnisse hin zu untersuchen. Ein genaues Wissen über Einschränkungen und Besonderheiten sind für die weiteren Marketingmaßnahmen unerlässlich.

Die Marketingziele und die daraus abgeleiteten Strategien einer Destination bestimmen den Grad an Barrierefreiheit, den eine Destination erreichen will. Der Grad an Barrierefreiheit wird höher ausfallen, wenn sich eine Destination deutlich mehr Wettbewerbsvorteile davon erhofft.

Die Destination muss über ihre barrierefreien Angebote klare Aussagen treffen und sich eindeutig positionieren. Angebote, die als barrierefreie deklariert werden, müssen es auch sein. Angebote, die für spezielle Behinderungsformen nicht geeignet sind, sind als solche zu kennzeichnen.

[...]


[1] Martin Smik von Weitsprung-Reisen Marburg, per Email am 10.02.2005.

[2] www.natko.de (abgerufen am 21.03.2005)

[3] Der Begriff „touristische Servicekette“ wird in Kap.2.3.2.1 erläutert.

[4] Am 26.01.05 im Seminar „Gastfreundschaft für Alle“ in Dresden geäußert.

[5] Gehalten von Neumann-Consult im Auftrag der NatKo am 26.01.2004.

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Details

Title
Zur Gestaltung barrierefreier Reiseangebote im Kulturtourismus - dargestellt am Beispiel der städtischen Destination Dresden
College
University of Hagen  (Kulturtourismus und Eventmanagement)
Course
Weiterbildendes Studium Kulturtourismus und Eventmanagement
Grade
2,0
Author
Year
2005
Pages
54
Catalog Number
V43393
ISBN (eBook)
9783638412049
File size
489 KB
Language
German
Notes
Die vom Autor eingereichte Arbeit kann von der Dresden-Werbung und Tourismus GmbH als Vorarbeit für das aktuelle Projekt "Reisen mit Handicap" angesehen werden, welches die Vermarktung barrierefreier Reiseangebote der Destination Dresden zur Aufgabe hat. Abschlussarbeit zum Weiterbildenden Studium Kulturtourismus und Eventmanagement der FernUniversität Hagen
Keywords
Gestaltung, Reiseangebote, Kulturtourismus, Beispiel, Destination, Dresden, Weiterbildendes, Studium, Kulturtourismus, Eventmanagement
Quote paper
Jirka Papenfuß (Author), 2005, Zur Gestaltung barrierefreier Reiseangebote im Kulturtourismus - dargestellt am Beispiel der städtischen Destination Dresden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43393

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