Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Fragestellung
3. Hintergrund
4. Bedingungen für die Geeignetheit von Methoden im personenzentrierten-hypnosystemischen Coaching
4.1. Aufstellungsarbeit von sozialen Beziehungen im Coaching
4.2. Bedingungen für nachhaltiges Selbstmanagement im personenzentrierten Coaching (Rodgers, Sparrer, von Kibèd)
4.3. Bedingungen für nachhaltiges Selbstmanagement in der Time-Line-Therapy (James, Woodsmall, Bandler)
5. Der Projektstrukturplan in der Praxis
5.1. Die Arbeit mit dem Projektstrukturplan im Projektmanagement
5.2. Die Arbeit mit dem Projektstrukturplan im Coaching
6. Reflexion
7. Konklusio
Literaturverzeichnis
Anlagen
1. Dokumentation Coaching C1
2. Dokumentation Coaching C2 und C3
1. Einführung
Die Werbeindustrie hat mit dem berühmten Claim „Mach´ es zu deinem Projekt“ der Baumarktkette OBI das Bedürfnis der Privatkunden nach Selbstmanagement erkannt. Aus eigener Erfahrung als angehender Coach habe ich bei meinen Klient_innen fest- gestellt, dass sie Bedarf an Strukturierung haben. Es kann dabei um die Erledigung von Aufgaben des täglichen Lebens gehen oder sie wollen Bearbeitungsstaus aus dem beruflichen Alltag abarbeiten. Der Projektstrukturplan1 gilt als wesentliche Hilfe, um Projekte zu managen.
2. Fragestellung
Ziel dieser Arbeit ist es, den Projektstrukturplan hinsichtlich seiner Anwendbarkeit für das Coaching zu untersuchen.
Die systemische Beratung folgt dem personenzentrierten Ansatz nach Carl Rodgers und ist durch Elemente des Hypnosystemischen angereichert worden (Stephan, 2016, 15). Der Projektstrukturplan ist als Methode im Projektmanagement bekannt und kommt bisher ausschließlich im klassischen Projektumfeld zum Einsatz. Ich werde zu- nächst untersuchen, inwieweit die funktionale Differenzierung zwischen der klassi- schen Beratung (insbesondere im Bereich Organisationsentwicklung und Projektma- nagement) und dem personenzentriert-hypnosystemischen Ansatz („Coaching“) hierzu bereits Auskunft geben. Hieraus ergibt sich meine erste These:
These 1: Der Einsatz des Projektstrukturplans ist aufgrund funktionaler Differenzie- rung im Coaching undenkbar.
Nachdem ich die Beratungsgebiete funktional voneinander abgegrenzt habe, skiz- ziere ich die praktische Arbeit mit Projektstrukturplänen im Projektmanagement. Vor diesem Hintergrund werde ich im nächsten Schritt untersuchen, unter welchen Bedingungen der Projektstrukturplan im Coaching zu Anwendung kommen kann.
These 2: Wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, kann der Projektstrukturplan im Coaching eingesetzt werden.
Um die zweite These beantworten zu können, werde ich mögliche Bedingungen the- oretisch herleiten und die Theorie dann empirisch überprüfen. Hierfür greife ich auf meine praktischen Erfahrungen zurück, die ich als Systemischer Coach und Verän- derungsmanager gemacht habe.2 Ob und inwieweit der Projektstrukturplan als ein weiteres Tool im Coaching denkbar ist, werde ich hiernach kritisch reflektieren.
3. Hintergrund
Der Projektstrukturplan stellt die strukturierte Gliederung einzelner Arbeitsschritte dar und fasst diese in Hauptgruppen zusammen. Über den Projektstrukturplan können Termine präzise kalkuliert werden, Ressourcen eingeschätzt werden und die zu erle- digenden Aufgaben priorisiert und dann in eine Ablauf- und Rangreihenfolge ge- bracht werden. Darüber hinaus können Meilensteine festgelegt werden, deren Errei- chung die erfolgreiche Erledigung ganzer Maßnahmen- und Aufgabenbündel mar- kiert. Der Projektstrukturplan ist in der Planungsphase von Projekten deswegen das Herzstück. In der späteren Durchführungsphase von Projekten gilt er als wesentli- ches Steuerungs- und Kontrollinstrument. Er hilft beispielsweise beim Abgleich zwi- schen gesetzten Zielen und dem tatsächlichen Erfüllungsgrad. (Bohinc 2010; Hänß- gen 2014)
Von außen betrachtet ist ein Projekt ein Gebilde, bei dem viele Menschen unterschiedliche Dinge tun. (…) Wenn ein Projekt gut läuft, dann macht es den Eindruck, als würde alles wie von einer unsichtbaren Hand zusammengehalten. Diese unsichtbare Hand sind die Rollen und Verantwortungen, die dafür sorgen, dass jeder weiß was er zu tun hat. (Bohinc 2010, 24 ff.)
Bohinc nennt als Projektbeteiligte die Projektleiter_in, die Projektmitarbeitenden sowie Projektsponsor_innen, Stakeholder, Kundschaft, Linienvorgesetzte und Lieferfirmen. Die Projektplanung und -realisierung erfordert die ganzheitliche Sicht auf das gesamte Spektrum von zu Beteiligenden inklusive interner und externer Inte- ressensgruppen. Der praktische Anwendungsbereich bleibt auf Projektmanagende und die unmittelbaren Projektmitglieder begrenzt. Weitere zu Beteiligende beziehen hieraus beispielweise sachlogische Berichte zum Projektverlauf, dem Projektstatus oder zum Soll/Ist-Abgleich. Projektmitglieder werden durch den Projektstrukturplan angeleitet und können darin selbst erkennen, welches ihre nächsten Arbeitsschritte sein sollen und auf welche Projekt(teil)ziele als nächstes hingearbeitet wird. Der Pro- jektmanager kann den Arbeitsfortschritt mit dem Projektstrukturplan überprüfen, steu- ern oder lenken.
Das Projektrisiko in dieser sachlogischen Ordnung sind die involvierten Menschen. Auf dem geplanten Weg zum Projektziel sind sie es, die zu schwer kalkulierbaren Engpässen führen können (Krankheit, Urlaub, Verweigerungshaltung, Fehleinschät- zungen). Der Mensch gilt als wahrscheinlichste Einflussgrößen auf den Projektverlauf (Doppler 2011, 211). Managementberater Doppler fordert deshalb die Selbstoptimie- rung von seinen Klient_innen. Sie sollten „sich trauen (…) auch die Koordinaten auf- zuzeigen, denen Sie folgen, wenn Sie aus ihrem anständigen Bereich ausbrechen“ (ebd., 215).
Carl Rodgers verweist auf die Grenzen solcher Ratschläge. In seiner Auseinandersetzung mit der Psyche des Menschen kommt er zum folgenden Schluss:
Es ist möglich, einem Menschen eine Erklärung seiner selbst zu geben, Schritte zu verschreiben, die ihn vorwärtsführen. Aber solche Methoden sind meiner Erfahrung nach nutzlos und folgenlos. Das Höchste, was wir erreichen können, ist eine temporelle Veränderung, die bald verschwindet und den Einzelnen überzeugter denn je von seiner Unfähigkeit zurücklässt. (2009, 32 ff.)
Rodgers folgend sollte Veränderungsbedarf von den Menschen selbst erkannt werden und die Realisierung von diesem auch von ihrer inneren Bereitschaft hierzu abhängen. Die Selbsterkenntnis ist eine wesentliche Bedingung als Zugang für eine nachhaltige Lösung (Kostka/Münch 2009).
In der funktional differenzierten Betrachtung wird somit ein fundamentaler Unter- schied deutlich: Das Projektmanagement orientiert sich an messbaren Ergebnissen (Ressourcen, Steuerungsgrößen, Erreichungsgrade). Im Coaching hingegen zählt der Mensch mit seinen persönlichen Wünschen, Erwartungen und Erfahrungen. Die innere Haltung von Projektmanagenden gegenüber ihren Teammitgliedern und Sta- keholdern ist nicht mit der Herangehens- und Arbeitsweise vom Coach gegenüber Klient_innen vergleichbar. Diese Differenzierung ist jedoch kontextabhängig und demnach an bestimmte Rollen in spezifischen Situationen geknüpft. These 1 nach ist es undenkbar, den Projektstrukturplan im Coaching zum Einsatz zu bringen. Mit dem bisher Herausgearbeiteten kann zu These 1 noch keine abschließende Aussage hierzu getroffen werden. Der Coach ist in der personenzentrierten Arbeit grundsätz- lich nicht als prüfende oder fordernde Instanz gegenüber Klient_innen vorstellbar.
4. Bedingungen für die Geeignetheit von Methoden im personenzentrierten- hypnosystemischen Coaching
Die Anwendbarkeit jeder Methode im Coaching hängt davon ab, dass sie sich „in seine Substanz versenken lässt […] und sie zum Gegenstande und Inhalte macht, als [Anm. d. Verf.: die Methode] diesen Unterschied der Gegenständlichkeit und des Inhalts aufhebt.“ (Hegel 1979, 586 f.). Für den Projektstrukturplan bedeutet dies, er darf der personenzentriert-hypnosystemischen Arbeit nicht selbst im Wege stehen und sie dadurch verunmöglichen.
Um zu verstehen, in welchem geisteswissenschaftlichen Zusammenhang systemische und strukturelle Ansätze stehen, werde ich die Systemtheorie und die Strukturationstheorie holzschnittartig vorstellen und anschließend die Bedingungen bekannter Coaching-Methoden herausarbeiten.
4.1. Aufstellungsarbeit von sozialen Beziehungen im Coaching
System- oder Strukturaufstellungen sind methodische Werkzeuge für die praktische Arbeit im Coaching. Sie unterstützen die Visualisierung sozialer und struktureller Zusammenhänge, machen diese physisch-räumlich begehbar sowie sinnstiftend und emotional erfahrbar.
„Systeme“ sind in der Systemtheorie voneinander funktional abgegrenzte Bedeutungs- zusammenhänge. Ihren Sinn erhalten sie durch permanente Austauschbeziehungen (Kommunikation). Der funktionale Charakter (Niklas Luhmann spricht von „Systemra- tionalität“) wird ständig von neuem gebildet und dient der Abgrenzung zu anderen Sys- temen und von der Umwelt (Luhmann 1972, 316 ff.; Habermas/Luhmann 1972, 171). Niklas Luhmann sieht in Strukturen konkrete Einschränkung für Systeme, da sie ver- festigte Beziehungen bedeuten (Festigkeit, Stabilität und Konstanz). „Struktur“ be- zeichnet ein gegliedertes Gefüge, welches nach Eduard Spranger losgelöst von fixen Elementen oder Verbindungen verstanden werden kann. Er beschreibt es als „Gebilde der Wirklichkeit, wenn es ein Ganzes ist, in dem jeder Teil und jede Teilfunktion eine für das Ganze bedeutsame Leistung vollzieht, und zwar so, dass Bau und Leistung jedes Teils wieder vom Ganzen her verständlich sind.“ (Spranger 1949, 23 f.).
4.2. Bedingungen für nachhaltiges Selbstmanagement im personenzentrierten Coaching (Rodgers, Sparrer, von Kibèd)
Bei der Aufstellungsarbeit im Coaching wird in der Arbeit mit Figuren der Fokus auf die Visualisierung und räumliche Begehung sozialer Beziehungen gelegt. In der Arbeit mit Bodenankern steht neben diesen Aspekten die strukturierte Vergegenwärtigung auch anderer Anliegen zur Auswahl. Das Ziel ist die Veränderung empfundener Ist-Zu- stände.
Die Grundlage für Veränderung beschreibt Carl Rodgers als die Fähigkeit von Klient_innen, sich selbst als Ich zu erkennen und von anderen abzugrenzen:
Ich bin weit mehr damit zufrieden, einfach ich selbst zu sein und einen anderen sich selbst sein zu lassen. Je mehr ich gewillt bin, ich selbst zu sein und die Realitäten in mir und im anderen verstehe, desto mehr kommt Veränderung in Gang. Es gibt nur einen Menschen, der wissen kann, ob das, was ich tue, ehrlich und gesund ist - ich. (Rodgers 2009, 32 ff.)
In der personenzentrierten Arbeit lässt sich die Ich-Erkenntnis unterstützen. Durch Be- scheidenheit in der Haltung vom Coach wird eine empathische, nichtbedingte Wert- schätzung ermöglicht und eine kongruente Gesprächsatmosphäre geschaffen (Ste- phan 2016, 22 f.). Als weitere Bedingung gilt es, einen „geschützten Raum“ auch phy- sisch bereitzustellen (Sparrer/von Kibèd 2010, 39). Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibèd haben einen Ansatz entwickelt, den sie als dialogisches Konzept zwischen Coachee und Coach vorstellen. Die Systemische Strukturaufstellung3 fördert ein „doppeltes Bewußtsein“ von Klient_innen. Kennzeichnend hierfür ist das verbale und transverbale Erlebbarmachen von Lösungen:
(Insofern) können Strukturaufstellungen auch als Ganzes im Rahmen der Ergebnisse und Begriffsbildungen der Forschung über luzide Träume gesehen werden. Struktur- aufstellungen haben, wie einige andere Gruppensimulationsverfahren auch, mit Klar- träumen gemeinsam (…) dass die von ihnen als vorherrschend erlebten Züge ihrer Wahrnehmung nicht auf ihre eigentliche Wirklichkeit beziehen. (ebd., 15 ff.)
Hierdurch werden nicht oder nur schwer zugängliche Muster und Prozesstypen des Individuums zugänglich.
Ein weiteres Kriterium ist die Lösungsorientierung (vgl. de Shazer 2009, Berg 2003). Ist es möglich, die Planung von Aufgaben als „luziden Traum“ erfahrbar zu machen? Ein zuvor schwer oder nicht zugängliches Muster müsste in der Arbeit mit dem Coach erschlossen werden können. Die lösungsorientierte Kontexterweiterung ist nach Spar- rer und von Kibèd bereits „in der Bewegung vom momentanen Zustand zu einem künf- tigen Ziel“ erreicht (2010, 176 ff.). Hierfür haben die beiden Forschenden Kriterien ent- wickelt. Die vier Kriterien für die Wirksamkeit einer Lösung lauten: Ähnlichkeit zu Ge- gebenen, Wahrnehmbarkeit und Erinnerbarkeit von Lösungen sowie die Anwendbar- keit des Erarbeiteten (ebd.).
4.3. Bedingungen für nachhaltiges Selbstmanagement in der Time-Line- Therapy (James, Woodsmall, Bandler)
Everett „Tad“ James ist Autor und Trainer im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und hat die Time-Line-Therapy entwickelt.4 James möchte mit Hilfe der von ihm kon- zipierten Methoden „unerweckte Essenzen“ im Menschen wecken. Seine der Time- Line-Therapy fußt auf der Idee, wonach alle Menschen eine Zeit-Linie in sich haben und Einfluss auf die Zeitwahrnehmung nehmen können. Dies erzeugt Veränderungen in einem selbst und bei anderen (James 1992, 55 f.). Konkret sollen Individuen durch einen Blick in die Vergangenheit an Stärken erinnert werden, um für ein aktuell nicht lösbar erscheinendes Problem einen Zugang zu entwickeln. Die innere Haltung zu sich selbst und gegenüber Mitmenschen zu ändern ist ein wesentliches Kriterium:
Our Time Line is the memory coding of the brain. It is how people encode and store their memories. Otherwise, how would you know the difference between a past memory and a future dream? With the discovery of Time Line, we also have, for the first time, the ability to change significant numbers of a person's memories in a short time. Obviously, changing a substantial number of a person's memories will have an impact on the person's personality. (James/Woodward 1988, 10)
James unterscheidet zwischen „In-Time“- und „Through-Time“-Personen:
Das Planen erfordert eine Through-Time-Perspektive; wenn du jedoch an etwas arbeitest, auf das du dich voll konzentrieren willst - wenn du wirklich in dem Moment sein willst -, so erfordert das eine In-Time-Perspektive. (ebd., 86 f.)
Diese wesentlich unterschiedlichen Perspektiven mit Zeit bzw. auf Zeit lassen sich wie folgt typologisieren:
Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten
Tab. 1 Typen von Zeit-Erfahrung nach James (1992).
5. Der Projektstrukturplan in der Praxis
Nachdem ich die Arbeit mit dem Projektstrukturplan im Projektmanagement prozesshaft dargestellt habe und auf verschiedene Methoden im Coaching eingegangen bin, werde ich den Einsatz des Projektstrukturplans im Coaching vorstellen. Anschließend möchte ich seine Wirksamkeit und Geeignetheit diskutieren.
5.1. Die Arbeit mit dem Projektstrukturplan im Projektmanagement
Die Arbeit mit dem Projektstrukturplan habe ich als Projektmanager nach einem pro- zesshaften Schema durchgeführt, um Projekte zu planen. Zunächst werden die von den Projektteammitgliedern als notwendig erachteten Arbeitsaufgaben per Kartenab- frage aufgeschrieben, anschließend im Team diskutiert und an einer Metaplanwand gruppiert. Mehrere Aufgabenteile können hierbei zu einem Arbeitspaket zusammen- gefasst werden, welches wiederum in eine logische Ablaufreihenfolge mit anderen Pa- keten gebracht werden muss. Das Ergebnis wird nun den verschiedenen Projektpha- sen zugeordnet. Im Ergebnis liegt dem Projektteam eine systemische Planungsstruk- tur für die weitere Projektrealisierung vor. Den Arbeitsaufgaben können nun die erfor- derlichen Ressourcen (Geld, Zeit, Verantwortlichkeiten) zugeordnet werden. Die Pro- jektleitung nutzt den Projektstrukturplan als Planungs- und Steuerungssystem, um die eigenen Aufgaben und die des Projektteams zu überwachen sowie die Kosten und den Zeitplan im Blick zu behalten.
Ich werde nun auf das Setting meiner Sitzungen mit einem Coachee eingehen und im Anschluss die Anwendung des Projektstrukturplans in diesen Sitzungen beschreiben.
5.2. Die Arbeit mit dem Projektstrukturplan im Coaching
Mein Coachee erhielt insgesamt drei Stunden Coaching (C1 - C3) in zwei Sitzungen (Dokumentation siehe Anlage):
C 1. Problemdefinition, Auftragsklärung
C 2. Weitere Auftragsklärung, Fokussierung, Abgrenzung Coaching von The- rapie, Wechsel in die Lösungstrance
C 3. Arbeit mit dem Projektstrukturplan
In der ersten Sitzung C1 nutzte der Coachee die Zeit und den Raum, verschiedene Anliegen darzulegen. Dabei handelte es sich um ein Geflecht ineinander verschränkter Problemebenen aus privaten Beziehungs- und Liebesbeziehungen (P1), wirtschaftli- chem und organisatorischem Übersichtsverlust mit dem Wunsch zu mehr Kontrolle über das eigene Leben (P2) sowie - nach eigenen Angaben - Depression gepaart mit dem Helfenden-Helfersyndrom (P3). Jede Problemdimension bestand aus mehreren Teilproblemen: Beispielweise emotionale Bindungen zu verschiedenen Menschen, die jeweils bestimmte intime und soziale Bedürfnisse befriedigen und auch soziale und emotionale Abhängigkeiten zueinander haben. Aufgrund von Verschränkung der Prob- lemebenen miteinander sah sich der Coachee zur zeitlichen und strukturellen Entkopp- lung außerstande. Dies versperrte ihm auch den Weg zur Lösung von Teilproblemen.
In der ersten Sitzung (C1) habe ich mit Hilfe von Mikrothesen am Problembewusstsein gearbeitet. Das Ergebnis war zunächst für den Coachee und mich als Coach unbefrie- digend. Es konnten keine wesentlichen Lösungsansätze entwickelt werden. In der zweiten Coachingstunde (C2) habe ich deshalb eine erneute Zielklärung vorgeschla- gen. Dadurch konnte die Fokussierung auf eines der Anliegen erreicht werden.
Hierbei habe ich die Kartenabfrage als Mittel gewählt. Der Coachee hat alle Probleme spontan geschildert und auf Karten geschrieben.
In der dritten Stunde (C3) schlug ich dem Coachee vor, die erstellten Karten aus einer Problemdimension zunächst in eine Reihenfolge zu bringen. Hierbei erschien es mir geeignet, nach der Time-Line-Therapy vorzugehen. Der Coachee brachte die Karten in eine für ihn logische Ordnung. Anschließend wählte er die Organisation des eigenen Lebens (P2) als das für ihn zu priorisierende Anliegen. Innerhalb dieses Anliegens nahm er die In-Time-Perspektive ein, wonach er sagen konnte, bis wann er die ihn belastenden Aufgaben erledigen kann. Die Aufgabe „Steuererklärung machen“ wollte er beispielsweise beginnen, nachdem die Aufgabe „Wohnung aufräumen“ erledigt wor- den ist. Dabei beobachtete ich, dass die zeitliche Dimension für ihn mehr und mehr in den Hintergrund trat. Dem Coachee ging es nicht um die Time-Line-Frage („Bis wann“), sondern er entwickelte das Bedürfnis seine Aufgaben mehr und mehr einer Ablaufrei- henfolge zu bringen. Er strukturierte die Karten nach Abhängigkeiten untereinander. Zusätzlich wurde die Problemdimension in verschiedene Prozessabläufe und Abfolgen zergliedert. Die auf dem Boden ausgebreiteten Kärtchen wirkten zudem als visuelle Repräsentation (Bodenanker) auf den Coachee. Ich bat ihn, sich zu den vor ihm lie- genden Arbeitspaketen zu stellen und die damit assoziierten Gefühle zu verbalisieren. In der Durchführung äußerte er darauf hin bei der Aufgabe "Steuererklärung machen", dass er eine Schwerkraft fühlt, die ihn nach unten zieht.
6. Reflexion
Zusammenfassend haben sich Kriterien für Coaching-Methoden herauskristallisiert, die in der Entwicklungsarbeit für Sparrer, von Kibèd, de Shazer, Berg und James we- sentlich erscheinen und welchen der Projektstrukturplan im Coaching folglich gerecht werden muss:
1. Gesprächsatmosphäre durch innere Haltung schützen
2. Geschützten Raum physisch bereitstellen
3. Ressourcen aktivieren
4. Vier Kriterien für die Wirksamkeit einer Lösung
- Ähnlichkeit zum Gegebenen
- Wahrnehmbarkeit der Lösung
- Erinnerbarkeit der Lösung
- Anwendbarkeit des Erarbeiteten
Der Perspektivwechsel vom beauftragten Projektmanager zum Coach ist zwingend: Das Management muss im Coaching den Klient_innen überlassen werden. Der Coach kann dies durch seine innere Haltung sicherstellen. Insofern lässt sich der Projektstrukturplan aus der rationalen Sphäre des Projektmanagements herauslösen und für die hypnosystemische Arbeit gewinnen.
Das Ziel in der personenzentrierten Arbeit ist, dass Klient_innen die eigenen Kräfte zur Realisierung gesetzter Ziele entfalten können. In ihnen können sich insofern verschiedenen Rollen vereinen (Projektmanager, Projektmitglied, Lenkungsausschussmitglied). Coachende können als wohlwollende Stakeholder fungieren. Sie stehen dem Projekterfolg des Coachees positiv und fördernd gegenüber und tragen zur Lösungsorientierung bei. Sie greifen nicht in das "Projektgeschehen" ein, um nicht in die Rolle von Expert_innen zu geraten:
Es gibt nur einen Menschen, der wissen kann, ob das, was ich tue, ehrlich und gesund ist - ich. Wenn ich (als Coach) eine Beziehung herstellen kann, die auf meiner Seite so charakterisiert ist: Authentizität und Transparenz: ich zeige mich mit meinen wirk- lichen Gefühlen; Akzeptieren und Schätzen des anderen als eigenständiges Indivi- duum; Einführung: die Fähigkeit, den anderen [die Andere] und seine [ihre] Welt mit seinen [ihren] Augen zu sehen, dann wird der Andere [die Andere] in dieser Bezie- hung: Aspekte seines [ihres] Selbst, die er [sie] bislang unterdrückt hat, erfahren und verstehen; finden, dass er [sie] stärker integriert ist, und er [sie] wird eher in der Lage sein, effektiv zu agieren; dem Menschen, der er [sie] sein möchte, ähnlicher werden; mehr Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein zeigen; mehr Persönlichkeit werden, einzigartiger und fähiger zum Selbstausdruck; verständiger, annahmebereiter gegen- über anderen sein; angemessener und leichter mit den Problemen des Lebens fertig werden können.“ (Rodgers 2009, 32 zit. n. Stephan, 2016.)
Dadurch soll die Persönlichkeitsentwicklung gefördert und Reflexionsfähigkeit von Klient_innen gestärkt werden.
7. Konklusio
In dem hier vorgestellten Beispiel wurden dem Coachee mit Hilfe des Projektstruktur- plans im Coaching neue Blickwinkel auf die Bedürfnisse des Coachee deutlich. Die Verschränkung innerhalb bestehender Problemdimensionen ließ sich ordnen, so dass eine lösungsorientierte Bewegung für den Coachee erkennbar wurde. Hiervon ausge- löst wechselte der Coachee die Perspektive auf empfundene Probleme, wonach die Zeit vor den Coachee trat und hierdurch für ihn bearbeitbar erschien („Through-Time“). Alle vier Wirkdimensionen zur nachhaltigen Lösung eines Problems wurden ebenfalls angesprochen. Ein lösungsorientierter Zugang konnte damit eröffnet werden. Der Projektstrukturplan kann somit erfolgsbringend im personenzentrierten Coaching als ressourcenaktivierendes Steuerungssystem eingesetzt werden. Der Projektstrukturplan lässt sich in einer solchen Anwendung als Mischform aus Aufstellungsarbeit mit Bodenankern und der Time-Line-Therapy verstehen.
Das Einhalten von Bedingungen bereits bewährter Coaching-Methoden kann beim Einsatz des Projektstrukturplans im Coaching gewährleistet werden. Insofern ist die These 1 nichtzutreffend. Sie hat unterstellt, der Einsatz des Projektstrukturplans im Coaching sei per se nicht vorstellbar. These 2 hingegen lässt sich positiv beantworten. Es sind Bedingungen bekannt und erfüllt, so dass der Projektstrukturplan in den Werkzeugkasten von Coaching-Methoden aufgenommen werden kann.
Die damit verknüpfte Frage, ob der Projektstrukturplan im Coaching noch seinen Na- men verdient, kann nun ebenfalls positiv beantwortet werden. Durch die kontextspezi- fische Veränderung war es dem Klienten möglich, sein Anliegen sowohl durch sachlo- gische als auch emotionale Zugänge zu erschließen. Der Projektstrukturplan im Coaching dient damit dem nachhaltigen Selbstmanagement. Dies bestätigt auch die unmittelbare Rückmeldung des Coachees nach Beendigung des Coachings.
In der weiteren Auseinandersetzung böte sich an, die empirischen Tests auf weitere Klient_innen zu erweitern und die gewonnenen Ergebnisse kritisch zu prüfen.
[...]
1 Auf die im Projektmanagement übliche Abkürzung PSP wird in dieser Stelle verzichtet, da PSP im Coaching für „Psycho-soziale Prozesse“ steht und es hierdurch zu Verwechslungen kommen kann.
2 Zum Zeitpunkt dieser Facharbeit in Ausbildung befindlich.
3 Die Strukturaufstellung ist ein Metamodell verschiedener systemischer Aufstellungsarbeiten (2010 97) und vereint nach Sparrer/von Kibèd vier Theorieschulen bzw. Praktiken (ebd., 90): Die Hypnothe- rapie nach Milton Erickson, der lösungsfokussierte Ansatz nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg, Gruppensimmulationsverfahren und das Psychodrama nach Jakob L. Moreno, die Skulptur- und Re- konstruktionsarbeit von Virginia Satir, die Familienaufstellung nach Ruth McClendon, Leslie Kadis, Thea Schönfelder und Bert Hellinger, systemische Ansätze nach M. Selvini Palazzoli und Helm Stierlin sowie Heinz von Foerster.
4 Die Time-Line-Therapy wurde von James gemeinsam mit Wyatt Woodsmall entwickelt, unter Hilfe von Richard Bandler. Der Ansatz wird in der Neuro-Linguistischen Programmierung verwendet. Zur kritischen Auseinandersetzung mit NLP: Jansen 2016, Franzke 2015 oder Murphy 2010.