Frank Castorf ist seit der Spielzeit 1992/1993 Intendant der Volksbühne im Osten Berlins. Als verschmähter Künstler aus der DDR bekam er damit die Gelegenheit, die Bühne als Experimentierfeld zu nutzen und mit jungen avantgardistischen Künstlern vor allem gegen den Konservatismus und die Lethargie in der Kunst anzutreten. Was die Volksbühne insbesondere sucht, ist die Gefolgschaft des neuen Aufbruchs, meist Randgruppen, die sich im Theater nicht an der romantischen Schönheit ergötzen wollen. In diesem Sinne steht der Panzerkreuzer im alten Berliner Scheunenviertel in direkter Relation zu der Realität des Berliner Lebens. Es gibt keine Grenze mehr zwischen dem Stück und dem Diskurs des Lebens im Spannungsfeld zwischen West und Ost. Beide Seiten, Fiktion und Realität, werden zu Gleichberechtigten und bilden dabei ein Theater der Provokation und des Zynismus, das bei der Betrachtung zugleich auch eine Reflexion fordert.
"[Ich bin] oft als politischer Regisseur missverstanden worden, obwohl mich eigentlich nur interessiert hat, wie man das Leben auf die Bühne bringen kann. Da ist ein so abgeschlossenes literarisches Gebilde mir oft nicht genug, weil ich über Extensivität eine andere Intensität suche. (...) Ich komme aus einer ganz anderen Zeit, aus dem Fußball, dem Rock `n’ Roll, aus dem herausgebrüllten Unmut, aus der Neurose. Da sind die Kategorien zerbrochen. Ich glaube nicht an einen ästhetischen Rettungsversuch über Werktreue, über das tiefe Hineinhorchen in ein Kunstwerk, an diese Art der Intensität aus dem poetischen Detail."
Castorf interessieren in dieser Hinsicht nicht die seelischen Verwerfungen oder die bloßen pathetischen Gebilde zur Einfühlung des Zuschauers. Er sucht nach dem Darunterliegenden, nach zwischenmenschlichen Konfliktsituationen unserer Realität und reiht sich somit in die ästhetische Tradition der Dekonstruktivisten ein. Auch bei der Inszenierung von Endstation Amerika für die Salzburger Festspiele 2000, die den großen Bühnenerfolg A streetcar named desire von Tennessee Williams aufgreift, handelt es sich folglich um eine dekonstruktivistische Transformation, als deren Ergebnis ein neues Stück entstanden ist. Die zugrunde liegende Analyse möchte daher, beginnend bei Derridas philosophischen Schriften zur Dekonstruktion, die Charakteristik des Umformungsprozesses anhand von verschiedenen Kategorien untersuchen, um letzten Endes die Ergebnisse auf das Kunstverständnis von Frank Castorf anzuwenden.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Dekonstruktion
- III. Endstation Amerika
- 1. Figuren, Klischees und Diskontinuität
- 2. Die Kollision der Gegensätze
- 3. Die Musik als taktangebende Instanz
- IV. Pathologie statt Pathos. Frank Castorfs Theater
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Analyse zielt darauf ab, die Inszenierung von Frank Castorfs „Endstation Amerika“ im Kontext der dekonstruktivistischen Theorie von Jacques Derrida und der ästhetischen Prinzipien des Regisseurs zu untersuchen. Sie analysiert den Umformungsprozess, der aus dem Originalstück „A streetcar named desire“ von Tennessee Williams ein neues Stück entstehen lässt.
- Dekonstruktion von Bedeutung und Text
- Analyse der Inszenierungstechniken Frank Castorfs
- Die Rolle von Figuren, Klischees und Diskontinuität in der Inszenierung
- Die Bedeutung von Musik und visuellen Elementen
- Der Einfluss von Postmoderne und dekonstruktivistischer Theorie auf das Theater
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext der Analyse dar und führt in das Leben und Werk von Frank Castorf ein. Sie betont seine Experimentierfreudigkeit und seine Kritik am Konservatismus in der Kunst. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Konzept der Dekonstruktion und beleuchtet die zentralen Ideen von Jacques Derrida. Es erklärt, wie Dekonstruktion die Bedeutung und Struktur von Texten auflöst und zeigt, dass die Bedeutung eines Textes nicht fixiert ist, sondern durch die Interpretation entsteht. Das dritte Kapitel befasst sich mit Castorfs Inszenierung von „Endstation Amerika“. Es analysiert die Figuren, Klischees und Diskontinuität in der Inszenierung sowie die Kollision der Gegensätze und die Rolle der Musik als taktangebende Instanz. Es wird ein tiefer Einblick in die Inszenierungstechniken und die ästhetische Vision des Regisseurs gegeben.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Analyse sind: Frank Castorf, Dekonstruktion, Endstation Amerika, A streetcar named desire, Tennessee Williams, Jacques Derrida, Postmoderne, Inszenierungsanalyse, Theater, Kunst, Bedeutung, Text, Interpretation, Musik, Visuelle Elemente.
- Quote paper
- Bogdan Büchner (Author), 2003, Die Bedeutung auf dem Prüfstein. Eine Inszenierungsanalyse von Frank Castorfs "Endstation Amerika", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43462