Tabakkonsum in Deutschland. Die Anwendung wissenschaftlicher Forschung durch die Politik anhand ausgewählter Modelle von Carol Weiss am Fallbeispiel analysiert


Hausarbeit, 2016

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Rauchen in Deutschland - Ein historischer Überblick

2. Carol H. Weiss: The Many Meanings of Research Utilization (1979)
2.1 Modell I: Das „Problem-Solving Model“
2.2 Modell II: Das „Political Model“
2.3 Modell III: Das „Enlightenment Model“

3. Die Übertragung der Modelle auf das Fallbeispiel Tabakkonsum
3.1 Beispiele für das „Problem-Solving Model“
3.2 Beispiele für das „Political Model“
3.3 Beispiele für das „Enlightenment Model“
3.4 Beispiel für Mischformen

4. Ausblick und weiterführende Forschungsfelder

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Im Jahr 2013 sind in Deutschland 121000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums gestorben.[1] Nach Einschätzung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung ist dies das „größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit“.[2]

Rauchen hat als gesellschaftliches Phänomen eine lange Geschichte hinter sich. Dabei hat es in jüngster Zeit einen enormen Imagewandel gegeben. Während der Marlboro- Mann[3] in den 70er Jahren noch der Inbegriff der Jugendlichen Coolness war, werden heute zahlreiche politische Kampagnen in den meisten westlichen Industrienationen gefahren, um die „Raucherkultur“ einzudämmen.

Wie kam es zu einem solchen Wandel in der Wahrnehmung von Tabakkonsum? Auf welche Weise wird dabei wissenschaftliche Forschung von der Politik eingesetzt?

In dieser Arbeit soll der Verlauf der gesellschaftlichen Debatte anhand der Fragestellungen - mit Schwerpunkt auf letzterer - nachgezeichnet werden. Insbesondere wird dabei das Verhältnis wissenschaftlicher Forschung und Politik mithilfe des Aufsatzes „The Many Meanings of Research Utilization“ von Carol Weiss betrachtet. Weiterhin wird aufgezeigt, dass sich die ursprünglich auf sozialwissenschaftliche Forschung gezielte Theorie auch auf naturwissenschaftliche Beispiele übertragen lässt. Dabei liegt der Fokus auf den drei für das Fallbeispiel wesentlichen Bildern von Weiss; dem „Political Model“, dem „Enlightenment Model“ und dem „Problem Solving Model“.

Zunächst erfolgt ein grober historischer Überblick über das Rauchverhalten der Deutschen. Danach werden die drei genannten Modelle von Weiss definiert und erläutert. Im Hauptteil werden zu jedem Modell einige ausgewählte Beispiel angeführt, die Verbindung zwischen Politik und Wissenschaft kommentiert und auf das jeweilige Modell übertragen.

In einem zusätzlichen Teil wird Blick auf den heutigen Stand der politischen Diskussion geworfen. Zusätzlich werden weiterführende Forschungsfelder angeführt, die sich aus der Beschäftigung mit dieser Abhandlung ergeben.

In einem abschließenden Fazit werden die wesentlichen Aussagen noch einmal zusammengefasst und einer analytischen Bewertung hinsichtlich des Einsatzes wissenschaftlicher Forschung unterzogen. Dabei wird aufgezeigt, wie gut sich das jeweilige Model - von der Theorie zur Anwendung - auf das Fallbeispiel übertragen lässt.

1. Rauchen in Deutschland - Ein historischer Überblick

Die Wissenschaft ist sich heute einig: Rauchen ist gesundheitsschädlich. Doch lange galten Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen als Statussymbol.

Nachdem Tabak vom Seefahrer und Entdecker Christoph Kolumbus als Nutz- und Heilpflanze in Europa eingeführt wurde, etablierten sich die daraus gewonnenen Produkte zunehmend als Genussmittel.[4]

Der Siegeszug von Tabak verlief keineswegs ohne Brüche. Schnell gab es berühmte Kritiker, wie den englischen König Jakob I., der in einer Streitschrift vor den Gefahren des Tabaks warnte. Zu der damaligen Zeit wurde Tabak nur als Schnupf- oder Kautabak konsumiert. Erst innerhalb des Dreißigjährigen Krieges wurde das Rauchen von Tabak in einer Pfeife populär.[5]

Schon ein Jahrhundert später gab es die ersten wissenschaftlichen Befunde, die dem Tabakkonsum eine schädliche Wirkung nachsagten. 1761 entdeckte ein britischer Arzt einen Zusammenhang zwischen dem Schnupfen von Tabak und der Entstehung von Nasenkrebs. Ab 1828 wusste man zudem um die Giftigkeit von Nikotin, nachdem es von deutschen Medizinern isoliert worden war. Trotz dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse wuchs die Tabakindustrie im 19. Jahrhundert rasant. Auch Regierungen erkannten die neuen finanziellen Möglichkeiten, die sich durch eine Tabaksteuer ergaben. Das Profitstreben der Wirtschaft und Politik hatte anfangs des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht. Gleichzeitig gründeten sich erste Nichtraucherorganisationen.[6]

Während Tabak neben Alkohol zum Genussmittel Nummer Eins aufstieg, wurde auf dem Höhepunkt der deutschen Raucherkultur 1923 der Pathologenkongress abgehalten. Mit diesem trat eine entscheidende Wendung in der Wahrnehmung des Tabakkonsums ein.[7] Man hatte eine epidemische Entwicklung der Lungenkrebserkrankungen festgestellt und beschloss daraufhin, dieses Phänomen im Zusammenhang zum Rauchen zu untersuchen.

Bis zum Beginn der Machtergreifung der Nazis konnte die Mehrheit der Bevölkerung jedoch nicht vom Rauchen abgehalten werden. Schließlich wurde von den Nationalsozialisten die erste Anti-Raucherkampagne ins Leben gerufen. Hitler war ein militanter Nichtraucher, der Tabak als das „Rassengift“ anprangerte.[8] Nach der Befreiung durch die Alliierten wurde Rauchen zum Symbol des Widerstands. Die neuen Filterzigaretten sowie mildere Tabaksorten sorgten auch bei der weiblichen Bevölkerung für neue Sympathien und Absatz. 1964 wurde dann von der amerikanischen Gesundheitsbehörde offiziell bestätigt, was Mediziner schon seit langem vermutet hatten: Rauchen löst Lungenkrebs aus. In Deutschland reagierte die Politik 1974 mit einem Werbeverbot in Funk und Fernsehen. 1981 wurden die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln in Deutschland eingeführt.[9]

Allmählich setzte auch ein globales Umdenken ein. Die WHO beschloss 1999 mit dem Rahmenprogramm FCTC die globale Tabakkultur einzudämmen. Im selben Jahre musste außerdem die Tabakindustrie trotz aller Lobbyarbeit dann schließlich doch eingestehen, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist.[10] Jüngst wurde im Rahmen der EU-Tabakrichtlinie vom Bundestag beschlossen, dass Zigarettenschachteln mit Schockbildern zu versehen seien. Diese Richtlinie wird in Deutschland seit dem 20. Mai 2016 in nationales Recht umgesetzt.[11]

Die Geschichte des Tabakkonsums in Deutschland hat also zahlreiche Wendungen erlebt. Jede Phase war dabei von einem vielseitigen Einsatz wissenschaftlicher Forschung begleitet. Dieser soll in den folgenden Kapiteln genauer erläutert werden.

2. Carol H. Weiss: The Many Meanings of Research Utilization (1979)

Die amerikanische Wissenschaftlerin Carol Weiss hat sich in ihrer Forschung mit dem Einsatz sozialwissenschaftlicher Forschung durch Politik beschäftigt. In ihrem Aufsatz „The Many Meanings Research Utilization“ führt sie sieben Modelle auf, die nach ihrer Ansicht den Gebrauch der Forschung charakterisieren.[12]

Die drei Modelle, die in der Debatte um Tabak vermehrt zum Einsatz kommen sind das „Problem-Solving Model“, das „Political Model“ und das „Enlightenment Model“.

Bevor Beispiele angeführt werden, werden im Folgenden die Modelle im einzelnen in Zusammenhang mit Carol Weiss' Position genauer erläutert.

2.1 Modell I: Das „Problem-Solving Model“

Das nach Weiss populärste und gleichzeitig naheliegendste Modell ist das „Problem-Solving Model“.[13] Der Ausgangspunkt ist der, dass sich die Politik mit einem gesellschaftlichen Problem konfrontiert sieht. Eine weitere Grundannahme ist, dass konventionelle Strategien bei dieser Herausforderung nicht ausreichen oder keine Abhilfe schaffen können. Der Einsatz von Forschung birgt dann die Chance, mithilfe erweiterter Erkenntnisse die Sachlage neu anzugehen. Zusätzliche Daten und das Aufstellen neuer oder verbesserter Theorien können hier problemlösungsorientiert eingesetzt werden.

Dabei gibt es zwei Varianten, in welchen das „Problem-Solving Model“ auftreten kann. Zum einen ist es möglich, dass Entscheidungsträger gezielt nach bereits abgeschlossener Forschungsarbeit suchen, welche für die Problemlösung hilfreich sein könnte. Hier fügt Weiss hinzu, dass dieser Ansatz von der Qualität der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Wissenschaft und Politik abhängt.

Zum anderen besteht die Möglichkeit, gezielte Auftragsarbeit in einem bestimmten Problemfeld zu vergeben. Dies geht in der Regel mit der Etablierung institutionalisierter Forschung einher.

Zusammenfassend ist beim „Problem-Solving Model“ der Gebrauch wissenschaftlicher Forschung ein Mittel, das punktuell dort eingesetzt wird, wo Probleme gelöst werden sollen.

2.2 Modell II: Das „Political Model“

Das „Political Model“ zeichnet sich dadurch aus,[14] dass wissenschaftliche Erkenntnisse politische Einstellungen untermauern sollen. Wenn ein politischer Entscheidungsträger eine bestimmte Politik durchsetzen möchte, bedient er sich dazu verschiedener wissenschaftlicher Studien. Diese Studien dienen sinnbildlich als „Munition“ in der politischen Debatte, die eine wissenschaftliche Korrektheit der eigenen Position suggerieren sollen. In erster Linie geht es nicht darum, die fortschrittlichste Studie zu Rate zu ziehen und so möglichst wissenschaftlich prägnante Argumente zu entwickeln, sondern diejenige Forschungslage zu nutzen, welche den eigenen Standpunkt unterstützt.

Für Weiss ist dieser Ansatz aber nur dann verwerflich, wenn Fakten in der politischen Auseinandersetzung falsch dargestellt werden, um der eigenen Meinung durch Fehlinformation Nachdruck zu verleihen.

2.3 Modell III: Das „Enlightenment Model“

Das „Enlightenment Model“ grenzt sich deutlich von[15] den vorangehenden Modellen ab. Es knüpft keine direkte Verbindung zwischen politischem Interesse und wissenschaftlicher Forschung. Es basiert vielmehr auf der Idee, dass Forschung sich über verschiedene Kanäle, wie Massenmedien oder Fachliteratur, allmählich in der Gesellschaft niederschlägt. Es beschreibt sozusagen einen „Siegeszug der Wahrheit“, welche sich ungesteuert den Weg in den sozialen Diskurs bahnt. Letztendlich schafft diese auch den Sprung in die Köpfe der politischen Entscheidungsträger, die so wissenschaftliche Forschung mehr oder weniger unbewusst in ihren Maßnahmen berücksichtigen.

Weiss weist auf die eigentliche Schwachstelle des Modells hin, dass es nur wenige wissenschaftliche Studien in den Mainstream schaffen. Zudem würden gerade einige sozialwissenschaftliche Studien, die auf diese Weise an die Öffentlichkeit gelangen, einem langwierigen Prozess von der Entwicklung bis zur massentauglichen Etablierung durchmachen. Diese Verzögerung führt dazu, dass Studien stark an Aktualität einbüßen und somit ihrer Schlagkraft beraubt werden.

[...]


[1] Christmann, Daniela: Rauchen - Zahlen und Fakten, Berlin 2015 (Deutsche Krebsgesellschaft), https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/bewusst-leben/rauchen-zahlen-und-fakten.html, abgerufen am 10.09.2016.

[2] Bundesministerium für Gesundheit: Tabak. Situation in Deutschland, Berlin 2014, http://www.drogenbeauftragte.de/drogen-und-sucht/tabak/situation-in-deutschland.html, abgerufen 08.09.2016.

[3] Vgl. Borowski, Sascha: Tod auf der Ranch. Der Marlboro Man ist gestorben, 2015 Augsburg http://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Tod-auf-der-Ranch-Der-Marlboro-Man-ist-gestorben-id32662767.html, abgerufen am 08.09.2016.

[4] Vgl. Pötschke-Langer, Martina u.a.: Tabakatlas 2015. Geschichte des Tabaks, Heidelberg 2015, S. 2-3.

[5] Vgl. Hess, Henner: Rauchen. Geschichte, Geschäfte, Gefahren, Bloomington 1987, S.39.

[6] Vgl. Pötschke-Langer, Martina u.a.: Tabakatlas 2015, S. 2-3.

[7] Vgl. Proctor, Robert N.: Hitler, das „Rassengift“ - und die Spätfolgen, Stanford 2010, S.1, http://www.sueddeutsche.de/politik/kampf-gegen-das-rauchen-hitler-das-rassengift-und-die-spaetfolgen-1.894088, abgerufen am 01.09.2016.

[8] Vgl. Ebd.

[9] Vgl. Pötschke-Langer, Martina u.a.: Tabakatlas 2015, S. 2-3.

[10] Vgl. Ebd.

[11] Vgl. Weber, Nina: Die Schockbilderschachteln kommen, Hamburg 2016, http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/schockbilder-auf-zigaretten-ab-freitag-verpflichtend-a-1093048.html, abgerufen am 07.09.2016.

[12] Weiss, Carol H.: The Many Meanings of Research Utilization, in: Public Administration Review, Vol. 39, No. 5, Columbia 1979, S. 427.

[13] Weiss, Carol H.: The Many Meanings of Research Utilization, S. 427-428.

[14] Vgl. Ebd., S. 429.

[15] Weiss, Carol H.: The Many Meanings of Research Utilization, S. 429-430.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Tabakkonsum in Deutschland. Die Anwendung wissenschaftlicher Forschung durch die Politik anhand ausgewählter Modelle von Carol Weiss am Fallbeispiel analysiert
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie)
Veranstaltung
Verwissenschaftlichte Politik?! Zur politischen Funktion wissenschaftlicher Expertise
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V434857
ISBN (eBook)
9783668763586
ISBN (Buch)
9783668763593
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tabak, Rauchen, Nikotin, Schädlich, Gesundheit, Drogen, Carol Weiss
Arbeit zitieren
Johannes Schäfer (Autor:in), 2016, Tabakkonsum in Deutschland. Die Anwendung wissenschaftlicher Forschung durch die Politik anhand ausgewählter Modelle von Carol Weiss am Fallbeispiel analysiert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434857

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