Literarisches Lernen als didaktischer Integrationsbegriff

Relevanz und Bedeutung von Filmen im Literaturunterricht


Dossier / Travail de Séminaire, 2018

25 Pages, Note: 1,7

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literarisches Lernen im Literaturunterricht
2.1. Begriffsdefinition „Literarisches Lernen“
2.2. Literarisches Lernen nach Kaspar H. Spinner

3. Medien im Literaturunterricht
3.1. Die beiden Medien Buch und Film in Bezug zueinander
3.2. Literaturverfilmungen

4. Medien und literarisches Lernen in den Bildungsstandards

5. Literarischen Lernen mit Filmen

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Sie kennen doch sicher den Witz von den beiden Ziegen,

die die Rollen eines Films auffressen, der nach einem Bestseller gedreht worden ist,

worauf die eine Ziege zur anderen sagt: ‚Mir war das Buch lieber‘.“

(Nach einem Witz von Alfred Hitchcock)[1]

So oder so ähnlich wird in deutschen Klassenzimmern vermutlich des Öfteren die Frage beantwortet, wie die Literaturverfilmung eines vorab gelesenen literarischen Werkes gefallen hat.

Kinder und Jugendliche sehen gerne Filme. Sie wachsen mit neuen Medien auf und greifen dabei immer seltener zum Buch. Dennoch hat die Literaturverfilmung nach wie vor einen schweren Standpunkt als eigenständiges Kunstwerk, als Medium. Die Gründe hierfür sind zahlreich und vielfältig. Im Unterricht bspw. dienen Filme häufig lediglich dazu, um Schülerinnen und Schüler zu erfreuen, sie nach der Besprechung eines Buches zu „belohnen“ oder auch, um die entsprechende Unterrichtszeit nicht anderweitig planen zu müssen. Doch längst hat die Filmkompetenz als Teil der Medienkompetenz auch offiziell ihren Platz im Deutsch- und da vor allem im Literaturunterricht gefunden.[2]

Diese Arbeit möchte sich jedoch nicht darauf beschränken, die Ehre der Literaturverfilmung als eigenständiges Kunstwerk innerhalb des Mediums Film zu verteidigen. Vielmehr soll auf den folgenden Seiten aufgezeigt werden, warum Literaturverfilmungen einen Gewinn für den Deutschunterricht darstellen. Der Unterricht kann an die Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen, da die Lernenden bereits vor Schuleintritt mit verschiedenen Medien in Kontakt gekommen sind. Die Fähig- und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler können im Literaturunterricht mittels des Mediums Film ausgebaut und weiterentwickelt werden.[3]

Das Literarische Lernen, welches zu Anfang dieser Arbeit definiert und beschrieben wird, gilt als eine der Zielstellungen des Literaturunterrichts. Die Konzeption stammt von dem Deutschdidaktiker Kaspar H. Spinner und wird seitdem im deutschdidaktischen Kurs breit rezipiert. Im Jahr 2006 veröffentlichte er im Kontext um die Bildungsstandards in einer Ausgabe der Fachzeitschrift Praxis Deutsch „Elf Aspekte literarischen Lernens“[4]. Diese werden im Kapitel 2.2. dargestellt und erläutert. Anschließend folgt ein Überblick über Medien im Literaturunterricht, indem in einem ersten Schritt die beiden Medien Buch und Film in Bezug zueinander gesetzt werden und darauffolgend explizit auf die Kategorie der Literaturverfilmung eingegangen wird. Die im Kapitel 4 thematisierten Bildungsstandards sollen den Wandel aufzeigen, der neben dem Einfluss der Mediendidaktik für den Deutschunterricht in Folge der PISA-Studie und der Einführung internationaler Bildungsstandards entstanden ist. Als neue Herausforderung des Unterrichts soll die Zielsetzung auf der Grundlage eines umfassenden Kompetenzmodells formuliert werden. Fortan ist für den integrativen Literaturunterricht die Orientierung an literarischer Kompetenz und Medienkompetenz maßgeblich geworden. Nachfolgend soll anhand frei ausgewählter Aspekte nach Spinner exemplarisch aufgezeigt werden, wie das literarische Lernen mit dem Medium Film verknüpft werden kann und welche Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler diesbezüglich gefördert werden können.

2. Literarisches Lernen im Literaturunterricht

Das Lesen literarischer Texte ist in unserer Gesellschaft von hoher Bedeutung und auch im Unterricht nimmt die Beschäftigung mit Literatur einen Großteil der Unterrichtszeit in Anspruch.[5] Durch die Schulleistungsstudien wie PISA und IGLU sind Lesekompetenz und das Verstehen von Sachtexten gut erforscht. An verschiedenen Stellen[6] wurde bereits festgestellt, dass das Verstehen von literarischen Texten andere spezifische Kompetenzen erfordert als das Verstehen von nicht-literarischen Texten. Während sich die Lesekompetenz mit den Ergebnissen des Lesenlernens, also der Fähigkeit Texte zu decodieren, befasst, zielen die literarischen Kompetenzen auf die Fähigkeit ab, literarische Texte zu verstehen. Dies bedeutet, dass es Lernprozesse gibt, die sich speziell auf Literarizität beziehen. Diese sollen in der Folge unter dem Begriff literarisches Lernen gefasst werden.

In den folgenden Kapiteln soll das literarische Lernen als Bestandteil des Literaturunterrichts näher definiert sowie ein Zusammenhang zu den elf Aspekten des literarischen Lernens nach Spinner dargestellt werden.

2.1. Begriffsdefinition „Literarisches Lernen“

Der Begriff des literarischen Lernens fand Verwendung z. B. bereits bei Büker[7], Waldt[8] sowie Abraham/Kepser[9]. Letztere sehen im literarischen Lernen die stärker subjektorientierte Seite der literarischen Bildung, einen „Sammelbegriff für alle Beiträge literarischen Lesens zur Persönlichkeitsbildung.“[10] Büker fasst literarisches Lernen als das Gesamt aller Prozesse „zum Erwerb von Einstellungen, Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten […] die nötig sind, um literarisch-ästhetische Texte […] zu erschließen, zu genießen und mit Hilfe eines produktiven und kommunikativen Auseinandersetzungsprozesses zu verstehen.“[11] Laut Waldt unterscheiden sich literarische Texte von anderen Texten vor allem durch ihren kunstvollen Sprachgebrauch, sodass das literarische Lernen demnach eine Auseinandersetzung mit der literarischen Sprache und ihren Besonderheiten meint. Im Vordergrund bei dieser Auseinandersetzung stehen die literarischen Formen. Des Weiteren formuliert sie, dass gerade durch ästhetisch anspruchsvolle Texte die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf das literarische Lernen gefördert werden, insbesondere dann, wenn die Texte herausfordernd sind.[12] Bereits vor Schuleintritt haben die Lernenden Vorerfahrungen mit literarischen Texten gewonnen. Im Sinne des literarischen Lernens gilt es daran anzuknüpfen und die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler auszubauen und zu vertiefen. Eine Verbindung von Leseförderung und literar-ästhetischer Bildung ist daher anzustreben. Zudem ist es grundlegend, dass die Schülerinnen und Schüler eine gewisse Lesemotivation und -fertigkeit haben, damit das literarische Lernen optimal entfaltet werden kann.[13]

Im folgenden Kapitel soll der Begriff des literarischen Lernens nach Spinner näher betrachtet und außerdem aufgezeigt werden, welche Aspekte das literarische Lernen unterstützen.

2.2. Literarisches Lernen nach Kaspar H. Spinner

Spinner versteht unter literarischem Lernen „die Kompetenzen, die speziell für das Lesen, Verstehen, Genießen und Verarbeiten literarischer Texte notwendig sind.“[14] Laut ihm ist der Begriff des literarischen Lernens von der Lesekompetenz, welche stark pragmatisch geprägt ist und sich unterschiedslos sowohl auf literarische und nicht-literarische Texte bezieht, abzugrenzen. Das literarische Lernen erfordert somit einen anderen Umgang mit literarischen Texten und demnach auch andere Lese- und Verstehensanforderungen.[15]

Spinner selbst hat für das literarische Lernen in einem Praxis-Deutsch-Heft[16] elf Punkte zusammengestellt, die man als grundlegende Teilkompetenzen literarischer Rezeptionskompetenz bezeichnen kann. Sie sollen den Schülerinnen und Schülern das Erschließen von literarischen Texten vollständig ermöglichen. Das Modell an sich scheint plausibel und bildet keine Hierarchie zwischen den einzelnen Teilkompetenzen, sondern legt nahe, dass diese wechselwirkend voneinander abhängig sind.

Die Zusammenstellung dieser elf Teilkompetenzen ist inzwischen vielfach in der Fachdiskussion aufgegriffen worden und wird als ergänzungsfähig, wenn nicht -bedürftig eingestuft, insbesondere im Blick auf nichtschriftliche Literatur.[17]

Im Hinblick auf diese Arbeit sollen diese elf Teilkompetenzen verdeutlicht werden und aufzeigen, welche Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler angesprochen werden und welches Lernpotential sich bietet:

„1. Beim Lesen und Hören lebendige Vorstellungen entwickeln“ [18]

Bei diesem Aspekt wird die literar-ästhetische Bildung angesprochen. Es geht um das sinnliche Wahrnehmen und das Entwickeln von Imaginationen. Die Leserinnen und Leser sollen zur Bildung von Vorstellungen anhalten. Die Wirkungskraft entfaltet sich bspw. anhand von Beschreibungen zur Natur oder einer Figur.[19]

„2. Subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel bringen“ [20]

Die subjektive Involviertheit gibt mögliche Anknüpfungspunkte für den Bezug auf die eigene Erfahrungswelt. Die Schülerinnen und Schüler können sich beim literarischen Lernen persönlich angesprochen fühlen, weshalb dies auch ein Kriterium für die Auswahl von geeigneten Texten darstellt. Diese beiden Elemente bedingen sich in einem Wechselspiel, sodass Prozesse der Verfremdung und des Wiedererkennens eine wichtige Rolle spielen.[21]

„3. Sprachliche Gestaltung aufmerksam wahrnehmen“ [22]

Da literarische Texte nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch ihre sprachliche Gestaltung wirken, gehört die Aufmerksamkeit dafür zu den wichtigsten Teilkompetenzen literarischen Lernens. Dieser Aspekt ist insbesondere hinsichtlich der ästhetischen Wirkung und der Bewusstmachung wichtig. Dahingehend können Texte z.B. auf Wortwiederholungen untersucht werden, um darauf deren Wirkung, Bedeutung und Sinnhaftigkeit zu erschließen. Die Entdeckerfreude unter den Schülerinnen und Schüler können hiermit angeregt werden, indem sie durch Beobachtungen zur sprachlichen Gestaltung sensibilisiert werden.[23]

„4. Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen“ [24]

Texte regen oft dazu an, sich die Figuren bildlich vorzustellen. Bei der Perspektivübernahme geht es um die Identifikation oder Abgrenzung in Bezug auf die Figuren. Zentral geht es darum, Verständnis für die Gedanken und Gefühle der betreffenden Figuren zu zeigen. Demnach ist die Perspektivenübernahme beim Lesen eine Form von Imagination, bei der Emotion und reflektierende Kognition beteiligt sind.[25]

„5. Narrative Handlungslogik verstehen“ [26]

Bei diesem Aspekt geht es darum, dass die Schülerinnen und Schüler den Textzusammenhang verstehen und dass das Herstellen der Zusammenhänge ihnen zu überlassen ist. Die Lernenden müssen sich Textstellen erschließen und in Verbindung miteinander setzen. Es gilt zu hinterfragen, welche Bedeutung bestimmte Textstellen haben und weshalb sie genau so aufgebaut sind. Die Textsorten haben ihre je eigene Logik und erst durch den Gebrauch, das Hören, Lesen und Schreiben[27] können die Schülerinnen und Schüler mit der Logik vertraut werden.[28]

„6. Mit Fiktionalität bewusst umgehen“ [29]

Die Fiktionalität erschafft sich ein eigenes Bezugssystem und ist daher von der außertextlichen Wirklichkeit abzugrenzen. Schülerinnen und Schüler müssen den Unterschied zwischen Fiktionalität und direkten Wirklichkeitsaussagen verstehen wie z.B. vermenschlichte Tiere in literarischen Texten wie Fabeln.[30]

„7. Metaphorische und symbolische Ausdrucksweise verstehen“ [31]

Ebenso wie bei der Handlungslogik, geht es bei diesem Aspekt darum, nach Bezügen innerhalb des Textes zu suchen. Die Schülerinnen und Schüler sollen metaphorische und symbolische Zusammenhänge verstehen. Dingsymbole wie z.B. bei Rotkäppchen der Wald als „gefährlicher Ort“ oder die Waage als Symbol der Gerechtigkeit sollen die Lernenden mit anderen inhaltlichen Elementen in Beziehung setzten und erkennen können.[32]

„8. Sich auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses einlassen“ [33]

Die Schülerinnen und Schüler sollen sich bewusst auf die Offenheit literarischer Texte einlassen können und dabei unterschiedliche Vertsehensmöglichkeiten entwickeln. Die Mehrdeutigkeit literarischer Texte soll ersichtlich werden. Beliebigkeit ist mit der Unabschließbarkeit der Sinnbildung allerdings nicht gemeint. Es gibt Deutungen, die man mit guten Argumenten verwerfen kann. Dass jedoch nicht immer alles in einem Text entschlüsselt werden kann, dass verschiedene Perspektiven beim Verstehen möglich sind und dass sich oft überraschende neue Sinnabschnitte beim Wiederlesen ergeben, gehört zu den Erfahrungen, die im Unterricht vermittelt werden sollen.[34]

„9. Mit dem literarischen Gespräch vertraut werden“ [35]

In einem offenen Gespräch, dem literarischen Gespräch[36], können sich die Schülerinnen und Schüler über ihre Texterfahrungen austauschen. Die Lernenden sollen die Vorschläge anderer nachvollziehen und eigene Sinndeutungen in das Gespräch miteinbringen können.[37]

„10. Prototypische Vorstellungen von Gattungen/Genres gewinnen“ [38]

Als ein wichtiger Punkt im Literaturunterricht gilt die Beschäftigung mit verschiedenen Gattungen und Genres, z.B. anhand wesentlicher Merkmale zu Kurzgeschichten oder Märchen. Die Schülerinnen und Schüler sollen ganzheitliche Vorstellungen von diesen Merkmalen entwickeln, was besonders gut anhand konkreter Beispiele gelingt. Bei einem solchen merkmalorientierten Lernen muss allerdings beachtet werden, dass die Schülerinnen und Schüler wissen, dass die literarische Wirklichkeit vielfältiger und weniger geordnet ist, als die Gattungstypologien, die in der Schule beigebracht werden.[39]

„11. Literaturhistorisches Bewusstsein entwickeln“ [40]

Von besonderer Bedeutung bei diesem Aspekt ist das Verständnis davon, dass literarische Texte eine Reaktion auf Vorausgegangenes sind. Die Schülerinnen und Schüler sollen demnach fähig sein, einen intertextuellen Zusammenhang herstellen zu können. Literarische Texte entfalten ihre Wirkung oft losgelöst von den historischen und politischen Zusammenhängen, in denen sie entstanden sind. Dadurch entstehen teilweise enorme Missverständnisse, die eine Weiterwirkung zum Scheitern verurteilen könnte.[41]

Innerhalb dieser elf Aspekte sowie in der eingangs dargestellten Definition literarischen Lernens liegt der Fokus auf den literarischen Texten. Dennoch, eine Annäherung in dieser Form macht eines deutlich: Die unter dem Begriff des literarischen Lernens gebündelten Aspekte sind zwar für Literatur spezifisch, doch kann sich literarisches Lernen auch an anderen narrativen Rezeptionsformen vollziehen. So lässt sich bspw. ein Film ohne die Fähigkeit, die Handlungslogik der Erzählung zu begreifen oder die Motivation des Protagonisten nachzuvollziehen, nicht verstehen.

Die nächsten Kapitel knüpfen an diesem Tatbestand an, indem zunächst die beiden Medien Buch und Film in Beziehung zueinander gesetzt werden.

3. Medien im Literaturunterricht

In diesem Kapitel sollen die Medien Buch und Film miteinander verglichen werden. Da sich diese Arbeit mit dem Medium Film in Verbindung mit dem literarischen Lernen beschäftigt, ist hier das Medium Film im Sinne einer Literaturverfilmung zu verstehen, das im Kapitel 3.2. dargestellt wird. Anschließend folgen didaktische Überlegungen zum Einsatz von Literaturverfilmungen, indem aufgezeigt wird, wie der Film mit dem literarischen Lernen in Verbindung gebracht werden kann und welche Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler dadurch gefördert werden können.

3.1. Die beiden Medien Buch und Film in Bezug zueinander

Schon in den Anfängen des Films wurde auf Literatur zurückgegriffen, z.B. anhand eines Drehbuches, was die enge Verbindung dieser beiden Medien deutlich werden lässt.[42] Demnach weisen sie sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf, welche nachfolgend genauer erläutert werden sollen.

Der Rezeption beider Medien liegen, entgegen früherer Überlegungen, aktive Bearbeitungsprozesse zugrunde. Nicht nur beim Lesen wird die Vorstellungskraft des Rezipienten angeregt, sondern auch beim Filmsehen füllt der Zuschauer Lücken, die sich durch die Montage oder die Erzählweise ergeben.[43] Sobald die Schülerinnen und Schüler in die Rolle des Rezipienten treten und Filme konsumieren, wird die kreative Mitarbeit der Lernenden gefördert, indem die zu übermittelten Daten des Films aufgenommen und durch ihr eigenes schon vorhandenes Wissen ergänzt werden.[44] Falls Schülerinnen und Schüler dies bei der Filmrezeption ggf. selbst erleben, können sie lernen, sich von etwaigen Vorstellungen des Filmsehens zur bloßen Unterhaltung zu distanzieren.

Aber auch Grundelemente wie das Erzählen von Ereignissen, finden sich in beiden Medien wieder. Dies erscheint womöglich banal, verdeutlicht aber treffend, dass das Was[45] im Film und Buch theoretisch übereinstimmen kann, das Wie[46] jedoch zwangsläufig Unterschiede initiiert.[47]

Besonders deutlich differenzieren sich laut Volk die sprachlichen Zeichen von den filmischen Zeichen, da die erstgenannten in einem normativen Sprachsystem festgelegt sind und es im Gegensatz dazu für die filmischen Zeichen kaum Begrenzungen gibt. Hinzu kommt, dass sprachliche Zeichen stets linear bleiben, während filmische Zeichen im Bild kombiniert auftreten können und zudem durch nicht filmische Zeichen, wie Sprache, Schrift oder Musik, ergänzt werden. Sprachliche Zeichen sind einerseits exakter, überlassen aber die Imagination dem Leser, weshalb sie abstrakt bleiben. Filmische Zeichen hingegen müssen in ihrer Ausgestaltung konkret werden, wodurch sie gleichzeitig vollständiger sind.[48]

Hieraus ergeben sich Unterschiede in der Realisierung des Films. Nur scheinbar exakte Begriffe wie liebenswürdig oder irgendwo müssen im Bild Gestalt annehmen. Des Weiteren werden vor allem Innenansichten von Figuren im Film auf andere, jeweils unterschiedliche Weisen umgesetzt: Der Film kann sich z.B. eines nicht filmischen Mittels in Form eines Voice-Over-Erzählers bedienen, das Innere mithilfe von Gestik und Mimik umsetzen oder durch eine bestimmte Inszenierung die Gedanken bildhaft darstellen. Auch Stilfiguren können durch unbegrenzte Möglichkeiten in filmische Mittel transformiert werden, Alliterationen bspw. durch mehrere Szenenbeginne in gleicher Kameraeinstellung.

Ein ebenfalls offensichtlicher Unterschied liegt im Umfang der beiden Medien. Selbst ein dünneres Buch verfügt über so viele sprachliche Zeichen, dass ein Film weit über die übliche Länge von 90 bis 120 Minuten hinausgehen müsste, um alle Details zu erfassen. Daraus ergeben sich bei Literaturverfilmungen drastische Kürzungen gegenüber der Buchvorlage, die wiederum zu Verschiebungen im Handlungsablauf oder bei Figurenkonstellationen führen können.[49] Während der Leser oder die Leserin an die Erzählperspektive des Erzählers gebunden sind, stellt im Film neben dem Erzähler die Rahmung durch die Kamera eine weitere Bestimmung des Blickwinkels dar. Auf diese Weise kann die Fokussierung bestimmter Zeichen weiter gelenkt und vom Zuschauer hinterfragt werden.[50]

Schließlich unterscheiden sich häufig auch die Rezeptionsbedingungen. Schülerinnen und Schülern, die die Verfilmung Krabat von Marco Kreuzpaintner[51] durchnehmen, sollte daher bei Rückgriff auf das Buch von Otfried Preußler[52] bewusst gemacht werden, dass dieses fast vier Jahrzehnte vor dem Film in einem anderen kulturhistorischen Kontext erschien.[53] Auch ohne zeitliche Entstehungsdifferenz werden die beiden Medien unterschiedlich rezipiert. Während Texte es ermöglichen, durch Unterbrechen des Lesens oder weniger detaillierte Vorstellungen in Distanz zu Figuren zu treten, sorgen die präsentische Realisierung der Bilder im Film und die Einnahme der Perspektive einer Figur durch die Kameraführung oft für ein stärkeres emotionales Erleben der Zuschauer.[54]

In der Rezeption von Buch und Film bestehen also Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Aufgrund der dargestellten Unterschiede existiert bisweilen die Meinung, ein Film könne grundsätzlich nicht mit einem Buch verglichen werden, da es sich um ein anderes mediales System handle. Inzwischen wird jedoch meist die Ansicht vertreten, der Film dürfe lediglich nicht mit den Mitteln der Literatur analysiert werden.[55] Dann kann ein Vergleich angestellt werden, ohne dass das eine Medium am anderen bemessen wird.[56]

3.2. Literaturverfilmungen

Der Begriff Film kommt aus dem Englischen und bedeutet „Häutchen“ bzw. „dünne Schicht“[57] und besteht aus einem „lichtempfindliche[n] Material für fotografische Zwecke“ sowie aus einer „Folge von mehreren Einzelbildern.“[58] Generell zählt der Film zu den audiovisuellen Medien und wird neben den auditiven und visuellen Medien den technischen Medien zugeordnet.[59] Ästhetische Weiterentwicklungen älterer Medien wie bspw. die des Theaters, haben sich auf das dagegen heutige junge Medium Film ausgewirkt. Generell lassen sich verschiedene Filmgattungen unterscheiden wie z.B. Dokumentarfilme, Spielfilme sowie Kurzfilme oder weitere Gattungen.[60] Im Folgenden soll es speziell um die Kategorie der Literaturverfilmungen gehen.

[...]


[1] François Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München 1973, S. 118.

[2] Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für das Unterrichtsfach Deutsch für das Gymnasium Schuljahrgänge 5-10. Hannover 2015, S. 26.

[3] Vgl. Karla Müller/Anita Schilcher: Literarisches Lernen mit Medien. In: Praxis Grundschule. Literatur sehen und hören. Literarische Bildung ohne Bücher (2010), H. 6, S. 4-6, hier S. 4f.

[4] Kaspar H. Spinner: Literarisches Lernen. In: Praxis Deutsch 33 (2006), H. 200, S. 6-16.

[5] Vgl. Martin Leubner/Anja Saupe/Matthias Richter: Literaturdidaktik. Berlin 2010, S. 27.

[6] Vgl. Cordula Artelt/Matthias Schlagmüller: Der Umgang mit literarischen Texten als Teilkompetenz im Lesen? Dimensionsanalysen und Ländervergleiche. In: Ulrich Schiefele/Cordula Artelt/Wolfgang Schneider/Petra Stanat (Hg.): Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz – Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000. Wiesbaden 2004, S. 169-196.

[7] Petra Büker: Literarisches Lernen in der Primar- und Orientierungsstufe. In: Klaus-Michael Bogdal/Hermann Korte (Hg.): Grundzüge der Literaturdidaktik. München 2002, S. 120–133.

[8] Kathrin Waldt: Literarisches Lernen in der Grundschule. Herausforderung durch ästhetisch-anspruchsvolle Literatur. Baltmannsweiler 2003.

[9] Ulf Abraham/Matthis Kepser: Literaturdidaktik Deutsch. Eine Einführung. 4., aktualisierte Aufl. Berlin 2016.

[10] Ebd., S. 811ff.

[11] Büker: Literarisches Lernen, S. 121.

[12] Vgl. Waldt: Literarisches Lernen, S. 101.

[13] Vgl. ebd., S. 105f.

[14] Kaspar H. Spinner: Kurzgeschichten - kurze Prosa. Grundlagen - Methoden - Anregungen für den Unterricht. Stuttgart 2012, S. 25.

[15] Vgl. ebd.

[16] Spinner: Literarisches Lernen (2006).

[17] Vgl. Klaus Maiwald: Literarisches Lernen als didaktischer Integrationsbegriff – Spinners „Elf Aspekte“ als Struktur- und Denkrahmen für weiterführende Modellierung(en). In: Leseräume. Zeitschrift für Literalität in Schule und Forschung 2 (2015), H. 2, S. 85-95, hier S. 87.

[18] Spinner: Kurzgeschichten, S. 25.

[19] Vgl. ebd.

[20] Ebd., S. 26.

[21] Vgl. ebd.

[22] Ebd.

[23] Vgl. ebd.

[24] Ebd., S. 27.

[25] Vgl. ebd.

[26] Ebd., S. 28.

[27] Dieses Lernen erfolgt implizit.

[28] Vgl. ebd.

[29] Ebd.

[30] Vgl. ebd.

[31] Ebd., S. 29.

[32] Vgl. ebd., S. 29f.

[33] Ebd., S. 30.

[34] Vgl. ebd.

[35] Ebd.

[36] Nach Maiwald ist „das literarische Gespräch […] eine prozessorientierte, ergebnisoffene Form der Anschlusskommunikation über literarische Texte, in der die Lehrperson eine lediglich impulsgebende und moderierende Rolle einnimmt.“ Ders.: Literarisches Lernen, S. 89.

[37] Vgl. Spinner: Kurzgeschichten, S. 31.

[38] Ebd.

[39] Vgl. ebd., S. 31f.

[40] Ebd., S. 32.

[41] Vgl. ebd.

[42] Vgl. Michael Staiger: Audiovisuelle Medien im Deutschunterricht. In: Winfried Ulrich/Volker Frederking/Axel Krommer/Thomas Möbius (Hg.): Deutschunterricht in Theorie und Praxis. Digitale Medien im Deutschunterricht. Bd. 6. Baltmannsweiler 2014, S. 240-243, hier S. 240.

[43] Vgl. Martin Leubner/Anja Saupe: Erzählungen in Literatur und Medien und ihre Didaktik. Baltmannsweiler 2006, S. 232.

[44] Vgl. Leubner/Saupe/Richter: Literaturdidaktik, S. 203ff.

[45] Die Geschichte/Story.

[46] Dessen Realisierung/filmische Umsetzung.

[47] Vgl. Michael Staiger: Literaturverfilmungen im Deutschunterricht. Oldenburg 2010, S. 25.

[48] Vgl. Stefan Volk: Filmanalyse im Unterricht. Zur Theorie und Praxis von Literaturverfilmungen. In: Johannes Diekhans (Hg.): EinFach Deutsch. Braunschweig [u.a.] 2004, S. 44f.

[49] Vgl. ebd., S. 48.

[50] Vgl. ebd., S. 46.

[51] Marco Kreuzpaintner: Krabat. Film. 2008.

[52] Otfried Preußler: Krabat. 2. Aufl. Würzburg 1971.

[53] Vgl. Volk: Filmanalyse im Unterricht, S. 54-60.

[54] Vgl. Leubner/Saupe: Erzählungen in Literatur und Medien und ihre Didaktik, S. 233f.

[55] Vgl. Susanne Koch: Literatur – Film – Unterricht. Bewertungsgrundlagen und didaktisches Potenzial der Literaturverfilmung für den Deutschunterricht am Beispiel Eyes Wide Shut. Würzburg 2009, S. 13f.

[56] Volk: Filmanalyse im Unterricht, S. 58.

[57] Staiger: Audiovisuelle Medien im Deutschunterricht, S. 236.

[58] Ebd.

[59] Vgl. Ulf Abraham/Ortwin Beisbart/Gerhard Koß/Dieter Marenbach: Praxis des Deutschunterrichts: Arbeitsfelder, Tätigkeiten, Methoden. 7., aktualisierte Aufl. Donauwörth 2012, S. 94.

[60] Vgl. Staiger: Audiovisuelle Medien im Deutschunterricht, S. 237.

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Résumé des informations

Titre
Literarisches Lernen als didaktischer Integrationsbegriff
Sous-titre
Relevanz und Bedeutung von Filmen im Literaturunterricht
Université
University of Göttingen  (Abteilung Didaktik der deutschen Sprache und Literatur)
Cours
Seminar: Filmdidaktik: Kinder- und Jugendfilm
Note
1,7
Année
2018
Pages
25
N° de catalogue
V434899
ISBN (ebook)
9783668760493
ISBN (Livre)
9783668760509
Taille d'un fichier
583 KB
Langue
allemand
Mots clés
Film, literarisches Lernen, Filmdidaktik, Spinner, Literaturunterricht
Citation du texte
Anonyme, 2018, Literarisches Lernen als didaktischer Integrationsbegriff, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434899

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