Das interaktionistische Erklärungsmodell zum Erstspracherwerb


Term Paper, 2005

19 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

Einleitung

1. Abgrenzung zu anderen Theorien

2. Komplexität der interaktionistischen Modelle zum Erstspracherwerb

3. Gemeinsame Grundzüge der interaktionistischen Modelle zum Erstspracherwerb

4. Sprache lernen in der Interaktion
4.1 Die Partner der Interaktion
4.1.1 Das Kind und seine Kompetenzen als Interaktionspartner
4.1.2 Die Bezugsperson und ihre Kompetenzen als Interaktionspartner
4.2 Das Zusammenspiel der Partner bei der Sprachentwicklung
4.2.1 Vorsprachlicher Bereich
4.2.2 Sprachlicher Bereich
4.3 Spracherwerb nach Tomasello

5. Fazit

Literatur

Einleitung

Die Modelle, die den Erstspracherwerb von Kindern interaktionistisch erklären, gehen davon aus, dass das Erlernen von Sprache im gegenseitigen Austausch mit Bezugspersonen vonstatten geht.

Die interaktionistischen Erklärungsmodelle zum Erstspracherwerb sind die heute in der Wissenschaft anerkannten Modelle. Die früheren Modelle, wie beispielsweise nativistische und kognitivistische Modelle, sind heute schon zumindest teilweise widerlegt und als unschlüssig verworfen.

Sowohl Nativismus als auch kognitivistische Erklärungen gehen von falschen biologischen Voraussetzungen aus oder lassen wichtige Punkte außer acht.

Der Interaktionismus dagegen ist kein geschlossenes Modell, das wichtige Erkenntnisse anderer Wissenschaften ausschließt oder ihnen sogar widerspricht, sondern enthält Beiträge aus vielen Wissenschaften. Dadurch wird es zu einem sehr vielseitigen und komplexen Konzept, dessen Grundzüge und wichtige Erkenntnisse zum Erstspracherwerb hier vorgestellt werden sollen. Dabei ist zu beachten, dass die zahlreichen Einzelwissenschaften und auch die verschiedenen Wissenschaftler, die zu diesem Modell beigetragen haben, zum Teil recht divergierende Vorstellungen von den Details des Spracherwerbs im Austausch mit Bezugspersonen haben, sodass ich hier keine konkurrierenden Theorieansätze, sondern die gemeinsamen Ansätze und Modelle der Forschung zum Erstspracherwerb durch Interaktion darstellen werde. Eine Sonderstellung kommt dabei dem Linguisten Michael Tomasello zu. Er ist ein wichtiger Vertreter der Interaktionismus-Verfechter, und deshalb stelle ich seine Überlegungen zum Erstspracherwerb etwas ausführlicher dar; beispielhaft für all die anderen zahlreichen Vertreter dieser Denkrichtung.

1. Abgrenzung zu anderen Theorien

Wie in der Einleitung erwähnt gelten die interaktionistischen Modelle zum Erstspracherwerb heute als weitaus schlüssiger und logischer belegt als andere. Um die andersartige Herangehensweise dieser Modelle herauszustellen, möchte ich zunächst den Vergleich zu anderen Theorien ziehen, die (zumindest teilweise) durch den Interaktionismus abgelöst wurden.

Zunächst ist da der Nativismus zu nennen, eine Theorie, die vor allem von Noam Chomsky entwickelt wurde. Dabei wird davon ausgegangen, dass nur eine Spezies, die genetisch genauestens darauf vorbereitet ist, Sprache erlernen kann. Chomsky nimmt an, dass „jedes Kind von Anfang an ein Wissen um Grammatik hat“ (KLANN-DELIUS 1999, 50). Dabei muss es sich um eine Art ‚Universalgrammatik’ handeln, da erwiesenermaßen jedes Kind in der Lage ist, eine beliebige menschliche Sprache zu erlernen, unabhängig von der Muttersprache der Eltern. Das Kind muss Verständnis für alle Grammatiken der Welt als Anlage besitzen. Dazu müssen Kinder noch in der Lage sein, richtige Äußerungen von falschen zu unterscheiden und so ihre spezifische Muttersprache erlernen können. All das ist laut Chomskys nativistischer Theorie zum Erstspracherwerb angeboren, die Bezugspersonen leisten beim Spracherwerb nichts oder nur sehr wenig.

Sprachliche Äußerungen sind Realisierungen eines zugrundeliegenden, abstrakten Kenntnissystems, der sprachlichen Kompetenz (ebd., 54.).

Problematisch an den nativistischen Theorien zum Erstspracherwerb ist ihre biologische Begründung, die so nicht nachweisbar ist. Eine Anlage zum Verständnis aller Grammatiken der Welt „als sprachliches, angeborenes Wissen“ kann „nicht durch unabhängige Experimente als biologisch real nachgewiesen werden [...], was jedoch zur Absicherung des Postulats notwendig ist (ebd., 60). Aber nicht nur Biologen, sondern auch Linguisten, Entwicklungspsychologen und Psycholinguistiker kritisieren Chomskys Ansatz. Alle werfen ihm vor, bei seiner „Suche nach Universellem andere wesentliche Aspekte des Spracherwerb zu ignorieren. [...] In dieser Kritik wird der Nativismus als [Immunisierungsstrategie] gegenüber der realen Vielfalt des Spracherwerbs betrachtet (KLANN-DELIUS 1999, 87).

Eine andere Art von Theorie bietet der Kognitivimus.

Als kognitivitische Erklärungsmodelle werden diejenigen Spracherwerbskonzepte aufgefasst, in denen die sprachliche Entwicklung eng an die kognitive Entwicklung des Kindes gebunden wird (ebd., 93).

Bei diesen Modelle wird Jean Piaget mit seiner Entwicklungstheorie als wichtigster Vertreter genannt. In diesem Modell ist Denken streng an Handeln gebunden und damit Intelligenz etwas Aktives. Sprache als ein Teil von Intelligenz hat zwei Funktionen: repräsentieren und kommunizieren. Piaget geht davon aus, dass ein Kind erst Denken kann und daraus dann die Fähigkeit des Sprechens entwickelt. Weiterhin sieht er auch die soziale Komponente des Spracherwerbs, der die Kommunikation mit anderen ermöglicht und Kontakt sichert. Diese, laut Piagets Theorie vom Kind aktiv gesteuerte Entwicklung des Kindes, vollzieht sich in Stufen, genau wie die Entwicklung der Intelligenz (vgl. ebd., 94-98). Daher nennt man Piagets Modell auch ‚Treppenmodell’. In gleichmäßiger Stufung entwickelt sich, zunächst durch Nachahmen und dann verstärkt durch eigene Ausdifferenzierungen Sprache.

Auch die kognitivistischen Erklärungsansätze werden von anderen Wissenschaftlern jedoch verstärkt kritisiert. Zum einen besitzen Säuglinge weit mehr Kompetenzen, als Piaget annimmt (vgl. 4. 1. 1). Außerdem blendet sein Treppenmodell die „hohe[r] individuelle[r] Variabilität“ aus, die jedes einzelne Kind besitzt. Weiterhin haben Beobachtungen von Kindern erwiesen, dass die Entwicklung von Sprache und kognitiven Fähigkeiten nicht so wie bei Piaget beschrieben einhergehen(vgl. ebd., 126f.). Ingesamt gelten heute nur noch wenige von Piagets Erklärungen als schlüssig.

Dagegen setzt sich eine andere Erklärungsrichtung immer mehr durch: der Interaktionismus. Um diesen soll es in der folgenden Arbeit gehen.

2. Komplexität der interaktionistischen Modelle zum Erstspracherwerb

Wie bereits eingangs erwähnt, haben an den interaktionistischen Erklärungsmodellen zum Erstspracherwerb Forscher verschiedener Einzeldisziplinen mitgewirkt. Außerdem haben die Modelle sich im Laufe der Zeit natürlich immer weiter entwickelt.

Zunächst beobachteten Linguisten, dass Bezugspersonen Kindern stets eine „organisierte“ und auch „vereinfachte Sprache“ anboten (KLANN-DELIUS 1999, 179). Dadurch konnten sich die Kinder die Grammatik ihrer Muttersprache nach und nach durch Beobachten erschließen. Man kam zu dem Schluss, dass eine genetisch angelegte Universalgrammatik, wie von Chomsky beschrieben, zum Spracherwerb gar nicht nötig und daher wohl nicht vorhanden war. Allerdings wurde aus dieser Beobachtung ein Konzept zum Erstspracherwerb entwickelt, das sich ausschließlich auf Umwelteinflüsse berief und daher einseitig geriet. Später „wurden die im Kind liegenden Kompetenzen anerkannt“ (ebd.). Hierbei wurde aber ein Schwerpunkt auf gezieltes, intentionales Lehren durch die Bezugspersonen gesetzt, was nie nachgewiesen werden konnte. In der weiteren Entwicklung wurde der Interaktion beider Partner eine immer wichtigere Rolle zugeschrieben, am Anfang aber noch wenig konkret. Erst mit der Entstehung des systemtheoretisch-interaktionistischen Modells wurde genau erklärt, wie durch Entwicklung des Kindes einerseits und seine Interaktion mit Erwachsenen andererseits Sprache erworben wird.

In systemtheoretischer Sicht sind Sprach- und Grammatikerwerb als emergentes Entwicklungsprodukt auf entwicklungs- und interaktionsbedingte Veränderungen im Zusammenspiel des kindlichen und elterlichen Systems und ihrer Subsysteme zu beziehen (KLANN-DELIUS 1999., 180).

[...]

Excerpt out of 19 pages

Details

Title
Das interaktionistische Erklärungsmodell zum Erstspracherwerb
College
Bielefeld University
Course
Spracherwerb
Grade
1,0
Author
Year
2005
Pages
19
Catalog Number
V43539
ISBN (eBook)
9783638413077
File size
491 KB
Language
German
Notes
Argumentiert, warum der Interaktionismus in seinen Erklärungsansätzen dem Nativismus (Chomsky) und dem Kognitivismus (Piaget) überlegen ist und stellt den Interaktionismus dann ausführlich vor.
Keywords
Erklärungsmodell, Erstspracherwerb, Spracherwerb
Quote paper
Mirja Schnoor (Author), 2005, Das interaktionistische Erklärungsmodell zum Erstspracherwerb, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43539

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