Die kritische Systemtheorie im Kontext des Journalismus


Seminararbeit, 2017

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einführung

1. Systemtheorie und Kritische Theorie

2. Das kritische Potenzial der Systemtheorie
2.1 Das Sehen und Nichtsehen der Systeme
2.2 Komplikationen für die Entwicklung einer kritischen Systemtheorie
2.3 Widerspruch und Kritik
2.4 Erwartungen als Supplement des Rechts

3. Kritische Systemtheorie des Journalismus
3.1 These 1: Systemveränderung durch Selbstbeschreibung
3.2 These 2: Kritik ist die Aufklärung über systeminterne Latenzen
3.3 These 3: Kritische Selbstreflexionsoperationen als Folge der Analyse realer Widersprüche

Fazit

Einführung

Systemtheorie könne nicht Kritik sein, „denn gerade dafür fehle es […] in einer funktional differenzierten Gesellschaft an der Autorität einer „Metaposition“. (Amstutz 2013, S. 368)

Mit diesem Zitat hat Luhmann bereits die Fähigkeit der Kritik in seiner Theorie ausgeschlossen. Es gibt keine Kritik, da es keine übergeordnete Position gibt, die sich die Beobachtung der Gesellschaft zur Aufgabe gemacht hat, aus der heraus zu kritisierende Zustände identifiziert werden können. Für die Systemtheorie nach Luhmann allein kann diese Behauptung durchaus zutreffen. Doch spätestens mit dem 2013 erschienen Buch „Kritische Systemtheorie – Zur Evolution einer normativen Theorie“ scheint sich etwas zu ändern. Mit dem Aufkommen einer Synthese der Kritischen Theorie nach Adorno und Horkheimer (1944), sowie der Luhmannschen Systemtheorie ergibt sich die Kritische Systemtheorie, die sich der Möglichkeiten gewidmet hat, aus Beobachtungen der Gesellschaft heraus Kritik zu üben. Aus den theoretischen und nicht-empirischen Behauptungen der Kritischen Theorie und den empirischen Belegen der Systemtheorie soll eine Einheitstheorie formuliert werden.

Im Folgenden werde ich versuchen, die Vorgehensweise dieser neuen Theorie anhand des von Amstutz gewählten Beispiels der kritischen Systemtheorie des Rechts zu beschreiben. Weiterführend wird mit der Struktur der von ihm entwickelten Thesen versucht, das zuvor beschriebene neue Theoriemodel auf den Journalismus anzuwenden und eine Art kritische Systemtheorie des Journalismus zu beschreiben, um der Frage nachzugehen: Welche Perspektive hat der Journalismus in einer Kritischen Systemtheorie und wo liegt seine Möglichkeit, Kritik zu üben?

Um diese Frage beantworten zu können, beziehe ich mich auf die Texte von Wagner (2013) und Amstutz (2013) aus dem bereits erwähnten Buch und auf einen Text von Blöbaum (2016), der den Journalismus als das Funktionssystem beschreibt, das er ist.

1. Systemtheorie und Kritische Theorie

„Es sei bereits der Befund vorweggenommen, dass das Kritikpotenzial der Systemtheorie insbesondere in dem Ausweis von Unbestimmtheit und Kontingenz zu sehen ist.“ (Wagner 2013, S. 65)

Damit weist Wagner schon auf das hin, was Amstutz in seiner Kritischen Systemtheorie des Rechts formuliert, in Bezugnahme auf die klassische Ökonomie von Marx und dem dort beschriebenen Nichtsehen des Sichtbaren. Was aber an späterer Stelle noch genauer erläutert werden soll. Hier ist vor allem der Begriff der Kontingenz nach Luhmann gemeint, der das Beobachtete mit dem Potenzial ausstattet, auch etwas Anderes sein zu können, oder auf etwas Anderes hinzuweisen. Indirekt wird hier schon beschrieben, dass sich ein System innerhalb seiner Grenzen weiterentwickeln kann. Wodurch aber wird ein System dazu angetrieben, sich neu zu strukturieren? Wagner bezieht sich dabei direkt auf die Systemtheorie:

„Probleme gelten der Systemtheorie als Generatoren von Praktiken, weil durch sie überhaupt erst die Notwendigkeit erzeugt wird, Entscheidungen treffen und soziale Erwartungen stabilisieren zu müssen.“ (Wagner 2013, S. 66)

Somit sind Probleme eben die Irritationen eines Systems, welche die Autopoiese aufrechterhalten können, indem sie die Ausbildung neuer Operationen verlangen, um verarbeitet werden zu können. Also ist ein System, das durchweg mit Irritationen umzugehen hat, immer in einer Art Umstrukturierung, um dieses Dauerfeuer verarbeiten zu können. Um diese Irritationen sehen zu können, ist ein genaues Augenmerk auf Probleme zu richten. Hinderlich dabei sind Reduktionen von Problemlagen, die als Resultat ein zu allgemeines oder grob umrissenes Bild der Gesellschaft, oder des in der Gesellschaft beobachteten Systems, aufzeigen.

„Mit solch einem Programm hat eine systemtheoretische Soziologie der Kritik freilich zunächst nichts zu tun. Woran angeschlossen werden kann, ist der zumindest implizit ablesbare Versuch der Frankfurter, nach den Möglichkeiten von Kritik zu fragen und das Programm der Aufklärung selbst soziologisch in den Blick zu nehmen.“ (Wagner 2013, S. 70)

Auch, wenn es dabei nicht direkt um eine Möglichkeit geht, die Kritische Systemtheorie zu erklären, hilft es dabei, den Gedanken der Kritik in die Systemtheorie einzubinden. Über die reinen Beobachtungen, welche die Systemtheorie als Ergebnis vorbringt, kann nachgedacht werden, wie man daran Kritik anschließen und formulieren bzw. erst einmal aufzeigen kann, ob Kritik überhaupt möglich ist.

„Die Reduktion von diversen Problemlagen auf den einen Hauptwiderspruch ist aus systemtheoretischer Sicht eine zu kritisierende Blickweise.“

Dies sieht die Systemtheorie als zu kritisierend an und verweist damit auf eine marxistische Sichtweise. Sie sieht das Problem in der „polit-ökonomischen Bestimmtheit gesellschaftlicher Praxis“ (Wagner 2013, S. 66). Also der Vorgänge, die durch das Einwirken von Politik und Wirtschaft auf die Gesellschaft hervorgebracht oder eben erst entwickelt werden.

„Ihr Praxisbezug [der Systemtheorie] und ihr stetes Erwarten von Unvereinbarkeiten und Inkonsistenzen dient ihr als Kritik an jenen Perspektiven, die sich allzu sehr auf die Geregeltheit sozialer Ordnung verlassen wollen und Gesellschaft im Sinne eines wohlgeordneten Schubladensystems betrachten.“

Systemtheorie hat, wenn sie so etwas besitzt, in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem Beobachteten innerhalb der Gesellschaft das geregelte System an sich im Fokus. Es geht nicht darum, zu untersuchen was funktioniert. Es geht eher um das Aufzeigen und Nachweisen von „Unvereinbarkeiten und Inkonsistenzen“, die sich innerhalb der Kommunikation der Gesellschaft auftun (Wagner 2013, S. 67).

Die Systemtheorie identifiziert also einen immerwährenden Zustand von Widersprüchen und Konflikten. Diese Erkenntnis zieht sie aus der Beobachtung, dass Kommunikation sich aus dem Auftreten von Geschehnissen gründet. Dieser Zustand ergibt sich immer dann, wenn sich innerhalb einer bereits bestehenden „sozialen Struktur, Unbestimmtheit in Anschlussfähigkeit transformiert“ hat (Wagner 2013, S. 68).

Nach meinem Verständnis bedeutet dies, dass sich Meinungen, die einen Gegensatz zur allgemeinen Auffassung darstellen, sich nicht zu erkennen geben und sich dem sozialen Gefüge unterordnen oder sich diesem einfach anschließen. Da heraus entsteht nach außen hin zwar ein Bild eines Systems, dass sich als konsistent beschreiben lässt, jedoch bei genauer Beobachtung eine Vielfallt preisgibt, die es gar nicht beabsichtig hatte oder gar gesehen hat. Eine Vereinbarkeit oder gegenseitige Einflussname von Systemen bietet Forst an:

„Praktische Fragen stellen sich in verschiedenen Kontexten und verlangen jeweils verschieden gerechtfertigte Antworten, und diese Gemeinschaftskontexte lassen sich als Sphären wechselseitiger ethischer, rechtlicher, politischer und moralischer Anerkennung beschreiben, die zu einem vollständigen Begriff von Gerechtigkeit gehören“ (Wagner 2013, S. 75, zitiert nach R. Forst (FN. 43), S. 436).

Diese Betrachtungsweise der Gerechtigkeit, dass, um sie in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können, man sie aus mehreren Richtungen sehen muss. Es reicht nicht aus, sie beispielsweise nur aus rechtlicher Sicht sehen zu wollen. Für Forst ist Gerechtigkeit bedingt von den Gebieten Ethik, Recht, Politik und Moral. Durch Gerechtigkeit ist es diesen Systemen möglich, miteinander in Kommunikation zu treten, auch wenn das Feld nur sehr beschränkt zu sein scheint. Doch verändert beispielsweise das Recht seine Auffassung von Gerechtigkeit, sind die anderen drei beteiligten Gebiete ebenso gezwungen, die eigenen Ansichten darüber zu überprüfen. Es scheint also eine Art Übersetzung der Bedeutung von Gerechtigkeit des einen Systems in den Geltungsbereich des anderen Systems stattzufinden. Kommunikation von Systemen kann also vielleicht einfach durch die Schnittmenge von gemeinsamen Begriffen und deren Bedeutung stattfinden, ohne dass die dadurch verbundenen Systeme ihre Grenzen ganz verlieren müssen.

„Ein zentrales Moment dieses Wandels (Umstellung der Gesellschaft von Stratifikation auf funktionale Differenzierung) ist, wie gesagt, die De-Hierarchisierung der sozialen Ordnung. Die Gesellschaft verliert die sie repräsentierenden Instanzen und Mächte. Sie ist wie ihre Funktionssysteme inadressabel und wird von niemandem vertreten, ist also weder appellations- noch satisfaktionsfähig. Bemerkenswert daran ist, das Gesellschaftskritik Konturen gewinnt im Moment, in dem der „kritikable“ ‚Gegenstand‘ ausfällt.“ (Fuchs 2013, S. 104-105)

Der Ausfall dieses Gegenstandes kann durch die Beobachtungen der Systemtheorie leichter erkannt werden. Zudem macht sie es möglich, die Grenzen des Gegenstandes aufzuzeigen, da das entstandene Loch klare Konturen aufweisen kann. Der Zusammenschluss dieser Vorgehensweise in Bezug auf die Systemtheorie und dem Verlust der Hierarchie oder eben deren Auflösung, macht ihre Verbindung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule möglich. Die Empirie der Systemtheorie weist die Punkte auf, an denen die Aufklärung in der Gesellschaft anknüpfen kann. Hat sie den Anschluss geschafft, kann durch ein Einsetzen von Vernunft die Hierarchie langsam aufgelöst werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die kritische Systemtheorie im Kontext des Journalismus
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
19
Katalognummer
V436755
ISBN (eBook)
9783668770799
ISBN (Buch)
9783668770805
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kritische Theorie, Systemtheorie, Journalismus, Luhmann
Arbeit zitieren
Ron Rothe (Autor:in), 2017, Die kritische Systemtheorie im Kontext des Journalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436755

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