Gyburg. Kriegerische Amazone, liebende Ehefrau oder christliche Heilsbringerin?


Seminararbeit, 2014

20 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Theorie der Gender- Studies

3. Das Frauenbild im Mittelalter
3.1. Theologisch begründetes, negatives Frauenbild
3.2. Theologisch begründetes positives Frauenbild
3.3. Die soziale Stellung der Frau
3.4. Verhaltensnormen und Verhaltensformen
3.5. Das Frauenbild in der höfischen Epik

4. Gyburg- kriegerische Amazone, liebende Ehefrau oder christliche Heilsbringerin?
4.1. Gyburg als kriegerische Amazone
4.1.1. Verteidigung von Oransche I
4.1.2. Verteidigung von Oransche II
4.2. Gyburg als liebende Ehefrau
4.3. Gyburg als christliche Heilsbringerin

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Die Figur der Gyburg ist äußerst interessant und vielschichtig angelegt und es lohnt sich diese genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie verlässt ihren Mann, ihre Kinder und ihr gesamtes Herrschaftsgebiet, konvertiert zum christlichen Glauben und beginnt ein neues Leben mit Willehalm. Sie ist der Mittelpunkt eines groß angelegten Rachefeldzugs und Glaubenskriegs zwischen Heiden und Christen. Im einen Augenblick ist sie kämpferische Amazone, die mutig ihre Heimat verteidigt, im nächsten Moment liebende Ehefrau, die zärtlich in die Arme ihres Gatten sinkt und nur wenige Verse später christliche Heilsbringerin, die vehement für ihren Glauben einsteht. Wer ist diese Frau? Welche Stellung nimmt sie innerhalb des Kampfes zwischen Heiden und Christen ein? Und welche ihrer Rollen füllt sie am besten aus? Auf diese Fragen soll im Folgenden unter Einbeziehung des mittelalterlichen Frauenbildes eingegangen werden. Als methodische Grundlage dieser Arbeit dient die Theorie der Gender- Studies, weshalb an erster Stelle eine kurze Einführung in diese steht, die unter anderem die Fragen beachtet, wie Gyburg Weiblichkeit zugeschrieben wird und vor allem welche Weiblichkeit Gyburg zugeschrieben wird.

2. Die Theorie der Gender- Studies

Die Gender- Studies entwickelten sich aus den Women’s Studies, die zwischen 1960 und 1970 in den USA ihren Ursprung nahmen. Die Gender- Studies beruhen auf dem Gedanken, dass Geschlechterdifferenz sozial und kulturell hergestellt wird. „Die Gender- Studies beschäftigen sich also mit dem Geschlecht als sozialer Konstruktion, denn es sind vor allem voran kulturelle Akte, die einen Mann zum Mann (eine Frau zur Frau) machen“[1] Dazu gehören unter anderem Kleidervorschriften, Verhaltensregeln, Mimik und Gestik. „Die Gender- Studies betonen zudem, dass sich Weiblichkeit und Männlichkeit gegenseitig definieren, des heißt Männlichkeit bestimmt sich über das, was Weiblichkeit ist und umgekehrt.“[2] Aufgrund dieser theoretischen Einführung sollen nun die Fragen geklärt werden, wie Gyburg Weiblichkeit zugeschrieben wird.

Gyburg wird innerhalb des Werkes eine vielfältige Weiblichkeit zugeschrieben, die immer wieder auch typisch männliche Eigenschaften in sich vereint. So verteidigt sie während der Abwesenheit Willehalm die Burg zwar nur mit Hilfe ihrer Burgfrauen, was zwar ein unweibliches Verhalten ist, doch hat sie im Gegensatz zu der Jungfrau Karpite und Kamille von Volkan nicht zu Pferde gekämpft, sondern mit List und Gerissenheit:

Giburc streit doch ze orse niht: (…) unt ir wer mit liste erscheinde.[3]

Dadurch wird Gyburg trotz ihres männlichen Verhaltens Weiblichkeit zugeschrieben, die darin noch verstärkt wird, dass sie völlig entkräftet in Ohnmacht fällt, als sie ihren Willehalm vor den Toren der Burg erkennt:

Giburge, diu durh vreud erschrac, daz si unversunnen vor in lac,[4]

Damit macht der Erzähler deutlich, dass Gyburg zwar durchaus männliche Züge hat und das Verhalten der Männer in Krisensituationen und Notlagen auch durchaus annehmen kann, aber er schreibt ihr dennoch auch weibliche Eigenschaften zu. Auch die Szene, in der Willehalm seiner Gattin immer wieder erklären muss, welche Heere einziehen:

Si sprach: wer sint die komenden dort? (…) der marcgrave ir do sagete (…) si sprach: hastu war genomen, wer aber jene kumende sin? (…) er sprach: daz ist der vater min, (…) [5] zeigt, wie wenig weitreichend Gyburgs militärisches Verständnis ist und betont damit ihre Weiblichkei. In den folgenden Passagen wird ihr sie ebenfalls immer wieder als schwach und empfindsam charakterisiert, wenn sie zum Beispiel in Vers 268 so sehr zu weinen beginnt, dass sich ihr Vater an sie wendet und sie bittet mit dem Weinen aufzuhören:

sus saz diu klagende vrouwe, mit dem herzen touwe, daz uz’er brust durh diu ougen vloz, ir liehten blicke ein teil begoz. (…) mit zühten bat er [ir gedienter vater], daz si ir weinen lieze sin verholen[6]

Auch die Stelle an der Gyburg ihr Schonungsgebot vorbringt, ist ambig zu interpretieren: auf der einen Seite beschreibt der Erzähler Gyburg hier als eher männlich, da sie an dem Kriegsrat überhaut teilnehmen darf und als Höhepunkt noch das Wort ergreift, was beides eigentlich ausschließlich männliche Rechte sind. Doch dementsprechend schwer tut sie sich dann auch bei ihrem Redebeitrag: sie muss mehrmals um Aufmerksamkeit bitten und obwohl sie noch spricht, erheben sich die Fürsten von ihren Plätzen:

Diu [Giburge] stuont uf. Mit zuht si sprach, e daz sich schiet der vürsten rat (…) die gein ir uf begunden sten, die bat si sitzen und ninder gen.[7]

Da keiner der Fürsten auf ihre Anregungen reagiert, bricht Gyburg weinend zusammen und wird von ihrem Schwager Gibert in den Arm genommen. Doch diese Geste der Zuneigung kann nicht etwa als Aufmunterung oder Trostspende gesehen werden, sondern soll als Zurechtweisung verstanden werden. Gyburg soll in ihre weibliche Rolle zurückgeführt werden und gleichzeitig zum Schweigen gebracht werden.[8] Demnach wird auch hier relativ schnell die Weiblichkeit Gyburgs wieder hergestellt.

Anhand dieser Beispiele ist nun deutlich geworden, dass Gyburg eine vielschichtige Figur ist. Obwohl sie stellenweise männliche Eigenschaften an den Tag legt, wird ihr doch im Anschluss immer wieder eine Weiblichkeit zugeschrieben, die sie als verletzliche, empathische und empfindsame Frau kennzeichnet, die zwar durchaus in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen, eigenständig zu denken und mutig zu handeln, aber trotzdem eine ausgeprägte Weiblichkeit hat und immer wieder weibliches Verhalten zeigt. Insgesamt kann Gyburg also als eine Frau beschrieben werden, der der Erzähler eine Weiblichkeit zuschreibt, die in brisanten Momenten und zum Wohl hihres Mannes durchaus männliche Züge annehmen kann.

Da nun die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit ausreichend geklärt sind, soll jetzt auf das Frauenbild im Mittelalter eingegangen werden, um so im weiteren Verlauf die Figur der Gyburg angemessen interpretieren zu können.

3. Das Frauenbild im Mittelalter

„Die Vorstellung vom Wesen der Frau zur Blütezeit der höfischen Dichtung um 1200 wurzelt in der von den Kirchenvätern begründeten, scholastisch ausgeformten und systematisierten Tradition der christlich- mittelalterlichen Anthropologie, die auf den biblischen Aussagen zum Menschsein basiert“[9] Mann und Frau unterscheiden sich also schöpfungsbedingt, was im Folgenden genauer betrachtet werden soll.

3.1. Theologisch begründetes, negatives Frauenbild

Dieses theologisch begründete, diffamierende Frauenbild ist von einem Frauenbild abgeleitet, das in Genesis 2,21 – 23 beschrieben ist:

„Da ließ Gott, der Herr einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief; nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: ‚Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen. ‘“[10]

Es wird also deutlich, dass die Frau als Zweitgeborene eine geringere Stellung hat als der Mann und ihr wird im Vergleich zu Adam die „geringere imago Dei zugesprochen“[11] Sie ist als virago de viro sumpta est dem Mann zwar sehr ähnlich, aber ihm dennoch untergeordnet. Auch der Sündenfall vermittelt ein negatives Frauenbild. Die Frau wird hier ganz klar als Verursacherin und damit als Schuldige charakterisiert:

„Die Frau sah den Baum an: Seine Früchte mussten köstlich schmecken, sie anzusehen war eine Augenweide und es war verlockend, dass man davon klug werden sollte! Sie nahm von den Früchten und aß. Dann gab sie auch ihrem Mann davon und er aß ebenso.“[12]

Die Voraussetzung für den Sündenfall war das Ausschalten der Vernunft beziehungsweise das Übergehen der Vernunft. Das schien Isidor von Sevilla nur bei der Frau möglich:

„‚Weshalb aber‘, fragte Isidor von Sevilla, ‚verführte (die Schlange) die Frau und nicht den Mann? Weil unsere Vernunft nur dann zum Sündigen verleitet werden konnte, wenn dem ein Verführungsreiz im Zustand fleischlicher Schwäche voranging, der der Vernunft gehorchen muß, wie dem beherrschenden Mann.“[13]

Demnach wird der Frau also eine Schwäche zugeschrieben, die zwar die Vernunft der Frau nicht abstreiten soll, aber die erklären soll, warum sich Eva zum Sündigen verleiten hat lassen. Als Strafe veranlasste Gott schließlich, dass sich die Frau ihrem Mann unterwerfen soll: „Es wird dich zu deinem Mann hinziehen, aber er wird über dich herrschen.“[14] Das Frauenbild ist also, um es mit den Worten Augustins zu sagen, geprägt von einem zweifachen Mangel: zum einen sind die Frauen schöpfungsbedingt zweitrangig, da sie als zweites erschaffen wurden und deshalb eine geringere Ähnlichkeit mit Gott haben und zum anderen sind sie wegen des Sündenfalls auch noch durch eine göttlich verhängte Strafe zu ihrer Unterordnung verurteilt worden.[15]

Doch trotz alledem lässt sich aus der Bibel auch ein positives Frauenbild ableiten, das nun untersucht werden soll.

[...]


[1] Schößler, Franziska: Einführung in die Gender- Studies. In: Akademie Studienbücher Literaturwissenschaft. Hg. v. Iwan- Michelangelo D’Aprile. Berlin 2008, Seite 10.

[2] Schößler, Franziska: Einführung in die Gender- Studies. In: Akademie Studienbücher Literaturwissenschaft. Hg. v. Iwan- Michelangelo D’Aprile. Berlin 2008, Seite 11.

[3] Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Joachim Heinzle. Frankfurt am Main 2009, Vers 230,1 ff.

[4] Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Joachim Heinzle. Frankfurt am Main 2009, Vers 228,27 f.

[5] Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Joachim Heinzle. Frankfurt am Main 2009, Vers 236,15 – 238,10.

[6] Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Joachim Heinzle. Frankfurt am Main 2009, Vers 268,3 ff.

[7] Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Joachim Heinzle. Frankfurt am Main 2009, Vers 306,2 ff.

[8] Vergleiche: Young, Christopher: The Construction of Gender in ‚Willehalm‘. In: Wolframs ‚Willehalm‘. Fifteen Essays. Hg. v. Martin H. Jones und Timothy McFarland. Rochester 2002, Seite 249- 269. Seite 268.

[9] Ukena- Best, Elke: Die Klugheit der Frauen in Wolframs von Eschenbach Willehalm. In: Zwischen Schrift und Bild. Entwürfe des Weiblichen in literarischer Verfahrensweise. Hg. v. Christine Krause u.a. Heidelberg 1994, Seite 5- 40. Seite 6.

[10] Genesis 2,21-23.

[11] Ukena- Best, Elke: Die Klugheit der Frauen in Wolframs von Eschenbach Willehalm. In: Zwischen Schrift und Bild. Entwürfe des Weiblichen in literarischer Verfahrensweise. Hg. v. Christine Krause u.a. Heidelberg 1994, Seite 5- 40. Seite 6.

[12] Genesis 3,6.

[13] Von Sevilla, Isidor: In Genesin. Migne PL 83, Spalte 207 – 288. Seite 218 f.

[14] Genesis 3, 16.

[15] Vergleiche: Augustinus: De civitate Dei. Buch XIV, 11.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Gyburg. Kriegerische Amazone, liebende Ehefrau oder christliche Heilsbringerin?
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Note
1,5
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V437043
ISBN (eBook)
9783668771222
ISBN (Buch)
9783668771239
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gyburg, Willehalm, Wolfram von Eschenbach, Amazone, Ehefrau, Heilsbringerin, Analyse
Arbeit zitieren
Christina Kienlen (Autor:in), 2014, Gyburg. Kriegerische Amazone, liebende Ehefrau oder christliche Heilsbringerin?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437043

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