Migranten in Deutschland. Erscheinungsformen der Exklusion


Trabajo Escrito, 2017

16 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmung der Migration

3. Deutschland als Aufnahmegesellschaft

4. Integration und Diversity

5. Erscheinungsformen der Exklusion
5.1 Vorurteile
5.1.1 Begriffsbestimmung
5.1.2 Bildung und Festigung von Vorurteilen
5.2 Fremdenfeindlichkeit
5.2.1 Dimensionen der Fremdheit

6. Interkulturelle Pädagogik im Elementarbereich

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

Migranten in Deutschland – Erscheinungsformen der Exklusion

1. Einleitung

Die Schlagwörter „Pluralismus“, „Multikulturalität“ und „Individualisierung“ sind Kennzeichen einer modernen demokratischen Gesellschaft, die mit zunehmenden Globalisierungsprozessen im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich einhergehen. Durch die Fortschritte des 19.und 20. Jahrhunderts, wie das europäische Zusammenwachsen, die erleichterte Mobilität zwischen den Ländern und die schnelle Kommunikationsmöglichkeit, veränderte sich auch das Wanderungsverhalten. Aufgrund von Kriegen, Umweltkatastrophen und anderen Bedrohungen sind Menschen bereit ihren Lebensmittelpunkt vorübergehend oder auf Dauer zu verlegen. Das 20. Jahrhundert wird als „Zeitalter der Migration“ bezeichnet.

Nun leben Menschen mit unterschiedlichen Wert- und Normvorstellungen, Ritualen und Gebräuchen, Überzeugungen und Glaubensrichtungen, Lebensidealen und Lebensstilen und unterschiedlicher ethnischer Herkunft zusammen. Kurz gesagt: Eine ethnisch-kulturelle Vielfalt prägt das Miteinander der Menschen. Homogene Gesellschaften, insofern sie überhaupt bestanden, gehören der Vergangenheit an.[1] Entscheidend für das soziale Zusammenleben ist allerdings die Haltung der Aufnahmegesellschaft und ihr Blick auf das Verhältnis von Minderheit und Mehrheit. Die Mehrheit bestimmt inwieweit die soziale, ethnische, kulturelle und religiöse Minderheit akzeptiert und wertgeschätzt oder als „die Anderen“ abgestempelt werden. Die Abgrenzung zum „Fremden“ löst die Überlegenheit der eigenen nationalen Identität aus und zwingt den Gegenüber sich an die ihm zugeschriebenen Kategorien anzupassen. Folglich können Vorurteile, Diskriminierung und im schlimmsten Fall Rassismus das Miteinander der verschiedenen Kulturen zu einem Nebeneinander wandeln und gegenseitige Intoleranz und Feindlichkeit fördern.[2] Auch in Deutschland werden Migranten wegen ihrer Herkunft diskriminiert und nach ihrer Hautfarbe, Sprache und religiöser Einstellung beurteilt.

Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Problematik. Zunächst wird das Phänomen der Migration und die Beweggründe der Auswanderung näher betrachtet, um auf die schwierige Situation der Migranten hinzuweisen, die sich mit völlig neuen ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten zurechtfinden müssen.

Folgend wird die Haltung Deutschlands als Aufnahmegesellschaft gegenüber der Migranten aufgezeigt, denen lange Zeit überhaupt nicht bewusst war, dass sie sich zu einem Einwanderungsland entwickelt haben. Dementsprechend gab es neben den Forderungen nach Integration lange Zeit kein Entgegenkommen der deutschen Gesellschaft.

Im nächsten Punkt wird die Schwierigkeit des Begriffes Integration anhand der Systemtheorie von Luhmann herausgearbeitet, die davon ausgeht, dass eine übergreifende Integration in die moderne heterogene Gesellschaft nicht mehr möglich ist. Stattdessen kann den Migranten die Teilhabe an Teilsystemen entweder ermöglicht oder verwehrt werden. Eine Exklusionsgefahr liegt in dem Fall vor.

Des Weiteren werden Erscheinungsformen der Exklusion wie Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Rassismus thematisiert, die als negative Einstellungen in den Köpfen der Menschen entstehen.

Der letzte Punkt geht auf die Maßnahme einer Interkulturellen Erziehung und Bildungsarbeit im Elementarbereich ein. Der pädagogische Ansatz ist vor allem für Kinder von hoher Bedeutung, da Vorurteile und die damit einhergehenden Feindbilder vorgebeugt und ein Verständnis für unterschiedliche Perspektiven unterstützt werden können.

2. Begriffsbestimmung der Migration

Der Begriff der Migration leitet sich aus dem lateinischen Wort „migrare bzw. migratio“ ab, was so viel bedeutet wie „wandern“ und „wegziehen“. Die Aus- und Einwanderung von Menschen ist kein neuartiges Phänomen, vielmehr vollzieht sie sich durch die ganze Menschheitsgeschichte. Sie drückt die gesellschaftliche Reaktion auf die sich wandelnden Lebensbedingungen aus und veränderte im Laufe der Zeit dementsprechend ihre Gestalt. Historische Dokumente weisen auf eine Vielfalt der Wanderbewegungen hin: Schon in der Altsteinzeit gehörten Sammler- und Jäger zum Nomadenvolk, da sie immer wieder neue Jagdgebiete suchten und den Tierherden folgten. Im Frühmittelalter zeichnete man ganze Volkswanderungen auf, die aufgrund gewaltsamer Verdrängung durch andere Völker, Kriegszüge und neuer Landsuche hervorgerufen wurden. Angesichts des sich entwickelnden Sklavenhandels im 17. und 18. Jahrhundert fanden gezwungene Massenwanderungen nach Nordamerika in die Kolonialgebiete statt. Eine weitere große Migrationswelle erfolgte im 18.und 19. Jahrhundert, als die Menschen der Not in Europa entgehen wollten und sich eine Auswanderungsbewegung nach Übersee auslöste.[3]

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge spricht heute von Migration wenn „(…) eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt, von internationaler Migration, wenn dies über Staatsgrenzen hinweg geschieht.“[4] Unter der allgemeinen Sammelbezeichnung von migrierten Menschen werden Zu- und Auswanderer, Aussiedler, Ausländer, Flüchtlinge, Gastarbeiter und Vertriebene verstanden, die sich wiederum in unterschiedliche Kategorien unterteilen lassen. Dabei wird nach der Dauer des Aufenthaltes, der Legalität ihrer Einwanderung, der Nah- oder Fernwanderung, der Individuellen, Familien- oder Gruppenmigration und häufig auch nach den Motiven der Einwanderung differenziert. Die Motive der Migration entscheiden darüber, ob es sich um eine erzwungene Fluchtmigration, aufgrund politischer Unterdrückung, Krieg und Naturkatastrohen oder freiwilliger Migration aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen handelt. Trotz unterschiedlicher Motive haben Migranten eines Gemeinsam: Durch die prekäre Situation in der Heimat, die Flucht, das erste Ankommen in der Fremde, die rechtlichen Hürden, später auch die Niederlassung und Adaption sind Migranten häufig stressbelastenden Erfahrungen ausgesetzt. Die Überwindung der psychischen Belastung, sowie die Integration gelingt nicht allen Ankommenden, da Vorurteile, Feindlichkeit und rassistisch motivierte Übergriffe den Vorgang erschweren.[5]

3. Deutschland als Aufnahmegesellschaft

Entgegen der langen Geschichte der Migrationsbewegung beginnen wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Migration erst seit den 1920er Jahren in den USA.

Der amerikanische Soziologe Robert E. Park nahm die kontinuierlichen Migrationsbewegungen von Menschen als einen beeinflussenden Faktor für die Fortschritte in der Geschichte und die Zivilisationsprozesse wahr, da dadurch eine Verflechtung von Völkern und Kulturen ermöglicht wurde. Zivilisation ist dabei als Resultat von Beziehung und Interaktion der aufeinandertreffenden Menschen zu sehen, die gezwungen waren, sich mit der Andersartigkeit auseinanderzusetzten und zu kooperieren.[6] Als die USA schon längst an Modellen der gesellschaftlichen Pluralität arbeitete, bestand Deutschland noch bis Anfang der 1990er Jahre auf die Aussage, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. Dies entsprach jedoch nicht der Realität: Deutschland wurde bereits ab Mitte des 20. Jahrhunderts zum wichtigsten Ziel von Migranten in Europa. Erst mit dem sich entwickelndem Selbstverständnis als Einwanderungsland nahm auch die Diskussion um eine „Multikulturelle Gesellschaft“ zu. Multikulturelle Tendenzen zeigten sich zunehmend in der Kultur- und Unterhaltungsindustrie, in denen Italienische, chinesische, türkische Restaurants und Imbissstände, sowie Weltmusik Akzeptanz fanden. Ethnische Pluralität im Freizeit- und Konsumbereich wurde ebenso begrüßt. Für weitere gesellschaftliche Bereiche galt diese Zustimmung und Akzeptanz allerdings nicht.[7]

Stattdessen wurden einseitige Forderungen an Migranten nach "kultureller Anpassung" und Integration gerichtet, die als eine Art Gegenleistung für die Großzügigkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft erbracht werden sollten. Dabei hängt die Eingliederung der Migranten größtenteils von der Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft und ihrer Integrationspolitik ab. Je weniger entgegengekommen und Unterstützung angeboten wird, desto problematischer gestaltet sich das soziale Zusammenleben von Einheimischen und Einwanderern und erschwert das Entstehen eines Zugehörigkeitsgefühls. Ablehnung und Diskriminierung können weitgehend Sub- oder Parallelgesellschaften hervorbringen, die in der politischen Debatte mit der Vorstellung von ethnischen Bevölkerungsgruppen verbunden ist, die sich räumlich, sozial und kulturell von der Mehrheitsgesellschaft abschotten. Der freiwillige oder unfreiwillige Rückzug wird wiederum mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Migranten sich nicht an die Gesellschaft anpassen möchten und die kulturellen Unterschiede zu groß wären.[8]

4. Integration und Diversity

Laut den Ergebnissen des Mikrozensus im Jahr 2015 leben in Deutschland etwa 17,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das sind 723.000 Personen mehr als im Vorjahr.[9]

Migration und damit auch eine Vielfalt an kulturellen, ethnischen und religiösen Gruppen entwickeln sich im Kontext der Globalisierung immer mehr zur Normalität und Alltäglichkeit. Niklas Luhmann (1927-1998), einer der bedeutendsten Soziologen des 20. Jahrhunderts, gründete angesichts der modernen heterogenen Gesellschaft die Systemtheorie, die drei Gesellschaftstypen voneinander unterscheidet:

Zum einen gab es die Segmentäre Gesellschaft. Sie ist durch eine in sich abgeschlossene, räumlich von anderen Einheiten getrennte, kleine Gesellschaft gekennzeichnet, in der Individuen sich meistens gegenseitig kannten wie z.B. in Dörfern oder Stämmen. Die Integration gestaltete sich über persönliche Interaktionen, Familienzugehörigkeit und einheitliche Mythen und Rituale. Erfahrungen mit Ungleichheit und Heterogenität bildeten eine Ausnahme.

Zum anderen waren stratifizierte Gesellschaften vorhanden, die sich aus hierarchisch sozialen Schichten zusammensetzten. Verschiedene voneinander abgegrenzte Stände wie z.B. Adel, Klerus, Bürger, Bauer, die nur durch Interaktion miteinander verbunden waren, galten als Ordnungsprinzip der Gesellschaft. Soziale Integration wurde einerseits durch Religion und andererseits durch die schichtspezifische Zugehörigkeit ermöglicht. Mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche, nicht gleichrangige Schichten wurde zugleich der Erfahrungsraum für Heterogenität erweitert.

Im Laufe der Zeit fand ein gänzlicher Wandel zur funktional differenzierten Gesellschaft statt und damit auch zu einer vielfältigen Bevölkerung. An die Stelle von hierarchischen Schichten treten nun autonome Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft, Recht, Erziehung usw. ein, die zwar einer getrennten Arbeitsteilung erliegen, jedoch Gleichwertig in Bezug zueinander stehen. Mit dem Wandel der Gesellschaft änderte sich auch die soziale Integration: Eine Übergreifende Integration gibt es nicht mehr, da eine einheitliche Repräsentation der Gesellschaft als Ganzes unmöglich wird.[10] Das Konzept der Integration wurde deshalb hinsichtlich seiner Angleichung an eine Gesellschaft, das wiederrum eine Abgrenzung zwischen zwei Gruppen impliziert, kritisiert und durch den Begriff der Inklusion abgelöst. Inklusion geht von einer Einbeziehung, einer Teilhabemöglichkeit an den einzelnen Funktionssystemen aus, unabhängig von ethnischen, kulturellen oder sonstigen individuellen Merkmalen. Dabei sollten die Unterschiede, die zwischen jedem Menschen bestehen, als normal betrachtet werden.[11] Der Umgang mit Vielfalt wird neben den Inklusionsdiskursen auch durch den Diversitybegriff geprägt.

Das englische Wort Diversity, das von der angloamerikanischen Fachliteratur übernommen wurde, bedeutet „Vielfalt“ und meint eine wachsende Vielfalt an Herkunftsländern- und Kulturen in der Aufnahmegesellschaft. Zudem kommt eine interne Pluralität der Gruppen, die sich aus verschiedenen regionalen und lokalen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Individuen zusammensetzen. Das Konzept konzentriert sich auf die Anerkennung dieser Heterogenität in jeglichen Teilsystemen der Gesellschaft, um zum einen die personellen und sozialen Ressourcen zu fördern und zum anderen um auf eine Gleichbehandlung zu plädieren. Das Risiko bei diesem Konzept besteht allerdings, dass nicht die Inklusion, also „Zugehörigkeit“ zur Gesellschaft gefördert wird, sondern die „Andersartigkeit“ der Migranten betont und somit aus einer wohlwollenden Intention der Weg zur Exklusion gelegt wird. Der Kampf gegen die soziale Ungleichheit ist an der Vielgestaltigkeit der Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsprogrammen zu sehen, die in sozialen Einrichtungen und Konzernen eingesetzt werden und in den Gesetzten der Europäischen Union verankert sind.[12]

5. Erscheinungsformen der Exklusion

Bis Mitte der 80er Jahre wurden ethnische Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus unter Jugendlichen nur als Randthema der sozialwissenschaftlichen Forschung behandelt. Grund dafür war die Annahme, dass diese Erscheinung vor allem nur die Generation beträfe, die in der Nationalsozialistischen Zeit aufgewachsen ist und sich die gesellschaftliche Norm, Denk- und Verhaltensmuster verinnerlicht hat. So kam es zu der Konklusion, dass sich das Problem mit der wechselnden Generationenfolge „von alleine lösen“ würde. In Anbetracht der zunehmend gewalttätigen Ausschreitungen gegen Migranten, musste die Schlussfolgerung im Laufe der Zeit jedoch revidiert werden. Die Jugend wurde seit den 60erJahren mit einer linken politischen Haltung gleichgesetzt, doch die Ansicht, dass junge Erwachsene auch eine rechtsorientierte Haltung annehmen können, wurde in der Öffentlichkeit weitgehend außer Acht gelassen.[13] Ihren Höhepunkt erreichte die Feindlichkeit um die 1990er Jahre, als eine Welle der Gewalttaten die deutschen Städte wie Rostock, Mölln, Solingen und Hoyerswerda erschütterte. Pogrome gegen Flüchtlingsunterkünfte und Brandanschlägen gegen Wohnhäuser der Migrantenfamilien forderten Todesopfer und riefen in der Öffentlichkeit Empörung und Verunsicherung in Bezug auf den Umgang mit Migranten hervor. Daraufhin wurde eine Fülle von sozialpädagogischen und politischen Maßnahmen eingeleitet.[14]

Trotz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind Diskriminierungen nach wie vor in den verschiedensten Lebensbereichen vertreten: Im Bildungsbereich kann die Erwartungshaltung der Fachkräfte bei Schülern mit Migrationshintergrund diskriminierend wirken, wenn ihnen eine geringe Leistung zugetraut wird. Entsprechend verhält es sich mit der Diskriminierung auch im Arbeitsleben. Vor allem wenn die Teilhabe an Ausbildungen und am Arbeitsmarkt durch Vorbehalte verwehrt wird oder geringer ausfällt als von Personen ohne Migrationshintergrund. Des Weiteren finden sich Diskriminierungen im öffentlichen Bereich, wenn die Durchführung polizeilicher Maßnahmen wie Kontrolle, Überwachung usw. aufgrund des Aussehens erfolgen. Ferner wird auch der Zutritt an Club- und Diskothekeneingängen verweigert, Operationen abgelehnt, die Eröffnung von Bankkonten abgesagt und viele weitere Fälle in denen Diskriminierung vorliegt.[15]

Rassistische Übergriffe und Gewalt ist auch keine Seltenheit mehr. Seit 2001 veröffentlicht das Bundesministerium des Innern jährlich eine Statistik, die die politisch motivierte Kriminalität (PMK) in Deutschland erfasst. Darunter versteht sich unter anderem eine Straftat gegen eine Person oder Institution, aufgrund „ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status […]“[16] Nach dieser Definition hat die Hasskriminalität im Jahr 2015 den bisherigen Höchststand mit 38.981 Straftaten und damit 19,2% mehr als im Vorjahr erreicht.[17] Hier stellt sich die Frage, welche Ursachen solcher Feindlichkeit zugrunde liegen. Im Folgenden wird vertieft auf drei Erscheinungsformen der Ausgrenzung eingegangen, die in einer ethnisch-kulturellen Vielfalt auftreten können. Selbstverständlich stehen diese Erscheinungsformen nicht isoliert voneinander, sondern bauen aufeinander auf und beeinflussen sich gegenseitig.

5.1 Vorurteile

Der Dramatiker August von Kotzebue (1761-1819) kam zu der Erkenntnis: „Dass irgendein Mensch auf Erden ohne Vorurteil sein könne, ist das größte Vorurteil“[18] Seine Aussage hat auch heute noch weitgehend Gültigkeit: Alle Menschen haben gegenüber anderen Personen, Menschengruppen und ganzen Völkern Vorurteile, die sie durch die Umwelt vermittelt bekommen und angelernt haben. Demgemäß entstehen Vorurteile und die mit ihnen einhergehenden Einstellungen wie Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in den Köpfen der Menschen.

5.1.1 Begriffsbestimmung

Mit dem Begriff „Einstellungen“ wird die geistige Haltung einer Person zu einer anderen Person, zu bestimmten Situationen, zu Gegenständen, zu sich selbst oder sogar zur Umwelt beschrieben. Der amerikanische Psychologe Gordon Allport (1897-1967) veranschaulicht den Einstellungsbegriff mit einem „innerpsychischen Mechanismus“, der das kognitive Verhalten eines Menschen beeinflusst. Meinungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche und Absichten werden durch positive oder negative Einstellungen zu einem bestimmten Verhalten angetrieben. Deshalb kann eine Einstellung keine „intervenierende Variable“ sein, die in unterschiedlichen Situationen ein gleiches Handeln hervorbringt. Vielmehr hängt sie davon ab, wie eine Person den auf sie einwirkenden Stimulus bewertet oder ihn bereits früher bewertet hat. Dies schließt eine subjektive Bewertung ein. Dabei werden sicherlich Denkprozesse angestoßen, die ein Abwägen des Handelns ermöglichen, allerdings überwiegt in den meisten Fällen eine gefühlsgesteuerte Reaktion.

Vorurteile und Stereotype sind besondere Formen der Einstellungen. Sie umfassen ein vorgefasstes und negatives Urteil über eine Gruppe von Menschen, eine Nation oder einen Kulturkreis. Infolgedessen werden ihnen bestimmte Eigenschaften von vornherein zugeschrieben, die jedoch nicht der Wirklichkeit entsprechen. So stellt man meistens positive Eigenschaften wie „ordentlich, fleißig und sparsam“ für die eigene Nation oder Gruppe auf und bezeichnet die anderen Gruppen als „Schmarotzer und Faulenzer“. Vorurteile können somit zu Pauschalurteilen führen und Feindbilder festigen.[19]

5.1.2 Bildung und Festigung von Vorurteilen

Die Bildung von Vorurteilen wird durch zahlreiche Komponente beeinflusst, sodass ihre Entstehung nicht nur auf eine Ursache zurückzuführen ist. Generell hat der Mensch die Tendenz alles zu Verallgemeinern. Erfahrungen, die nur mit einzelnen Personen gemacht wurden oder Aussagen, die gehört worden sind und nur auf bestimmte Individuen zutreffen, werden auf alle Menschen z.B. einer ethnischen Gruppe bezogen. Auf diese Weise kann ein Mensch eindeutig als Mitglied oder Nichtmitglied der Gruppe zugeordnet werden. Die Kategorisierung hat den Nachteil zufolge, dass Unterschiede zwischen Menschen einer Gruppe nicht wahrgenommen und Unterschiede zwischen Menschen verschieden zugehöriger Gruppen überbetont werden. Ein konkretes Beispiel lässt sich aus dem Dritten Reich entnehmen, als die Nationalsozialisten den Judenhass durch bestimmte Merkmalzuschreibungen angestachelt haben. Dementsprechend galten Juden unter anderem als reich, heimtückisch und geizig. Hinter diesem Stereotyp „Jude“ wurde nicht die Person an sich gesehen, sondern die an ihm haftenden Charakteristika. Über den Vorgang der Stereotypisierung gelangt man auf kürzerem und einfacherem Weg zur Personenwahrnehmung, ohne dabei den Umweg einzugehen, bei dem zuerst Informationen über die Person gesammelt werden müssen.[20]

Ein weiterer Aspekt der dem Vorurteil zugrunde liegt, ist die Angst vor den Fremden und Neuartigen. Alles was einem Menschen fremd erscheint oder keine Ähnlichkeit mit der eigenen Gruppe vorweist, wird abgegrenzt. Dabei sieht er die Fremden nicht als ebenbürtige menschliche Wesen an, mit denen ebenso Beziehungen geknüpft werden können. Die eigene Gruppe mit den kulturellen, religiösen und ethnischen Merkmalen und deren Verhalten ist maßgebend, alle anderen Gruppen unterliegen ihr.

Große Enttäuschungen und Misserfolge können ebenso negative Einstellungen hervorrufen. Das eigene Versagen wird in Form von Aggressivität auf einen anderen projiziert, sodass derjenige als Sündenbock für die Fehler einstehen muss. Schuldzuweisungen können auch an ganze Gruppen umgelenkt werden, von denen aufgrund ihrer Machtlosigkeit kein Widerstand oder Bestrafung zu erwarten ist. So sind vor allem Minderheiten verschiedenster Art, darunter auch Migranten, Ziel der Aggressivität und dienen als Ersatzobjekte für die eigene Frustration.[21]

Ausschlaggebend für die Entstehung und Festigung der Vorurteile ist allerdings das Sozialisationsumfeld, indem ein Kind aufwächst. Anthropologische Ansätze behaupten, dass die negative Einstellung gegenüber Fremden in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit verortet ist. Es ist ein unveränderliches Phänomen, da der Trieb dazu angeboren sei und der Mensch es von Natur aus in sich trage. Jegliche Annahmen in diese Richtung wurden aber nirgendwo bewiesen. Vielmehr ist die Übernahme von Vorurteilen Teil des sozialen Lernens, das in die Kultur und Gesellschaft eingebettet ist. Hören Kinder in den frühen Jahren gedankenlose und herabmindernde Äußerungen über andere Personen oder Gruppen, übernehmen sie mehr oder weniger unbewusst die Vorurteile. Untersuchungen haben nachgewiesen, dass das bereits im dritten und vierten Lebensjahr möglich ist. Das bedeutet, dass eine vorurteilshafte Umwelt die Kinder und Jugendliche in ihrem Denken und Wahrnehmen prägt. Sozialisation begrenzt sich jedoch nicht nur auf das Kinder-und Jugendalter, sondern stellt einen lebenslangen Prozess dar. Im Laufe ihres Lebens bewegen sich Menschen zwischen verschiedenen Gruppenmitgliedschaften und Milieus und suchen Zugehörigkeit und Anerkennung. Dementsprechend passen sie sich auch an die neuen Normen und Regelungen der Gruppe an, mit denen ebenso die Übernahme von Vorurteilen einhergeht.[22]

[...]


[1] Bade 2003, vgl. in Institut für Kulturpolitik 2004, S. 2

[2] vgl. Schmidt-Lauber 2007, S. 164f.

[3] vgl. Han 2000, S. 6ff.

[4] BAMF 2011, S. 12

[5] vgl. Hargasser 2015, S. 16ff.

[6] vgl. Han 2000, S. 18

[7] vgl. Schmidt-Lauber 2007, S. 9

[8] vgl. Keim 2003, S. 2f.

[9] Statistisches Bundesamt 2016, S. 7ff.

[10] vgl. Kleinert 2004, S. 38ff.

[11] vgl. Mayer 2014, S. 37

[12] vgl. Faist 2013, S. 91ff.

[13] vgl. Kleinert 2004, S. 12ff.

[14] vgl. Keim 2003, S. 2f.

[15] vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2014, S. 200ff.

[16] Deutscher Bundestag 2010, S. 4

[17] BMI 2015, S. 2

[18] Fleiter 2006

[19] vgl. Nezel 1996, S. 19f.

[20] vgl. Nezel 1996, S. 21f.

[21] vgl. Karsten 1978, S. 124f.

[22] vgl. Heckmann 1992, S. 129ff.

Final del extracto de 16 páginas

Detalles

Título
Migranten in Deutschland. Erscheinungsformen der Exklusion
Universidad
University of Education Ludwigsburg
Calificación
2
Autor
Año
2017
Páginas
16
No. de catálogo
V437141
ISBN (Ebook)
9783668772823
ISBN (Libro)
9783668772830
Tamaño de fichero
505 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Migranten, Ausländer, Deutschland, Einwanderer
Citar trabajo
Esma Dursun (Autor), 2017, Migranten in Deutschland. Erscheinungsformen der Exklusion, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437141

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