Ergebnisprotokoll zu Thomas Morus "Utopia. Erstes Buch"


Dossier / Travail de Séminaire, 2018

14 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. „Kritik an der Alten Welt“

i. Kritik am Strafrecht

ii. Kritik an der Praxis des Krieges

iii. Kritik an falschen Bedürfnissen

III. Ausblick zur Neuen Welt

IV. Literaturverzeichnis

V. Bibliographischer Apparat

I. Einleitung

Der britische Gelehrte und Politiker Thomas Morus (1478-1535) galt Zeit seines Lebens als enger Freund und Bruder im renaissance-humanistischen Geiste von Desiderius Erasmus von Rotterdam (1466-1536). Bis heute jedoch gilt er mit seinem lateinisch verfassten Werk De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia (Vom besten Zustand des Staates und von der neuen Insel Utopia) (1516) als Pionier des prosaischen Genres utopischer Romane.[1]

Er reit sich neben Civitas solis (Der Sonnenstaat) (1602) vom Dominikanermönch Tommaso Campanella (1568-1639) sowie Francis Bacons (1561-1626) fragmentarischen Werk Nova Atlantis (Neu-Atlantis) (1627) in die Trias der frühneuzeitlichen, barocken Utopien ein.[2]

Etymologisch betrachtet beschreibt der Terminus Utopie ein positives Gegenbild zum synchronen Ist-Zustand der Realität, da er ein Kompositum aus dem altgriechischen „ ou“(nicht) und tópos (Ort) darstellt. Als nicht existenter Raum wird dieser zum Ideal stilisiert – auch als Eutopie bezeichnet , welches per definitionem einen nie endenden, asymptotischen Annäherungsprozess darstellt, dessen Zustand niemals erreicht werden kann. Als negatives Pendant hierzu fungiert das Antonym der Dystopie, welches seinerseits von dys- (schlecht) sowie tópos (Ort) abgeleitet wird.

Bis heute haben sich verschiedenste Arten jener Textgattung ausgebildet und lassen sich auf spezifische Ebenen, wie Politik, Gesellschaft, Religion, Wissenschaft oder Technik beziehen. Mores‘ Utopia ihrerseits wird als Sozialutopie gefasst, weshalb Morus auch als einer der Lieblingsutopisten der Sozialisten des 19./20. Jahrhunderts gilt und „[…] nach Karl Kautsky […] der ‚Vater des utopischen Sozialismus‘ [ist].“[3]

Der zugrundeliegende, historische Kontext des „[…] wahrhaft goldene[n] Büchlein[s]“[4] ist das England und auch Frankreich des 16 Jahrhunderts, wobei sich allerhand autobiographische Querverweise, wie sie Thomas Schölderle in seinem Sammelband Geschichte der Utopien – Eine Einführung[5] ausarbeitet, bei genauer Lektüre identifizieren lassen. So war beispielsweise Morus selbst Lordkanzler unter König Heinrich VIII[6] und hatte somit mannigfache Einblicke in die Machtausübung und Herrschaft der britischen Obrigkeit.

Auf eben jene bezieht sich seine auf Expertise gestützte Sozialkritik[7], welche sich im ersten Buch seiner Staatsutopie manifestiert und Gegenstand dieser Arbeit ist. Allein die textgenetische Eigenheit, dass Morus dieses Buch erst ein Jahr nach der Publikation 1516 verfasst hat, misst ihm eine brisante Gewichtung bei und bereitet zugleich die Bühne für die Ausgestaltung einer in platonischer Manier konstruierten Staats- und Gesellschaftsordnung vor.[8]

Im Folgenden werden zunächst die Grundzüge der Formalia und des Inhalts des ersten Buches untersucht, woraufhin drei zentrale, textimmanente Kritikpunkte explizit gemacht werden, um abschließend in einem Resümee und möglichen Ausblick zum zweiten Buch der Utopia zu münden.[9]

II. „Kritik an der Alten Welt“

Die Gesamtkomposition des Romans gestaltet sich wie folgt: nach einer kurzen, programmatischen Vorrede[10] als eine Art Prologus ante rem beginnt das erste Buch[11], welches die Kritik an den zeitgenössischen, gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen darstellt und dem Rezipienten seiner Zeit den kritischer Spiegel auf humanistische, teils satirische Art vorhält, indem er eine „[…] kaum pessimistische, eher schonungslos realistische Zeitdiagnose […]“[12] aufstellt. Mit einer Fülle von etwa einem Drittel des Gesamtumfangs versucht Morus bereits zu zeigen, dass die im zweiten Buch[13] folgende Utopie als eine Abgrenzung zum Bestehenden verstanden werden soll.

Formal wird für das prosaisch geschulte Auge schnell deutlich, dass Morus sich eines probaten Mittels philosophischer Tradition bedient, indem er die Rahmenhandlung und somit auch das erste Buch in offener Dialogform zwischen den drei Figuren des literarischen Thomas Morus, des „vortreffliche[n] Mensch[en]“[14] Peter Aegidius sowie des „eitle[n] Schwätzer[s][15] Raphael Hythlodeus konzipiert. Nebst David Humes (1711-1776) Dialoge über natürliche Religion (1779) ist es vor allem die antike, platonische Manier, die er hier nachahmt.[16] Dies wird auch daran deutlich, dass alle der genannten frühneuzeitlichen Utopisten eine gewissen Grundorientierung an Platons Staatsschrift der Politeia und allen voran an den Meisterdialogen der Nomoi, Timaios, Kritias und Politikos aufweisen. So konstatiert Ottfried Höffe, dass „[…] Morus‘ Vorbild […] Platons Politeia […]“[17] sei. Dies wird außerdem deutlich, wenn man sich die Dialektik betrachtet, die im Verlauf des ersten Buches entsteht und stellenweise stark an sokratische Mäeutik erinnert, wenn Raphael via kritischer Nachfragen als figurative Hebamme der Erkenntnis auftritt.

Doch auch Campanella und Bacon verweisen bereits mit den großen Titeln ihrer Utopien auf das griechische Ideal von Platons Staats- und Gesellschaftsauffassung. So lässt Der Sonnenstaat eine Hommage an das zentrale Sonnen- und Höhlengleichnis vermuten und Neu-Atlantis wie eine literarische Neuauflage vom originalen Atlantis erscheinen. Allen gemein ist dieser idealisierende Bezug zur Antike vor allem hinsichtlich des sittlichen Miteinanders, was wiederum bei Morus‘ seinen Ausdruck findet, indem im Zentrum des Interesses die ethischen sowie sozialphilosophischen Aspekte stehen.

Zur formalen Eigenart zählt außerdem, dass der Autor mit dem Auftritt dreier verschiedener Figuren als federführender Erzähler in den Hintergrund treten und somit seinen eigenen Kopf aus der Schlinge der Verantwortung ziehen kann. Dieser ebenfalls traditionelle Schachzug ermöglicht es Morus, die Last, welche aus der radikalen Kritik an der Realgesellschaft und -regierung resultiert, auf verschiedene – allen voran Raphaels – Schultern zu verteilen. Hiermit lässt sich der Wahrheitsgehalt der Schrift relativieren, da es als rein fiktiv dargestellt und durch die Figur des Hythlodeus berichtend als Seemannsgarn persifliert werden kann.[18] Es bleibt demnach interpretativ offen, ob Morus realiter an den skeptischen Inhalt seiner Utopie glaubt oder ob er dem Leser lediglich einen Floh ins Ohr setzen möchte. Ihm gelingt es jedoch eindrucksvoll, einen literarischen Schwebezustand zu konstruieren, in welchem der Rezipient nicht mit genauer Sicherheit davon ausgehen kann, dass das Geschilderte wahrheitsgemäß oder doch nur rein fiktiv ist. Hierzu argumentiert Thomas Schölderle: „[Der] Kern des Streits ist dabei fast immer die Frage, wie ernst, im Sinne eines persönlichen Ideals, der Entwurf des utopischen Staatsmodells gemeint war.“[19]

Der „Entwurf der Neuen Welt“[20] des zweiten Buchs stellt schließlich die eigentliche Utopie und Haupthandlung in Form eines Reiseberichts des Seefahrers dar, wobei „[n]icht die Handlung, sondern die im Gespräch behandelte Gedankenwelt […] die Schrift [bestimmt].“[21]

Die bereits mehrfach angedeutete inhaltliche Gestaltung kennzeichnet neben den verschiedenen Kritikpunkten vor allem die übergreifende und zentrale Kernfrage der philosophischen Fürstenberatung à la Platons Ideal der Philosophenkönige, um Gerechtigkeit im Staat herzustellen.[22] Raphael, der als weiser Pionier auftritt, erwidert dies mit dem „[…] Argument gegen eine mögliche Beraterfunktion, weil er in den höfischen Kreisen entweder selbst korrumpiert oder rasch vertrieben würde.“[23] In gesteigerter Form erscheint hierzu die schier resignative Figurenrede, wenn er resümiert: „An Fürstenhöfen ist kein Platz für Philosophie!“[24]

Doch auch die Frage, warum es eine so hohe Dichte an Kriminalität und vor allem Diebstählen gibt, ebnet den Weg der kritischen Reflexion des absolutistischen Staatssystems von Buch eins. Die „[…] zunehmenden Kriminalität“[25], Emigration sowie der aufkeimende Pauperismus seien nach Raphael die logisch, gesellschaftlichen Konsequenzen schlechter bis fehlender Sozialleistungen und -politik, wenn er als rhetorische Frage postuliert: „[…] was bleibt ihnen [verarmten Familien] schließlich anderes übrig, als zu stehlen und sich hängen zu lassen […]?“[26] Hieraus wird es augenscheinlich, dass die Ursache der sozialen Misere in der Führungsriege der Monarchie und des Absolutismus gesehen wird.

Das im zweiten Buch zeitlich im Jetzt angesiedelte, jedoch räumlich isolierte und abgelegene Gebiet der Insel Utopia steht schließlich kontrastiv diesen Missständen als Alternative eines wohlgeformten Staates gegenüber und „[…] [be]handelt […] fünf Lebensbereiche: […] die Verfassung, die Ordnung der Gesellschaft, die Gewohnheiten und Sitten, die Außenpolitik und die Religion.“[27] Um diese Dichotomie in Gänze fassen zu können, nimmt Morus zunächst eine immanente Analyse von Bereichen eines schlecht geführten Staates vor, woraus nun exemplarisch drei Aspekte ausführlich seziert werden.

[...]


[1] Vgl. Höffe, Ottfried. (2016). Politische Utopien der Neuzeit: Thomas Morus, Tommaso Campanella, Francis Bacon (Klassiker auslegen; Band 61). Berlin; Boston. S. 5.

[2] Vgl. Tilmann, Walter. (2000). Utopien der Vergangenheit: Visionen einer besseren Zukunft? Vortrag, gehalten am 1. Juni 2000 im Rahmen der Tagung „Forderung nach der konkreten Utopie“, 31. Mai – 4. Juni in Singen. URL: https://d-nb.info/1080205292/34 zuletzt aufgerufen: 21.06.2018 11:41:31. S. 7.

[3] Höffe, (2016). S. 5. Und siehe: Schölderle, Thomas. (2012). Geschichte der Utopie - Eine Einführung (1. Aufl. ed., Utb-studi-e-book). Stuttgart: UTB GmbH. S. 23.

[4] Morus, Thomas. (2012). Utopia. Übersetzt von Gerhard Ritter. Reclam, Stuttgart. S. 7.

[5] Siehe: Schölderle, (2012). S. 19-49. Besonders das Kapitel 1. Das Rätsel: Leben und Werk.

[6] Ebd., S. 14.

[7] Siehe: Schölderle, (2012). S. 19-23 und Höffe, (2016). S. 3-8.

[8] Siehe: Schölderle (2012): S. 25: „Mit dem Vorziehen des später geschriebenen ersten Teils entsteht der Eindruck, und diese Wirkung ist zweifellos gewollt, dass der Anlass zur spielerischen Reflexion über das fiktive Gemeinwesen die kritische Betrachtung der europäischen Zustände gewesen sei. Die Konstellation aus beiden Büchern erfüllt damit zwei Funktionen: Sie ist einerseits Darstellung dessen, was ist, aber nicht sein sollte; andererseits ist sie auch der phantasievolle Entwurf einer anderen Welt, die als Denkanstoß und kritisches Korrektiv zugleich fungiert.“

[9] Höffe (2016), S. 5. Ottfried Höffe tituliert hierbei das erste Buch als „Kritik an der alten Welt“, was mich dazu veranlasst hat, diesen Titel für den kritischen Hauptteil meiner Arbeit zu übernehmen.

[10] Morus, (2012). S. 10-13. Und siehe: Höffe, (2016). S. 4 und S. 23-26.

[11] Ebd., S. 15-57.

[12] Höffe, (2016). S. 6.

[13] Morus, (2012). S. 58-148.

[14] Ebd., S. 16.

[15] Höffe, (2016). S. 6.

[16] Höffe, (2016). S. 5.

[17] Ebd., S. 7.

[18] Ebd., S. 6.

[19] Schölderle, (2012). S. 19.

[20] Höffe, (2016). S. 5.

[21] Schölderle, (2012). S. 24.

[22] Siehe: Morus, (2012). S. 20-24 und S. 41-47. Und: Höffe, (2016). S. 48-51 und Schölderle, (2012). S. 24.

[23] Morus, (2012). S. 27.

[24] Ebd., S. 49.

[25] Höffe, (2016). S. 5.

[26] Morus, (2012). S. 28. Und siehe S. 30f.: „„[…] die [fehlende Sozialpolitik], die Not zu Dieben gemacht hat […]“.

[27] Höffe, (2016). S. 5.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Ergebnisprotokoll zu Thomas Morus "Utopia. Erstes Buch"
Université
University of Mannheim  (Philosophisches Seminar)
Cours
Ethisch-Philosophisches Grundlagenstudium (EPG)
Note
1,3
Auteur
Année
2018
Pages
14
N° de catalogue
V437151
ISBN (ebook)
9783668778023
ISBN (Livre)
9783668778030
Langue
allemand
Annotations
Diese Seminararbeit umfasst das Erste Buch der Utopia von Thomas Morus.
Mots clés
Thomas Morus, Thomas, More, Utopia, Campanella, Bacon, Utopie, Dystopie, Roman, Philosophie, Ethik, Platon, Aristoteles, Neuzeit
Citation du texte
Gordon Jung (Auteur), 2018, Ergebnisprotokoll zu Thomas Morus "Utopia. Erstes Buch", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437151

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