Die Ehegesetze des Augustus

Eine Untersuchung von Cassius Dio 56,1-10 und der Forschungsliteratur


Seminararbeit, 2018

21 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Historischer Kontext
1.2 Themenbereich und Fragestellung
1.3 Methodik und Forschungsstand

2 Hauptteil
2.1 Quellenkritik zu Cassius Dio 56,1-
2.2 Quelleninterpretation
2.3 Die drei Ehegesetze
2.3.1 Die leges Iuliae und die lex Papia Poppaea
2.3.2 Bestimmungen und Sanktionen
2.3.3 Auswirkungen der Gesetze
2.4 Lösung von Sittenverfall und Demographie-Problemen?

3 Fazit

4 Bibliographie
4.1 Quellenverzeichnis
4.2 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Historischer Kontext

Nach der langen Krisenzeit, die durch den Aufstieg und die Ermordung Gaius Iulius Caesars (100 - 44 v. Chr.) ausgelöst wurde, war das Imperium Romanum an einem Scheideweg angelangt. Von Bürgerkriegen, Proskriptionen und wechselnden Machtverhältnissen gezeichnet, sehnte sich das römische Volk nach Normalität, nach einer Pax Romana. Doch schien dies mit dem ursprünglichen politischen System kaum erreichbar. Aus den Wirren dieses Ausnahmezustands ging der Grossneffe Caesars, Gaius Octavius (63 v. - 14 n. Chr.), siegreich hervor. Die Krisenzeit wurde im Januar 27 v. Chr. offiziell für beendet erklärt und der innere römische Frieden, auch Pax Augusta genannt, ausgerufen. Unter dem Anschein einer Wiederherstellung der Republik richtete Octavian[1] das sogenannte Prinzipat ein, der Vorläufer des Kaisertums.[2] Zur selben Zeit erhielt er den Ehrennamen Augustus (dt. der Erhabene).[3] Trotz einer offiziellen Rückgabe der res publica an den senatus populusque Romanus, konzentrierte sich die tatsächliche Macht zusehends in der Person des Augustus.[4] Durch eine Mischung von diversen Amtsbefugnissen und seiner auctoritas[5] konnte Augustus das Römische Imperium sozusagen im Alleingang regieren.[6] Der Senat, der eigentlich immer noch das oberste Staatsorgan darstellte, bekam zwar gewisse neue Befugnisse (wie bspw. richterliche Aufgaben[7] ), wurde jedoch faktisch zum Ausführen von Augustus’ Wünschen degradiert, welcher dieser im kleineren Kreise des consilium principis geäussert hatte.[8]

Rückblickend wird die Herrschaft des Augustus trotz republikanischem Schein in der modernen Forschung mindestens als monarchisches Regierungssystem, oftmals aber sogar als Militärdiktatur[9] beschrieben.

Die Facetten von Augustus’ Herrschaftskonstrukt stehen jedoch nicht im Fokus dieser Seminararbeit. Wie der Titel schon verrät, sollen die augusteischen Ehegesetze thematisiert werden. Die Ehe in der römischen Antike erfüllte mehrere Zwecke. Sie brachte zum einen legitime Nachkommen hervor, die später den Familiennamen und das Erbe weitertragen würden. Vor allem in der Oberschicht war die Ehe aber ein bedeutendes Instrument, um die eigene Familie mit einer anderen gens zu verbinden. Zumeist vom pater familias initiiert, konnte man sich auf diese Weise strategisch einen Vorteil verschaffen, was sich bspw. bei Wahlkampfunterstützungen auszahlen konnte. Eine Heirat aus Liebe war, soweit sich dies aus den Quellen nachvollziehen lässt, entsprechend selten.[10]

1.2 Themenbereich und Fragestellung

Im Zentrum dieser Arbeit stehen die erstaunlichen Ehegesetze des Augustus, welche auf die Jahre 18 v. Chr. und 9 n. Chr. datiert werden. Erstaunlich in dem Sinne, als dass sie massiv in die zuvor vorwiegend privaten Familienangelegenheiten, insbesondere der Aristokratie, eingriffen und trotz entsprechendem Widerstand erzwungen wurden.[11] Auch wenn der Verfall des mos maiorum, zu dem auch die pudicitia gehörte, vielfach beklagt und aufzuhalten versucht wurde, war die Rigorosität dieser Gesetze doch eine auffällige Zäsur in der Geschichte der Sittengesetze.[12]

Augustus, den man aus heutiger Sicht klar als Machtpolitiker bezeichnen würde, versuchte sich mit diesen Ehegesetzen anscheinend in der Sittenpolitik einen Namen zu machen.[13] Auch wenn Politik und Moral schon seit längerem miteinander verbunden waren,[14] konnte sich Augustus mit dieser Art der Politik kaum profilieren. Ganz im Gegenteil: Die schwerwiegenden Sanktionen, die in den Gesetzen verankert waren, stiessen auf Widerstand und verringerten seine fama, die er sonst bei fast jeder Gelegenheit zu vermehren suchte.[15] Sogar seine eigene Familie wurde durch die Strafen getroffen. So wurde bspw. Augustus’ einziges leibliches Kind, Iulia, wegen Ehebruchs ins Exil geschickt.[16]

Es drängt sich die Frage auf, zu welchem Zweck Augustus all dies in Kauf nahm. Aus diesen Gründen zielt diese Seminararbeit darauf ab, herauszuarbeiten, weshalb Augustus diese konservativ anmutenden Ehevorstellungen anscheinend zu fast jedem Preis durchsetzen wollte.

1.3 Methodik und Forschungsstand

Die ersten zehn Kapitel aus Cassius Dios 56. Buch seines Lebenswerks «Römische Geschichte» dienen in dieser Arbeit als Hauptquelle. Nach der Quellenkritik sollen die groben Züge des Inhalts, Augustus’ Absichten aus Dios Perspektive und die Reaktionen auf die Ehegesetze abstrahiert werden. In einem zweiten Schritt werden die entsprechenden drei Gesetze, die lex Iulia de adulteriis coercendis, die lex Iulia de maritandis ordinibus und die lex Papia Poppaea auf ihren Inhalt, ihre Umsetzung und ihre (Miss-)Erfolge genauer untersucht. Zum Abschluss sollen die bisherigen Erkenntnisse mit verschiedenen kontrovers diskutierten Thesen in der Forschung gegeneinander abgewogen werden, um ein Fazit ziehen zu können, was denn nun genau der Sinn dieser Ehegesetze war.

Wie schon angetönt, heben sich die Gesetze durch ihren drastischen Einschnitt in die Privatsphäre von bisher gekannten Erlassen deutlich ab. So erstaunt es kaum, dass sich dies in einem doch beträchtlichen Echo in Schriften von Historikern und Rechtsgelehrten der folgenden Jahrhunderte niederschlägt. Sogar in anderer antiker Literatur und Dichtung, die sonst zur Gesetzgebung schweigt, wird auf diese Gesetze rekurriert.[17] Neben dem in dieser Arbeit primär verwendeten 56. Buch Dios, schneiden unter anderem Tacitus, Sueton und Plinius maior diese Thematik an.[18] Auch inhaltlich lassen sich die Gesetze relativ gut rekonstruieren. Dies ist vor allem den juristischen Schriften Ulpians aus dem 3. Jh. n. Chr. zu verdanken, die Einzug in Justinians Digesten fanden und dadurch bis heute erhalten sind.[19]

Dieser Reichtum an Primärquellen veranlasste viele HistorikerInnen, die augusteischen Sittengesetze aufzugreifen. Wie bereits angedeutet, ist sich die umfangreiche moderne Forschungsliteratur aber keineswegs in allen Punkten einig. Vor allem über die «wahren» Motive Augustus’ wird mit zuweilen äusserst gewagten Theorien gerätselt.[20] Eine erste ausführliche Abhandlung über die Ehegesetze lieferte der deutsche Rechtshistoriker Paul Jörs 1894, welche mittlerweile in Teilen jedoch als überholt gilt. Heutzutage wird in diesem Themenfeld zumeist auf einen Beitrag des Rechtswissenschaftlers Dieter Nörr und die Biographie von Augustus, verfasst vom Althistoriker Jochen Bleicken, verwiesen. Angelika Mette-Dittmann analysiert primär die Gesetzesinhalte und deren Auswirkungen, lässt sich jedoch weniger zu Spekulationen um die Plausibilität der genannten Absichten von Augustus hinreissen. Das einzige, was sie am aktuellen Forschungsstand zurecht bemängelt, ist die bislang oftmals ausbleibende Verbindung von rechts- und sozialhistorischen Studien.[21]

2 Hauptteil

2.1 Quellenkritik zu Cassius Dio 56,1-10

Cassius Dio (Cocceianus)[22] (ca. 164 – 230 n. Chr.)[23] ist der Urheber der hier behandelten Primärquelle. Als Sohn eines römischen Senators und einer Griechin wuchs er im griechischen Asia Minor, genauer Bithynien, auf.[24] In den Quellen lässt sich sein Leben erst seit seiner Ankunft in Rom, ca. 180 n. Chr., verfolgen. Er stieg unter Commodus zum Senator auf und bekleidete im Verlauf seines Lebens viele Ämter, darunter ein Konsulat und eine Statthalterschaft ausserhalb Roms.[25] So darf man ihn berechtigterweise der römischen Aristokratie zurechnen.[26] Nichtsdestotrotz war Griechisch seine Muttersprache. Sein Lebenswerk, die Ῥωμαϊκὴ ἱστορία, verfasste er dementsprechend in griechischer Sprache.[27] Es ist umstritten, wie lange Cassius Dio an dem Gesamtwerk schrieb. Mindestens 22 Jahre müssten es aber schon gewesen sein. Das Geschichtswerk setzt sich insgesamt aus 80 Büchern zusammen, beginnend mit der Ankunft von Aeneas in Italien. Heute sind vor allem die ersten 35 Bücher nur fragmentarisch, die Bücher 36-60 vollständig erhalten. Von den Büchern 61-80 sind gekürzte Abschriften überliefert.[28]

Dio wird in eine Reihe mit Fabius Pictor, Sallust, Tacitus et al. – alles geschichtsschreibende Politiker – gestellt.[29] Als sein stilistisches Vorbild scheint jedoch eindeutig Thukydides fungiert zu haben.[30] Dass Dio sowohl Grieche, wie auch römischer Amtsträger war, sein Werk auf Griechisch verfasste, jedoch die Geschichte Roms beschrieb, macht ihn und sein Werk besonders interessant.[31] Unter diesem Aspekt muss auch immer berücksichtigt werden, dass er sich wegen seiner griechischen Prägung und dem östlichen Publikum in gewisser Weise von rein römischen Geschichtsschreibern abheben könnte. Beispielsweise könnte es eine Rolle spielen, dass die Griechen schon lange bei den Institutionen und Gesetzen die Pflicht sahen, die Bevölkerung zu «erziehen». Gegenteiliger Ansicht waren die Römer, denen vielleicht deshalb die «züchtigenden» Ehegesetze des Augustus widerstrebten.[32]

Das für diese Arbeit zentrale 56. Buch enthält 47 Kapitel. Insgesamt deckt es die Zeitperiode von 9-14 n. Chr. ab, mit den Eckpunkten Erlassung der lex Papia Poppaea und Augustus‘ Tod.[33] Die ersten zehn Kapitel dieses Buches werden in der vorliegenden Arbeit als Hauptquelle verwendet. Dabei handelt es sich vor allem um eine Rede, welche der Autor Augustus in den Mund legt und 9 n. Chr. die Thematik der Ehegesetze aufgegriffen haben soll. Solche Reden sind ein beliebtes Stilmittel Dios. In seiner Römischen Geschichte wird der Standpunkt wichtiger Persönlichkeiten des Öfteren durch eine ausführliche Rede verdeutlicht.[34] Auch wenn eine direkte Rede oft dazu verleitet, ihre Glaubhaftigkeit nicht in Zweifel zu ziehen, muss dies in Dios Fall unbedingt geschehen. Es ist nämlich zu erwarten, dass Dio diese Reden meist selber relativ frei geschrieben hat. Somit wird die historische Realität zusätzlich verzerrt, insbesondere da gewisse Probleme zu Dios Zeit vermutlich ebenfalls darin Einzug fanden. Augustus wird die zu untersuchende Rede höchst wahrscheinlich niemals gehalten haben, was ihren Quellenwert stark beschränken mag.[35] Trotzdem darf man nicht ausser Acht lassen, dass Cassius Dio äusserst viele Quellen verwendete – auch solche, die heute verloren sind. Zu Augustus muss seine Recherche besonders umfangreich gewesen sein.[36] Deshalb ist es durchaus möglich, dass Dio mit seiner Augustus zugeschriebenen Rede die tatsächlichen Absichten des princeps wiedergibt.

Grund für die überdurchschnittlichen Nachforschungen zu Augustus dürfte Dios Interesse an einer «guten Staatsform» gewesen sein. Mit dem Übergang von der Republik zum Prinzipat ist eine Untersuchung Augustus’ somit natürlich unabdingbar. Ferner ist festzuhalten, dass Dios Bild von Augustus relativ komplex ist. Beispielsweise wird die tatsächliche «politische Skrupellosigkeit»[37] während Octavians Aufstieg keineswegs gutgeheissen. Insgesamt wurde Dio früher als Anhänger der Monarchie betrachtet. Eine solche Bewertung seiner Einstellung hat sich wegen moderneren Untersuchungen seines Werks verändert. Faktisch kritisiert er nämlich die Monarchie durchaus, die zu seinen Lebzeiten schon etwa 200 Jahren währte. Gleichwohl vertrat auch er die gängige Meinung, dass das Imperium Romanum einer Monarchie bedurfte.[38] Sinngemäss schrieb er beispielsweise, dass ein Schlechter immer noch besser sei als viele.[39] Gleichzeitig lassen sich in seinem Werk auch Passagen finden, in denen er die (frühe) Republik überschwänglich lobt.[40] Diese kaum überbrückbaren Differenzen könnte man als Wiedergabe divergierender Quellen interpretieren, also dadurch, dass Cassius Dio nicht immer nur seine eigene Meinung niederschrieb.[41] Zumeist beschreibt man Dios Haltung zur Monarchie zum Beispiel wie Millar als «mixed acceptance and indignation».[42] Auf Deutsch ist öfters von einem «realistischen Monarchisten» die Rede. In Anbetracht Dios eher schlechten Erfahrungen mit Herrschern seiner Zeit ist dies auch nicht weiter verwunderlich.[43]

2.2 Quelleninterpretation

Cassius Dio 56,1-10 ist, wie bereits gesagt, die Hauptquelle dieser Arbeit, die es nun zu untersuchen gilt. Wegen mangelhafter Altgriechisch-Kenntnissen, wird jeweils auf die deutsche Übersetzung von Otto Veh zurückgegriffen.

Dio beginnt mit einer Einbettung der geschilderten Szene. Es werden die Konsuln namentlich genannt, die zu dieser Zeit ihres Amtes walteten. Dies ermöglicht auch eine Verifizierung der zeitlichen Einordnung in das Jahr 9 n. Chr. Der Ort und der Anlass, bei der es zu Augustus’ Reden kommen soll, werden ebenfalls erwähnt: Anlässlich der Rückkehr von Tiberius wurden in Rom übliche Triumphspiele veranstaltet. Die Ritter sollen nun aber diese feierliche Versammlung dazu benutzt haben, vom Kaiser die Aufhebung des Ehegesetzes zu fordern, welches die «Unverheirateten und Kinderlosen» betraf.[44] Solch ein Verhalten war nicht unüblich, waren Festspiele und Volksversammlungen doch Ereignisse, an denen man mit dem Kaiser in Kontakt treten und ein Begehren vortragen konnte. Augustus soll nun auf dem Forum (anscheinend nur die Ritter) in zwei Gruppen aufgeteilt haben. Auf der einen Seite die zahlenmässig weit unterlegenen Verheirateten, auf der anderen Seite die grosse Schar caelibes. Wie im Kapitel 2.3 noch gezeigt wird, bestand jedoch bereits eine Ehepflicht. Daher verstossen sozusagen die meisten Anwesenden dagegen. Dies legt[45] Augustus selbst als klaren Misserfolg seiner ersten Massnahme, die 18 v. Chr. erlassene lex Iulia de maritandis ordinibus, aus.[46]

Jedenfalls setzt nun die relativ lange Rede ein, die Cassius Dio Augustus halten lässt:

Augustus dankt den Verheirateten (mit und ohne Kinder) für ihren Gehorsam und dafür, dass sie das «Vaterland wieder mit Menschen erfüllt[en]».[47] Dieses Motiv wird noch verstärkt, indem Augustus den Erfolg der Römer genau auf dem (vergangenen) Kinderreichtum und der Tüchtigkeit, eine Tugend der mores maiorum, gründet.[48] Dies entspricht auch der Selbstwahrnehmung der Römer.[49]

In der Rede werden Ehe und (legitime) Kinderzeugung als etwas Edles, gar als eine Annäherung an die göttliche Ewigkeit[50] gepriesen, als der einzige Weg, Namen, Werke und Besitztümer weiterzugeben und sich dabei selber zu erfreuen.[51] Den Männern – damit meint er die verheirateten Kinderlosen, denn den Unverheirateten spricht er diese Bezeichnung ab[52] – und den Vätern wird noch einmal zugesichert, ihre Ehe und ihren Kinderreichtum als Dienst am Vaterland mit Preisen, Ehren und Ämtern übermässig zu vergüten.[53] Es findet also eine offenkundige Vermischung von Privatem und Öffentlichem statt.

In einem zweiten Teil wendet sich Augustus der grossen Menge Unverheirateter zu, um sie wegen der «Nicht-Erfüllung» ihrer Pflicht zu tadeln. Er wirft ihnen gewillte Gefährdung des Imperium Romanum vor, da sie dadurch «das ganze römische Volk [...] vernichten und ihm ein Ende bereiten [würden].»[54] Es wird also eindeutig ersichtlich, dass gemäss Dio bevölkerungspolitische Absichten an erster Stelle hinter den Ehebestimmungen stehen. Demographische Überlegungen dieser Art waren kein Novum in der Antike, hatte doch bspw. Aristoteles schon ausführlich solche Gedankenspiele festgehalten.[55] Erstaunlicherweise fällt die Schelte ziemlich drastisch aus, wirft Augustus den Unverheirateten doch unvergleichlich schlimmes Tun vor:

«Und doch, wenn einer selbst die schlimmsten Übeltaten nennen wollte, so sind die anderen ein Nichts gegenüber diesem eueren jetzigen Tun [...]. Denn Mord begeht ihr, wenn ihr jene überhaupt nicht zur Welt kommen lasst, die doch euere Nachkommen werden sollten!»[56]

Es fallen noch weitere Bezeichnungen, wie Frevler, Gotteslästerer oder Verräter, die man durchaus als Beschimpfungen bezeichnen muss.[57] Anscheinend kann sich Augustus eine solche Aktion leisten und ist gewillt, die Mehrheit der Ritter zum Wohle Roms derart anzufeinden. Auch wenn dies auf den ersten Blick plausibel klingen mag – war Augustus’ Macht 9 n. Chr. doch gefestigt und die Ritter nicht der oberste Stand – ist dennoch eine rein demographische Absicht zweifelhaft. Einerseits gibt es trotz Bürgerkriegen und Proskriptionen keinen Hinweis auf einen massive Bevölkerungsschwund, andererseits machen die Ritter bei Weitem keinen grossen Anteil an der Bevölkerung aus. Doch nur sie werden in dieser Rede anscheinend adressiert. Solche Argumente sollen jedoch zu einem späteren Zeitpunkt nochmals ausführlicher diskutiert werden.

Augustus ist sich seiner harten Worte (und auch Sanktionen[58] ) durchaus bewusst, scheint jedoch von deren Notwendigkeit überzeugt.[59] Indes stellt er seine Ehegesetze in eine lange Tradition von Verordnungen, die bis zum Anbeginn des Römischen Imperiums zurückreichen, als noch ein Konsens über die Bedeutsamkeit von Ehe und Nachwuchs herrschte.[60] Dies war eine Taktik, die Augustus in verschiedenen Bereichen seiner Herrschaft immer wieder anwendete. Denn im Gegensatz zu heute galt in der Antike tendenziell das Prinzip, je älter eine Bestimmung war, als desto besser wurde sie erachtet und desto unangefochtener blieb sie. Neues konnte eher negativ bewertet werden und wurde somit häufiger Kritik ausgesetzt.[61] In diesem Fall nahm Augustus jedoch auf tatsächliche Begebenheiten Bezug, denn schon vor seiner Zeit wurden Anstrengungen unternommen, die Ehe – allgemeiner die Moral – zu heben.[62]

Interessant ist auch das siebte Kapitel. Darin wirft Augustus den unverheirateten Rittern ihre «volle Freiheit» vor, die sie durch das Ablehnen einer ehelichen Bindung erlangen.[63] Freiheit wird hier also klar als etwas Negatives dargestellt, die letztendlich Augustus mit seinen Gesetzen massiv zu beschneiden sucht. Im selben Kapitel scheinen nicht mehr nur die Ritter angesprochen zu sein: Augustus erwähnt eine Bestimmung, die nur Senatoren betrifft und ihre standesgemässen Ehen gewährleisten soll. Ferner werden auch noch gentes maiores aufgezählt, die Augustus durch seine Massnahmen vor dem Aussterben zu bewahren sucht.[64] Diese Geschlechter zählen ebenfalls nicht zur Ritterschaft, sondern stellen als altehrwürdige gentes vornehmlich Senatoren. Falls Augustus mit der Hebung der Geburtenrate scheitern sollte, zeichnet er für Rom eine düstere Zukunft:

«[Falls] der Römername mit uns erlöschen [sollte, wird] die Stadt aber Fremden anheimfallen [...], Griechen oder gar Barbaren.»[65]

In Bezug auf Dios Meinung zu Augustus, könnte diese Passage ebenfalls beachtenswert sein. Wie schon ausgeführt, stammte Cassius Dio ja selber aus dem griechischen Osten des Imperiums, sprach und schrieb Griechisch, verfolgte jedoch eine römische Ämterlaufbahn. Was sagt dieser Satz nun aus, wenn Dio Augustus die Griechen fast auf dieselbe Stufe mit Barbaren setzen lässt. Am ehesten ist dies als weiteres Indiz dafür zu werten, dass Cassius Dio Augustus durchaus kritisch betrachtete und kein idealisiertes Bild von ihm vermitteln wollte, wie es zu seiner Zeit eigentlich üblich gewesen wäre.[66]

Augustus’ Rede endet letztlich in einem versöhnlichen Ton, mit einem finalen Plädoyer für die Ehe und der Beteuerung, dass dieser hitzige Appell seiner Pflicht als pater patriae und Herrscher entspringt.[67] Diese Nebenbemerkung birgt zusätzliche Brisanz, denn aus heutiger Sicht (und anscheinend auch zu Dios Zeit) wird Augustus als unangefochtener Alleinherrscher betrachtet. Meistens bemühte er sich aber selbst darum, ein Bild von sich zu zeichnen, welches ihn auf eine Stufe mit dem Senat stellte, deren princeps er war. Gerade deshalb erstaunen diese autoritär erzwungenen Ehegesetze zusätzlich, da hier die Macht von Augustus und die Ohnmacht der Oberklasse ganz deutlich hervortreten.[68]

Zum Schluss führt Cassius Dio in einem kurzen Abschnitt aus, dass noch im selben Jahr ein neues Ehegesetz erlassen wurde, die lex Papia Poppaea. Dieses enthielt einige Justierungen das alten Gesetzes und neue Bestimmungen.[69] Doch gerade der Fakt, dass die beiden Konsuln, die das Gesetz erlassen hatten, noch Junggesellen waren, führte «die Notwendigkeit des Gesetzes deutlich vor Augen.»[70] Dio scheint also überhaupt nicht von der Dringlichkeit dieser Gesetzgebung überzeugt. Zurecht streicht er das Junggesellendasein der beiden Antragssteller, die dem Gesetz seinen Namen gaben, hervor. Doch nicht nur ihr Zivilstand, sondern auch die Zurückhaltung von Augustus, der diesmal nicht als Urheber der Bestimmungen auftritt, fällt auf und muss im folgenden Kapitel diskutiert werden.

In Bezug auf die Fragestellung kann man unter Berücksichtigung dieser Quelle konstatieren, dass Augustus gemäss Dio vor allem bevölkerungspolitische Absichten hegte und der Ehe ihren anscheinend fast vergessenen Wert zurückgeben wollte. Trotzdem scheinen seine ersten Massnahmen nicht ihre erhoffte Wirkung erzielt zu haben, sodass er 9 n. Chr. nachbessern musste.

2.3 Die drei Ehegesetze

Um die Absichten hinter den Ehegesetzen herausarbeiten zu können, müssen die drei leges erst einmal genauer untersucht werden. Zu diesem Zweck sollen nun ihre Erlassung, inhaltliche Bestimmungen und Folgen thematisiert werden.

[...]


[1] So wird Gaius Octavius von HistorikerInnen zur Zeit seines Aufstiegs genannt.

[2] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 403-404.

[3] Da die Ehegesetze in die Zeit seiner Herrschaft fiel, in der er schon den Ehrennamen Augustus führte, wird Octavian fortan in dieser Seminararbeit Augustus genannt.

[4] Vgl. Kienast, Augustus, S. 88.

[5] Auctoritas lässt sich am ehesten als oberste Autorität oder Einfluss definieren und ist die Basis seiner Gewalt (Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 407).

[6] Vgl. Kienast, Augustus, S. 85.

[7] Vgl. Ebd., S. 168.

[8] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 407-408.

[9] Ebd., S. 412.

[10] Vgl. Petersen, Inszenierung, S. 53-54.

[11] Vgl. Ebd., S. 51.

[12] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 409-410.

[13] Vgl. Sonnabend, Gesellschaft und Moral, S. 80.

[14] Vgl. Ebd., S. 87-88.

[15] Vgl. Ebd., S. 79.

[16] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 410.

[17] Vgl. Nörr, Planung, S. 314.

[18] Vgl. Sonnabend, Gesellschaft und Moral, S. 200.

[19] Vgl. Nörr, Planung, S. 314.

[20] Vgl. Galinsky, Legislation, S. 126-127.

[21] Vgl. Mette-Dittmann, Ehegesetze, S. 27.

[22] Es ist umstritten, wo dieser Beiname herrührt (Vgl. Millar, Cassius Dio, S. 11).

[23] Vgl. Millar, Cassius Dio, S. 13, 24.

[24] Vgl. Ebd., S. 8-9.

[25] Vgl. Ebd., S. 13-25.

[26] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 34.

[27] Vgl. Millar, Cassius Dio, S. 5.

[28] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 34.

[29] Vgl. Millar, Cassius Dio, S. 5-7.

[30] Vgl. Manuwald, Dio und Augustus, S. 282.

[31] Vgl. Millar, Cassius Dio, S. 7.

[32] Vgl. Nörr, Planung, S. 329.

[33] Vgl. Cass.Dio 56 (Veh 1986, S. 244-297).

[34] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 35.

[35] Vgl. Sonnabend, Gesellschaft und Moral, S. 85-86.

[36] Vgl. Maschkin, Römische Geschichte, S. 35.

[37] Manuwald, Dio und Augustus, S. 273.

[38] Vgl. Manuwald, Dio und Augustus, S. 8.

[39] Vgl. Cass.Dio 44,2,2.

[40] Vgl. Machkin, Römische Geschichte, S. 34-35.

[41] Vgl. Manuwald, Dio und Augustus, S. 26, 274-275, 281.

[42] Millar, Cassius Dio, S. 102.

[43] Vgl. Manuwald, Dio und Augustus, S. 26.

[44] Vgl. Cass.Dio 56,1 (Veh 1986, S. 244-245).

[45] Der jeweils verwendete Indikativ soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies klar die Meinung Cassius Dios war und nicht der historischen Wahrheit entsprechen muss.

[46] Vgl. Cass.Dio 56,7,3-4 (Veh 1986, S. 252).

[47] Cass.Dio 56,2,1 (Veh 1986, S. 245).

[48] Vgl. Cass.Dio 56,2,2 (Veh 1986, S. 245).

[49] Vgl. Nörr, Planung, S. 329.

[50] Vgl. Cass.Dio 56,2,4-5 (Veh 1986, S. 246).

[51] Vgl. Cass.Dio 56,3,1-4 (Veh 1986, S. 246-247).

[52] Vgl. Cass.Dio 56,4,2 (Veh 1986, S. 248).

[53] Vgl. Cass.Dio 56,3,8 (Veh 1986, S. 247).

[54] Cass.Dio 56,4,4 (Veh 1986, S. 248).

[55] Vgl. Nörr, Planung, S. 310.

[56] Cass.Dio 56,5,1 (Veh 1986, S. 249).

[57] Vgl. Cass.Dio 56,5,2-3 (Veh 1986, S. 249).

[58] Vgl. Cass.Dio 56,6,5 (Veh 1986, S. 251).

[59] Vgl. Cass.Dio 56,6,1-2 (Veh 1986, S. 250-251).

[60] Vgl. Cass.Dio 56,2,1 (Veh 1986, S. 251).

[61] Vgl. Nörr, Planung, S. 320.

[62] Vgl. Baltrusch, Regimen morum, S. 182.

[63] Vgl. Cass.Dio 56,7,1 (Veh 1986, S. 252).

[64] Vgl. Cass.Dio 56,7,2 und 56,7,6 (Veh 1986, S. 252-253).

[65] Cass.Dio 56,7,5 (Veh 1986, S. 252).

[66] Vgl. Manuwald, Dio und Augustus, S. 281.

[67] Vgl. Cass.Dio 56,9 (Veh 1986, S. 254).

[68] Vgl. Bleicken, Augustus, S. 493.

[69] Vgl. Cass.Dio 56,10 (Veh 1986, S. 254-255).

[70] Cass.Dio 56,10,2 (Veh 1986, S. 255).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Ehegesetze des Augustus
Untertitel
Eine Untersuchung von Cassius Dio 56,1-10 und der Forschungsliteratur
Hochschule
Universität Zürich  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Bachelorseminar Augustus
Note
1
Autor
Jahr
2018
Seiten
21
Katalognummer
V437175
ISBN (eBook)
9783668781788
ISBN (Buch)
9783668781795
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Augustus Ehegesetze lex Iulia maritandis ordinibus Papia Poppaea adulteriis coercendis Cassius Dio
Arbeit zitieren
Samuel O. (Autor:in), 2018, Die Ehegesetze des Augustus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437175

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