La statuomanie parisienne Rodins "Monument à Balzac" als Denkmal der Dritten Republik


Hausarbeit, 2018

13 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Die Statuomanie in der Dritten Republik

2. Beschreibung: August Rodins „Monument à Balzac“

3. Analyse: Der „Balzac“ als Pariser Denkmal
3.1 Der Prozess des Denkmalbaus
3.2 Formale Aspekte
3.3 Kritik und Statuomanie

4. Fazit: Das Monument à Balzac als Denkmal der Dritten Republik

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungsteil

1. Einleitung: Die Statuomanie in der Dritten Republik

In den Jahren von 1870 bis 1917 werden in Paris über 150 Denkmäler erbaut1, es herrscht „Statuomanie“ - Statuenwahn. Insbesondere die Kritiker des Denkmalbaus verwenden diesen Begriff, um zu beschreiben, was in der dritten Republik in Paris und der übrigen Nation zu beobachten ist. Seit dem Entstehen der Republik 1870 in Folge der Niederlage Napoleons bei Sedan werden öffentliche Denkmäler zunehmend vielzähliger und gesellschaftlich relevant. Denn die laizistische, liberale Republik will sich nach ihrer Niederlage gegen die preußischen Nachbarn durch Fortschritt in Bildung, Technik und Zivilisation behaupten, wodurch ein forschungsorientiertes meritokratisches System entsteht2. Wer einen Beitrag zum Wohl und Modernisierung der Nation leistet, wird darum durch Ehrungen belohnt und dient anderen als Vorbild. Das öffentliche Denkmal wird zum Medium für diese Ehrungen. Grund dafür ist, dass ein Denkmal eine Person im öffentlichen Raum sichtbar machen und in einen Kontext einordnen kann. Der Prozess des Denkmalbaus wird zudem demokratisiert und ritualisiert. Komitees initiieren Denkmäler, Künstler werden durch Wettbewerb ausgesucht, Finanzierung funktioniert über öffentliche Subskription und die Einweihungsfeiern werden symbolisch aufgeladene Ereignisse. Insbesondere in Paris werden Denkmäler relevant, da die Stadt bereits damals das kulturelle Zentrum der Nation darstellt, der urbane Raum viele freie Plätze für Denkmäler bietet und die stark republikanische Stadtverwaltung sich in öffentlicher Repräsentation ausdrücken will3. Viele Werke aus der Zeit der dritten Republik lassen sich offensichtlich als stellvertretend für den Denkmalbau verstehen, während bei anderen ein Bezug fern zu liegen scheint. Ein Beispiel ist Auguste Rodins umstrittenes Monument à Balzac (Abb.1), das aufgrund der starken Kritik und seine formale Erscheinung wie ein Gegenbild zu anderen Pariser Denkmälern scheint. Im Folgenden soll jedoch durch die Auseinandersetzung mit dem Denkmal sowie die Rekonstruktion seiner Entstehung und der Kritik der Balzac als wichtiger und repräsentativer Teil des Pariser Denkmalbaus herausgearbeitet werden. Dazu soll zuerst eine Beschreibung des Werkes sowie seiner Entstehung erfolgen, worauf dann im Einzelnen auf den Denkmalbau, die formalen Aspekte und die Kritik am Denkmal im Kontext der üblichen Praktiken und Formen der Dritten Republik eingegangen wird.

2. Beschreibung: August Rodins „Monument à Balzac“

Bei August Rodins Monument à Balzac handelt es sich um eine 282 cm hohe Bronzeplastik, die 1891 von der Societé des Gens de Lettres in Auftrag gegeben und 1939 in ihrer endgültigen Ausführung auf dem Boulevard Raspail in Paris platziert wurde4. Die Plastik stellt den Schriftsteller und Mitbegründer der Societé, Honoré de Balzac als stehende Einzelfigur dar. Die Figur steht auf einer dünnen Plinthe, welche wiederum auf einen niedrigen quadratischen Sockel montiert ist. Durch die monumentale Größe der Plastik von beinahe drei Metern und die zusätzliche Höhe durch Plinthe und Sockel ergibt sich für den Betrachter eine deutliche Untersicht. Da es sich zudem um eine Vollplastik handelt, bietet das Denkmal eine Vielzahl unterschiedlicher Ansichten, die Frontalansicht scheint jedoch bedeutender zu sein. Aus dieser Frontalansicht ist der Körper der Figur dem Betrachter zugewendet und der Kopf leicht zur Seite abgewendet. Der Schriftsteller wird in einem bodenlangen Mantel präsentiert, welcher einen Großteil des Körpers und der Haltung verdeckt. Nur die unter dem Mantel hervorschauenden Füße und die an den Körper angelegten Oberarme sind unter dem voluminösen, faltigen Stoff erkennbar. Auch der Hals und der Teil der Brust oberhalb des Mantelkragens sind nur wenig ausgearbeitet und treten dadurch in den Hintergrund. Durch diese Ausarbeitung und die Wirkung des Mantels wird der Blick auf den stark ausgearbeiteten Kopf des Balzac gelenkt. Gesicht und Haare sind klar erkennbar, der geschlossene Mund und der Bart auf der Oberlippe, die markante Nase und die deutlich sichtbaren Augenbrauen formen das bereits sehr plastisch wirkende Gesicht, welches durch die schulterlangen Haare gerahmt wird. Dieser obere Teil der Plastik weist deutliche Ähnlichkeiten zu einer Daguerreotypie von Louis-Auguste Bisson aus dem Jahr 1842, auf der Balzac im Portrait abgebildet ist(Abb. 2). Die Haltung des Kopfs, die Gesichtsstruktur und die Frisur können in Rodins Balzac wiedererkannt werden. Eventuell diente die fotografische Abbildung Rodin als Vorbild, da Balzac bereits 1850 verstarb. Die Plastik ist wenig naturalistisch, was insbesondere durch den vereinfacht wirkenden Körper und die Ausarbeitung des Mantels bedingt ist, jedoch auch durch die übertrieben wirkenden Gesichtszüge und Haare. Die monumentale Größe der Plastik vermittelt die Größe Balzacs als Person, was durch den kontemplativen Gesichtsausdruck zur Darstellung als großer Denker vervollständigt wird. Aus dieser ersten Betrachtung der Plastik ergeben sich bereits einige relevante Aspekte, die später aufgegriffen werden sollen, zuvor ist aber der lange Entstehungszeitraum von 1891-1939 zu thematisieren.

Der Auftrag für ein Denkmal zu Ehren des Mitbegründers Balzac wird von der Societé des Gens de Lettres 1888 nach einem informellen Wettbewerb vergeben, jedoch nicht an Auguste Rodin, sondern Henri Chapu. Nach Chapus plötzlichem Tod entscheidet sich der damalige Präsident der Societé, Emile Zola, den Auftrag an Rodin weiterzugeben. Bis Februar 1893 soll Rodin das Denkmal anfertigen, woran er jedoch scheitert, obwohl unzählige Modelle und Studien für den Balzac entstanden sind. Auch nach dem ursprünglichen Fertigstellungsdatum hat Rodin erhebliche Probleme, ein Werk zu seiner Zufriedenheit zu schaffen, weshalb es die Gipsausführung des Balzac (Abb.3) erst 1898 im Salon ausgestellt wird. Die Arbeit wird stark kritisiert und von der Societé abgelehnt, der Auftrag erneut vergeben, an Alexandre Falguière, der jedoch 1900 ebenfalls vor der Fertigstellung seines Werkes stirbt. 1939 wird Rodins Monument à Balzac lange nach dem Tod des Künstlers in seiner finalen Ausführung in Bronze gegossen und an seinem heutigen Standort in Paris platziert5. Der Auftragsprozess des Denkmals wirkt so erst einmal sehr kompliziert und als Sonderfall, kann jedoch bei genauer Betrachtung zu einem großen Teil als Beispiel für den Denkmalbau in der dritten französischen Republik gesehen werden. Auch die Kritik und Zurückweisung des Balzac lassen sich in den Zusammenhang des Denkmalbaus und der Statuomanie einordnen, was im Folgenden gezeigt werden soll.

3. Analyse: Der „Balzac“ als Pariser Denkmal

3.1 Der Prozess des Denkmalbaus

Der Großteil des Entstehungsprozess des Monument à Balzac ist repräsentativ für den Denkmalbau in der Dritten Republik. Das Denkmal wird durch die Stiftung in Auftrag gegeben, was zur Zeit der Dritten Republik üblich ist. Denn 75% der Statuen vor 1914 werden durch Komitees initiiert, welche die gesamte Verantwortung für ein Denkmal übernehmen, den Auftrag und dessen Ausführung überwachen, sowie Finanzierung und Einweihung durchführen. Diese bestehen aus Freunden, Familie, Bewunderern oder verwandten Organisationen aber auch politischen Gruppen6, also im Fall des Balzac aus der Societé des Gens de Lettres, die ihnen ihrer Gründer ehrt. Zudem dient auch dieses Denkmal als meritokratische Belohnung für den Beitrag des Schriftstellers und macht ihn zum sichtbaren Vorbild. In der Dritten Republik werden - wie bereits erwähnt - Beiträge zu Kunst und Literatur, Wissenschaft und Zivilisation geehrt, sowie Vordenker der Republik, durch die eine republikanische Identität geschaffen wird. Also ist diese Ehrung für Honoré Balzac als Teil des meritokratischen Systems zu werten. Auch die Ausschreibung eines Wettbewerbs für den Künstler ist in der Dritten Republik üblich, als ein Beispiel unter vielen kann hier das Monument à la Republique und dessen Wettbewerbsausschreibung 1879 angeführt werden7. Die Ausschreibung der Societé fällt ebenfalls in diesen Rahmen. Als weiterer typischer Aspekt ist die Finanzierung des Denkmals zu werten, da für den Balzac eine Subskription als Form öffentlicher - und somit auch demokratisch wirkender - Finanzierung zum Einsatz kommt. Die Subskription ist in der Dritten Republik nötig, weil Denkmäler zwischen 2.000 bis 350.000 Franc kosten konnten und deshalb Privatpersonen, Organisationen und Gruppen aller Art zur Teilnahme an der Finanzierung aufgerufen und durch Aufführung in Zeitschriften oder andere Formen der Anerkennung ihres Beitrages entlohnt werden8. Als finaler Schritt folgt dann üblicherweise die Einweihung des Denkmals, die bei Rodins Balzac besonders interessant ist. Wie für die meisten Denkmäler wird auch für den Balzac ein relevantes Datum - Februar 1893 - festgelegt, welches der Künstler nicht einhalten kann. Dadurch entstehen erste Abweichungen im Denkmalbauprozess. Üblich wäre in der Dritten Republik die geplante, festliche Einweihung an einem bedeutsamen Datum als gesellschaftlicher Anlass9. Und obwohl dies nicht verwirklicht wird, ist die Präsentation einer unfertigen Gipsausführung des Balzac 1898 ebenfalls nicht ungewöhnlich, da viele Werke zum geplanten Datum nicht in endgültiger Ausführung vorlagen und dann auf eine Gipsausführung zurückgegriffen wurde. Es werden also die jeweilige Bedeutung des Datums, die Fertigstellung der Ehrung und der festliche Anlass über die Präsentation des eigentlichen Werkes gestellt, so auch bei Rodins Balzac. Ungewöhnlich an dessen „Einweihung“ im Salon ist eigentlich die Zurückweisung des Werkes durch die Societé und die starke Kritik an Rodins Werk. Begründet wird die Zurückweisung durch ästhetische Argumente, der Balzac sei formlos und außerhalb des guten Geschmacks. Diese Wertung lässt sich rückblickend durch die formale Abweichung von anderen Pariser Denkmälern und der Vorstellungen der Plastik im 19. Jahrhundert erklären, was im Folgenden kurz thematisiert werden soll.

3.2 Formale Aspekte

Der Unterschied zwischen dem Monument à Balzac und anderen Pariser Denkmälern lässt sich auf formaler Ebene unmittelbar feststellen. Die vereinfachte und stilisierte Darstellung Rodins kontrastiert stark mit den üblichen naturalistischen Denkmalformen, was jedoch noch nicht die Problematik dieser Abweichung erklärt. Diese lässt sich erst durch einen Blick auf die Skulptur im 19. Jahrhundert nachvollziehen. Denn die Skulptur des 19. Jahrhunderts ist eine konservative, im Gegensatz zur Malerei gilt sie nicht als Medium für Experimente oder Erneuerung, sondern wird in klassischer Tradition verstanden. Einzel- oder mehrfigurige, naturalistische Darstellungen von Personen sind ihr Hauptgegenstand10. Hier überschreitet Rodin also bereits eine Grenze, in dem er eine neue Darstellungsweise wählt, welche von der strikten Norm abweicht.

Für die Pariser Denkmäler lassen sich zudem neben ihrer abbildenden Funktion - also der Darstellung bestimmter Personen - und naturalistischen Qualität noch weitere Charakteristika ausmachen, wie die Verwendung von quadratischen Steinsockeln und Plinthen mit Bas-Relief oder Inschriften und die bekleidete Darstellung der Figuren sowie die Ausstattung der Figuren mit Attributen11. Diese sollte jedoch nicht als einheitliche Vorgaben verstanden werden, denn auch im Paris der Dritten Republik gibt es Raum für unterschiedliche Formen der Darstellung: Beispielsweise kann die Kleidung zeitlos oder zeitgenössisch sein, Figuren können allein aber auch in Konstellationen arrangiert werden und unterschiedliche Handlungsmomente oder Kontexte der Darstellung gewählt werden12. Rodin hält in seiner Arbeit viele dieser Konventionen ein, Sockel und Plinthe sind vorhanden, wenn auch unbeschriftet, er wählt eine Einzeldarstellung des Balzac in einer für diesen typischen Robe. Doch trotzdem wird das Denkmal als zu starker Bruch mit den Konventionen des Geschmacks gewertet, was durch Rodins neuen Ansatz in der Darstellung ausgelöst wird. Der fehlende Naturalismus unterscheidet den Balzac deutlich, denn Rodin gibt nicht objektiv das Aussehen des Schriftstellers wieder, sondern versucht diesen zu verkörpern, er schafft seinen Eindruck des Balzac anstelle eines reinen Abbilds13.

[...]


1 Hargrove, June: The statues of Paris. An open air Pantheon. The history of statues to Great Men. Antwerpen 1989, S. 105f.

2 Michalski, Sergiusz: Public monuments. Art in political bondage; 1870 - 1997. London 1998, S. 27.

3 Michalski 1998, S. 28f.

4 Schor, Naomi: Pensive Texts and Thinking Statues. Balzac with Rodin. In: Critical Inquiry. 2001, (Vol 27. Nr. 2), S. 239-265.

5 Schor 2001

6 Hargrove 1989, S.157.

7 Michalski 1998, S.17ff.

8 Hargrove 1989, S. 162.

9 Hagrove 1989, S.197ff.

10 Greenhalgh, Michael: Rodin's Monument to Balzac. In: History Today, 1947, (Vol. 24 Issue 4), S. 232-242, S.233

11 Hargrove 1989, Michalski 1998, Agulhon 1997.

12 Michalski 1998, S.25f.

13 Greenhalgh 1974, S.241.

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Details

Titel
La statuomanie parisienne Rodins "Monument à Balzac" als Denkmal der Dritten Republik
Autor
Jahr
2018
Seiten
13
Katalognummer
V437205
ISBN (eBook)
9783668781863
ISBN (Buch)
9783668781870
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rodins, monument, balzac, denkmal, dritten, republik
Arbeit zitieren
Lena Kurz (Autor:in), 2018, La statuomanie parisienne Rodins "Monument à Balzac" als Denkmal der Dritten Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437205

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