Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Eine Zukunft der sozial-gesellschaftlichen Stadt
Ausgewählte Raumtheorie
Foucaults Heterotopien
Zukünftige Lebensstile als Beispiele für Heterotopien
Fazit
Literatur
Internetressourcen
Einleitung
Gesellschaften sind einem steten Wandel unterworfen. Werte, Normen und Verhaltensregeln verändern sich im Laufe der Zeit, während gesellschaftliche Theorien in der Zeit präserviert zu sein scheinen. Sozialwissenschaften versuchen, gesellschaftliche Begebenheiten zu beschreiben und überdauern dabei die Jahrzehnte. Im Aufgebot menschlich-gedanklichen Schaffens scheinen sie somit unsterblich, doch wie sieht es mit ihrer Anwendbarkeit aus? Diese muss, von einem gegenwärtigen Standpunkt aus gesehen, geprüft werden, da Sozialtheorien in bestimmten Zeiten entstehen, die ebenso von gesellschaftlichen Werten und Denkweisen geprägt sind, wie die Zeiten, die sie zu beschreiben versuchen.
In der vorliegenden Arbeit soll es um die Möglichkeit der aktuellen Anwendung einer sozialwissenschaftlichen Theorie der 1960er Jahre gehen: Michel Foucaults Heterotopien. Der Kontext in dem diese angewandt werden sollen, bezieht sich auf die physische Inkarnation eines Großteils der Gesellschaft: Die Stadt. Um es genauer zu sagen: Zukünftige Lebensweisen in der Stadt. In wie weit ist somit das Konzept der Heterotopien, welches Foucault in den 1960er Jahren unter ihn selbst bestimmenden, sozialen Faktoren, entwickelt hat, auf zukünftige Lebensweisen der städtischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts anzuwenden?
Die Stadt ist der Ort des sogenannten urbanen Lebens und wird häufig als Mittel zum Zweck gesehen, um dieser Art des Lebens nachzugehen. Das Mittel der Möglichkeit, um sich des globalen und digitalen Lebens gewahr zu werden. Viele nutzen die Möglichkeiten der Stadt und überlegen, wie die Stadt uns zu dem macht, wer wir sind. Die Starre eines meist aus Beton gebauten, städtischstrukturierten Systems erscheint konträr zu dem dynamischen und sich stetig wandelnden Leben, welches sich zwischen den Häusern abspielt.
Im 21. Jahrhundert wird vielerorts die Einsicht geteilt, dass die von Menschenhand geschaffenen Städte auf dieser Welt ihren Schaffern nicht mehr gerecht werden. Die Städte seien nicht mehr zeitgemäß, da ihnen die Mittel und die ״Standards" eines digitalen 21. Jahrhunderts fehlen. Des Weiteren seien sie zu klein für die Menschen, die sie bewohnen wollen. All diese Dinge führen letztendlich dazu, dass sich ein Großteil der Stadtplaner[1] [2] für die Ausweitung der Stadt mit den Mitteln der Komprimierung ausspricht.
Um den Ansprüchen einer digital-sozialisierten Weltgemeinschaft und der wachsenden Anzahl an globalen Einwohnern gerecht zu werden, werden Konzepte entwickelt und Ideen gesponnen, die
die Grundlage für die Stadt der Zukunft bilden sollen. Dinge, die im letzten Jahrhundert vermutlich noch als ״Science-Fiction" gegolten hätten, scheinen heutzutage greif- und häufig realisierbar zu sein. Auch wenn es heute noch Überlegungen gibt, die womöglich vorerst im Bereich der wissenschaftlichen Fiktion verweilen müssen, scheinen wieder andere Überlegungen, das Bild der Stadt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verändern zu können.
Im Rahmen dieser Erläuterungen werde ich der These nachgehen, dass solch zukünftige städtische Lebens- und Wohnmodelle Heterotopien (nach Foucault) darstellen. Beginnen werde ich die Arbeit jedoch mit einem Überblick über die gegenwärtige Städtesituation und die eben erwähnten Lebensund Wohnmodelle. Ich werde diese darstellen und kurz erläutern, um zu verstehen zu geben, von welchen modellierten Räumen ich in dieser Arbeit und die Menschen im öffentlichen Diskurs sprechen.
Eine Zukunft der sozial-gesellschaftlichen Stadt Zunächst möchte ich festhalten, dass ich in diesem Kapitel von einer ״mustergültigen" Stadt des 21. Jahrhunderts im Rahmen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens spreche. Ich werde Beispiele anführen, jedoch werde ich mich auf eine gewisse Allgemeinheit berufen müssen, da der Umfang dieser Arbeit nicht ausreichend wäre, jede globale Großstadt auf ihre Probleme und Möglichkeiten hin zu untersuchen. Um die raumtheoretischen Überlegungen zur Stadt des 21. Jahrhunderts zu vertiefen, wäre dies (auch um des empirischen Wissens wegen) von Nöten. Zudem sei gesagt, dass es sich bei den folgenden Ausführungen zum Großteil um allgemeine Annahmen und von Einzelpersonen oder auch von Einrichtungen gemachte Schlussfolgerungen auf Grundlage von stichprobenartigen Beobachtungen handelt. Sämtliche Annahmen und Zukunftsplanungen sind rein theoretisch und normativ, im Sinne eines vorgeschriebenen Reglements, welches der endgültigen Praxis, sprich der Umsetzung eines Gesetzes oder einer Vorschrift widersprechen mag.
Aktuell leben rund sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten, davon ungefähr die Hälfte in den Städten bzw. städtischen Ballungsräumen. Bis zum Jahre 2050 soll sich die Weltbevölkerung laut den Berechnungen der Vereinten Nationen um ein weiteres Drittel erhöhen.[3] Des Weiteren würden rund 69-70 Prozent der Menschen in den städtischen Ballungsräumen wohnen.[4] Auf
Grundlage solcher Annahmen stellt sich die Frage: Wo werden diese Menschen in den Städten Unterkommen?[5]
Es wird spekuliert, dass die Anzahl der Haushalte trotz zurückgehender Bevölkerungszahlen (in ausgewählten Ländern) steigen wird. Denn aufgrund von zunehmender Individualisierung wird die Anzahl der Einzelhaushalte vermutlich anwachsen.[6] Aus diesem Grund zeichnen sich bereits Probleme ab, da der Bedarf an Wohnungen größer ist als das Angebot.[7] Vielerorts wird die Stadt bereits heute als zentraler Lebensraum unserer Gesellschaft betrachtet, der gleichzeitig als größte und weitverbreitete Versuchsumgebung bzw. als eine Art Testgebiet gehandhabt wird. ״Menschen, Organisationen, Raum und Technik treffen aufeinander und entwickeln sich in Abhängigkeit weiter", so dass man auch von ״Living Labs" spricht.[8]
Um die Wohnsituation entsprechend anzugehen, gibt es der momentanen Denk- und Handlungsweise, die auf den menschlichen Möglichkeiten beruht, entsprechend drei Herangehensweisen: entweder es wird in die Höhe, in die Breite oder auf der Stelle gebaut. In den Himmel zu bauen, ist bereits seit dem europäischen Mittelalter, wenn nicht gar in früherer Zeit, ein häufig genutztes Mittel der Stadtplanung. Mit dem Beginn des Stahlbaus wurden die ersten Hochhäuser[9] der Welt gebaut. Solcherlei Bauvorhaben gipfelten letztendlich in den Wolkenkratzern des 20. und 21. Jahrhunderts. Doch heutzutage gelten solche Gebäude in der allgemeinen und zukunftsorientierten Stadtplanung als überholt, da sie meist nicht nur als Wohnraum, sondern vor allem als Statussymbole und Prestigeobjekte gebaut werden.[10] Städte in die Breite zu bauen, würde dafür sorgen, sie zu entzerren. Dies würde wiederum eine Begrünung der Fläche erlauben, die die Stadt nachhaltiger und von einer ״grünen Sichtweise" aus lebenswerter machen würde. Argumente gegen eine Begrünung der Stadt auf Grundlage einer Entzerrung lauten, dass dies unökologisch sei, denn ein Auseinanderziehen der Stadt durch Grünflächen würde längere Fahrzeiten für die Menschen und somit höhere Abgase bedeuten. Jedoch beruhen solcherlei Argumente auf einer Denkweise, die mit der Zukunft der Stadt vermutlich nicht vereinbar ist.[11] Hierauf werde ich an einem späteren Punkt zurückkommen. Zu guter Letzt bleibt eine Komprimierung der Stadt, so dass verbleibende Bebauungsflächen als ״grüne Korridore" oder Naherholungsflächen genutzt werden können. Eine Verdichtung der Stadt bzw. der Wohnfläche könnte ebenfalls zu einer Begrünung des urbanen Raums beitragen.[12]
Im Kontext der Verdichtung gibt es unter anderem zwei Überlegungen: das ״Collaborative Living" und das ״Conceptual Living". Ersteres beruht auf gemeinschaftlichem, kooperativem Wohnen und misst dem öffentlichen Leben eine große Bedeutung bei. Die Stadt an sich soll zur Wohnung werden.[13] Letzteres setzt flexible Wohnräume voraus, die sich der Lebenssituation anpassen. Wie ein großer Bausatz lassen sich die Wohnungen durch einen veränderbaren Innenraum der jeweiligen Lebensphase anpassen.[14]
Ein letzter, meiner Meinung nach in diesem Diskurs entscheidender Punkt, ist die Infrastruktur und Mobilität der Stadtbewohner. Das Auto gilt weiterhin als Quelle der persönlichen Mobilität und als Teil des Lebens. Zudem wird es mancherorts immer noch als Prestigeobjekt angesehen. Diese Denkweise wird womöglich durch den aufkommenden Trend des autonomen Fahrens und Parkens, der eine Effizienzsteigerung der eigenen Produktivität verspricht, gefördert.[15] Jedoch steht genau diese Herangehensweise der Zukunft der Stadtplanung entgegen. Denn es ist nicht die autogerechte Stadt, die die Zukunft bestimmen soll.[16] Um ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten, bedarf es neuer Mobilitätskonzepte, wie Z.B. abgasarme Fahrzeuge (sofern man bei dem Konzept des abgasbetriebenen Fahrzeugs bleiben möchte). Langfristig gesehen wird es nicht um die Reformierung alter Konzepte, sondern um die Schaffung einer neuer ״Dimension von Urbanität" gehen.[17] An dieser Stelle wird man wohl neben der physischen Ebene, die eine Neuausrichtung der städtischen Infrastruktur und einen technologischen Wandel voraussetzt, an die psychische Ebene denken müssen. Das Denken an Teilen, statt Besitzen und ein Umdenken im Umgang mit den eigenen Mobilitätsgewohnheiten ist hierbei von Nöten.[18] Ein Appell an die Zwischenmenschlichkeit und die Beziehung zwischen Mensch und Natur ist somit letztendlich unumgänglich.[19]
Ausgewählte Raumtheorie
In diesem Kapitel werde ich auf die von mir ausgewählte Raumtheorie eingehen. Die Auswahl geschah unter Berücksichtigung des eigenen Interesses und der Gegenwärtigkeit der Theorie, die durch regelmäßige Neuauflagen repräsentiert wird. Hierbei ist zu beachten, dass viele auch heute noch allgegenwärtige Raumtheorien den sozialwissenschaftlichen Diskurs des letzten Jahrhunderts bestimmt haben. Sofern man die Beweggründe die Existenz der Theorie bzw. des Konzepts betreffend, die soziale Herkunft des Autors und seine Rolle als sozialen Akteur selbst betrachtet, lassen sich diese Raumtheorien auch heute noch auf Stadt- und Gesellschaftsbilder anwenden. Dabei muss natürlich entsprechend differenziert und der zeitliche Abstand zwischen Erscheinen des Werkes, gegenwärtiger Sichtweise und Zukunftsvisionen beachtet werden.
Foucaults Heterotoplen
Michel Foucault, seines Zeichens Philosoph und Soziologe, hat im Jahre 1966 im Rahmen eines Radiovortrages seine Idee des anderen Raumes begründet: den Heterotopien. Bevor ich versuche, diese auf zukünftige Lebensweisen anzuwenden, werde ich kurz erläutern, worum es sich bei diesem sozialwissenschaftlichen Gedankenspiel Foucaults handelt. Seiner Meinung nach besitze jede Gesellschaft lokalisierbare Utopien. Dabei handele es sich um Gegenräume, die am besten durch die Augen eines Kindes nachvollzogen werden können. Für sie seien solche ״lokalisierten Utopien"[20] der Garten, der Dachboden (״oder eher noch das Indianerzelt auf dem Dachboden") oder das Ehebett der Eltern. In letzterem entdecken die Kinder״das Meer, weil man zwischen den Decken schwimmen kann", es ״ist auch der Himmel, weil man auf den Federn springen kann", ״es ist der Wald, weil man sich darin versteckt" und ״es ist die Nacht, weil man unter den Laken zum Geist wird." Da diese Ideen, diese ״wunderbaren Geheimnisse" den Kindern von den Erwachsenen implementiert worden seien, haben letztere bereits vor den Kindern ihre eigenen Gegenräume erfunden, ״diese lokalisierten Orte, diese realen Orte jenseits aller Orte." Einen Ort, der durch gesellschaftliches Verhalten bzw. Normen in gewisserWeise materialisiert werde. Da er sich nicht der Terminologie der Utopien (als einem wortwörtlichen Nirgendwo) widersetzen wollte, schuf
[...]
[1] Sowohl ״offizielle" (im Rahmen von Stadträten, stadt-politischen und kommunalen Gremien etc.) als auch ״inoffizielle" (im Rahmen von Vereinen, Bürgerinitiativen und zivilen Einzelpersonen).
[2] Aufmkolk, Tobias; Röhrl, Almut, Zukunft des Wohnens/ Horn, Martin, Städteboom - der Kampf um die Wohnungen.
[3] Horn, Städteboom/ Braun, Steffen; Heydkamp, Constanze (Hrsg.), Trendreport Stadt - Aussichten für Deutschlands urbane Zukunft.
[4] Aufmkolk; Röhrl, Zukunft.
[5] Schömann-Finck, Clemens, Wohnen der Zukunft - So leben wir im Jahr 2025.
[6] Horn, Städteboom.
[7] Braun, Heydkamp, Trendreport.
[8] Ich berufe mich hier auf das allgemeine Wissen, dass die Gesellschaft ein bestimmtes Bild von einem durch den Stahlbau konstruierten Hochhaus vor Augen hat.
[9] An dieser Stelle möchte ich als Beispiel das Burj Khalifa in Abu Dhabi anführen.
[10] Müller, Christa, Urbanität neu entdecken.
[11] Aufmkolk, Röhrl, Zukunft.
[12] Dies ist bereits heutzutage in Parkanlagen (=Garten) und Cafés (=Wohnzimmer) zu erkennen. Auch das Nutzen der kulinarischen Möglichkeiten der Stadt (Restaurants, Imbiss-Buden etc.) entspricht dem Konzept, sofern diese als eigene bzw. gesamtgemeinschaftliche Küche verstanden werden.
[13] Schömann-Finck, Wohnen/ Ein Beispiel: Eine Wohnung, die im Falle eines karriereorientierten Berufslebens in ein Büro oder im Rahmen der Familienplanung in ein großes Kinderzimmer umgewandelt werden kann.
[14] Kaminsky, Stadt der Zukunft.
[15] Müller, Urbanität.
[16] Ebd.
[17] Braun, Fleydkamp, Trendreport.
[18] Dieser Appell ist für die Zukunft der Stadt in allen Bereichen unumgänglich, da das Konzept einer Stadt auf der Gesellschaft, die sich diese aneignet, beruht. Der Raum wird durch die ihn belebenden Menschen geformt, weshalb ein von Egoismus durchzogener Raum meiner Meinung nach einen Niedergang der Gesellschaft bedeuten würde.
[18] Es ist selbstverständlich, dass die bloße Theorie lediglich durch konkrete Initiativen in die Praxis umgesetzt werden kann. Jedoch möchte ich an dieser Stelle nicht weiter auf diese eingehen, da sie zum einen nicht Thema dieser Arbeit sein sollen und sich zum anderen meiner jetzigen Kenntnis entziehen.
[20] Foucault, Michel, Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge, s. 10 (Sämtliche im Folgenden verwendeten Zitate sind auf der hier angegebenen Seite in Foucaults Werk zu finden, sofern nicht anders gekennzeichnet).