Wenn Kinder schweigen. Selektiver Mutismus bei Vorschulkindern

Welche Erscheinungsbilder und Ursachen gibt es und wie kann man betroffene Kinder fördern?


Trabajo, 2016

20 Páginas, Calificación: 2,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition und Begriffserklärung

3. Erscheinungsbild

4. Mögliche Ursachen
4.1. Organische Faktoren
4.2. Psychologische Faktoren
4.2.1. Angst und Scham

5. Auftreten
5.1. Häufigkeit
5.2. Geschlechterverteilung
5.3. Zeitpunkt des Auftretens

6. Abgrenzung zum Autismus

7. Mutismus im Kindergarten

8. Fördermaßnahmen

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„ Die Sprache ist ein wichtiger Schlüssel zum alltäglichen Miteinander“ (Hartmann und Lange 2013, S. 29).

Doch Menschen, die an selektivem Mutismus leiden, verfügen nicht über dieses Mittel. Sie fühlen sich schnell sehr hilflos und wissen sich nicht aus bestimmten Situationen herauszuhelfen. Gerade Kinder, die in den Kindergarten oder die Schule kommen, haben es sehr schwer. Das Kind soll lernen soziale Beziehungen aufzubauen und Freundschaften zu pflegen. Aber wie soll das funktionieren, wenn das Kind nicht spricht?

Sie werden von Fragen und Unverständnis überhäuft. „Warum schweigt der Junge, wenn ich mit ihm rede“? „Warum redet das Mädchen nicht im Kindergarten“?

Anfangs wird ihr Schweigen als trotziges Verhalten missverstanden, wobei die Symptomatik von Mutismus gravierend sein kann. Seine Folgen können zum Beispiel soziale Isolation, Depressionen, Schulprobleme, und noch vieles mehr sein (vgl. Bahr 2015, S. 13).

Von außen wird nur das schweigende Kind gesehen. Es zeigt ein Kind, das gegenüber fremden Personen nicht spricht, teilweise nur durch Gestik und Mimik kommuniziert, angespannte Muskeln hat und von den Eltern sehr behütet wird. Jedoch übersehen viele Menschen dabei das Innere dieser Kinder. Nämlich die Angst, die ein mutistisches Kind verspürt, wenn es auf eine fremde Person trifft und innerlich hin- und hergerissen ist zwischen dem selbstständigen Aufwachsen bzw. der Selbstständigkeit und der behüteten Versorgung der Eltern (ebd.).

Von Anfang an hat mich das Seminar Sprachstörungen sehr interessiert. Ich habe mich sehr gefreut, als ich im Vorlesungsverzeichnis sah, dass dieses Thema angeboten wird. Durch meine vielen Erfahrungen im Bereich der Sprachstörungen, hauptsächlich durch viele Praktika logopädischen Praxen, hat sich mein Interesse für diese Themen verstärkt. Das Thema Mutismus ist deshalb sehr spannend, weil hier nicht nur die Sprachstörung im Vordergrund liegt, sondern auch die Hintergründe und Ursachen für das Schweigen erörtert werden müssen. Es hat nicht lange gedauert, da habe ich mir drei Bücher über das Thema Sprach- und Sprechstörungen gekauft. Das Thema Mutismus hat mich letztens Endes so sehr interessiert, dass ich nun gerne meine Hausarbeit darüber schreibe.

In meiner Hausarbeit werde ich den „selektiven Mutismus“ näher erläutern, genau erklären welche Unterschiede es in den Arten gibt und wie sich der Begriff definiert. Das Erscheinungsbild des selektiven Mutismus werde ich genauer beschreiben und die Ursachen für den Beginn des selektiven Mutismus erläutern. Hier unterscheide ich zwischen den organischen Faktoren und den psychologischen Faktoren, bei denen ich auch genauer auf die Angst und Scham eingehen werde.

Nach diesem ausführlichen Bericht analysiere ich Zahlen und Fakten. Hier werde ich das Auftreten, die Häufigkeit und die Geschlechterverteilung bei dem selektiven Mutismus erläutern.

Um den selektiven Mutismus verstehen und vom Autismus unterscheiden zu können, gehe ich im nächsten Abschnitt auf die Unterschiede der beiden Störungen?! Ein. Hierbei ist es auch wichtig, den Mutismus im Kindergarten anzusprechen, wie die Erzieher mit den Kindern umgehen und wie sich so ein Kindergartenalltag gestaltet. Ist es notwendig selektiv mutistische Kinder in eine heilpädagogische Kindertageseinrichtung zu schicken, oder können sie durchaus auch in einem Regelkindergarten die Förderung bekommen, die sie brauchen? Diesen Fragen und noch weiteren werde ich in dem Kapitel nachgehen. Die pädagogische Förderung, die mit zu den wichtigsten Punkten hier in meiner Hausarbeit gehört, ist sehr wichtig für Kinder mit selektivem Mutismus. Hier stelle ich einige Fördermaßnahmen vor.

Dass es das mutistische Kind und den Mutismus nicht gibt, ist mir bekannt. Verständlichkeitshalber verwende ich diese beiden Begriffe jedoch in meiner Hausarbeit, um Wiederholungen zu vermeiden und um meine Hausarbeit lesbarer zu gestalten. Jedes dieser Kinder hat seine eigene individuelle Vergangenheit. Ich möchte keins dieser Kinder in eine Schublade stecken. Mir ist es wichtig das einzelne Kind zu betrachten und dieses verstehen zu lernen.

2. Definition und Begriffserklärung

Das Wort „Mutismus“ stammt aus dem lateinischen „mutus“ und bedeutet „stumm“, „Schweigen“ (vgl. Katz- Bernstein 2015, S. 24).

Man unterscheidet zwei Formen des Mutismus. Einmal den „(s)elektiven Mutismus“ und den „totalen Mutismus“.

Der totale Mutismus ist eine schwerere und seltenere Form des Mutismus und äußert sich so, dass das Kind weder in der Familie, noch außerhalb der Familie spricht, trotz der Fähigkeit zum Sprechen und zum Hören. Die Kommunikation wird eingedämmt. Selbst Lautäußerungen, wie Niesen, Husten, Räuspern werden eingestellt. Auslöser dieser Kommunikationshemmung können seelische Traumata oder psychiatrische Grunderkrankungen sein (vgl. Hartmann & Lange 2013, S. 12). In Verlauf meiner Hausarbeit werde ich jedoch nur auf den selektiven Mutismus eingehen.

Kussmaul (1877) bezeichnete als erster den selektiven Mutismus als „Aphasia voluntaria“, welches später durch Gutzmann (1893) als „freiwillige Stummheit“ und durch Heintze (1932) als „freiwilliges Schweigen“ übersetzt und aufgenommen wurde (vgl. Grohnfeldt 2001, S. 185). Diese Bezeichnungen gelten als veraltet, da man nun weiß, dass die Kinder meist unter psychischen Störungen leiden und sich anstrengen müssen gegen das Sprechen anzukämpfen (vgl. Katz- Bernstein 2015, S. 25).

Moritz Tramer (1934), Schweizer Kinder- und Jugendpsychiater bezeichnete den selektiven Mutismus als elektiven Mutismus, der auch heute noch als Begriff verwendet wird (vgl. Hartmann 2016). Jedoch verschwindet er langsam aus dem Sprachgebrauch, da das Wort „elektiv“ an eine „freiwillige Wahl erinnert“ (Bahr 2015, S. 15). Das Wort „selektiv“ ist angebrachter, da es das Aussuchen der Situation und der Personen verdeutlicht.

Beim elektiven Mutismus handelt es sich um eine emotional bedingte St ö rung der sprachlichen Kommunikation. Sie ist durch selektives Sprechen mit bestimmten Personen oder in definierten Situationen gekennzeichnet. Artikulation, rezeptive und expressive Sprache der Betroffenen liegen in der Regel im Normbereich, allenfalls sind sie- bezogen auf den Entwicklungsstand- leicht beeintr ä chtigt “ (Katz- Bernstein 2015, S. 24 z.n. Castell & Schmidt 2003).

Selektiv mutistische Kinder haben die psychischen Voraussetzungen sprechen zu können. Es ist emotional bedingt, dass diese Kinder nur in bestimmten Situationen und mit bestimmten Personen sprechen. Die Situationen, in denen die Kinder nicht sprechen sind vorhersehbar. Der selektive Mutismus wird daher nicht als „primäre Störung der Sprachentwicklung angesehen“ (Schöler und Welling 2007, S. 357), sondern als Zeichen tiefer liegenden psychischen Problemen (vgl. Schöler und Welling 2007, S. 357f.).

3. Erscheinungsbild

Der selektive Mutismus ist die häufigere Störung und wird zwischen Frühmutismus (4- 6 Jahre) und Spätmutismus (6- 8 Jahre) unterschieden. Die Betroffenen Personen bzw. in dem Fall die Kinder, die an Mutismus leiden, haben die Sprachentwicklung vollzogen und besitzen eine Sprach- Sprech- und Hörfähigkeit (vgl. Katz- Bernstein 2015, S. 24f.).

In fremden Situationen, an fremden oder bestimmten Orten, oder gegenüber bestimmten Personenkreisen erstarren, verstummen sie und verständigen sich ausschließlich durch Gestik und Mimik (vgl. Katz- Bernstein 2015, S. 24). Nur gegenüber ausgewählten Personen, meist den Eltern, spricht das Kind. Selbst bei den Großeltern, oder anderen nahe stehenden Familienmitgliedern ist eine Kontaktaufnahme auf sprachlicher Ebene meist unmöglich.

„ Selektiver Mutismus ist ein dauerhaft, wiederkehrendes Schweigen in bestimmten Situationen (z.B. im Kindergarten, in der Schule) und gegen ü ber bestimmten Personen (z.B. gegen ü ber allen Personen, die nicht zum engsten Familienkreis geh ö ren). Dieses Schweigen tritt auf, obwohl die Sprechf ä higkeit vorhanden ist. Ebenso ist die Redebereitschaft gegen ü ber einigen wenigen vertrauten Personen in vertrautem Umfeld gegeben “ (Bahr 2015, S. 14).

Viele Kinder, die ihren ersten Tag im Kindergarten haben, schweigen anfangs. Niemand würde auf die Idee kommen, dass das Kind mutistisch ist. Wenn das Kind jedoch mit neuen Situationen vertraut geworden ist, und immer noch schweigt, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass das Kind selektiv mutistisch ist und eine besondere Förderung braucht. Die betroffenen Kinder sprechen dann weder mit fremden Personen, noch mit vertrauten Personen vor fremden Personen. Diese Situationen führen zur Sprechangst, bei dem sich das Kind verlassen, hilflos, gehemmt und minderwertig vorkommt.

Die Körperhaltung ist starr, der Blick gesenkt und der Körper meist abgewandt vom Sprechpartner (vgl. Grohnfeldt 2001, S. 186f.).

Häufig weisen mutistische Kinder Zwangsstörungen auf, die in vertrauter Umgebung, mit vertrauten Personen, bemerkbar werden. Sie streben nach (unbewusster) Kontrolle und Dominanz, wie zum Beispiel bei der Abwehr sich nach dem Toilettengang sauber zu machen oder bei der Auswahl und Akzeptanz bestimmter Getränke, Speisen und Angewohnheiten. Mutistische Kinder zeigen oft auch eine „übertriebene Angst vor vermeintlichen Gefahren“ (Hartmann & Lange 2013, S. 22) und eine hohe Angst vor Fehlern. Der selektive Mutismus wird auch als Angststörung bezeichnet (vgl. Katz- Bernstein 2015, S. 18).

4. Mögliche Ursachen

Ursachen für das Schweigen eines Kindes kann es viele geben. Die Migration ist dabei ein großer gesellschaftlicher Belastungsfaktor. Kinder, die in einem fremden Land nur ihre Muttersprache sprechen, sind außerhalb der Familie schweigsam. Sie können sich nicht mit den anderen Kindern unterhalten, schämen sich, oder werden sogar ausgeschlossen. Auch Disharmonien in den Familien, sei es ständige Streitereien oder Gewalt, wie körperliche oder sexuelle Misshandlungen, führen zum Schweigen der Kinder. Hierbei ist es jedoch häufiger so, dass die Kinder durch das Schweigen die Taten verdrängen. Sie verschweigen diese und versuchen so damit umzugehen. Aber auch das überbehütete Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern kann zu Mutismus führen.

Um jedoch herausfinden zu können, welche Ursachen der selektive Mutismus bei einem Kind hat, muss vorab festgestellt werden, ob das betroffene Kind an fremden Orten und bei fremden Personen schweigt, oder ob es in manchen Situationen spricht, und wenn ja in welchen (vgl. Grohnfeldt 2001, S. 190).

In dieser Hausarbeit werde ich auf drei wichtige Faktoren eingehen.

4.1. Organische Faktoren

Bei den organischen Faktoren gibt es zwei Verknüpfungen, die den Mutismus begünstigen. Einmal der Zusammenhang zwischen dem Schweigen und den Entwicklungsstörungen, wie sprachliche, kognitive und motorische Defizite und zum Anderen der Zusammenhang zwischen dem Schweigen und einer oder mehreren Psychosen, wie Schizophrenie, oder Depressionen. Zudem ist bei den organischen Faktoren der „akinetische Mutismus“ hinzuzufügen, der durch Schädigungen im Hirn und „Hemmungsphänomenen der zentralen Sprechfunktion“ (Hartmann & Lange 2013, S. 27) gekennzeichnet ist.

Gerade der akinetische Mutismus geht auf die genetischen Anlagen des Kindes zurück. Fast alle mutistischen Kinder kommen aus Familien, bei denen ein Elternteil sozial zurückgezogen, introvertiert lebt und selber sprachlich gehemmt ist, Angststörungen und Depressionen aufweist. Das Kind ist somit vorbelastet.

Die Metaanalyse von Hettma/ Neale/ Kendler (2001) zeigte, dass die Erblichkeit von Angststörungen bei Verwandten ersten Grades bei 31,6% und die Erblichkeit bei Panikstörungen bei 47,8 % lag, sowie bei Phobien 52,3 % und bei Zwangsstörungen 25,1%. Neben den erblichen Vorbelastungen gibt es auch andere Gründe, die das Schweigen entstehen lassen, zum Beispiel die Angst in der Schule aufgrund von Unsicherheiten oder Stress (vgl. Hartmann & Lange 2013, S. 27f.).

4.2. Psychologische Faktoren

Die psychologischen Faktoren werden zwischen dem psychoanalytischen Erklärungsansatz, dem stresstheoretischen Ansatz, dem lerntheoretischen Ansatz, dem milieutheoretischen Ansatz und der Soziophobie unterschieden.

Bei dem psychoanalytischen Erklärungsansatz können traumatische Ereignisse, Persönlichkeitsstörungen oder eine „ich- bedrohliche Mutter- Kind- Beziehung“ Auslöser dafür sein, dass das Kind schweigt. Dabei können viele Geschehnisse Gründe dafür sein, dass das Kind mutistisch wird, wie zum Beispiel das Beobachten eines schweren Unfalls, oder der Tod des geliebten Haustieres. Das Kind will das Geschehen ungeschehen machen und verschweigt es, weil es sich mitschuldig fühlt oder nicht helfen konnte.

Auch nach dem Tod eines Elternteils oder nahen Verwandten kommt es vor, dass das Kind schweigt. Es erhofft sich damit eine engere Beziehung zu der Bezugsperson zu erschaffen, in dem Sinne, dass wenn es nicht mehr spricht, es seine Bezugsperson enger bei sich hat. Diese Verhaltensmuster laufen jedoch unbewusst ab! Ein weiterer Grund für das Schweigen kann auch die Rache sein, in der Hinsicht, dass das Kind die Eltern provozieren möchte, indem es sich nicht „normal“, so wie immer, verhält (vgl. Hartmann & Lange 2013, S. 25f.).

Der stresstheoretische Ansatz wird so interpretiert, dass das Kind Umweltereignisse als seelische Belastung erkennt und keine Ressourcen entwickeln kann. Es kommt zu einer Überflutung und Überforderung der eigenen Bewältigungsstrategien (vgl. Grohnfeldt 2001, S. 193). Dieser Ansatz äußert sich häufiger beim Kindergarten- oder Schuleintritt (Hartmann und Lange 2013, S. 26).

Der dritte Ansatz, lerntheoretischer Ansatz, beinhaltet die operante Konditionierung, die sich so äußert, dass das Kind durch angelernte Muster schweigt.

[...]

Final del extracto de 20 páginas

Detalles

Título
Wenn Kinder schweigen. Selektiver Mutismus bei Vorschulkindern
Subtítulo
Welche Erscheinungsbilder und Ursachen gibt es und wie kann man betroffene Kinder fördern?
Universidad
Fliedner University of Applied Sciences Düsseldorf
Calificación
2,3
Autor
Año
2016
Páginas
20
No. de catálogo
V437559
ISBN (Ebook)
9783668781320
ISBN (Libro)
9783668781337
Idioma
Alemán
Palabras clave
wenn, kinder, selektiver, mutismus, vorschulkindern, welche, erscheinungsbilder, ursachen
Citar trabajo
Chiara Lambertino (Autor), 2016, Wenn Kinder schweigen. Selektiver Mutismus bei Vorschulkindern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437559

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