1757 wurde Diderots erstes Drama Le Fils naturel mit den angehängten Entretiens und ein Jahr darauf Le Père de famille sowie De la Poésie dramatique veröffentlicht. Lessing war ein Verehrer Diderots, „de[m] neueste[n], [...] besten französische[n] Kunstrichter“3, sodass er, Miß Sara Sampson(1755) und der Briefwechsel über das Trauerspielsind bereits geschrieben, Diderots Dramen einschließlich ihrer Anhänge übersetzt und diese 1760 in zwei Bänden erscheinen. In der Vorrede des Übersetzers zur ersten Ausgabe eröffnet Diderot, dass „zwei Stücke[...], die er als Beispiele einer neuen Gattung ausgearbeitet“5 habe vorliegen. In dieser Zeit „erregter dramaturgisch-ästhetischer Auseinandersetzungen“6, wollte Diderot eine ernsthafte Komödie mit privaten menschlichen Verhältnissen begründen. Auch Lessings „Drama der Seelenzergliederung“7 Miß Sara Sampson handelt von familiären Verhältnissen und den resultierenden Gefühlen aus häuslichen Konflikten, deren „bürgerliche, gesellschaftliche und soziale Empfindungen und Tugenden zu allgemeinen menschlichen Kategorien empor[geho]ben“8 sind. [...]Trotz der großen Gemeinsamkeiten von Diderot und Lessing bestehen in ihren dramatischen Konzepten Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Figurenkonzeption, die sich auch in ihren Dramen widerspiegeln und kontrastiv vergleichend anhand von den Familienrollen im Fils naturel und Miß Sara Sampson herausgearbeitet werden sollen. Des Weiteren werden Weinen, Seufzen, Mitgefühl, Hierarchie sowie Schweigen als Äußerungen von psycho-physischer Zerrissenheit analysiert. Bezüglich Diderot stehen zunächst die theoretischen Teile seiner Dramen im Mittelpunkt der Untersuchung. Diese werden mit Lessings Briefwechsel über das Trauerspielund seiner Hamburgischen Dramaturgie verglichen. „[I]n der moralischen [Welt] muß alles seinen ordentlichen Lauf behalten, weil das Theater die Schule der moralischen Welt sein soll.“10 Angeregt durch diese aufklärerische Äußerung aus Lessings zweitem Stück der Hamburgischen Dramaturgie, soll schließlich bewiesen werden, dass die Figuren ihren familiären Rollen entsprechend handeln und ihre individuellen Wünsche diesen unterordnen und nicht realisieren.
Inhaltsverzeichnis
- I) Einleitung
- II) Theoretische Schriften von Diderot und Lessing
- II. A) 1) Diderots Entretiens sur le Fils naturel
- II. A) 2) Diderots De la Poésie dramatique
- II. B) 1) Lessings Briefwechsel über das Trauerspiel
- II. B) 2) Lessings Hamburgische Dramaturgie
- III) Psychischer Zwiespalt der Familienrollen
- III. A) unglückliche Töchter: Rosalie, Sara und Arabella
- III. B) liebende Väter: Lysimond und Sir William Sampson
- III. C) (un)entschlossene Söhne: Dorval und Mellefont
- III. D) konkurrierende Geschwister: Clairville, Constance und Dorval
- III. E) rachsüchtige Mutter Marwood
- IV) Psycho-physischer Zwiespalt der Familienrollen
- IV. A) Weinen
- IV. B) Seufzen
- IV. C) Mitgefühl
- IV. D) Hierarchie und Unterwürfigkeit: vertikale und horizontale Bewegungen
- IV. E) Schweigen, Verstummen, Erstarren
- V) Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Vergleich der Dramen Le Fils naturel von Diderot und Miss Sara Sampson von Lessing. Ziel ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den dramatischen Konzepten der beiden Autoren aufzuzeigen, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung von Familienrollen und den psycho-physischen Zwiespalt der Figuren. Dabei werden die theoretischen Schriften der beiden Autoren, insbesondere Diderots Entretiens sur le Fils naturel und Lessings Briefwechsel über das Trauerspiel sowie Hamburgische Dramaturgie, herangezogen.
- Die Rolle der Familienmitglieder in den Dramen von Diderot und Lessing
- Die Darstellung von Gefühlen wie Weinen, Seufzen und Mitgefühl
- Der Einfluss von gesellschaftlichen Hierarchien auf das Handeln der Figuren
- Die Bedeutung von Schweigen und Verstummen als Ausdruck von psychischer Zerrissenheit
- Der Vergleich der dramatischen Konzepte von Diderot und Lessing
Zusammenfassung der Kapitel
Im ersten Kapitel wird die Entstehung und Rezeption der beiden Dramen beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Dramatik und der Dramentheorie eine zentrale Rolle für beide Autoren spielte.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den theoretischen Schriften von Diderot und Lessing, die wichtige Hinweise auf ihre dramatischen Konzepte liefern. In diesem Kontext werden insbesondere Diderots Entretiens sur le Fils naturel und Lessings Briefwechsel über das Trauerspiel sowie Hamburgische Dramaturgie analysiert.
Kapitel drei befasst sich mit der Darstellung von Familienrollen in den Dramen. Dabei werden die Figuren und ihre Beziehungen zueinander beleuchtet, um die komplexen psychischen Zwiespälte herauszuarbeiten.
Kapitel vier untersucht die psycho-physischen Reaktionen der Figuren auf die Konflikte, die sich in ihren Familien abspielen. Weinen, Seufzen, Mitgefühl, Schweigen und Verstummen werden als wichtige Mittel der Figurenregie und der Darstellung von innerer Zerrissenheit analysiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den folgenden zentralen Themen: bürgerliche Dramatik, Dramentheorie, Familienrollen, psycho-physischer Zwiespalt, Gefühlsausdruck, Hierarchie, Schweigen, Diderot, Lessing, Le Fils naturel, Miss Sara Sampson.
- Arbeit zitieren
- Alexandra Priesterath (Autor:in), 2018, Von verlorenen Töchtern, weinenden Vätern und unentschlossen Söhnen. Familienrollen in Diderots 'Le Fils naturel' und Lessings 'Miss Sara Sampson', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437600