Interkulturelle Kompetenzen in der Jugendhilfe


Fachbuch, 2018

69 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Historische Bezüge
2.2 Sozialwissenschaftliche Reflexion zur Migration
2.3 Die Lage der Integration und Inklusion in Deutschland
2.4 Schlüsselbegriffe
2.5 Interkulturelle Soziale Arbeit
2.6 Interkulturelle Kompetenz

3 Mehrkulturelle Identitätsbildung im Jugendalter
3.1 Spannungsfelder während der Identitätsentwicklung von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte
3.2 Perspektiven für die Jugendhilfe

4 Jugendhilfe im interkulturellen Kontext
4.1 Die Bereiche der Jugendhilfe
4.2 Interkulturelle Jugendarbeit
4.3 Interkulturelle Jugendsozialarbeit
4.4 Praktische Übungen zum Erwerb interkultureller Kompetenzen

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Lernspirale „Interkulturelle Kompetenz“ 21

1 Einleitung

Die deutsche Gesellschaft wurde durch die Anwerbung von GastarbeiterInnen, ihren Familiennachzügen sowie die Aufnahme von Flüchtlingen und MigrantInnen aus den unterschiedlichsten Ländern in den letzten Jahrzehnten sowohl bereichert, als auch verändert und sogar irritiert. Im Jahre 2014 betrug die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland 16,4 Mio. – 473.000 Personen mehr als im Vorjahr (vgl. Statisches Bundesland, 2015). Zudem sind Personen mit Migrationshintergrund deutlich jünger als jene ohne Migrationshintergrund.

Somit ist Deutschland statistisch gesehen ein Einwanderungsland und steht in engen politischen, kulturellen und sozialen Verbindungen mit anderen Ländern, besonders innerhalb der Europäischen Union. Daher ist die Gesellschaft, in der wir heute leben, ohne Interkulturalität kaum vorstellbar. Doch was genau bedeutet Interkulturalität, was stellt sie für die heutige Gesellschaft dar und wieso spielt sie für die Soziale Arbeit eine wesentliche Rolle?

Migration, Integration und Interkulturalität sind Begriffe, die den öffentlichen Diskurs in Deutschland in den letzten Jahren sehr stark geprägt haben. Während viele Fachleute den Schwerpunkt auf die Integration setzen, mit der Intention einer relativ homogenen Gesellschaftskultur ohne herausstechende, kulturell verschiedenartige Lebensweisen, sehen andere Spezialisten die Lösung in einer vielfältigen, heterogenen Gesellschaft mit der Kompetenz zur interkulturellen Öffnung beider Seiten. Die Entwicklung von unterschiedlichen Konzepten und Begrifflichkeiten zeigen zum einen zeitgeschichtliche Abhängigkeit fachlicher Diskurse und zum anderen die Suche nach adäquaten Beschreibungen eines sozialpolitischen Geschehens.

Die Jugendhilfe entwickelt sich selbstverständlich mit der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage. Die Entwicklungen bezogen auf sozialpädagogische Methoden und Prioritäten hängen nicht nur mit den migrationsbezogenen Faktoren, sondern auch mit den rechtlich-politischen Rahmenbedingungen, den Zuschreibungen in der Dominanzgesellschaft, der medialen Diskurse über Jugend und Integration, nicht zuletzt sogar mit den Aktivitäten, sozialen Projekten und Engagement der Menschen mit Migrationshintergrund zusammen. Mit dem Ergebnis des Bundesjugendkoratoriums (2009) kann für die Kinder- und Jugendhilfe festgehalten werden: „Pluralität ist Normalität für Kinder und Jugendliche“.

Aufgrund der Tatsache, dass die Befunde und Auffassungen vieler Experten der Interkulturellen Jugendhilfe aufeinander aufbauen, wurden in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich Schriften aus den letzten fünfzehn Jahren untersucht. Historische Gegebenheiten wurden zur Veranschaulichung der Entwicklung der Fachtermini und Inhalte der Thematik der Interkulturalität am Anfang der Arbeit herangezogen.

Die vorliegende Arbeit hat drei Hauptkapitel, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte haben, jedoch aufeinander aufbauen.

Das erste Hauptkapitel soll sich auf die theoretischen Hintergründe der Interkulturalität konzentrieren, die im engen Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit stehen. Außerdem soll die „interkulturelle Kompetenz“ unter die Lupe genommen werden, da diese die Basis der nächsten beiden Kapiteln ausmacht.

Im darauffolgenden Kapitel werden die mehrkulturelle Identitätsbildung im Jugendalter und ihre Schwierigkeiten aufgegriffen, um den Lesern die Perspektive aus der Sicht der Jugendlichen vorzuführen, welche für die Methoden und Handlungsfelder der Jugendhilfe die Basis darstellt, um passende Angebote und Herangehensweisen entwickeln zu können. Zudem ist es wichtig zu erkennen, dass die interkulturell orientierte Jugendhilfe den Fokus nicht nur auf migrationsspezifische Aspekte legt, sondern diesen in Zusammenhang mit den grundlegenden Befunden des Jugendalters betrachtet, um die daraus resultierenden interkulturellen Kernkompetenzen entwickeln zu können. Die Literatur bezieht sich überwiegend auf Migrantenjugendliche und nimmt keine Differenzierung zwischen mehrkulturellen Migrantenjugendlichen und mehrkulturellen Jugendlichen mit Elternteilen aus unterschiedlichen Kulturkreisen vor.

In dem letzten Hauptkapitel werden die Methoden der interkulturellen Jugendhilfe untersucht. Hier werden nach einer kurzen Erläuterung der Bereiche der Jugendhilfe Beispiele für Handlungskonzepte der interkulturellen Jugendarbeit, internationalen Jugendarbeit und interkulturelle Jugendsozialarbeit vorgestellt. Diese stehen im engen Zusammenhang mit der Identitätsbildung von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte und im ersten Hauptkapitel aufgeführten interkulturellen Kompetenzen. Zuletzt werden Beispiele für praktische Übungen zum Erwerb interkultureller Kompetenzen präsentiert, um den Lesern einen Einblick in die Praxis zu ermöglichen.

2 Theoretischer Hintergrund

In diesem Kapitel werden jegliche Hintergründe rund um die Entstehung und dem Gebrauch des interkulturellen Konzeptes vorgestellt. Zu Beginn werden Historische Bezüge und die Entstehung der Interkulturalität veranschaulicht, gefolgt von den sozialpolitischen Phänomenen Migration und Integration und von der aktuellen Lage der Integration und Inklusion in Deutschland. Bei der Auseinandersetzung mit Interkulturalität wird dieser von verschiedenen Schlagwörtern begleitet. Hierzu zählen der viel diskutierte Begriff der Transkulturalität und die „veraltete Version“Multikulturalität. Diese sollen im Anschluss diskutiert werden, bevor die Begrifflichkeit Interkulturalität aufgegriffen und mit den dazugehörigen Kritikpunkten erklärt wird. Im Folgenden wird die interkulturelle Soziale Arbeit unter die Lupe genommen, in Bezug auf die interkulturelle Orientierung und Öffnung sozialer Dienste, deren Zielen und dem Diversity –Konzept, die vor allem in der Jugendhilfe an großer Bedeutung gewonnen hat. Anschließend wird die Interkulturelle Kompetenz anhand der Definition und der Lernspirale von Dr. Darla Deardorff behandelt, nachdem der Gebrauch der Begrifflichkeit „Kompetenz“ im interkulturellen Zusammenhang dargelegt wird. Zu guter Letzt folgt die Kritik an dem Konzept der interkulturellen Kompetenz.

2.1 Historische Bezüge

Migrationsprozesse waren und sind immer mit pädagogischen Klärungsprozessen verbunden. Das Themenfeld „Migration und Soziale Arbeit“ blickt in Deutschland auf eine lange Tradition zurück. Dabei haben sozialpolitisch- und sozialwissenschaftliche Paradigmen und deren Wechsel immer Einfluss auf die sozialpädagogische Praxis mit Zugewanderten genommen (vgl. Yildiz, 2011, 32).

In Bezug auf die Migrationsströme in Deutschland haben sich fünf historische Phasen der Migration mit spezifischen politischen Leitlinien und pädagogischen Paradigmen etabliert (ebd., 33). In der ersten Phase von 1955 bis 1973, als die sogenannte Gastarbeiteranwerbung stattfand, war im sozialarbeiterischen Sinne von Ausländersozialberatung mit wirtschaftlich-sozialrechtlicher Eingliederungshilfe die Rede, während sich in der zweiten Phase von 1973 bis 1979 eine defizitorientierte Ausländersozialarbeit mit dem Schwerpunkt auf sozialräumliche Integration entwickelte. Mit dem Zusammenbruch der migrantenspezifischen Industrien und der beginnenden Familienniederlassung kam es zu soziokulturellen Problemen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. In diesem Zusammenhang etablierte sich der Begriff der sogenannten Ausländerpädagogik für die schulische Ausbildung der ausländischen Kinder. Aufgrund der Annahme, der Aufenthalt der Zugewanderten sei ein Übergangszustand, zeigte sich in den Maßnahmen der schulischen sowie außerschulischen Bereiche eine formale Integration bei gleichzeitiger Exklusion auf. Die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Diskriminierung prägte das Konzept der Ausländerpädagogik und fixierte die pädagogische Defizitorientierung und Legitimation der sozialen Ungleichheit (ebd., 34).

Das konzeptionelle und terminologische Selbstverständnis der Ausländersozialarbeit wurde Mitte der 1980er Jahre in der dritten Phase der Migration (1979-1990) zunehmend problematisiert und kritisiert. Von dem gesellschaftlich-politischen Werdegang bezüglich der Wiedervereinigung und Ende des Kalten Krieges geprägt, forderten institutionelle Hilfesysteme einen humanistischen Perspektivenwechsel von bis dahin üblichen minderheitsorientierten Defizitblick zur Ressourcenorientierung. Somit taucht der Begriff „interkulturell“ erstmals in den Titeln von Veröffentlichungen auf (vgl. Auernheimer, 2007, 38), wobei sich erst in der vierten Phase (1990-1998) eine interkulturelle Soziale Arbeit und Pädagogik durchsetzen konnte. Das Rahmenkonzept der interkulturellen Pädagogik und Sozialarbeit steht in der Tradition der Menschenrechts-, Friedens-, Demokratischen und Antirassistischen Erziehung (vgl. Yildiz, 2011, 37). Zudem wurden nun erstmals Einheimische und deren Vorurteile von der interkulturell-antirassistischen Sozialarbeit problematisiert (ebd., 38).

Die fünfte und letzte Phase der Migration begann ab 1998 und war durch eine reflexive und kritische Weiterentwicklung der interkulturellen Sozialen Arbeit gekennzeichnet (ebd., 33). Als sich Deutschland Anfang der 2000er Jahre im Zuge der neuen Zuwanderungssituation offiziell zum Einwanderungsland erklärte, formierten sich immer mehr Kritikpunkte am interkulturellen Paradigma und den anderen sozialwissenschaftlichen Schlagwörtern wie die Integration und Migration (ebd., 40).

Mitte der 2000er Jahre erreicht die global und transkulturell orientierte Auseinandersetzung mit der interkulturellen Pädagogik und dem Konzept der Multikulturalität ihren Höhepunkt. Es werden in den jüngsten Arbeiten von Experten nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Vorschläge gemacht. Während der Professor für Erziehungswissenschaften Franz Hamburger 1999 von einer Reflexiven Interkulturalität spricht, fordert er zehn Jahre später den vollständigen Abschied von der Interkulturellen Pädagogik (Hamburger, 2009a).

Da laut Auernheimer die Aufgabe der Interkulturellen Pädagogik nicht nur darin besteht, Kulturdifferenzen zu überwinden, sondern eine interdisziplinäre Funktion einzunehmen, plädiert Bundschuh für eine Erweiterung des Begriffs der „Interkulturellen Sozialen Arbeit“ hin zu einer „Sozialen Arbeit in der Migrationsgesellschaft“ (vgl. Yildiz, 2011, 41).

2.2 Sozialwissenschaftliche Reflexion zur Migration

Der sozialwissenschaftliche Begriff „Migration“ ist eine allgemein gewählte Sammelbezeichnung für den Umstand, dass Personen für einen längeren oder unbegrenzten Zeitraum einen früheren Wohnort verlassen haben und in der Gegenwart an einem anderen als ihrem Herkunftsort leben. Dabei findet eine besondere Hervorhebung der Überschreitung von Staatsgrenzen statt, da mit ihr der Wechsel des rechtlichen Status und der kulturellen Umwelt verbunden wird. (vgl. Hamburger, 2009a, 15).

In Deutschland lebten im Jahre 2014 rund 16,4 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund. Ca. 4.674.000 davon waren junge Menschen bis 20 Jahren (vgl. Statistisches Bundesamt, 2015). Im Alltagsbewusstsein werden zwischen MigrantInnen, die als Ausländer ins Land gekommen sind, und AussiedlerInnen, die als Angehörige der eigenen Nation ins Land gekommen sind, unterschieden (ebd., 17). Im Fokus der Interkulturalität stehen verständlicherweise die MigrantInnen.

Seit Beginn der 80er Jahre steht zudem die Zuwanderung von Flüchtlingen im Vordergrund, insbesondere als Folge von Krisen und Kriegen. 2015 wurden ca. 1,1 Mio. Zugänge von Asylsuchenden registriert (vgl. Statistisches Bundesamt, 2016), wobei es kaum Zahlen zu dazugehörigen Kindern und Jugendlichen gibt. Problematisch wird es, wenn die Folgen von Migration vielfach als Kulturproblem definiert werden. In öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen richtet sich die Aufmerksamkeit vorwiegend auf „multikulturelle Gesellschaft“ und „interkulturelles Lernen“, auf „kulturelle Identität“ und „Kulturkonflikt“. Wenn man den Integrationsprozess in Zusammenhang mit seinen Folgen unter die Lupe nimmt und versucht zu analysieren, dann sollte man laut Hamburger (2009a, 22) zunächst die strukturellen Bedingungen und Prozesse einer Gesellschaft in den Vordergrund stellen. Migration kommt eher selten durch kulturelle Ursachen in Gang, vielmehr sind Armut und Not, politische Unterdrückung und kriegerische Vertreibung die häufigsten Migrationsursachen. Ebenso wenig ist der Anreiz der MigrantInnen für die Zielländer kulturell begründet, sondern es zählt vor allem die Verwertbarkeit der Arbeitskraft. Insofern sind es Fragen des Arbeitsmarktes, des Einkommens und der Unterkunft, aber nicht die kulturellen Aspekte, die über das Schicksal der MigrantInnen entscheiden. In den Konflikten, die aus diesen strukturellen Prozessen entstehen, greifen MigrantInnen und Einheimische gleichermaßen auf das Symbolsystem einer Gesellschaft, der Kultur zurück und definieren diese mit den dazugehörigen Bestandteilen wie beispielsweise die Sprache (ebd.).

Was die Frage anbelangt, wie eine praktische Handlungsperspektive im Integrationsprozess aussehen sollte, kann man laut Hamburger (ebd.) von zwei Prämissen ausgehen: Die erste wäre das Kollektive Interesse der MigrantInnen an gleichen sozialen Chancen wie die Einheimischen in der Einwanderungsgesellschaft, die zweite wäre das Demokratieverständnis und eine Gerechtigkeitsorientierung der (Mehrheits-)Gesellschaft, in der ethnische Diskriminierung als illegitim gilt. An dieser Stelle wird deutlich, unter welchen Aspekten das Phänomen der „Interkulturalität“ entstanden ist.

2.3 Die Lage der Integration und Inklusion in Deutschland

Den Prozess der Integration beschreibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Internetglossar folgendermaßen:

„Integration ist ein langjähriger Prozess. Sein Ziel ist es, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zuwanderern soll eine umfassende und gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Sie stehen dafür in der Pflicht, Deutsch zu lernen, sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen.“ (BAMF, 2016)

Der aktuelle Begriff der Inklusion geht noch weiter als der der Integration. Während der Prozess der Integration auf ein bereits vorhandenes System von Gemeinschaftsleben abzielt, weist die Inklusion darauf hin, dass der Einbezug einer Vielfalt von Menschen mit individuellen Fähigkeiten ebenso eine Veränderung des Gemeinschaftslebens erfordert, um des pädagogischen Auftrags der individuellen Förderung tatsächlich gerecht werden zu können (vgl. Zenk u.a., 2011, 9). Inklusion erhielt eine weltweite Sichtbarkeit und Gültigkeit von dem Zeitpunkt, als die UNESCO Politikempfehlungen veröffentlichte, in welchen das Prinzip der Inklusion im Sinne des Ziels „Bildung für alle“ als Leitidee für die Verbesserung der Bildungssysteme weltweit propagiert wurde (vgl. Allemann-Ghionda, 2013, 126).

In Deutschland wird seit 2009 in der Bildungspolitik sowie in der Erziehungswissenschaft darüber debattiert, ob der Begriff „Integration“ vom Begriff „Inklusion“ abgelöst werden sollte. Der Anlass hierzu war die Bildungsbenachteiligung von Menschen mit Behinderung, was auf jegliche Heterogenität übertragen worden ist (ebd., 128), und somit für den interkulturellen Ansatz vor allem für junge Menschen eine hohe Bedeutung und Stütze darstellt. Der nordrhein-westfälische Landtag beschloss 2010, einen „Rechtsanspruch auf Inklusion“ gesetzlich zu verankern und das bestehende Bildungssystem schrittweise in ein „inklusives Bildungssystem“ umzuwandeln (ebd.). Als Beispiel ist zu nennen, dass die katholische Fachhochschule in Aachen im Jahre 2015 den Masterstudiengang „Bildung und Integration“ zu „Bildung und Teilhabe“ umbenannt hat.

2.4 Schlüsselbegriffe

In Bezug auf Interkulturalität tauchen viele Begrifflichkeiten auf, die zum Teil als „bessere“ Alternative dazu verwendet werden. In der Fachliteratur werden häufig die alternativen Zugänge „Transkulturalität“ und „Multikulturalität“ genutzt. Diese sind einerseits im alltäglichen Gebrauch am geläufigsten und andererseits spielen sie beim Verständnis von Interkulturalität eine wichtige Rolle, da dadurch die von dem Begriff Interkulturalität gesetzten Schwerpunkte deutlicher werden.

2.4.1 Multikulturalität

Multikulturalität beschreibt den Zustand eines vielkulturellen Zusammenlebens unterschiedlicher Individuen, Gruppen und Lebensweisen. Somit hat sie weniger eine analytische, vielmehr eine deskriptive Funktion.

Der jüdisch-amerikanische Philosoph Horace-Kallan, der auch eine Immigration durchlebte, zieht eine klare Grenze zwischen der Bedeutung der Multikulturalität und der sogenannten Verschmelzung (melting pot), der in Amerika von höchster Bedeutung war. Er beschreibt Multikulturalität als die Anerkennung kultureller Vielfalt, die als Bedingung dafür die Koexistenz vieler Kulturen in einem gemeinsamen Territorium wiederspiegelt (vgl. Schröer, 2011, 47).

In den 80er Jahren wurde die Idee des Multikulturalismus in öffentlichen Debatten in Deutschland aufgegriffen und lange ausdiskutiert. Sie diente als ein Entwurf für das Konzept einer toleranten, viele Kulturen in sich tragenden Gesellschaft mit Verständigungs- und Konfliktvermeidungspotenzial. Heutzutage wird diese Begrifflichkeit politisch als nicht zeitgemäß eingestuft, da sie den Weg für ausschlaggebende Debatten frei gemacht hat. Sie wird von der rechten Politikszene als eine konfliktfreie Illusion von „Gutmenschen“ angesehen, während sie von links als eine unpolitische Ausdrucksform einer Spaßgesellschaft kritisiert wird, so Dr. Sinner (2011) in ihrem Artikel in Stadtkulturmagazin.

Obwohl Multikulturalität als ein gesellschaftspolitisches Modell in vielen Einwanderungsländern wie England, Kanada und Australien viele Jahre erfolgreich realisiert worden ist, sind viele Autoren davon überzeugt, dass der multikulturelle Ansatz kontraproduktiv sei. Sinner (2011) lehnt sich an die Aussage von dem Philosophen Wolfgang Welsch, dass die Koexistenz vieler Kulturen voraussetzt, dass sie statisch, voneinander abgegrenzt und in sich homogen sind. Dies soll Welsch zufolge dazu führen, dass keine gesellschaftliche Verflechtung der Kulturen stattfindet, wenn die Kulturen nebeneinander existieren und sich mit der Zeit sogenannte „Parallelgesellschaften“ bilden.

Diesbezüglich begründete Wolfgang Welsch 1990 das Konzept der Transkulturalität.

2.4.2 Transkulturalität

Die Fixierung auf Kultur als bestimmendes Element des Lebens und somit Ansatzpunkt der Pädagogik ist nicht unumstritten. Gerade in den letzten Jahren hat sich Skepsis gegenüber der kulturalisierenden Pädagogik herauskristallisiert, was zu Entwürfen von neuen Konzepten wie die der Transkulturalität geführt hat.

In das deutschsprachige Gebiet wurde der Begriff der Transkulturalität erstmals Mitte der 90er Jahre von dem Philosophen Wolfgang Welsch eingeführt, den wir bereits durch seine Schriften über Multikulturalität kennen (s.o.). Er hat diesen Begriff explizit als ein Gegensatz zu den Konzepten der Multi- und Interkulturalität eingesetzt. Er grenzt sich vom Interkulturellen und Multikulturellen Standpunkt insofern ab, da er beiden Konzepten ein sich klar voneinander unterscheidendes und sich gegenseitig ausgrenzendes Kulturverständnis unterstellt (vgl. Schröer, 2011, 48). Das transkulturalistische Konzept hingegen analysiert veränderte, in sich differenzierte Kulturen und stellt eine Verflechtung und dauerhafte Vermischungen dieser Kulturen fest. In diesem Sinne stellt das Präfix „trans“, was im Lateinischen „über“ bzw. „jenseits“ bedeutet, die behaupteten Grenzüberschreitungen in etwas Neuem jenseits des Gegensatzes von Eigen- und Fremdkultur dar. In der Praxis hat der transkulturelle Ansatz seine Wurzeln vor allem in der biologischen Welt ausgebreitet, wie bspw. in der Medizin, Psychiatrie, Therapie und Psychologie. Basierend auf den Globalisierungstendenzen stellen Autoren wie der französische Philosoph Jacques Demorgon in ihren Forschungen fest:

„So landet schließlich die transkulturelle Perspektive da, wo schon der Multikulturalismus endete: im Vorwurf eines globalen Rassismus ohne Rasse und ohne Raum.“ (Schröer, 2011, 48-49)

Dr. des. Kathrin Sinner (2011) beschreibt in ihrem Artikel den Kulturbegriff vom transkulturellem Ansatz her als dynamisch, offen und vor allem als deterritorialisiert, was zu einer Art „Entschärfung“ von kulturellen Differenzen und Öffnung grenzüberschreitender Netzwerke führt.

Kritiker des allgemeinen Kulturbegriffs sind sich einig, dass das Transkulturalitätskonzept ein elitäres (bildungsbürgerlich-kosmopolitisches) und homogenisierendes Herrschaftsinstrument darstellt, das nichts anderes als eine „globale Integration“ meint (vgl. Griese, 2006). Währenddessen stimmen Experte, die dem Konzept der Interkulturalität zustimmen, den Unterstellungen des transkulturellen Konzeptes, das interkulturelle Konzept würde klare Grenzen zwischen Kulturen ziehen und eine Verschmelzung hindern, nicht zu (vgl. Schröer, 2011, 49).

2.4.3 Interkulturalität

Das Konzept der Interkulturalität hat sich in den 80er Jahren im Bildungsbereich als Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung mit der Ausländersozialarbeit entwickelt (siehe Kapitel 2.1). Das Adjektivpräfix inter bedeutet in der lateinischen Sprache „zwischen“. Dieser Teil des Wortes betont die Beziehung zwischen verschiedenen Personen und Gruppen und steht für die in den interkulturellen Prozessen enthaltene Dynamik (vgl. Schröer, 46).

Der Begriff Kultur wird aus dem Lateinischen colere abgeleitet und heißt „bebauen“, „bestellen“ und „pflegen“. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, sich mit dem Begriff Kultur auseinandergesetzt zu haben, da sie zunächst mehrere alltägliche Gebrauchsfunktionen besitzt und es daher keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition für Kultur gibt (Maletzke, 1996, 15). Je nach Kontext und Benutzer variiert die Bedeutung, auch in den Wissenschaften. Auf der sozialwissenschaftlichen Ebene bezieht sich diese Begrifflichkeit auf das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Lebensformen und umfasst Unterschiede wie die des Geschlechts, der Generationszugehörigkeit, der Religion, der sexuellen Orientierung, durch sozioökonomische Faktoren, aber auch Unterschiede zwischen verschiedenen Betriebs- und Verwaltungskulturen (vgl. Schröer, 2011, 45). In diesem Zusammenhang stehen in der interkulturellen Sozialen Arbeit Menschen mit Migrationsgeschichte im Vordergrund. Auf dieser Basis ist Interkulturalität als ein Prozess zwischen Deutschen und Zugewanderten zu verstehen, zwischen Mehrheits- und Minderheitskultur. Sie bezieht sich somit auf einen „Bewusstseins- und Erkenntnisprozess, der aus der selbstreflexiven Wahrnehmung und Erfahrung kultureller Pluralität erwächst“ (vgl. Schröer, 2011, 45). Aus heutiger Sicht erscheint eine Überbetonung der kulturellen bzw. ethnischen Zugehörigkeit und Unterschiede, wie sie in frühen Schriften der interkulturellen Bildung noch geläufig war und von vielen Autoren zurecht kritisiert worden ist, diese seien weder analytisch vertretbar noch pädagogisch produktiv (vgl. Allemann-Ghionda, 2013, 59).

Das Ziel der Bildung von Interkulturalität ist es, sich nicht nur bloß an einen nationalen, sondern vielmehr an einen globalen Horizont zu orientieren, wobei die Lehrbarkeit und Erlernbarkeit der interkulturellen Kompetenz in den Vordergrund rückt (ebd.).

Jagusch (2005) betont die hohe Bedeutung der Konstruktion von Identität und Differenz im interkulturellen Rahmen, die Perspektive der eigenen und der fremden Kultur, bei der es ihrer Meinung nach um das Entdecken und Verstehen geht. Gegenwärtig beschäftigen sich in Deutschland verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mit interkulturellen Forschungsfragen, wie bspw. die Studiengänge „Interkulturelle Kommunikation“ und „Interkulturelle Germanistik“ (vgl. Sinner, 2011).

2.4.4 Kritik an dem kulturalistischen Denkansatz

Wie andere Ansätze auch, erfährt dieser Ansatz ebenso Kritik in einigen Punkten. Dem kulturalistischen Denkansatz der Interkulturalität wird vom strukturellen Denkansatz vorgeworfen, dass dadurch, dass die Wahrnehmung und Hervorhebung der kulturellen Unterschiede die Voraussetzung für eine dialogische offene Gesellschaft darstellen soll, im Grunde nur der Verschleierung ökonomischer und machtpolitischer Unterschiede diene (vgl. Freise, 2007, 22). Insofern sehen die Vertreter der strukturellen Denkweise in den interkulturellen Trainings, die kulturalistisch orientiert sind, eine Tendenz zur Stereotypisierung, die im gesellschaftlichen Diskurs nicht nur zur Abgrenzung, sondern sowohl auch zur Ausgrenzung führe, wodurch gesellschaftlich zugeschriebene Fremdheit verfestigt wird, auch wenn Menschen mit Migrationsgeschichte sich selber in der Einwanderungsgesellschaft nicht (mehr) als fremd betrachten. Schulische Defizite bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund werden oftmals im kulturellen Zusammenhang begründet, auch wenn andere Gründe (z.B. beengte Wohnverhältnisse) eine zentrale Ursache darstellen. Freise (2007, 23) macht auf Radtke aufmerksam, der die Pädagogisierung eines gesellschaftlichen Problems als eine Art Notlösung sieht, die dann eintritt, wenn für politisches Handeln kein Konsens zu erreichen ist. Er, als einer der Vertreter des „Strukturalismus“, fordert statt der Pädagogisierung des interkulturellen Phänomens ein „ethnic monitoring“ in Schulen, um gesellschaftliche Bedingungen zu analysieren, in denen Fremdheit und Fremdenfeindlichkeit produziert werden, um auf Ausgrenzung und Diskriminierung aufmerksam zu machen und Gegenstrategien zu entwickeln.

Eppenstein u.a. (2008, 82) weisen darauf hin, dass die sozialwissenschaftlichen Theorien auf den „kulturalistischen“ bzw. „strukturalistischen“ Ebenen die Handlungsoptionen sozialer Praxis auf eine unbefriedigende Konstellation eines „Entweder - Oder“ – Gesetzes hinlenken. Sie sehen die kritiklose Bekräftigung kulturalistischer und strukturalistischer Engführung als das eigentliche Problem und befürworten eine sozialarbeiterische Haltung des „Sowohl-als-auch“. Es wird betont, dass die interkulturelle Orientierung tatsächlich „Fallen“ mit sich bringt, die von der strukturalistischen Denkweise als Einwand festgehalten werden (ebd. 84), jedoch das Unterschlagen der kulturellen Gegebenheiten in sozialen Interaktionen die Lage der sozialarbeiterischen Praxis nicht erleichtern (ebd. 82). Eppenstein u.a. (ebd.) sind der Auffassung, dass mit der Verbannung des „Kulturs“ als unangemessenes Differenzierungskriterium ebenso die eigene partikulare kulturelle Gebundenheit abgeschaltet werden müsse und man als Sozialarbeiter den lebensweltlich verankerten Bedürfnissen seiner Adressaten nur mangelnde Sensibilität aufbringen würde. Sie halten eine kritische Rezeption unterscheidbarer Kulturverhältnisse für unverzichtbar, wenn man zu einer universell legitimierbaren Praxis in der Sozialen Arbeit finden möchte. Hierbei soll man „[…] die kulturelle Einbettung ihrer Akteure weder einfach negieren, noch einer kulturell codierten Essentialisierung anheimfallen“ (ebd., 85).

2.5 Interkulturelle Soziale Arbeit

Eppenstein und Kiesel (2008, 18) zufolge lassen sich Begrifflichkeiten, Ursprünge und Begründungen Interkultureller Sozialer Arbeit kaum in einer einheitlichen und geschlossenen Form rekonstruieren bzw. definieren. Sie vertreten die Auffassung, dass von einer Sozialen Arbeit geredet werden kann, die zwischen unterscheidbaren Kulturen wie innerhalb kultureller Milieus in Gesellschaften, die durch Migrationen gekennzeichnet sind, operiert. Hier wird darauf verwiesen, dass der ins Zentrum gestellte Kulturbegriff problematisiert wird, sofern unterschiedliche Verständnisse von „Kultur“ unterschiedliche Praxen nach sich ziehen.

Es wird betont, dass Interkulturelle Soziale Arbeit in der Praxis unterschiedliche Erscheinungsformen aufzeigt (vgl. Eppenstein u.a., 2008, 39). Mal tritt Interkulturelle Soziale Arbeit als Querschnittsaufgabe in allen Teilbereichen der Sozialen Arbeit als Anspruch auf „kulturelle Sensibilität“, „interkulturelle Kompetenz“, oder „interkulturelle Öffnung“ von sozialen Einrichtungen und Diensten in Erscheinung, mal als eine eigenständige Fachrichtung in Hinblick auf spezifische Migrantengruppen oder Flüchtlinge. Aus der Sicht von Eppenstein (ebd.) macht es insofern Sinn, zwischen einer auf spezifische Integrationshilfen zielende „Migrationssozialarbeit“ und „Flüchtlingsarbeit“ einerseits und interkulturellen Orientierungen Sozialer Arbeit andererseits kategorial zu unterscheiden, wobei er darauf hinweist, dass sich beide Kategorien im Modus interkultureller Kompetenz bzw. Sensibilität überlappen können.

In dem Sozialreferat über interkulturell orientiertes Qualitätsmanagement schreibt Schröer (2003, 12), Leiter des Stadtjugendamtes in München, dass sich Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit von kulturellen Gruppen als Ziele der Sozialen Arbeit nur dann verwirklichen lassen, wenn die Organisationen sozialer Dienste diese Ziele auf allen Verantwortungsebenen verfolgen und betitelt die interkulturelle Orientierung und Öffnung von Organisationen ebenso wie Eppenstein als Querschnittspolitik. Er hebt die sozial- und jugendpolitischen Steuerungsmöglichkeiten hervor, die aus einer Sozial-, Kinder- und Jugendplanung bestehen und in einem partizipativen Prozess die Bedürfnisse der Angehörigen von Minderheitskulturen aufnehmen sollen (vgl. Schröer u.a., 2003, 13).

2.5.1 nterkulturelle Orientierung und Öffnung sozialer Dienste

Der Begriff der interkulturellen Orientierung hat für die Professionen der Sozialen Arbeit eine strategische Funktion. Schröer (2003, 8) vertritt die Auffassung, dass darunter eine sozialpolitische Haltung von Personen bzw. Institutionen zu verstehen ist, die unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen, die in einer Stadtgesellschaft leben und sich untereinander in Kommunikations- und Repräsentationsmöglichkeiten unterscheiden, anerkennen.

Anerkennung ist laut Schröer die Grundlage dafür, eine selbstreflexive Haltung gegenüber der eigenen Kultur einnehmen zu können. Er beschreibt interkulturelle Orientierung als einen demokratischen Prozess, bei der Beteiligung an dieser sich sowohl Mehrheitsgesellschaft als auch Minderheitengruppen verändern. Auch betont er die Forderung der interkulturellen Orientierung, dass das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit und die damit verbundene Definitionsmacht und die Ungleichverteilung von Ressourcen thematisiert werden müssen (vgl. ebd., 9).

Schröer versteht die Interkulturelle Öffnung von Sozialen Diensten als Konsequenz der interkulturellen Orientierung, welche zur Veränderung von Aufbau- und Ablauforganisation führt, wie bspw. der Abbau von Zugangsbarrieren für Minderheiten. Interkulturelle Orientierung und Öffnung sollen Beteiligung und Selbstbefähigung in den Mittelpunkt stellen, wobei Partizipation und Empowerment nicht lediglich auf eine Einpassung unterschiedlicher Gruppen und Individuen in bestehende soziale Zusammenhänge, sondern vielmehr auf die Befähigung oder Unterstützung, sich selbst solche Zusammenhänge zu schaffen und dafür die eigenen Ressourcen zu entdecken und einzubringen, berufen (ebd.).

2.5.2 Ziele interkultureller Sozialer Arbeit

In Anlehnung auf die Überzeugung, Interkulturelle Soziale Arbeit finde in allen kulturellen Überschneidungssituationen statt und ziele auf eine Synthese zwischen den unterschiedlichen Orientierungssystemen und Handlungsfähigkeiten, formuliert Schröer (2003, 11) allgemeine und grundlegende Zielsetzungen der interkulturellen Sozialen Arbeit. Er fordert eine wechselseitige Integration und die Gleichberechtigung unterschiedlicher ethnischer und kultureller Gruppen durch kulturelle Übersetzungsarbeit. Interkulturelle Soziale Arbeit soll in allen gesellschaftlichen Teilbereichen Partizipationsmöglichkeiten fördern und die strukturelle Benachteiligung im sozialen Bereich wahrnehmen und durch kompensatorische Angebote ausgleichen. Sie soll die Ängste von vermeintlichen und realen Benachteiligungen aller Bevölkerungsgruppen als Ausgangspunkt von Handlungsstrategien nehmen und unterschiedliche kulturelle Orientierungen und Lebensweisen von Individuen und Gruppen anerkennen und ihnen Geltung verschaffen. Außerdem soll sie den Erwerb von Fähigkeiten ermöglichen, um mit kultureller Vielfalt und damit verbundenen unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessenlagen kompetent umzugehen. Sie soll Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und wechselseitige Stereotypisierung thematisieren und mit Demokratieerziehung und antirassistische Erziehung gegensteuern. Interkulturelle Sozialarbeit soll zudem Eigeninitiative und Selbsthilfe fördern, die Netzwerke verschiedener kultureller Gruppen unterstützen und damit ressourcenorientiert an die Stärken der Zielgruppen ansetzen (ebd.).

Bei diesen generellen Zielsetzungen seien die geschlechterspezifischen Aspekte und behinderungsbedingte Benachteiligung zu beachten. Als Leiter eines Stadtjugendamtes weist Schröer (ebd.) zudem darauf hin, dass die Verinnerlichung dieser Ziele durch kommunale Sozialverwaltung ein langjähriger Prozess ist. Er setzt dabei nachhaltig wirkende Veränderung der bestehenden Organisationsstrukturen voraus und damit eine systematisch angelegte Organisationsentwicklung und Entwicklung geeigneter und kultursensibler Managementinstrumente (ebd, 12).

Für ihn stellt das Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen einen wichtigen Baustein insofern dar, da die Mitarbeiter des - in diesem Fall – Jugendamtes durch die effektiv gewählten nachhaltigen Zielsetzungen einen Orientierungsrahmen bekommen um somit die Prozessqualität in ihrer Arbeit verbessern können. Schröer findet den Bezug zu anderen vergleichbaren Ansätzen und Strategien wichtig, wie beispielsweise das Managing Diversity, was ursprünglich ökonomische Interessen zum Anlass hatte, sich jedoch seiner Meinung nach gut mit sozialpolitischen Forderungen verbinden lässt (ebd. 16).

2.5.3 Managing Diversity : Ein Diversity - Konzept der Sozialen Arbeit

Georg Auernheimer (2011, 168), Mitbegründer der Forschungsstelle für interkulturelle Studien an der Universität in Köln, sieht den Vorzug des Diversity - Ansatzes darin, dass dabei die Aufmerksamkeit für die Vielfalt der Differenzlinien die Fixierung auf ethnische Unterscheidungen und kulturbedingte Konflikte ablöst. Zudem geraten die Defizite von Minderheiten immer mehr in den Hintergrund, während deren Potentiale durch die ressourcenorientierte Haltung immer mehr an Wichtigkeit gewinnen. Dieser Ansatz wird der interkulturellen Orientierung als bessere Alternative gegenübergestellt und spielt besonders bei kommunalpolitischen Akteuren und der Leitung von Organisationen wie bspw. Wohlfahrtsverbänden eine grundlegende Rolle. Auernheimer macht außerdem auf die Problematik des Diversity-Ansatzes aufmerksam, dass „die Orientierungsfunktion für die pädagogische Praxis auf null reduziert wird“ (ebd.). Des Weiteren werden Diskriminierungserfahrungen verschiedener Minderheiten und schichtspezifische Ungleichheiten vernachlässigt. Zwar stellt dieser Ansatz primär als Organisationsentwicklung auf der Organisationsebene eine Hilfe zum Entwurf eines Leitbildes von Einrichtungen dar, ist im pädagogischen Alltag jedoch lückenhaft (ebd., 169).

2.6 Interkulturelle Kompetenz

In einer zunehmend von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägten Welt kann Interkulturelle Kompetenz in vielerlei Hinsicht von entscheidender Bedeutung sein, ob beim Aufbau einer internationalen Mitarbeiterstruktur, bei der Lösung von Konflikten, bei der Förderung interkultureller Koexistenz auf lokaler Ebene oder bei der Zusammenarbeit zur Thematisierung der drängendsten Probleme der Welt. Dennoch ist immer noch strittig, was unter „Interkultureller Kompetenz“ zu verstehen ist und wie sie evaluiert werden kann (vgl. Deardorff, 2006, 13).

2.6.1 Der Gebrauch der Begrifflichkeit „Kompetenz“ im interkulturellen Zusammenhang

In der Jugend- und Sozialarbeit wurde bereits vor mehreren Jahren eine Tendenz beobachtet, den Begriff des interkulturellen Lernens durch den der interkulturellen Kompetenz zu ergänzen bzw. zu ersetzen, ohne dass der fachliche Gehalt dieser begrifflichen Veränderung deutlich erkennbar wurde. Dadurch ist der Begriff der Kompetenz zum Schlüsselbegriff aufgerückt und hat traditionelle Bezeichnungen wie Erziehung, Bildung und Lernen etwas in den Hintergrund treten lassen. Für die (Sozial-)Pädagogik wird in diesem Zusammenhang ein Entwicklungsstrang deutlich, der über Ausländerpädagogik, Ausländersozialberatung, multikulturelle Erziehung bis hin zur antirassistischen und interkulturellen Arbeit verläuft (Thimmel u.a., 2003, 20).

Ein wichtiges Merkmal der interkulturellen Ansätze ist es, dass sie sich nicht nur an eine kulturelle Gruppe richten, sondern Mehrheit und Minderheit gleichermaßen in die Gestaltung der mehrkulturellen Gesellschaft einbeziehen. Von vielen Experten werden die Zielperspektiven von interkultureller Erziehung unter dem Aspekt der „interkulturellen Kompetenz“ zusammengefasst. Dabei wird darauf aufmerksam gemacht, dass diese Kompetenz in unterschiedlichen Arbeitsfeldern mit unterschiedlichem Niveau notwendig ist (ebd., 21), was dem Begriff einen flexiblen Charakter verleiht. An dieser Stelle wäre eine Erläuterung der Niveaus wünschenswert gewesen.

2.6.2 Definition der Interkulturellen Kompetenz

In den letzten 30 Jahren haben Wissenschaftler versucht, das Konzept der interkulturellen Kompetenz in unterschiedlichster Art und Weise zu definieren; es herrscht jedoch immer noch Uneinigkeit darüber, ob es eine verbindliche Definition geben kann. In dieser Arbeit soll eine Definition von Dr. Darla K. Deardorff vorgestellt werden, die bei einer ausführlichen Delphi-Befragung von US- Amerikanischen Experten die häufigste Zustimmung erlangt hat.

„Interkulturelle Kompetenz beschreibt die Kompetenz, auf Grundlage bestimmter Haltungen und Einstellungen sowie besonderer Handlungs- und Reflexionsfähigkeiten in interkulturellen Situationen effektiv und angemessen zu interagieren.“ (Bertelsmann-Stiftung, 2006, 5)

Diese Definition unterscheidet sich von anderen Modellen, weil sie erstmalig auch auf die Wirkung von Interkultureller Kompetenz eingegangen ist. Sie beinhaltet neben der Motivationsebene (Haltungen und Einstellungen) und der Handlungskompetenz zusätzlich eine Reflexionskompetenz (als interne Wirkung) sowie die angemessene Interaktion (als externe Wirkung von Interkultureller Kompetenz). Damit sind vier notwendige Dimensionen Interkultureller Kompetenz angesprochen, die bildlich betrachtet eine Lernspirale (vgl. Abb. 1) darstellen und die dynamische Entwicklung dieser Kompetenz darlegen (vgl. Bertelsmann- Stiftung, 2006, 7).

2.6.3 Lernspirale „interkulturelle Kompetenz“ nach Dr. Deardorff

Im Folgenden soll die Lernspirale, die durch die Bertelsmann-Stiftung anhand der Definition von Dr. Darla K. Deardorff entstanden ist (Abb. 1), näher erläutert werden.

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Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Interkulturelle Kompetenzen in der Jugendhilfe
Autor
Jahr
2018
Seiten
69
Katalognummer
V437836
ISBN (eBook)
9783956875571
ISBN (Buch)
9783956875595
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturalität, Migration, Integration, Jugendliche, Soziale Arbeit
Arbeit zitieren
Etka Akova (Autor:in), 2018, Interkulturelle Kompetenzen in der Jugendhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437836

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