Perspektiven einer geschlechtergerechten Pädagogik


Examination Thesis, 2004

79 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit

2. Koedukation – Diskriminierung im Klassenzimmer?
2.1 Koedukation, Monoedukation, Reflexive Koedukation?
2.2 Forschungsergebnisse zur Monoedukation
2.2.1 Monoedukation und Einstellung
2.2.2 Monoedukation und Leistungsdifferenzen
2.3 Gender Mainstreaming
2.3.1 Begriffsklärung
2.3.2 Bedeutung für die Schule
2.4 Fazit

3. Sozialisation und Geschlechtsstereotype
3.1 Sozialisation von Mädchen und Jungen
3.1.1 Hinführung
3.1.2 Sozialisationsbedingte Probleme bei Jungen
3.1.3 Sozialisationsbedingte Probleme bei Mädchen
3.2 Inhalte und Ursprünge von Geschlechtsstereotypen

4. Die Rolle der PädagogInnen – Probleme und Lösungsansätze
4.1 Interaktionsverhalten von LehrerInnen
4.2 Supervision bezogen auf das Geschlechterverhältnis
4.3 Fazit

5. Berufsorientierung und Lebensplanung von SchülerInnen
5.1 Vorstellungen über Berufs- und Familienplanung
5.2 Exkurs – Der mehrdimensionale Mann
5.3 Genderbewusste Berufs- und Lebensorientierung
5.3.1 Schulische Möglichkeiten
5.3.2 Der Haushalts- bzw. Werkstattpass
5.3.3 Konkrete Berufsvorbereitung
5.3.4 Elternarbeit im Kontext der Berufsorientierung

6. Mädchenstunden – Jungenstunden
6.1 Begründung partieller Monoedukation
6.2 Jungenstunden
6.3 Mädchenstunden
6.4 Fazit

7. Neuerungen im Bildungsplan 2004 für die Hauptschule
7.1 Hinführung
7.2 Der allgemeine Teil
7.3 Die Inhalte der neuen Fächerverbünde
7.4 Fazit

8. Anhang
8.1 Literaturverzeichnis
8.2 Erklärung

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Wenn man sich heute mit „modernen“ jungen Frauen und Männern unterhält oder ihr Verhalten beobachtet, wird schnell klar, dass Geschlechtsstereotypen und Rollenzuschreibungen ein Teil des Alltags sind. Egal ob in Sachen Berufswahl, Studienfächer und Arbeitsteilung im Familienleben – die Rollen sind nach wie vor relativ traditionell verteilt und werden auch selten hinterfragt oder angezweifelt. Auch wenn Frauen immer emanzipierter zu werden scheinen, allmählich in Männerdomänen vordringen, Karrieren anstreben und auch Machtpositionen erlangen, kommen sie spätestens beim Thema Familienplanung in Gewissenskonflikte. Oft stehen sie dann vor der Entscheidung entweder Beruf oder Familie.

Im Gegensatz dazu scheinen die Männer nicht in „Frauendomänen“ vordringen zu wollen, weil es offensichtlich keine Vorteile für sie bringen würde. Gleichberechtigung und die Annäherung der Geschlechter findet also nur formal und einseitig statt und ist hauptsächlich für die Frauen mit Mehraufwand verbunden. Aber sowohl für die Männer, die ihre Position im Berufsleben verteidigen müssen, oder jene die aus traditionellen Mustern ausbrechen wollen, ist es ein steiniger Weg. Die Karrierefrau, die ihre Kinder früh in einen Kinderhort oder zur Tagesmutter gibt, um weiter ihrem Beruf nachgehen zu können, findet genauso wenig gesellschaftliche Akzeptanz wie der Hausmann der sich gegen den Beruf entscheidet, um bei seinen Kindern zu sein.

Diese Frauen und Männer von heute waren Mädchen und Jungen, die an Schulen mit koedukativem Unterricht einen großen Teil ihrer Kindheit und Jugend verbrachten. Ihre Geschlechtersozialisation fand nicht nur im Elternhaus sondern an eben diesen Schulen statt. Man muss sich also fragen, ob die Koedukation das leistet, was man sich bei ihrer Einführung in den 60er Jahren von ihr versprach. Diese Frage wurde nicht erst mit der aktuellen Koeduaktionsdebatte der letzten Jahre verneint, sondern stand im Mittelpunkt etlicher Untersuchungen und Überlegungen der letzten zwei Jahrzehnte.

Die GEW- Lehrerzeitung stellt die Koedukation ebenfalls auf den Prüfstand und ruft die Lehrkräfte auf, sich mit der Geschlechterproblematik auseinanderzusetzen:

Die Koedukation wurde einst im Zuge der Gleichberechtigung von Frau und Mann als Bildungspolitische Errungenschaft gefeiert. Beiden Geschlechtern wurden formal die gleichen Bildungschancen eingeräumt. Zudem versprach man sich von der gemeinsamen Unterrichtung von Jungen und Mädchen einen positiven Effekt auf den Umgang der Geschlechter miteinander in Familie, Beruf und im öffentlichen Bereich. Doch die gemeinsame Unterrichtung führte nicht – wie damals angenommen wurde – gleichzeitig zu mehr Gleichberechtigung, denn die Praxis koedukativen Unterrichts hält nach wie vor an Geschlechtsstereotypen fest und verstärkt ein einseitiges Rollenverhalten bei Jungen und Mädchen (In: GEW-Lehrerzeitung 3-4/1998, S.24-27).

Längst geht es nicht mehr nur um die Benachteiligung der Mädchen durch die koedukative Praxis, da in der defizitären Betrachtungsweise die Gefahr lauert das „Männliche“ als Normalität zu betrachten und sich darüber zu definieren (Androzentrismus). Spätestens mit „Kleine Helden in Not“ wurde auf die angebliche Benachteiligung von Jungen aufmerksam gemacht und Ansätze zur gezielten Jungenarbeit geliefert. In den letzten Jahren wurde vermehrt für neue Konzepte plädiert die beide Geschlechter berücksichtigen und mehr Entfaltungsmöglichkeiten außerhalb traditioneller Rollenmuster bieten.

Um den Mädchen und Jungen von heute auf ihrem Weg zu selbstbewussten, eigenverantwortlichen, sozialkompetenten Frauen und Männern von morgen zu unterstützen, die in Familie, Beruf und im öffentlichen Bereich gleiche Möglichkeiten haben, brauchen wir eine Schule, die die Entwicklung der individuellen Fähigkeiten und Stärken in den Vordergrund stellt.

Die Schule, das beinhaltet PädagogInnen, Bildungspläne, Eltern, muss dafür sorgen, dass sowohl Mädchen als auch Jungen das Potenzial zur Entfaltung bringen können, das in ihnen angelegt ist. Das bedeutet für Mädchen, dass sie „männliche“ Seiten wie Kraft, Durchsetzungsfähigkeit und –willen leben und für Jungen, auch „weibliche“ Seiten wie Hilfs – und Kooperationsbereitschaft sowie Mitgefühl zeigen können.

1.2. Aufbau der Arbeit

Wie aus der Problemstellung ersichtlich wird, liegt der Schwerpunkt meiner Arbeit darin, die existierenden Probleme aufzuzeigen, Erklärungsansätze zu finden und Umsetzungsmöglichkeiten in der Schule darzustellen.

Dabei ist es mir wichtig, nicht nur bestehende Leistungsdifferenzen von Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, sondern vor allem das bestehende Frauen- und Männerbild mit seinen Auswirkungen auf den Schulalltag zu hinterfragen. Dies beinhaltet die Frage, wie man gegen traditionelle Geschlechtsstereotype vorgehen kann, welche die Fächervorlieben von Mädchen und Jungen, das Selbstbewusstsein von Mädchen (aber auch von Jungen), das LehrerInnenverhalten und damit die zukünftige Lebensplanung von SchülerInnen beeinflussen.

Zuerst werde ich einen Überblick über die aktuelle Koeduaktionsdebatte geben und der Frage nachgehen, welche Schulform sich für eine geschlechtergerechte Pädagogik am Besten eignet: Koedukation, Monoedukation oder Reflexive Koedukation? An dieser Stelle werden auch neue Forschungsergebnisse zum Thema Monoedukation, bzw. Reflexive Koeduaktion dargestellt.

Ein wichtiger Punkt, um im Schulalltag auf geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse einwirken zu können, ist die Sozialisation von Mädchen und Jungen zu verstehen. Die Sozialisation von Kindern steht wiederum in engem Zusammenhang mit dem Erlernen und Reproduzieren von Geschlechtstereotypen, deren Inhalten und Ursprüngen ebenfalls ein Kapitel gewidmet ist.

In der aktuellen politischen Diskussion ist der Begriff des Gender Mainstreaming in aller Munde, weshalb er auch in dieser Arbeit nicht fehlen darf, wobei der Schwerpunkt hier auf der Bedeutung für die Schule liegt.

Nach diesem theoretischen Teil geht es dann um die Umsetzung im Schulalltag, wobei die Berufs- und Lebensplanung von SchülerInnen, Mädchenstunden und Jungenstunden anhand von Praxisbeispielen thematisiert werden.

Die PädagogInnen, als zentrale Personen auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Pädagogik, werden gesondert betrachtet, wobei das Lehrerverhalten und die Möglichkeiten der Supervision thematisiert werden.

Abschließend geht es um die offizielle Umsetzung der geschlechtergerechten Pädagogik, da es sich hierbei nicht um eine Entwicklung handelt , die alleine von engagierten LehrerInnen vorangetrieben werden kann. An dieser Stelle werde ich auf die Verankerung der Gender-Thematik im neuen Bildungsplan eingehen. Hier werde ich versuchen darzustellen welche Neuerungen es im neuen Bildungsplan der Hauptschule (2004) gibt. Dazu werde ich den allgemeinen Teil untersuchen und nachprüfen inwieweit sich dies in der konkreten Umsetzung niederschlägt. Dazu werde ich exemplarisch drei der neuen Fächerverbünde untersuchen.

Im Text verwende ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit Sprachformen, die sowohl die feminine als auch die maskuline Form enthalten. So wird meist von SchülerInnen, LehrerInnen und PädagogInnen die Rede sein, wenn dies beide Geschlechter gleichermaßen beinhaltet.

Wörtliche und sinngemäße Zitate sind in einem Kurzbeleg direkt nach der betreffenden Stelle in Klammern kenntlich gemacht, was zur Übersichtlichkeit und zum Lesefluss beitragen soll.

Autorinnen und Autoren, die im Buch eines Kollegen oder einer Kollegin zu Wort kommen, habe ich nicht gesondert im Literaturverzeichnis aufgeführt sondern durch folgende Kennzeichnung hervorgehoben: (Pech, Detlef. In: Kaiser, 2001, S.200 – 229)

2. Koedukation – Diskriminierung im Klassenzimmer?

2.1 Koeduaktion, Monoeduaktion, Reflexive Koeduaktion?

In ihrem Eröffnungsvortrag zum 10. Bundeskongress Frauen und Schule lassen Cheryl Benard und Edit Schlaffer verlauten:

Wir glauben nicht, dass die Koedukation versagt hat. Wir glauben, dass sie nie versucht wurde. Was sich Koedukation nannte, war ein konzeptloses Nebeneinander im wortwörtlichen Sinn. Koedukation hieß, dass Mädchen und Jungen im selben Zimmer saßen – mehr hieß es nicht (Kaiser (Hrsg.),1996, S.31).

Hier ist auf den Punkt gebracht was in der Koedukationsdebatte schon lange thematisiert wird. Bei der Koedukation, wie sie in Deutschland seit den sechziger Jahren üblich ist, handelt es sich oft nur um ein gleichzeitiges Unterrichten von Mädchen und Jungen, was häufig als Ko-Instruktion bezeichnet wird. Bei koedukativen Schulen handelt es sich ursprünglich um Jungenschulen die plötzlich auch von Mädchen besucht wurden. Die unterschiedlichen Bedürfnisse, Vorerfahrungen und Lernansprüche wurden bei der Umstrukturierung nicht bedacht. Die Kategorie Geschlecht ging durch den Anspruch einer Schule der Chancengleichheit unter, woraus formal eine Gleichmachung entstand die weder Mädchen noch Jungen gerecht wird. Schärfere Kritiker behaupten sogar, dass die Koedukation Ungleichheiten nicht nur nicht beseitigt, sondern sie sogar hervorbringt.

Welche Möglichkeiten gibt es also die mit der Koedukation verbundenen Probleme zu vermeiden? Am naheliegensten wäre es von der Koedukation wieder abzukommen, was nicht nur ein ausgesprochen resignativer Gedanke wäre sondern auch wieder ein Schritt zurück. Es stellt sich die Frage ob dabei die Polarisierung der Geschlechter nicht eher noch stärker würde und Geschlechtstereotypen durch die Abgrenzung gegenüber der jeweils anderen „Geschlechtsgruppe“ forciert würden. Wenn wir sozialkompetente Frauen und Männer von morgen wollen, die respektvoll miteinander umgehen und gemeinsam neue, innovativere Wege finden ihr Berufs- und Privatleben zu planen, sollten wohl auch schon Mädchen und Jungen in der Schule die Möglichkeit haben miteinander und voneinander lernen zu dürfen.

Trotzdem ist klar, dass man neue Konzepte finden muss, um

- geschlechtstypische Fächervorlieben aufzubrechen
- das Berufswahlspektrum von Mädchen und Jungen zu erweitern
- neue Muster für eine partnerschaftliche Lebens- und Berufsplanung bei beiden Geschlechtern zu erzielen
- das Absinken des Selbstvertrauens der Mädchen in der Pubertät zu verhindern oder einzuschränken
- bei den Jungen den „Überlegenheitsimperativ“ zu verhindern oder einzuschränken
- LehrerInnen jenseits der Geschlechtsrollenklischees in die schulische Arbeit einzubeziehen (vgl. Koch- Priewe,2002, S.14)

Der momentan populärste Ansatz beinhaltet nicht eine generelle Trennung der Geschlechter in unterschiedlichen Schulen, auch die gemeinsame Schule mit geschlechtsgetrennten Parallelklassen scheint sich nicht durchzusetzen. Vielmehr werden heute verschiedene Konzepte der „reflexiven“, „reflektierenden“ oder auch „differenzierenden“ Koedukation erprobt. Hierbei handelt es sich um teilweise getrennten Unterricht der in die normale, koedukative Schule eingebunden ist. Der Begriff der reflexiven Koedukation tauchte in der Denkschrift des Landes Nordrhein- Westfalen (Bildungskommission NRW 1995) erstmals in einer offiziellen Schrift mit hoher Verbreitung auf. (Kaiser, 2001, S.58)

Reflexive Koedukation steht aber nicht nur formal für teilweise getrennten Unterricht, sondern zielt auf eine Veränderung im curricularen Bereich, in der Unterrichtsorganisation und in der sozialen Interaktion zwischen Lehrerinnen und SchülerInnen ab. (Koch- Priewe, 2002,S. 18)

Die teilweise getrennte Unterrichtung von Mädchen und Jungen findet vor allem im Bereich der mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächer, im Sportunterricht, Sexualkundeunterricht aber auch in Form von Mädchen- und Jungenkonferenzen und speziellen außercurricularen Veranstaltungen Anklang. Problematisch ist hier, dass es noch kaum befriedigende Forschungsergebnisse zur partiellen Monoedukation gibt. Ob eine schlichte Segregierung der Geschlechter erwünschte Wirkungen in Richtung größerer Geschlechtergerechtigkeit erzielen, soll im Folgenden durch einige Studien hinterfragt werden.

2.2 Forschungsergebnisse zur Monoedukation

2.2.1 Monoedukation und Einstellung

In Rheinlandpfalz wurde von 1993 bis 1997 eine Längsschnittstudie durchgeführt, in deren Rahmen GymasiastInnen von zwei koedukativen, einem Mädchen- und einem Jungengymnasium befragt wurden (Koch-Priewe, 2002, S.21). Dabei ging es vorrangig um die Wirkung der Monoeduaktion auf Jugendliche hinsichtlich ihrer Einstellung im Bereich Zukunfts – und Berufsplanung. Erstaunlicherweise hatten die Mädchen an monoedukativen Schulen weniger emanzipatorische Vorstellungen als die Mädchen der koedukativen Gymnasien. Letztere äußerten sich am entschiedensten für die Gleichheit der Geschlechter, wobei es ihnen vor allem um die gerechte partnerschaftliche Arbeitsteilung in Familie und Beruf ging.

Bei den Jungen war kein Unterschied zwischen monoedukativ oder koeduaktiv Unterrichteten zu erkennen. Beide Jungengruppen sprachen sich gegen Eingeständnisse im Bereich der Zukunftspläne aus. Sie lehnten es unabhängig von der Schulform ab, „bei der Eheschließung ihren Namen abzugeben oder ihren Wohnsitz nach den Karriereplänen der Partnerin zu wählen. Und sie stellten es sich nur in Grenzen befriedigend vor, Kraft und Zeit in Familienarbeit und Kinderbetreuung zu stecken, die eigene Berufstätigkeit möchten sie dadurch nicht tangiert wissen“ (Koch-Priewe, 2002, S.21).

2.2.2 Monoedukation und Leistungsdifferenzen

An dieser Stelle soll vor allem auf die Frage eingegangen werden, inwieweit Koedukation bestehende Leistungsdifferenzen verstärkt bzw. verursacht und ob hier partielle Monoedukation Abhilfe schaffen kann. Die Leistungsdifferenzen betreffen nach wie vor die Naturwissenschaften und Mathematik, in denen Mädchen ab der Pubertät schlechter abschneiden, während Jungen vor allem in den Sprachen das Nachsehen haben. Zwar sind die Leistungsunterschiede in den meisten Fächern nicht dramatisch und viele Studien deuten an, dass Leistungsdifferenzen in den naturwissenschaftlichen Fächern in den letzten Jahren „bis zur praktischen, sogar teilweise statistischen Bedeutungslosigkeit“ abgenommen haben (Ludwig, 2003, S.642), aber schließlich geht es bei der ganzen Debatte nicht nur um Schulnoten, sondern um die Chancengleichheit der Geschlechter in Bezug auf Wahlentscheidungen in Sachen Berufs –und Privatleben.

Haben hier, also sowohl in Bezug auf geschlechtsbezogene Leistungsdifferenzen als auch hinsichtlich der geschlechtstypischen Entscheidungen im weiteren Leben, Schulen mit partieller Monoedukation einen positiven Einfluss auf Schülerinnen und Schüler?

Bei der Erforschung dieser Frage gibt es zwei verschiedene empirische Ansätze, zum einen Relationale Studien und zum anderen Interventionsstudien (ebd., S.642).

Relationale Studien setzen sich in diesem Fall mit reinen Mädchen – und Jungenschulen auseinander, wobei die Ergebnisse auch auf Schulen mit partieller Monoedukation übertragen werden , da man davon ausgeht, dass „kein Effekt der Teilimplementation der Geschlechtertrennung zu erwarten ist, wenn bei der Vollanwendung keine Wirkung nachweisbar ist“ (ebd., S.642).. Interventionsstudien konzentrieren sich dagegen auf die partielle Monoedukation.

Erfolgsbeurteilung aufgrund von relationalen Studien

Große britische und amerikanische Längsschnittstudien, wie die „national Child Development Study“. die „National Educational Longitudinal Study“, oder die Erhebung „High School and Beyond“, belegen die Leistungsüberlegenheit der Schülerschaft reiner Mädchen – bzw. Jungenschulen gegenüber koedukativen Schulen. Die Folgerung daraus, dass koedukative Schulen Unterlegenheit verursachen, muss aber mit Vorsicht betrachtet werden.

Bei den reinen Mädchen- und Jungenschulen spielen andere Faktoren als das Geschlecht eine ebenso große Rolle. Die untersuchten Mädchen- und Jungenschulen waren meist Privatschulen, die ihre Schülerschaft nach Leistung rekrutierten und damit von vorneherein das leistungsstärkere Klientel besaßen(Ludwig,2003, S.643).

Den familialen und sozialen Hintergrund von Privatschülern darf man natürlich auch nicht außer Acht lassen, da diesen Schülern meist mehr Unterstützung zugesichert ist als dem „Normalschüler“.

Die Vermutung , dass sich bessere Leistungen von Mädchen an monoedukativen Schulen durch die Auslese der Schulen erklären lässt, ist empirisch untermauert: „Sobald Intelligenz, Sozialschicht bzw. Leistungsmerkmale, die vor dem Eintritt in die selektiven Schulen erhoben wurden, statistisch kontrolliert werden, verschwinden vermeintliche Leistungsvorteile der monoeduaktiven Bildungsanstalten in etlichen Schulen fast völlig oder werden zumindest deutlich gedämpft. (Haag 1998, In:Ludwig, 2003, S.643) Ein weiterer Beleg dafür sind Schulen bei denen die Eingangsselektivität kontrolliert wurde, oder solche die ein regionales Versorgungsmonopol besitzen und deshalb gar keine Selektion stattfindet (ebd. S.643). An diesen Schulen lassen sich keine Leistungsdifferenzen gegenüber koedukativen Schulen feststellen, bzw. sie verkehren sich sogar ins Gegenteil.

Untersuchungsergebnisse partieller Geschlechtertrennung

Bei den aufgeführten relationalen Studien war also die Berücksichtigung der Eingangsselektivität notwendig um Ergebnisverfälschungen weitgehend auszuschließen. Es wird aber vermutet, dass Selektionseffekte nicht die einzigen „Störfaktoren“ sind und daher ein direkter Vergleich mit koedukativen Schulen nicht ausreichend ist. Monoedukative Schulen könnten sich außerdem durch „die gebotene Lernumwelt, die Qualität ihres Unterrichts, ihrer Lehrerschaft, durch das Schulprogramnn und –klima, die Klassenverbände oder die Persönlichkeiten der Schülereltern“ unterscheiden (Ludwig, 2003, S.646), also Faktoren die nicht zwingend mit der Geschlechtszusammensetzung zusammenhängen.

Hier sind Interventionsstudien zur partiellen Monoedukation gefragt, wie beispielsweise der methodisch aufwendig betriebene Modellversuch „Chancengleicheit“ in Schleswig-Holstein von Häußler/ Hoffmann (Hoffmann u.a. 1995). Über ein ganzes Schuljahr hinweg wurde eine Studie zum Einfluss des mono – bzw. koedukativen Anfangsunterrichts in Physik und Chemie an koedukativen Gymnasien durchgeführt. Es wurde geprüft, ob Schülerinnen durch ein neues didaktisches Konzept, das auf verbesserte Unterrichtsinhalte und ein verbessertes Interaktionsgeschehen im Unterricht abzielte, gefördert werden könnten (Ludwig,2003, S.646). Die Kompetenzen und Interessen von Mädchen sollten stärker berücksichtigt werden als im traditionellen naturwissenschaftlichen Unterricht. Es gab drei Modellversuchsgruppen die in verschiedenen Organisationsformen unterrichtet wurden:

- im herkömmlichen Klassenverband
- jede zweite Stunde mit der Hälfte des Klassenverbands
- jede zweite Stunde geschlechtsgetrennt

Durch dieses neue Konzept wurden die Physikleistungen sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen signifikant verbessert. Dabei steigerten sich die partiell monoeduaktiv unterrichteten Mädchen erheblich gegenüber den koedukativ Unterrichteten. Diese Mädchen erzielten in einem Nachtest sogar bessere Leistungen als die monoedukativ unterrichteten Jungen (ebd. S. 647). Die Jungen schienen durch die Geschlechtertrennung eher leichte Leistungseinbußen hinnehmen zu müssen. Hier wäre zu überlegen ob dies an einem nicht mehr vorhandenen Profilierungszwang bei den Jungen liegen könnte, oder nur daran, dass die Mädchen so „ganz unter sich“ erheblich mehr Selbstvertrauen entwickeln und in dem sonst oft einschüchternden Fach regelrecht aufblühen.

Jedenfalls wäre damit die Benachteiligungsthese der Koinstruktionskritik zumindest in naturwissenschaftlichen Fächern untermauert. Jedoch wird hier sofort wieder Kritik laut, dass die auftretenden Leistungsdifferenzen auch alternativ erklärt werden könnten, wie es auch Peter H. Ludwig in seinem Essay versucht (Ludwig, 2003,S.674).

Er bemängelt, dass die „Baseline- Äquivalenz“ der Klassen nicht ausreichend geprüft worden wäre und damit zuvor bestehende Differenzen einen Einfluss auf die unterschiedlichen Ergebnisse gehabt haben könnten. Wenn wir also davon ausgehen, dass individuelle Leistungsunterschiede vor Untersuchungsbeginn vorlagen, warum haben sich dann die Leistungen bei allen Mädchen der monoeduaktiv unterrichteten Klassen signifikant verbessert? Hier wendet Ludwig ein „es gäbe Anzeichen dafür, dass das Unterrichtskonzept und die Informationen, welche die Lehrkräfte erhielten, nicht nur zur Gleichbehandlung der Geschlechter führte, sondern sogar zu einer zielgerichteten Bevorzugung der Mädchen“ (ebd., S.647) Diese Behauptung lässt sich auf die didaktische Freiheit der Lehrkräfte zurückführen, die lediglich angeregt wurden sich der Problematik zu stellen und die Anregungen der Forscher im Unterricht individuell umzusetzen. Am Ende der Erprobungsphase wurden die Lehrer befragt, ob sie mit den Mädchen anders als bisher umgegangen seien, wobei eine Lehrkraft angab:

Grundsätzlich hat sich nicht allzu viel geändert, aber im Detail sicherlich. Man ist doch wesentlich aufmerksamer dem Problem gegenüber geworden. Ich habe inzwischen auch keine Scheu gehabt, Mädchen ganz bewusst zu bevorzugen, um sie zu stützen und um ihnen mehr Selbstvertrauen gegenüber der Gruppe der Jungen zu geben…das habe ich vorher nie getan (Häußler/Hoffmann 1998, S.65)

Ludwig untermauert seine Behauptung der gezielten Bevorzugung von Mädchen zusätzlich , indem er eine nach der Erprobungsphase durchgeführte Schülerbefragung anführt, die ergab, dass die Jungen sich ungerecht behandelt fühlten während die Mädchen angaben, die Lehrkräfte hätten auf Gleichbehandlung geachtet (ebd., S.647). Daraus folgert er Gleichberechtigung wäre nicht gegeben gewesen, weil man davon ausgehen könne, dass „Ungerechtigkeit“ den Benachteiligten stärker auffällt als den Bevorzugten. An dieser Stelle könnte man zahlreiche Interaktionsstudien heranziehen (z.B. Thies/ Röhner 2000), die belegen wofür die befragten Jungen repräsentativ stehen: Jungen fühlen sich auch dann benachteiligt, wenn sie genau gleich viel Aufmerksamkeit bekommen wie die Mädchen im Klassenzimmer. Auch wenn dies schwer messbar ist, wurde dies an der Häufigkeit des „Drankommens“ mehrfach strikt nachgezählt. Sobald das bekannte 2/3 zu 1/3- Verhältnis zuungunsten der Mädchen aus dem Gleichgewicht gerät, beschweren dich die Jungen über die eigene Unterprivilegierung (Kaiser, 2003, S.15).

Des Weiteren führt Ludwig die Leistungssteigerung durch monoedukativen Unterricht bei Mädchen auf einen Erwartungseffekt der Beteiligten zurück. Die geschlechtshomogene Unterrichtung würde damit zu einem „Placebo-Verfahren“(Ludwig, 2003, S.648). Durch die Information von SchülerInnen und Lehrkräften über Inhalt und Absicht des Versuchs im Vorfeld, seien Leistungssteigerungen durch höhere Erwartungen und deren Selbsterfüllung beeinflusst.

Es ließe sich natürlich diskutieren, ob dadurch die Untersuchungsergebnisse verfälscht wurden oder nicht. Selbst wenn das der Fall war, kann man doch davon ausgehen, dass gerade im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich, gerade auch im Hinblick auf die spätere Berufswahl von Mädchen, etwas getan werden muss. Auch wenn noch nicht eindeutig belegt wurde, ob eine Selbstbewusstseins- und Leistungssteigerung von Mädchen in diesen „typischen Männerdomänen“ auf die partielle Monoedukation zurückzuführen ist, oder eher vom individuellen Engagement der Lehrkräfte abhängt, muss man doch in dieser Richtung weiterarbeiten.

2.3 Gender Mainstreaming

2.3.1 Begriffsklärung

In der geschlechterpolitischen Diskussion der letzten Jahre rückte der Begriff des Gender Mainstreaming immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses, wenn es um die Realisierung der Chancengleichheit von Frauen und Männern ging. Für Gender Mainstreaming gibt es kein griffiges deutsches Äquivalent. Man könnte es so umschreiben, dass Geschlecht (gender) in den Hauptstrom (mainstream) gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse eingebunden werden soll.

Diese gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse werden noch immer durch den Mainstream männlichen Denkens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dominiert. Die Council of Europe liefert folgende Definition: “Gender Mainstreaming bedeutet die (Re-) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Bewertung des Politikprozesses mit dem Ziel der Integration der Perspektive der Gleichstellung der Geschlechter in allen Politiken, auf allen Ebenen und allen Stufen von allen politischen Akteuren“ (Döge, 2002, S.9).

Es handelt sich hierbei also um einen „top –down“, also von oben nach unten, initiierten und organisierten Prozess, was immer wieder auch in Bezug auf Schulentwicklung in diesem Bereich kritisiert wird.

Das Konzept des Gender Mainstreamings wurde auf internationaler Ebene erstmals auf der ersten Frauenkonferenz in Nairobi diskutiert. Zehn Jahre später wurde der Begriff auf der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking fixiert. Die Europäische Union verpflichtete wenig später (1997) im Vertrag von Amsterdam die Mitgliedstaaten , Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen zu fördern. Mit der EU - Strukturfondsverordnung für die Jahre 2001 bis 2006 ist die Berücksichtigung der Chancengleichheit von Frauen und Männern integraler Bestandteil für die Mittelvergabe in diesem Bereich. (Döge, 2002, S.9).

Im Juli 1999 zog dann auch die Bundesregierung nach und legte sich auf die Querschnittsintegration von Frauen und Männern mittels des „Gender-Mainstreaming-Prinzips“ fest. Auch zahlreiche Bundesländer und Kommunen verfolgen dieses Prinzip.

Welche Neuerungen gibt es aber gegenüber der bisherigen Gleichstellungspolitik? Wesentlich hierbei ist, dass nicht mehr nur die Frauen im Mittelpunkt der Beseitigung von Defiziten stehen, sondern die Chancengleichheit von allen Beteiligten berücksichtigt wird, womit zwangsläufig auch die Männer zu „geschlechterpolitischen Akteuren“ (Döge, 2002, S.10) werden. Hinter dieser politischen Ausrichtung steht die allgemeine Erkenntnis,

„dass das Geschlechterverhältnis im Ganzen nur verändert werden kann, wenn an seinen beiden Polen zugleich angesetzt wird. So wird eine Erhöhung des Anteils von vollerwerbstätigen Frauen nur dann möglich sein, wenn gleichzeitig Männer verstärkt familiale Betreuungsaufgaben übernehmen. Werden ausschließlich Frauen als das zu Verändernde begriffen und wird Gleichstellungspolitik entsprechend als Frauenpolitik konzipiert, werden Männer weitgehend im Zustand der Geschlechtslosigkeit belassen und bleiben auf diese Weise implizit der Mensch, das Maß aller Dinge“ (Döge, 2002,S.10).

2.3.2 Bedeutung für die Schule

Was bedeutet Gender Mainstreaming für die Umsetzung im Schulwesen? Die Zeitschrift Lehren und Lernen (Heft 4, 2003) greift das aktuelle Thema auf und versucht einige der vielen offenen Fragen anzugehen. Margrit Wienholz macht darauf aufmerksam, dass man signifikante Kompetenzunterschiede von Mädchen und Jungen bei der Weiterentwicklung und Qualitätsverbesserung des Schulwesens nicht ignorieren dürfe. In diesem Zusammenhang verweist sie besonders auf die Ergebnisse der PISA-Studie (Wienholz, 2003, S.3). Hier müssten Ursachen und mögliche pädagogische, methodisch-didaktische und strukturelle Konsequenzen berücksichtig werden.

Bei der Klärung wie man den Begriff Gender Mainstreaming mit Inhalt füllen kann, muss man berücksichtigen in „allen Entscheidungsprozessen die Perspektive der Geschlechterverhältnisse mit einzubeziehen“ (ebd. , S.3). Die Tatsache, dass GM als „Top-down-Strategie“ entwickelt wurde, ist wohl besonders für den Bereich Schule nicht befriedigend. Die Erkenntnis, dass ohne „Bottom-up- Strategien“ eine nachhaltige Umsetzung nicht gewährleistet ist, setzt sich immer mehr durch (ebd.,S.3).

„Dies weist auf die Schule als zentralen und unverzichtbaren Raum für die Umsetzung, Vermittlung und Weiterentwicklung der Idee. Konkret bedeutet das: Welche je nach Geschlecht unterschiedlichen Folgen haben das Handeln, das Unterrichten, das Verhalten, das Vermitteln von Wissen der Lehrerinnen und Lehrer für Jungen und Mädchen in der Schule? Gleichzeitig gilt dies für die Schulleitung in Bezug auf das Kollegium und für die Eltern.“ (Wienolz, 2003, S.3)

Hierbei drängt sich die Frage auf, ob durch die ständige Einbeziehung der Geschlechterverhältnisse in jegliches Handeln nicht einen künstlichen Zustand schafft. Tradiert das Gender Mainstreaming – Konzept vielleicht sogar Geschlechterstereotype oder blendet es sie aus? Nach Wieland hätte aber beides fatale Folgen für eine Schule der Zukunft. GM müsse vielmehr „als Prozess verstanden werden, der neues Denken und Handeln initiiert und fördert.“ (Wieland, 2003, S.4)

Dabei kann man auf drei Sichtweisen zurückgreifen, die jeweils alleine betrachtet bekannte Probleme aufwerfen. In ihrem Text „ Strategien rhetorischer Modernisierung“ weist Angelika Wetterer auf diese Blickwinkel hin

- Die Gleichheit – die Gleichbehandlung von Ungleichen baut Ungleichheit nicht ab.
- Die Differenz – als alleiniger Orientierungspunkt kann sie tradierte geschlechtsspezifische Zuschreibungen fortschreiben und damit Geschlechterstereotypen reaktivieren.
- Die Dekonstruktion – sie stellt das zugrunde liegende binäre Denk – und Klassifikationsmuster in Frage und macht damit, für sich alleine genommen, Aussagen über die Problemlage nicht mehr möglich.

Diese drei Perspektiven müssten sich also idealtypisch ergänzen, bzw. gegebenenfalls korrigieren. Hier sind im Bereich Schule alle Beteiligten gefragt um bestehende Muster erst einmal zu erkennen, sie zu hinterfragen und gemeinsam neue Konzepte zu entwickeln um diese zu ändern. Die logische und naheliegende Konsequenz ist hier bei der Lehrerausbildung anzusetzen. Margrit Wienholz (2003, S.4) listet dazu in der Zeitschrift Lehren und Lernen sogenannte „Gender tools“ auf:

- Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung vor allem bei Entscheidungsträgerinnen und –trägern.
- Entwicklung eines Katalogs mit Prüfkriterien bzw. Indikatoren (Gender equality indicators) zur Bewertung von Maßnahmen.
- Breit gefächerte Schulungen, um das notwendige Fachwissen zu erweitern und Ausbildung von Gender Expertinnen und Experten (Gender Trainings)
- Einführung von Verfahren für eine Gender Expertise (Gender Proofing, Gender Controlling)
- Entwicklung eines Routineverfahrens zur Bewertung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Maßnahmen (Gender Impact Assessment)

Das weltweite Top-Down – Konzept hat die meisten Schulen noch nicht erreicht, aber laut Barbara Koch-Priewe ist das nur noch eine Frage der Zeit. Die Gewerkschaften veranstalten inzwischen entsprechende Tagungen zum Thema „Gender Mainstreaming – neue Wege in der Frauenförderung“. Die GEW beispielsweise fordert „beide Geschlechter sollen zu Fortbildungen in diesem Bereich verpflichtet werden und alle schulischen Gremien sollen nach Prinzipien des Gender Mainstreaming arbeiten“ (Koch-Priewe, 2002, S.12).

Dass aber „aufgedrückte“ Maßnahmen von oben nicht zwangsläufig eine Bewusstseinsänderung bei den Beteiligten hervorrufen, sondern Veränderung vielmehr von oben und untern stattfinden muss, liegt auf der Hand. Barbara Koch –Priewe wirft darüber hinaus die Frage auf, „ob es mit diesem Konzept gelingt das komplizierte Verhältnis zwischen der Innovationsarbeit in offiziellen Strukturen und dem Anteil der Arbeit im informellen Sektor angemessen zu erfassen: Wollen Frauen überhaupt in den bestehenden institutionellen Strukturen arbeiten oder müssten nicht ggf. auch die Strukturen der Interessenvertretung verändert werden? Zementiert also das Gender Mainstreaming ein bestimmtes (männliches?) Politikverständnis?“ (ebd., S.12).

Diese Problematik greift auch Claudia Pinl in ihrem Essay in Aus Politik und Zeitgeschehen (2002, S.3-5) auf. Sie bezweifelt, dass die weitreichenden Konsequenzen der neuen Strategie den Verantwortlichen tatsächlich bewusst sind, gehe es doch um Umgestaltung der Strukturen, die Ungleichheit reproduzierten. Sie fordert, dass die Top-down Strategie durch eine engagierte frauenpolitische Basis begleitet werden müsse, wenn Gender Mainstreaming mehr als „modisches Wortgeklingel“ sein solle.

2. 4 Fazit

Es ist im Endeffekt sicherlich ein Zusammenspiel von äußeren Voraussetzungen, sprich Organisationsformen, und der Einstellungen aller Beteiligten die eine Veränderung bewirken kann. Wünschenswert wäre es natürlich wenn Mädchen und Jungen irgendwann wirklich gleichberechtigt miteinander und voneinander lernen können. Dann, wenn Mädchen, zusammen mit Eltern und Lehrkräften, von vorneherein selbstbewusst und unbefangen an diese Fächer und damit verbundene Berufsfelder herantreten. Dann, wenn Jungen sich nicht mehr gegenüber den Mädchen profilieren müssen und, zusammen mit Eltern und Lehrkräften, ihre Domänen aufrecht erhalten wollen. Weil es sich hierbei aber um Zukunftsvisionen handelt und wir davon noch weit entfernt sind, muss wohl alles erprobt werden, was erfolgsversprechend ist, auch wenn es nicht eindeutig empirisch belegbar ist.

Peter H. Ludwig schreibt in seinem Fazit zur Stichhaltigkeit der Koedukationskritik:

Statt der partiellen Monoedukation wird mitunter eine „Verbesserung der Koedukation“ oder deren Reform für wünschenswert erachtet. Dieses Ansinnen geht mit dem hier gezogenen Fazit zwar im Grundsatz konform; solche Formulierungen stützen allerdings ungewollt suggestiv wiederum die traditionelle Anschauung von der Mangelhaftigkeit der Koedukation und damit dem Mythos von ihrer Verursachung von Disparität. Nicht eine Verbesserung der Koedukation, sondern eine Verbesserung des Unterrichts, unabhängig von seiner Organisationsform, ist anzustreben (Ludwig, 2003, S.650).

Hier stellt sich die Frage, wie man überhaupt den Unterricht hinsichtlich der Geschlechterdifferenz verbessern will, wenn man die Mangelhaftigkeit der Koedukation nicht wahrnimmt oder sie sogar als Mythos bezeichnet.

3. Sozialisation und Geschlechtsstereotype

3.1 Sozialisation von Mädchen und Jungen

3.1.1 Hinführung

Seit den 70er Jahren beschäftigt sich die Pädagogische Frauenforschung mit der sozialen Konstruktion weiblicher Unterlegenheit in vielen subtilen Sozialisationsmechanismen.

Dabei wurde die Benachteiligung von Mädchen in bestimmten Unterrichtsfächern, Sexismus in Schulbüchern und Unterrichtsinteraktionen erforscht. Seit den 90er Jahren wird verstärkt auch die Benachteiligung von Jungen erforscht.

Wenn man aber davon ausgeht, dass eine Chancengleichheit der Geschlechter im Schulalltag, der auf das spätere Berufs- und Privatleben und das Miteinander der Geschlechter nachwirkt, nur durch eine gemeinsame Emanzipation von Mädchen und Jungen, Müttern und Vätern und Lehrerinnen und Lehren stattfinden kann, müssen alle beteiligten eine neue Perspektive einnehmen. Weder die defizitäre Betrachtung der Mädchen als Opfer, noch die Umkehrung dieses Defizitansatzes zugunsten der Jungen ist hier sinnvoll. Sowohl Mädchen als auch Jungen werden in ihren Entwicklungsmöglichkeiten durch bewusste traditionelle Vorstellungen und unbewusste Erwartungen an das jeweilige Geschlecht beschnitten.

Dem Titel „Wir werden nicht als Mädchen geboren, wir werden dazu gemacht“ (Ursula Scheu, 1977) könnte man hinzufügen „Wir werden nicht als Jungen geboren, wir werden dazu gemacht“.

Das ehemals klare Rollenverständnis vom Mann als alleinigem Ernährer und der Frau als Erzieherin der Kinder ist längst aufgeweicht. Der rasante gesellschaftliche Wandel betrifft auch die Entwicklung der geschlechtlichen Identität. Peter Zimmermann schreibt dazu, dass „in einer individualisierten Lebenslage – idealtypisch angenommen – die Heranwachsenden Variationsmöglichkeiten“ hätten. (Zimmermann, 1998, S.11). Die „Geschlechter- Skripts“ seien offener und breiter gefächert und der Aufbau einer geschlechtlichen Identität sei selbstreflexiver und weniger imitatorisch geworden. In der Theorie sei die „Dramatik des Geschlechterrollenverhaltens“ entschärft, wobei Jungen und Mädchen sich nicht mehr typisch verhalten müssten. Er bemängelt allerdings, dass für Mädchen und Jungen das entsprechende „Sozialisationsmaterial“ nicht zur Verfügung stünde.

Durch, in der Tat vorhandene, Modernisierungstendenzen mit ihren Auswirkungen auf Rollenklischees und die damit verbundene Lebensplanung von Mädchen und Jungen, verändern sich traditionelle Vorgaben allmählich. Die formalen Möglichkeiten in Sachen Berufswunsch und Gestaltung des Familienlebens sind weitgehend gegeben, aber ihre praktische Umsetzung stößt weiterhin auf „heimliche Lehrpläne“ und gesellschaftlich anerkannte, patriarchalische Strukturen die sich auf die Sozialisationsprozesse von Mädchen und Jungen auswirken.

[...]

Excerpt out of 79 pages

Details

Title
Perspektiven einer geschlechtergerechten Pädagogik
College
University of Education Weingarten
Grade
1,0
Author
Year
2004
Pages
79
Catalog Number
V43851
ISBN (eBook)
9783638415538
ISBN (Book)
9783638843331
File size
698 KB
Language
German
Notes
Bei der Arbeit handelt es sich um eine Zulassungsarbeit (bzw. wissenschaftliche Hausarbeit).
Keywords
Perspektiven, Pädagogik
Quote paper
Angela Faller (Author), 2004, Perspektiven einer geschlechtergerechten Pädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43851

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Title: Perspektiven einer geschlechtergerechten Pädagogik



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