Kurdische Autonomie als stabilisierender Faktor in der Region Süd-Ost-Türkei


Essai, 2017

17 Pages, Note: 1,7

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Konfliktmanagement durch Autonomie

III. Die türkische Kurdenpolitik und ihr Effekt auf die gewaltbereite Massenmobilisation

IV. Die Autonome Region Kurdistan im Irak - Eine erfolgreiche Konfliktregulierung durch Teilautonomie?

V. Fazit

VI. Quellenverzeichnis

Einleitung

One man 's freedom fighter is the other man ׳S terrorist. James Mackey

Mit circa 24-27 Millionen sich bekennenden Kurden stellt das kurdische Volk, welches hauptsächlich das Grenzgebiet zwischen Syrien, der Türkei, dem Irak und dem Iran besiedelt, das größte ohne eigenes politisches Territorium dar (Elger, Stolleis 2008: 165). Lokalisiert in einem Gebiet von großer politischer und wirtschaftlicher Bedeutung durch Wasser- und Ölvorkommen, verschärft das kurdische Autonomiestreben die ethnischen und politischen Konflikte der Region. Das äußert sich beispielsweise in den höchst konfliktiven Beziehungen zwischen der Republik Türkei und der kurdischen Minderheit im Südosten des Landes: Mit der Gründung der Republik 1923 unter General Mustafa Kemal Atatürk wurde die kurdische Identität illegalisiert, was eine Integration des neugegründeten Staates in dem ethnisch und religiös heterogenem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches bewirken sollte. Die politische Exklusion der Kurden, denen durch den Vertrag von Sèvres ein autonomes Gebiet Kurdistan versichert wurde und überdies auch von Seiten Atatürks im Zuge des vierjährigen Befreiungskrieges Zugeständnisse einer autonomen Verwaltung gemacht wurden, kreierte jedoch einen kurdischen Nationalismus (Elger, Stolleis 2008: 165).

Diese Historie gewaltvoller kurdischer Aufstände und türkischer Repression findet ihren Höhepunkt in der Entstehung und dem raschen Erfolg der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistane, abgekürzt PKK) 1978: Durch ihre Massenmobilisierung und strategische politische Gewalt akkumulieren und katalysieren sie die verschiedenen kurdischen Unabhängigkeitsbewegungen, somit bildet sie einen international anerkannten Machtfaktor in der Region. Die türkische Regierung erklärte sie wegen ihren stetigen Machtgewinn zum Staatsfeind und verfolgt die PKK mit ihrem Führer Abdullah öcalan rigoros.

Trotzdem gestalten sich die türkisch-kurdischen Beziehungen dynamisch in Phasen von Repression und Liberalisierung. Wie wirkt sich als das Autonomiestreben der Kurden auf die Entwicklung von Frieden und Konflikten in der Region aus? Bedeutet ein Zugewinn an Autonomie eine Stärkung von friedlichen Tendenzen, wie beispielsweise der Etablierung demokratischer Institutionen? Oder bewirken autonome Zugeständnisse an die kurdische Bevölkerung eine Intensivierung der politischen Gewalt, bis zum Erlangen eines Nationalstaates, wie es seitens der türkischen Regierung dargestellt wird?

Meine These in dieser Problematik lautet wie folgt: Kurdische Autonomie führt, entgegen der Darstellung der türkischen Regierung, zu einer Deeskalation und zu friedlichen Tendenzen in der Region. Um diese allgemeine These einzugrenzen wende ich sie auf den Zusammenhang zwischen der politischen Linie der türkischen Regierung bezüglich der Rechte von Kurden und der Popularität der PKK an. Die PKK repräsentiert dabei die politische Gewalt der Kurden, wobei es natürlich zu berücksichtigen ist, dass es kurdischer Aktivismus auch von anderen Gruppierungen betrieben wird, teilweise gewaltlos und auch in Kooperation mit türkischen Autoritäten. (Markus 2007: 37)

Um die These empirisch zu testen werde ich sie außerdem auf politische Entwicklung des Autonomen Gebiets Kurdistan im Irak anwenden: Inwiefern hat die kurdische

Regionalregierung zur Entspannung in der Region beigetragen? Wie beeinflusst sie die kurdischen Autonomiebestrebungen in den Nachbarländern, insbesondere in der Türkei?

Abschließend werde ich den Bezug zu den aktuellen Entwicklungen in der Region herstellten: Angesichts des Bürgerkriegs in Syrien und dem Irak mit Beteiligung kurdischer Milizen wird die Auseinandersetzung mit der kurdischen Frage unvermeidlich - Was die These über das Konfliktpotential kurdischer Autonomie relevant macht: Wäre ein kurdischer Nationalstaat lediglich eine weitere Variable oder sogar ein Katalysator in der Krisenregion Nahost oder hätte er tatsächlich eine stabilisierende und deeskalierende Wirkung?

Konfliktregulierung durch Autonomie

Schätzungsweise jeder vierte weltweite Konflikt ist durch den Anspruch auf politische Selbstverwaltung oder Unabhängigkeit motiviert (Schulte 2015: 15), was die Legitimität von Nationalstaaten in Frage stellt: Wie stabilisieren sozialkonstruierte Nationen ihre kulturelle Hegemonie über ethische Minderheiten - Wenn nicht durch gewaltsame Homogenisierung? Mit dem Konzept territorialer Integrität und politischer Grenzen verschärfen sich die Konflikte, da so jeder Anspruch ethischer Gruppen auf autonome Zugeständnisse als Angriff auf die Souveränität des Staates gedeutet wird.

Autonomie und Föderalismus können dabei als Modelle für Konfliktregulierung dienen: Wenn auch keine Konfliktlösung (Pfetsch 1994: 2), bieten sie dennoch einen deeskalierenden Kompromiss und können zu einem nachhaltigen Frieden führen. Diese Friedenstheorie geht auf die idealistische Schule nach Immanuel Kant zurück, nach der Demokratie, ökonomische Unabhängigkeit und internationale Kooperationen die Wahrscheinlichkeit eines gewaltvollen Konflikts reduzieren (Russett/O'Neal 2001: 78). Ob in der Region Kurdistans dafür die nötige Infrastruktur, sowie institutioneile und politische Strukturen herrschen, wird im folgenden empirischen Teil diskutiert.

Um die Koexistenz von verschiedenen ethno-nationalen Gruppen zu regulieren, definieren die Politikwissenschaftler John McGarry und Brendan O'Leary drei Strategien: Eliminierung, Kontrolle und die Akzeptanz von Differenzen (McGarry/Ο Leary 1993: 58ff). Eliminierung umfasst dabei Maßnahmen zur erzwungen Homogenisierung der Gesellschaft mittels Genoziden, Zwangsumsiedlungen und Zwangsassimilierung. Kontrolle hingegen zielt darauf ab, gewisse Gruppe systematisch von politischer Partizipation auszuschließen. Abgesehen von normativen Einwenden ist die Wahrscheinlichkeit, eine friedvolle und stabilisierende Regulierung des ethno-nationalen Konflikte zu erreichen, mit beiden Strategien gering (Schulte 2015: 19). Der dritte Ansatz hingegen stellt die Idee des Nationalstaates infrage, mittels der Akzeptanz von Differenzen und dem daraus folgenden Konzept der demokratischen Machtteilung: Ein politisch-theoretischer Ansatz daraus ist die Konsensdemokratie nach Arend Lijphart, die den Gegenentwurf zur Mehrheitsdemokratie, wie sie beispielsweise auch in der Türkei herrscht, darstellt (Lijphard 1984, 2008). Während die Mehrheitsdemokratie eine Konzentration der Macht, Zentralismus und die Dominanz über andere politische Akteure erfordert, werden in dem Idealtypen der Konsensdemokratie alle relevanten Aktuere in politische Entscheidungsprozess einbezogen. Mit Elementen des Förderalismus und Mehr- Parteien-Systemen gemeinsam bietet die Konsensdemokratie eine Lösung zur stabilen Regierung über heterogene Gesellschaften.

Um die Interessen verschiedener ethnischer Gruppen im politischen Entscheidungsprozess zu einem Konsens zu bringen sind intensive Verhandlungen und der Kooperationswillen entscheident. In diesem Sinne sind Systeme mit Machtzentrierung, im Kontinuum von Mehrheitsdemokratien bis zu autoritären Systemen, effizienter, flexibler und leisten mehr politischen Output. Trotzdem sind ethno-nationale Konflikte, insbesondere auf den türkisch­kurdischen Konflikt bezogen, stark destabilisierende Momente: Durch ihre Polarisierung der Gesellschaft, durch die Diskreditierung der demokratischen Legitimität des Systems und durch Reaktionen und Interventionen der internationalen Gemeinschaft.

Eine alternative Lösung von ethno-nationalen Konflikten besteht in der Autonomie der ethischen Gruppen, was zu einer Staatsneugründung führen würde. Von der Zentralregierung wird dies als separatisitscher Angriff auf die nationale Integrität wahrgenommen und auch die internationale Politik favorisiert die Instandhaltung existierender Staaten durch die Achtung der Staatssouveränität und dem Ablehnen von Interventionen (Schulte 2015: 22). Bei einer empirischen Betrachtung erweist sich Autonomie nicht als friedensstiftendes Element in internationalen Konflikten: So hat die zunehmende Anzahl an Nationalstaaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht zu weniger gewaltsamen Konflikten geführt, wie man es durch die Homogenisierung der Ethnien innerhalb der Staaten vermuten könnte, sondern nur zu mehr Staaten mit starken Eigeninteressen im internationalen System (Pfetsch 2010: 370). Trotzdem stellen nach dem Politikwissenschaftler Felix Schulte territoriale Autonomien " (...) the regulatory model with the greatest potential to regulate ethno-national conflicts sustainably and peacefully." (Schulte 2015: 26) dar.

Diese allgemeinen theoretischen Annahmen sützen meine These über die stabilisierende Wirkung kurdischer Autonomie in der Süd-Ost-Türkei,ich werde sie nun im Folgenden für die Region empirisch testen und in Korrelation zur Entwicklung der autonomen Region Kurdistan im Irak stellen.

Obwohl die Türkei allgemein als der demokratischste Staat im Nahen Osten gilt und trotz des politische-kulturellen Erbes des Osmanischen Reiches, in welchem die Kurden neben anderen ethnischen Minderheiten prosperiert haben, werden die politischen und kulturellen Rechte der Kurden seit der Gründung der Türkei verletzt (Bengio 2017: S.25). Auch wenn der politische Kurs hinsichtlich der Kurdenfrage variiert und sich die Mittel diversifizieren, lässt sich das grundsätzliche politische Ziel der Türkei profilieren: Das Autonomiestreben der Kurden wird als zentrale Gefahr für die territoriale und kulturelle Integrität der Türkei wahrgenommen, und ist damit eine Bedrohung für die Stabilität und Kontinuität des politischen Systems Türkei.

Die empirische Untersuchung dieser Hausarbeit bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen den friedvollen Effekten von Autonomietendenzen, also liberaler Politik in der Kurdenfrage und der Wahrscheinlichkeit von gewaltbereiter Massenmobilisation, repräsentiert durch die Popularität der PKK. Gemäß meiner These würde die Rate an PKK-Rekrutierungen in Jahren der politischen Entspannung im Südosten der Türkei zurückgehen, während sie durch repressive Maßnahmen wieder steigt. So soll die Importanz einer Lösung der kurdischen Frage in Form von Selbstverwaltung bewiesen werden.

Als Kontrast zu meiner These werde ich die Position des Politologen Güneş Murat Tezcür diskutieren, der sich die Popularität und die steigenden Rekrutierungsquoten der PKK durch andere Faktoren erklärt als hauptsächlich durch die politische Repression (Tezcür 2015).

Für die Diskussion der These ist es nun relevant, innerhalb des repressiven Kurses der türkischen Politik Phasen der Liberalisierung zu definieren und deren Effekt auf die kurdischen Autonomiebestrebungen auszumachen. Für die Betrachtung ist der Zeitraum 1978- 2016 angemessen, da dies von der Gründung der PKK im November 1978 bis zu den letzten Datenerhebungen 2016 reicht.

Die erste bedeutende Periode beginnt mit dem Auftreten der PKK 1978 und ihrem Aufstieg über andere bereits existierende kurdische Organisationen bis zum Militärcoup 1980. Nach erfolglosen kurdischen Revolten in ländlichen Regionen während der 1920er und 1930er Jahren, verfiel der kurdische Nationalismus in eine Phase der Inaktivität, den erst die gebildetere kurdische Generation der 1960er durchbrach. Diese kurdische Jugend engagierte sich in linken türkischen Parteien, thematisierten erstmals die kurdische Frage und begründen einen kurdischen Nationalismus mit marxistischen Einflüssen (Günes 2015: 252). In diesem Klima gründet sich unter Abdullah öcalan 1978 die PKK, die zum bewaffneten Kampf gegen die Unterdrückung der Landarbeiter aufrufen und die Narrative eines "kolonialisierten Kurdistans" erschaffen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1) Rekrutierung der PKK nach Jahren (Tezcür 2015)

Die PKK verzeichnet in den Jahren ihrer Formierung einen steigenden Zuwachs, der aber bereits 1979, ein Jahr nach der offiziellen Gründung, nachlässt und in der unmittelbaren Zeit nach dem Militärputsch 1980 einbricht. Trotz der relativ geringen Mitgliederzahlen stiegt die Popularität der PKK in der Landbevölkerung stetig, vor allem bei der jungen, m arginali sierten Landbevölkerung: Durch ihre strategische Einbindung von Gewalt, die Einschüchterung anderer kurdischer Führer und ihre Kredibilität - "According to former PKK members, the PKK's willingness to match it's words with action gave its word a clarity and credence lacked by other organisations" (Marcus 2007: 36, 39-40).

Bereits im September 1982 waren circa 3300 PKK-Verdächtige vor Gericht, was über 75% aller Angeklagter wegen kurdischem Separatismus ausmachte (Tezcür 2015: 256) - Was die starke politische Aktivität der noch jungen PKK demonstriert, ebenso wie ihre Durchsetzungskraft gegenüber allen kurdischen Nationalbewegungen. Die Ära der Militärjunta war geprägt durch die Verfolgung linker kurdischer Aktivisten, gewaltsame Evakuierungen und die Zerstörungen von Dörfern im Südosten sowie das Ausrufen des Ausnahmezustands, was die Repression auf die kurdische Bevölkerung verstärkte (Tezcür 2015: 259). Besonders die Zustände des Militärgefängnisses Diyarbakır sind menschenunwürdig, dort werden Folter und Todesurteile vollstreckt. Diese politische Entwicklung spiegelt sich in der Rekrutierungsquote wieder, die zunächst von 1980 bis 1983 verhältnismäßig niedrig ist wegen der scharfen Verfolgung, steigt dann aber rapide mit dem Kurdenaufstand 1984 (Alpay 2009) und bleibt in den Jahren unter der Präsidentschaft des ehemaligen Anführers des Putsches Kenan Evren (1982-1989) konstant hoch.

1989 markiert einen Wendepunkt in den kurdisch-türkischen Beziehungen: Mit der Wahl des Ministerpräsidenten Turgut özals wird erstmalig ein kurdisch-stämmiges Staatsoberhaupt gewählt, der sich auch während seiner Amtszeit für die Thematisierung der kurdischen Frage einsetzt. Die Periode zwischen 1989 und 1993 sind durch einen Versuch charakterisiert, den ethno-nationalen Konflikt im Südosten der Türkei friedvoll zu lösen - Und wird so zu einem Machtkampf zwischen Politik und Militär, dem "tiefen Staat" (Alpay 2009).

Während özal und öcalan einen Waffenstillstand vereinbaren, özal einen öffentlichen Diskurs über die Identität und Rechte der Kurden initiiert und einen Prozess von Reformen im Zivilrecht sowie in Menschen- und Freiheitsrechten anstößt, provoziert das Militär und greift weiterhin kurdische Siedlungen an. So gehen auch die Rekrutierungszahlen 1988 und 1989 stark zurück mit der kurzzeitigen politischen Entspannung, steigen aber zu Beginn der 1990er Jahre und erreichen 1992, mit der Errichtung der Flugverbotszone im Nordirak und der praktischen Autonomie der irakischen Kurden-Region, einen Höhepunkt. 1993 fallen sie geringfügig, was wahrscheinlich auf die Friedensverhandlungen zwischen Öcalan und Özal zurückzuführen ist. Die allgemein hohen Rekrutierungsquoten sind vermutlich auch auf die hohen Verluste an PKK-Truppen zurückzuführen, durch die inoffiziellen Militäraktivitäten im Südosten, sowohl durch die Angriffe auf sich zurückziehende Truppen während des einseitigen Waffenstillstandes und auch durch die Erweiterung ihres Operationsgebiets im Nordirak (Sahin 2001: 67).

[...]

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Kurdische Autonomie als stabilisierender Faktor in der Region Süd-Ost-Türkei
Université
University of Leipzig  (Politikwissenschaftliches Institut)
Cours
Einführung in die Wirtschaft und Politik der arabischen Welt
Note
1,7
Année
2017
Pages
17
N° de catalogue
V438629
ISBN (ebook)
9783668790605
ISBN (Livre)
9783668790612
Langue
allemand
Mots clés
Kurdische Autonomie, Stabilität, Konfliktmanagement, Türkei
Citation du texte
Anonyme, 2017, Kurdische Autonomie als stabilisierender Faktor in der Region Süd-Ost-Türkei, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/438629

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