Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischer Partizipation


Bachelorarbeit, 2016

54 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1. Einleitung

2. Theoretische und begriffliche Eingrenzung des Forschungsgebietes
2.1. Das Konstrukt der Persönlichkeit
2.2. Persönlichkeitseigenschaften
2.3. Das Fünf-Faktoren-Modell
2.4. Die Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells
2.4.1. Neurotizismus
2.4.2. Offenheit für Erfahrung
2.4.3. Verträglichkeit
2.4.4. Gewissenhaftigkeit
2.4.5. Extraversion
2.5. Politische Partizipation
2.5.1. Formen politischer Partizipation
2.6. Aktueller Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften aus dem Fünf-Faktoren-Modell und politischer Partizipation
2.7. Forschungsfragen

3. Methode
3.1. Ein- und Ausschlusskriterien für Literatur
3.2. Vorgehen
3.3. Einbezogene Quellen

4. Ergebnisse
4.1. Ergebnisse zu Hypothese 1: Ausmaß und Richtung eines Zusammenhangs zwischen Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells und politischer Partizipation hängen von der Art der Partizipation ab.
4.2. Ergebnisse zu Hypothese 2: Der Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften aus dem Fünf-Faktoren-Modell und politischer Partizipation wird von mehreren Faktoren mediiert.
4.3. Ergebnisse zu Hypothese 3: Politische Partizipation unterliegt genetischen Einflussfaktoren. Politische Partizipation und Persönlichkeitseigenschaften weisen gemeinsame genetische Faktoren auf.
4.4. Ergebnisse zu Hypothese 4: Persönlichkeitseigenschaften wirken als Mediatoren zwischen Genen und verschiedenen Partizipationsformen

5. Diskussion
5.1. Ergebnisse des Reviews und Schlussfolgerungen
5.2. Einschränkungen und Schwächen der im Review einbezogenen Studien
5.3. Kritik am eigenen Vorgehen

6. Literaturverzeichnis

7. Pressemitteilung

Tabellenverzeichnis

Zusammenfassung

Nicht alle Bürger beteiligen sich gleichermaßen an politischen Partizipationsprozessen. Einige wahlberechtigte Bürger gehen regelmäßig wählen, andere grundsätzlich nicht. Einige Bürger demonstrieren oder unterzeichnen Petitionen, andere wiederum kontaktieren Abgeordnete oder Senatoren, nehmen an Politikgesprächen teil oder interessieren sich erst gar nicht für politische Themen. In der Psychologie wird nach Gründen und Ursachen für die inkonsistente und unterschiedliche Teilhabe am politischen Geschehen gesucht. Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit eines Individuums und der politischen Partizipation wurden hergestellt. Diese Arbeit untersucht als Review empirischer Forschungsliteratur den Zusammenhang zwischen politischer Partizipation und den fünf Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells, Offenheit für Erfahrung, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Es wird dargestellt, dass die fünf Persönlichkeitseigenschaften direkte und über Mediatoren vermittelte Einflüsse auf politische Partizipation ausüben. Es werden Korrelationen in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Richtung festgehalten. Es werden verschiedene Mediatoren herausgestellt, die Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und politischer Partizipation. Es wird konstatiert, dass die Varianz in politischer Partizipation auch genetischen Faktoren geschuldet ist. Des Weiteren wird dargestellt, dass Persönlichkeitseigenschaften selbst als Mediatoren zwischen Genen und politischer Partizipation fungieren.

1. Einleitung

Es existiert eine Reihe von politischen Partizipationsmöglichkeiten, die Bürgern ermöglicht, an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Allerdings beteiligen sich nicht alle Bürger gleichermaßen. Einige wahlberechtigte Bürger gehen wählen, andere nicht. Einige Bürger demonstrieren, oder sie unterzeichnen Petitionen, andere wiederum kontaktieren Abgeordnete, nehmen an politischen Diskussionen teil oder unterstützen aktiv eine Partei. Einige Bürger interessieren sich erst gar nicht für politische Themen und nehmen an keinen Partizipationsformen teil. Auch das Ausmaß an politischem Interesse variiert zwischen den Individuen. Wie sehr sich Menschen für Politik interessieren, inwieweit Politik ein Teil ihres Lebens ist, ob und wie sehr sie sich engagieren und an politischen Partizipationsformen teilnehmen, hängt auch von ihrer Persönlichkeit ab. Dieser Erklärungsansatz wurde vor allem in den letzten Jahren in den Politikwissenschaften und der Politischen Psychologie herangezogen. Zuvor wurden häufig externe Ressourcen als Erklärung genannt. 27% der deutschen Bevölkerung sind der Meinung, dass ihre eigene politische Partizipation nichts bringen würde (Statista, 2016), 60% widersprechen der Aussage. Dennoch nahmen 2013 71,5% der Bevölkerung an der Bundestagswahl teil (Statista, 2016), 11,5% mehr als glauben, dass die politische Teilhabe etwas bringen würde. Welche Faktoren können Ursachen für politische Teilhabe erklären, welche Rolle spielt die Persönlichkeit?

Die Partizipationsforschung sieht sich mit einem sehr weit angelegten und schwer eingrenzbaren Untersuchungsgegenstand konfrontiert. Verba, Schlozman und Brady (1995) argumentieren, dass Ressourcen wie Geld, Zeit, bürgerliche Kompetenzen („civic skills“) und kognitive Fähigkeiten nötig sind für politische Partizipation. Ebenfalls wurden der sozioökonomische Status, Einstellungen, Interesse für Politik sowie Normen und Werte als Einflussfaktoren genannt (Steinbrecher, 2009). Milbrath (1965) und Verba et al. (1995) postulieren Einkommen und Bildung als wichtigste Voraussetzungen für politische Partizipation. Dahingegen spielten Persönlichkeitseigenschaften erst in den letzten Jahren eine immer größere Rolle in der Partizipationsforschung. Vor allem im englischsprachigen Raum gibt es zunehmend Studien, die den Effekt von Persönlichkeitseigenschaften auf politische Partizipation untersuchen. Im deutschen Sprachraum ist die Analyse dieser Eigenschaften auf politische Partizipation begrenzter.

Forscher fanden heraus, dass Persönlichkeitseigenschaften einen signifikanten Einfluss auf politische Ideologien (Gerber, Huber, Doherty, Dowling, & Ha, 2010), die Wahlbeteiligung (Steinbrecher & Schoen, 2012) und nicht-elektorale politische Partizipationsformen (Mondak, Canache, Seligson, & Hibbing, 2011) ausüben.

Nicht nur unterschiedlich starke Partizipationsbereitschaft, sondern auch politische Präferenzen, Ideologien und Wertvorstellungen können mit Persönlichkeitseigenschaften erklärt werden. Auch gibt es weitere Ursachen für politische Partizipation, auf die in diesem Review zugunsten der Themeneingrenzung nicht näher eingegangen wird. Diese wären zum Beispiel Einkommen, Bildung, familiäre Merkmale wie das Erziehungsverhalten, das intrafamiliäres Autoritätsgefüge, die Beziehungsnähe zu den Eltern oder auch die Motivation eines Individuums.

Die vorliegende Arbeit hat ihren Schwerpunkt in der Ursachenforschung politischer Partizipation. In dieser Arbeit soll eruiert werden, welche Zusammenhänge es zwischen Persönlichkeitseigenschaften und politischer Partizipation gibt. Es werden in dieser Arbeit keine Konzepte der politischen Teilhabe erarbeitet. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der weiter unten formulierten Hypothesen. Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet eine Darstellung der theoretischen und begrifflichen Grundlagen, auf denen die für dieses Review genutzten Studien und Erkenntnisgewinne beruhen. Der Begriff der Persönlichkeit, Persönlichkeitseigenschaften sowie das Fünf-Faktoren-Modell und seine fünf Dimensionen werden in Kapitel 2 kurz vorgestellt. Anschließend folgt ein Überblick über politische Partizipation und die für die vorliegende Arbeit relevanten Formen der Partizipation. Der aktuelle Forschungsstand zum Zusammenhang politischer Partizipation und Persönlichkeitseigenschaften wird im Anschluss dargestellt und dient der theoretischen Einführung und dem besseren Verständnis des Einflusses der Persönlichkeitseigenschaften auf politische Partizipationsformen. Abschließend wird der aktuelle Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells und politischer Partizipation erläutert. Aus den dargestellten theoretischen Hintergründen und den aktuellen Forschungsergebnissen werden vier Hypothesen abgeleitet. Es folgen in Kapitel 3 eine Beschreibung des methodischen Vorgehens bei der Literaturrecherche zum Erstellen der vorliegenden Arbeit und ein Überblick für Kriterien, die für die Literaturauswahl getroffen wurden. Eine tabellarische Übersicht über die verwendeten Quellen schließt das Kapitel ab. Es folgt eine anschließende Vorstellung der Ergebnisse mit Blick auf die vorher formulierten Hypothesen im Kapitel 4. Im fünften und letzten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und es werden begründete Schlussfolgerungen gezogen. Anschließend folgen eine Darstellung möglicher Einschränkungen der Ergebnisse und eine kurze Kritik. Dem Literaturverzeichnis folgt die obligatorische Pressemitteilung, mit der diese Arbeit abschließt.

2. Theoretische und begriffliche Eingrenzung des Forschungsgebietes

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich in ihren Ausführungen auf den Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells und politischer Partizipation. Für ein besseres Verständnis der in dieser Arbeit verwendeten Begriffe und Konstrukte sowie ihre theoretische Fundierung dient das Kapitel 2 dieser Arbeit. Dieses Kapitel widmet sich der Darstellung theoretischen Grundlagenwissens für ein besseres Verständnis der in dieser Arbeit diskutierten Forschungsfragen.

2.1. Das Konstrukt der Persönlichkeit

Nach Asendorpf (2004) umfasst die Persönlichkeit eines Menschen die „Gesamtheit aller überdauernden Besonderheiten im Erleben und Verhalten“ (Asendorpf, 2004). Der Begriff überdauernd bezieht sich in der Definition von Asendorpf auf einen Zeitraum über einige Monate oder auch Wochen, wodurch eine zumindest kurzfristige Stabilität dieser Besonderheiten garantiert ist. Der Begriff Besonderheit signalisiert, dass es sich um Merkmale handelt, die innerhalb einer Peergroup, also eine Bezugsgruppe eines Menschen, variieren. Zum Begriff und zum Verständnis der Persönlichkeit innerhalb der Psychologie existiert eine Fülle von Definitionen und Theorien. Im Duden wird Persönlichkeit beschrieben als „Gesamtheit der persönlichen Eigenschaften eines Menschen“. Freud sprach in seinem Persönlichkeitskonzept noch von Charakter statt von Persönlichkeit und meinte damit die individualtypische Ausformung unbewusst ablaufender Triebdynamik. Nach Zimbardo und Gerrig (2008) stellen einzigartige psychologische Eigenschaften eines Menschen Persönlichkeit dar (Zimbardo & Gerrig). Diese Eigenschaften beeinflussen eine Vielzahl von Verhaltensmustern über unterschiedliche Situationen und über die Zeit hinweg.

Es gibt Übereinkunft darüber, dass Persönlichkeit durch den Austausch mit der Umwelt erzeugt wird. Die Existenz an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Epoche verbindet den Menschen mit einem spezifischen sozialen, politischen, kulturellen Milieu, das auf ihn und auf das er einwirken kann. Eine exakte Definition des Begriffs Persönlichkeit ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Einigkeit herrscht auch über die Überzeugung, dass der Mensch einzigartig ist und als Ganzes betrachtet werden soll. Die Persönlichkeit kann sich mittel- und langfristig verändern und entwickeln, sie ist also keineswegs statisch, sondern dynamisch. Psychologen beschreiben die Persönlichkeit eines Menschen anhand eines Persönlichkeitsprofils, welches Ausprägungen von Persönlichkeitseigenschaften dieser Person darstellt.

2.2. Persönlichkeitseigenschaften

Persönlichkeitseigenschaften sind relativ zeitstabile Attribute eines Menschen, welche das Verhalten dieses Menschen über verschiedene Situationen hinweg vorhersagen kann. Vom Begriff der Persönlichkeitseigenschaft abzugrenzen sind die Begriffe des Zustandes und der Verhaltensgewohnheit einer Person. Ersteres beschreibt das Befinden eines Menschen, das sich in Abhängigkeit von Zeit und Situation deutlich verändern kann. Letzteres meint eine erlernte Reaktion auf einen Reiz. Persönlichkeitseigenschaften sind individuelle Eigenschaften oder Merkmale, durch welche Personen voneinander unterschieden werden können (Hossiep, 2016). Sie sind zum Teil genetisch veranlagt, zum Teil auch in frühen Lebensjahren erworben und bleiben über die Dauer des Lebens relativ konstant (Costa & McCrae, 1992). Sie sind Einstellungen und Verhalten vorgelagert und können Verhalten vorhersagen (Angleitner & Riemann, 2005). Dies impliziert auch, dass Persönlichkeitseigenschaften politischen Einstellungen zeitlich und kausal vorgelagert sind. Persönlichkeitseigenschaften sind situationsspezifisch und können auch politisches Verhalten beeinflussen, wie es in diesem Review zu lesen sein wird. Da sie nicht direkt beobachtbar sind, müssen sie zur Messung operationalisiert werden.

Die Begriffe Persönlichkeitseigenschaften, Dispositionen, Persönlichkeitsdimensionen, Konstrukte oder Merkmale werden in der Literatur oft synonym verwendet. In der vorliegenden Arbeit wird von Dimensionen oder Persönlichkeitseigenschaften gesprochen. Innerhalb des Eigenschaftsparadigmas haben sich fünf zentrale Eigenschaften durchgesetzt, die die wesentlichen Unterschiede zwischen Menschen erfassen sollen. Neben den Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells gibt es zahlreiche weitere Eigenschaften, die der Persönlichkeit zugeordnet werden. Die fünf Dimensionen sind keinesfalls ausschöpfend für die Persönlichkeit heranzuziehen.

2.3. Das Fünf-Faktoren-Modell

Im Mittelpunkt des Fünf-Faktoren-Modells steht die Annahme, dass Persönlichkeit durch fünf zentrale Eigenschaften zu erfassen sei. Es handelt sich um ein deskriptives Persönlichkeitssystem zur Darstellung verschiedener Persönlichkeitseigenschaften. Ausgehend vom lexikalischen Ansatz, also der Analyse von Eigenschaftswörtern aus dem Lexikon zur Beschreibung der Persönlichkeit, begann die Entwicklung des Fünf-Faktoren-Modells bereits in den 1930er Jahren durch Gordon Allport und Louis Leon Thurstone. Durch anschließende Faktorenanalyse ließen sich fünf sehr stabile, voneinander unabhängige und weitgehend kulturunabhängige Faktoren identifizieren, die interindividuelle Persönlichkeitsunterschiede ableiten. Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit unterscheidet folgende fünf Dimensionen der Persönlichkeit, die von Goldberg im Jahre 1981 als Big Five benannt wurden: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit, die untereinander nicht korrelieren (Asendorpf, 2011), wobei jeder dieser Faktoren in sechs Facetten oder Subfaktoren unterteilt werden kann (Ostendorf & Angleitner, 2004). Ausgehend von den englischen Bezeichnungen dieser Faktoren oder Dimensionen ergibt sich das Akronym OCEAN – Openness to experience, Conscientiousness, Extraversion, Agreeableness, Neuroticism. Mittlerweile existiert eine erhebliche Anzahl an Persönlichkeitsinventaren, die auf dem Fünf-Faktoren-Modell beruhen. Die Faktoren können unter anderem mit 240 Items in der deutschen Fassung des NEO-PI-R, einem deutschsprachigen Persönlichkeitsfragebogen von Ostendorf und Angleitner nach Costa und McCrea zur detaillierten Beschreibung der Persönlichkeitsdimensionen, erfasst werden (Ostendorf & Angleitner, 2004). Die Persönlichkeitsdimensionen werden mittels Selbst- und Fremdbeurteilung ermittelt. Sie sind die Hauptdimensionen dieses Fragebogens und die Hauptbestandteile des Fünf-Faktoren-Modells.

Neurotizismus und Extraversion hatte schon Eysenck (Eysenck, 1970) in seiner Faktorentheorie beschrieben, die auf Persönlichkeitsdimensionen beruht. Bisherige Forschungsarbeiten belegen, dass für die Dimensionen Neurotizismus und Extraversion nach Eysenck hohe Korrespondenzen zu den gleichnamigen Dimensionen des Fünf-Faktoren-Modells bestehen (Angleitner & Riemann, 2005).

Angleitner, Borkenau, Riemann und Spinath (2001) postulieren, dass Persönlichkeitseigenschaften vererbbar sind. Die Heritabilität, also der Anteil der genetisch bedingten Varianz an der Gesamtvarianz von Eigenschaften oder Merkmalen, liegt im Durchschnitt der Faktoren des Fünf-Faktoren-Modells bei etwa 0.48. Eine hohe Heritabilität bedeutet, dass die interindividuelle Varianz zwischen den Eigenschaften vor allem genetisch zu erklären ist und liegt bei Werten ab .45 vor.

2.4. Die Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells

Als derzeit einflussreichstes Modell zur Erfassung der Persönlichkeit wird dieses Modell in der vorliegenden Arbeit herangezogen. Im Folgenden werden die fünf Dimensionen kurz erläutert und ihre jeweils sechs Facetten genannt:

2.4.1. Neurotizismus

Die Dimension Neurotizismus (Neuroticism) bezeichnet den Grad emotionaler Labilität. Der Begriff Neurotizismus geht auf Eysenck (Eysenck, 1947) zurück, der synonym in seinen Beschreibungen auch die Begriffe Emotionalität und Instabilität benutzt. Menschen mit hohen Ausprägungen in Neurotizismus erleben häufiger Ängste und Anspannungen und werden als empfindlich, bedrückt, gehemmt oder sensibel beschrieben. Allgemeine Ängstlichkeit korreliert mit dem Gesamtwert von Neurotizismus sehr hoch (Asendorpf, 2011). Die im NEO-PI-R gemessenen Facetten von Neurotizismus sind Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression, Soziale Befangenheit, Impulsivität und Verletzlichkeit (Ostendorf & Angleitner, 2004). Die Heritabilität von Neurotizismus liegt bei 0.48 (Bouchard, 2004). In der vorliegenden Arbeit wird bedingt durch die untersuchten Dimensionen in der Literatur ebenfalls von der Dimension Emotionale Stabilität gesprochen, die den Gegenpol zu Neurotizismus darstellt. Hohe Ausprägungen in der Dimension Emotionale Stabilität bedeuten geringe Ausprägungen in Neurotizismus und vice versa. In der Übersicht der fünf Dimensionen (vgl. 2.4.) wird die Dimension Neurotizismus beschrieben, da diese

2.4.2. Offenheit für Erfahrung

Die Dimension Offenheit für Erfahrung (Openness to experience), kurz einfach als Offenheit bezeichnet, bezeichnet die Bereitschaft für und das Interesse an Neuem, Abwechslungsreichem und Unbekanntem. Offenheit für Erfahrungen ist normalverteilt, das bedeutet, dass mittlere Ausprägungen am häufigsten vorkommen und Extremwerte eher selten auftreten. Menschen mit hohen Ausprägungen in Offenheit für Erfahrungen beschreiben sich eher als intellektuell, kreativ und phantasievoll. Die im NEO-PI-R gemessenen Facetten von Offenheit für Erfahrung sind Offenheit für Phantasie, Offenheit für Ästhetik, Offenheit für Gefühle, Offenheit für Handlungen, Offenheit für Ideen und Offenheit im Werte- und Normensystem (Ostendorf & Angleitner, 2004). Die Heritabilität von Offenheit für Erfahrungen liegt bei .57 (Bouchard, 2004). Hohe Ausprägungen in der Dimension Offenheit für Erfahrung geht mit Kreativität, Neugier, Nichtkonformgehen, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und riskantem Verhalten gegenüber der eigenen Gesundheit einher (Mondak & Halperin, 2008).

2.4.3. Verträglichkeit

Die Dimension Verträglichkeit (Agreeableness) bezeichnet einen Faktor zur Beschreibung interpersonellen Verhaltens in sozialen Beziehungen. Personen mit hohen Werten in Verträglichkeit zeichnen sich unter anderem durch Hilfsbereitschaft aus. Die Facetten von Verträglichkeit im NEO-PI-R sind Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit, Gutherzigkeit (Ostendorf & Angleitner, 2004). Die Heritabilität von Verträglichkeit liegt bei .42 (Bouchard, 2004).

2.4.4. Gewissenhaftigkeit

Die Dimension Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness) beschreibt den Grad an Zielstrebigkeit und Selbstkontrolle. Menschen mit hoher Ausprägung in Gewissenhaftigkeit beschreiben sich selbst als ordentlich, organisiert, verantwortungsbewusst und zuverlässig. Die Facetten dieser Dimensionen sind Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin und Besonnenheit (Ostendorf & Angleitner, 2004). Die Heritabilität von Gewissenhaftigkeit liegt bei .49 (Bouchard, 2004).

2.4.5. Extraversion

Die Dimension Extraversion (Extraversion) erfasst die Häufigkeit zwischenmenschlicher Interaktionen und wird auch oft mit Begeisterungsfähigkeit beschrieben. Personen mit hohen Werten in Extraversion beschreiben sich als gesellig, gesprächig und energisch. Da Extraversion leicht beobachtbar ist, stimmen Selbst- und Fremdurteil in dieser Dimension stimmen gut überein (Asendorpf, 2011). Der Begriff Extraversion geht auf Carl Gustav Jung (1921) zurück, dessen Definition sich stark von der im Fünf-Faktoren-Modell unterscheidet. Die Facetten von Extraversion sind Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn. Die Heritabilität von Extraversion liegt bei .54 (Bouchard, 2004).

2.5. Politische Partizipation

Politische Partizipation kann allgemein beschrieben werden als Teilhabe an politischen Prozessen. Eine einheitliche Definition des Begriffs liegt derzeit nicht vor. Max Kaase (1995) versteht politische Partizipation als Tätigkeiten, „die Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des Politischen Systems zu beeinflussen“. Geißel und Penrose (2003) haben unter politischer Partizipation „ein breites Spektrum von Aktivitäten verstanden, beginnend mit dem Lesen von Zeitungen, der Ausübung des passiven Wahlrechts, Häuserbesetzungen bis zur Annahme eines politischen Mandats“. Verba und Nie (1972) beschreiben politische Partizipation als “those activities by private citizens that are more or less directly aimed at influencing the selection of governmental personnel and/or the actions they take“. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive definiert van Deth (2009) politische Partizipation als „alle Aktivitäten von Bürgern mit dem Ziel politische Entscheidungen zu beeinflussen“ (van Deth 2009, S. 141). Vielen Beschreibungen gemein sind die Merkmale der Freiwilligkeit, der Aktivität von Bürgern und des Einflusses auf die politische Ebene.

2.5.1. Formen politischer Partizipation

Politische Partizipation stellt eine zentrale Bedingung für demokratische Entscheidungsprozesse dar. Sie wird in konventionelle und unkonventionelle Partizipationsformen unterteilt. Unter konventionellen Partizipationsformen versteht man traditionelle Formen, die allgemein akzeptiert sind, wie beispielsweise die Wahlbeteiligung, die Mitarbeit in einer Partei oder einer Parteikampagne. Unkonventionelle Partizipationsformen dagegen zeichnen sich durch Protest und Ablehnung aus (van Deth, 2009) und umfassen Formen wie die Teilnahme an einer Demonstration oder die Mitarbeit in Bürgerinitiativen.

Wurde zu Beginn der Partizipationsforschung noch das Wahlverhalten in den Fokus gerückt, so wurde das Spektrum der Formen politischer Partizipation entsprechend des Verhaltens der Bürgerinnen und Bürger stetig erweitert und seit den 1990er Jahren noch ergänzt um soziale Partizipation und ehrenamtliches bzw. bürgerschaftliches Engagement. Auch wird seit etwa einem Jahrzehnt der bewusste Kauf von Waren beziehungsweise dessen Boykott zu politischer Partizipation gezählt (Stolle, Hooghe, & Micheletti, 2005).

Niedermeyer (2005) unterteilt 6 Formen politischer Partizipation: a) Teilnahme an Wahlen, b) parteibezogene Aktivität, c) Gemeindeaktivität, Wahlkampfaktivität sowie Politiker bezogene Aktivität, d) legaler Protest, e) ziviler Protest und f) politische Gewalt. Die Teilnahme an Wahlen wird auch in der Wahlforschung untersucht. Es geht dabei um die Untersuchung von Bestimmungsgründen individueller Teilnahme an einer Wahl. Parteibezogene Aktivität meint die Mitgliedschaft und Mitarbeit in einer Partei. Unter Gemeindeaktivität ist eine zeitlich begrenzte Beteiligung bei der Lösung eines lokalen Problems gemeint und Politiker bezogene Aktivitäten stellen zum Beispiel die Unterstützung eines einzelnen Politikers dar. Legaler Protest meint im Vergleich zum zivilen Protest die Teilnahme an genehmigten Demonstrationen. Ziviler Protest wird auch als ziviler Ungehorsam bezeichnet und wird von der Mehrheit der Bevölkerung als nicht legitim verstanden. Die letztgenannte Form politischer Partizipation richtet sich gewaltsam gegen Gegenstände und Personen und wird ebenfalls von der Mehrheit der Bevölkerung als nicht legitim erachtet.

2.6. Aktueller Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften aus dem Fünf-Faktoren-Modell und politischer Partizipation

Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, ein systematisches Review der neueren empirischen Forschungsliteratur zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells und politischer Partizipation zu geben. Dazu folgt in diesem Kapitel ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand des Themas.

Die Wirkung von Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells wird erst seit einigen Jahren in Bezug auf politische Partizipation untersucht und hat einen neuen Blickwinkel auf dieses Thema gerichtet. Auf der Basis vorangehender Untersuchungen lassen sich direkte und vermittelte Effekte der Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells auf politische Partizipation festhalten. Johann, Steinbrecher und Thomas (2015) gehen, wie einige andere Autoren auch, davon aus, dass es nur wenige unvermittelte Effekte von Persönlichkeitseigenschaften auf politische Partizipation gibt. Ein unvermittelter Effekt liegt dann vor, wenn eine unabhängige Variable einen direkten Effekt auf eine abhängige Variable aufweisen kann. Im Gegensatz dazu wird bei indirekten Effekten der Zusammenhang zwischen zwei Variablen durch mindestens eine weitere Variable mediiert.

Hat eine Persönlichkeitsvariable einen Effekt auf eine Form der politischen Partizipation, bedeutet dies keineswegs, dass das Ausmaß dieser Eigenschaft bei einem Individuum zwingend einen Effekt auf die Partizipation hat. Es sagt lediglich aus, dass sie wahrscheinlich mit Effekten auf die Partizipation einhergeht. Hat also Emotionale Stabilität einen signifikanten positiven Effekt auf die Wahlbeteiligung, so bedeutet dies nicht, dass alle emotional stabilen Individuen zu jeder sich bietenden Möglichkeit wählen gehen. Es bedeutet vielmehr, dass emotional stabile Individuen eher geneigt sind, wählen zu gehen als weniger stabile, also eher neurotische Individuen.

Wie in der Einleitung bereits dargestellt, sind Persönlichkeitseigenschaften Einstellungen und Verhalten vorgelagert (Angleitner & Riemann, 2005), woraus geschlossen werden kann, dass sie ebenfalls politischen Einstellungen und politischem Verhalten zeitlich und kausal vorgelagert sind.

Es wurden indirekte und direkte Effekte der fünf Dimensionen festgestellt, wobei verschiedene Variablen als Mediatoren fungieren können. Wurden in vergangenen Studien häufig konsistente Effekte einer Dimension auf politische Beteiligung festgestellt, so gab es doch stets ebenfalls unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Wahlbeteiligung und nicht-elektoraler Formen politischer Partizipation.

2.7. Forschungsfragen

Während in früheren Studien eher soziodemographische Faktoren im Zusammenhang mit politischer Partizipation untersucht wurden, rücken seither die Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells in den Fokus. Zudem wurden Mediatoren postuliert und Zwillingsstudien sind in den Fokus des Interesses gerückt. Saucier und Goldberg halten fest, dass nicht jede der fünf Dimensionen gleichermaßen relevant für ein Verhalten ist, sondern dass einigen Eigenschaften in spezifischen Situationen besondere Wichtigkeit zukommt (zitiert nach Mondak & Halperin, 2008). Für die vorliegende Arbeit ist es daher interessant zu untersuchen, inwieweit sich die neuen Ansichten bestätigen lassen.

Eine interessante Frage ist nun die danach, ob sich der Einfluss der Persönlichkeitsdimensionen zwischen den verschiedenen Formen der Partizipation unterscheidet, womit folgende Fragestellung beantwortet werden soll:

Hypothese 1: Ausmaß und Richtung eines Zusammenhangs zwischen Persönlichkeitseigenschaften des Fünf-Faktoren-Modells und politischer Partizipation hängen von der Art der Partizipation ab.

Oben wurde bereits beschrieben, dass es direkte und vermittelte Einflüsse von Persönlichkeitseigenschaften auf politische Partizipationsformen gibt, die in unterschiedlichen Studien festgestellt wurden. Vermittelte Effekte liegen vor, wenn der Einfluss einer Variablen durch eine Drittvariable gekennzeichnet ist. Ein Mediatoreffekt liegt dann vor, wenn die kausale Beziehung zweier Variablen X und Y durch einen Mediator M interveniert beziehungsweise unterbrochen wird. Die Mediatorvariable M ist dabei sowohl abhängige Variable im Verhältnis zu X als auch unabhängige Variable im Verhältnis zu Y. Ob eine Moderation vorliegt wird in mehreren Regressionsmodellen berechnet. Ein partieller Mediationseffekt liegt vor, wenn M von X und Y von M beeinflusst wird und ein totaler Mediationseffekt liegt dann vor, wenn Y ausschließlich über M durch X beeinflusst wird und kein direkter Effekt von X auf Y besteht. Einige Studien haben Mediationseffekte zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Partizipationsformen untersucht. Daraus ergibt sich die Fragestellung danach, ob Mediationseffekte bestätigt werden können.

Hypothese 2: Der Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften aus dem Fünf-Faktoren-Modell und politischer Partizipation wird von mehreren Faktoren mediiert.

Unter 2.3. wurde auf die Heritabilität von Persönlichkeitseigenschaften hingewiesen. Persönlichkeitseigenschaften stehen im Zusammenhang mit politischem Verhalten und politischer Partizipation. Aus der Persönlichkeitspsychologie ist bekannt, dass bestimmte Verhaltensweisen vererbt werden, also eine genetische Grundlage aufweisen. Aus diesem Grund liegt der Schluss nahe, dass auch politisches Verhalten erblich ist. Es gilt nun die Frage zu beantworten, ob politische Partizipation genetischen Einflussfaktoren unterliegt und zudem, ob politische Partizipation und Persönlichkeitseigenschaften gemeinsame genetische Faktoren aufweisen. Es ergibt sich folgende Hypothese daraus:

Hypothese 3: Politische Partizipation unterliegt genetischen Einflussfaktoren. Politische Partizipation und Persönlichkeitseigenschaften weisen gemeinsame genetische Faktoren auf.

Da Persönlichkeitseigenschaften vererbt werden und Verhalten und Einstellungen vorgelagert sind, liegt die Vermutung nahe, dass Persönlichkeitseigenschaften ebenfalls eine mediierende Rolle zwischen Genen und Verhalten, in dem Fall der vorliegenden Arbeit politischem Verhalten und politischen Partizipationsformen, einnehmen. Fowler, Baker und Dawes (2008) hatten in einer Zwillingsstudie einen Zusammenhang zwischen Genen und politischer Partizipation hergestellt. Sie fanden heraus, dass 53% der Varianz in allgemeiner politischer Partizipation auf Gene zurückzuführen seien. Diese Ergebnisse sind bedeutend für die vorliegende Arbeit. Bislang wurden biologische Faktoren weitgehend außer Acht gelassen. Daraus ergibt sich eine weitere interessante Forschungsfrage:

Hypothese 4: Persönlichkeitseigenschaften wirken als Mediatoren zwischen Genen und verschiedenen Formen der politischen Partizipation.

Die beschriebenen Hypothesen repräsentieren Tendenzen des aktuellen Forschungsstands. Zu untersuchen ist, ob aufgrund aktueller Forschungsarbeiten Korrekturen oder auch Präzisierungen daran vorzunehmen sind.

[...]

Ende der Leseprobe aus 54 Seiten

Details

Titel
Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischer Partizipation
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
54
Katalognummer
V439113
ISBN (eBook)
9783668789890
ISBN (Buch)
9783668789906
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zusammenhang, persönlichkeit, partizipation
Arbeit zitieren
Jane Jung (Autor:in), 2016, Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischer Partizipation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/439113

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