Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Theologische Entfaltung des Gleichnisses
3. Bibeldidaktische Perspektive nach Ingo Baldermann
4. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist eines der bekanntesten Gleichnisse, das Jesus erzählt hat. Es wird häufig in Predigten und Bibelarbeiten verwendet, fand aber auch in der Kunst (so zum Beispiel in Rembrandts „Rückkehr des verlorenen Sohnes“) und Musik (wie im Lied „Prodigal Son“ der Rolling Stones) immer wieder Anklang. Ziel dieses Essays ist, das Gleichnis aus Lk 15 in bibeldidaktischer Perspektive nach Ingo Baldermann zu beleuchten und somit Ansätze für eine mögliche Vermittlung innerhalb religiöser Lern- und Bildungsprozesse zu geben.
Dazu soll im ersten Teil des Essays eine ausführliche theologische Entfaltung von Lk 15,11-32 vorangestellt werden. Diese orientiert sich am Handlungsverlauf des Gleichnisses und untersucht es durch Heranziehen von Sekundärliteratur genauer, um ein tieferes Verständnis davon zu erlangen.
Im zweiten Teil des Essays soll das Gleichnis dann in Verbindung mit Ingo Baldermanns biblischer Didaktik gebracht werden. Dazu werden zunächst kurz die Kernaussagen der Didaktik zusammengefasst, worauf ein möglicher Ansatz zur Vermittlung des Gleichnisses folgt. Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass das Gleichnis nicht nur eine, sondern wegen des dreigliedrigen Aufbaus mit drei handelnden Personen auch drei verschiedene Kernaussagen besitzt.
2. Theologische Entfaltung des Gleichnisses
Das Gleichnis aus Lk 15,11-32 ist Teil der Gleichnisse vom Verlorenen,[1] welche sich alle in Lukas 15 finden und im Makrokontext des Weges nach Jerusalem stehen. Ihm ist das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,3-7) sowie das Gleichnis von der verlorenen Drachme (Lk 15,8-10) vorangestellt. Zusammen bilden diese eine Einheit und zeichnen sich durch „einen gemeinsamen Adressatenkreis“[2], ein „charakteristisches Vokabular“[3] und eine „ähnliche Struktur“[4] aus.
Das Gleichnis handelt von einem Mann und dessen zwei Söhnen. Der Mann wird nicht genauer beschrieben, sondern lediglich als a;nqrwpo,j[5] bezeichnet. Der Leser erfährt jedoch im Laufe des Gleichnisses, dass der Mann „viele Tagelöhner“[6] anstellt und auch von einem „Knecht“ ist die Rede. Es handelt sich wohl um den Besitzer eines landwirtschaftlichen Hofes, den der Mann auch „noch selbst leitet“.[7]
Der jüngere Sohn des Mannes – so beginnt der erste Teil der Geschichte – geht eines Tages zu seinem Vater und bittet diesen um den Anteil am Besitz, der ihm zusteht. Inwiefern diese Handlung des Sohnes berechtigt und moralisch vertretbar ist, ist umstritten. Dass die Frage der Rechtmäßigkeit dem Autor nicht wichtig war, macht Luise Schottroff klar. Ihrer Meinung nach spielen lediglich die „moralischen Verpflichtungen“[8] der im Gleichnis betroffenen Personen eine Rolle. Diesbezüglich zeigt der jüngere Sohn wohl ein Fehlverhalten. So spricht zum Beispiel Blomberg davon, dass „ein solches Verhalten zumindest einen erbärmlichen Eindruck gemacht hätte.“[9]
Nachdem der Sohn nun in ein fernes Land gegangen ist, lebt er – so wird berichtet – verschwenderisch.[10] Das verwendete avqw,twj lässt dabei zum ersten Mal im Text eine Wertung im Verhalten des Sohnes erkennen, da der Begriff äußerst negativ behaftet ist und auch mit „heillos“ übersetzt wird.[11] Dies ist ein interessanter Aspekt, den man im Laufe des Gleichnisses immer vor Augen haben sollte: Dort, wo der Sohn nun ist – außerhalb der Einheit mit dem Vater – ist kein Heil.
Dies wird auch deutlich durch die Hungersnot, die über das Land hereinbricht, nachdem der junge Mann sein gesamtes Vermögen aufgebraucht hat. Da er ja kein Geld mehr besitzt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich Arbeit zu suchen, weshalb er sich einem Bürger des Landes anschließt.[12] Von Bedeutung hierbei ist das Wort evkollh,qh. Es hat die wörtliche Bedeutung von „an etwas haften“[13] oder „sich jemandem eng anschließen“[14] und wird normalerweise verwendet, um die eheliche Beziehung zwischen Mann und Frau (auch sexuell), oder die Hingabe von Menschen zu Gott zu beschreiben.[15] Es wird hier also viel mehr dargestellt als lediglich ein Arbeitsverhältnis. Der beschriebene Bürger ist selbst kein Jude, sondern Heide, was dadurch deutlich wird, dass er Schweine besitzt. Der Umgang mit Schweinen galt zur damaligen Zeit nämlich als „Sinnbild des nichtjüdischen Lebens“[16] und war den Juden verboten.[17] Somit lässt sich auch erklären, warum der Sohn nicht nur gegenüber seinem Vater, sondern auch gegenüber Gott schuldig wird. Er hängt sich voll und ganz der heidnischen Kultur an.
In seiner zugegeben miserablen Lage, in der er trotz seiner Arbeit hungern muss, kommt er nun zur Besinnung (eivj evauto.n de. evlqw,n) und denkt zurück an die heilvollen Tage bei seinem Vater. Er erkennt, dass selbst die einfachen Tagelöhner auf dem Hof seines Vaters es besser haben als er. Darum fasst er den Entschluss, zurück zum Vater zu gehen und diesen um Verzeihung zu bitten. Dabei ist er demütig und hat „die nüchterne Einsicht, daß [vic!] er sein Sohnesrecht verwirkt hat und nur um den Platz eines Tagelöhners bitten kann“.[18] Die Szene beschreibt einen Wendepunkt im Leben und Denken des Sohnes. Im Bewusstsein, dass er nicht mehr wert ist, von seinem Vater „Sohn“ genannt zu werden,[19] macht er sich also auf den Weg zu diesem.
Nun, im zweiten Teil der Geschichte, in dem der Vater im Mittelpunkt steht, geschieht etwas Bemerkenswertes: Der Vater – so wird in Vers 20 berichtet – sieht ihn „schon von weitem kommen“. Es kann also davon ausgegangen werden, dass der Vater nicht einfach sein Leben weitergelebt hat indem er sich weiterhin voller Aufmerksamkeit um seinen Hof gekümmert hat, sondern er hat nach seinem Sohn Ausschau gehalten in der Hoffnung, dass dieser zurück kommen würde. Als der Vater seinen Sohn sieht, läuft er auf ihn zu. Auch in dieser Handlung wird deutlich, dass der Vater nicht nach zu erwartenden Mustern handelt, denn „das Laufen des Vaters wird in der exegetischen Literatur als der Würde eines Orientalen nicht entsprechend beschrieben“.[20] Dem Vater scheint seine Würde in diesem Moment allerdings völlig egal zu sein. Er ist einfach nur froh, dass sein Sohn zurück gekommen ist. Daraufhin fällt er diesem um den Hals – er lässt ihm also gar nicht die Chance sich auf den Boden fallen zu lassen[21] – und küsst ihn.
Er lässt seinen Sohn gar nicht erst ausreden, als dieser sich bei ihm entschuldigt. Der Sohn kommt dadurch überhaupt nicht zu der Frage, ob er auf dem Hof als Tagelöhner arbeiten könne.[22] Stattdessen befiehlt der Vater sofort seinen Dienern, dass sie das beste Kleid, einen Ring und ein paar Schuhe holen sollen. Die Antwort des Vaters auf die Entschuldigung seines Sohnes steckt in der Symbolik der Gegenstände: Das „Kleid steht für die Wiederaufnahme in den Familienverbund, der Ring bezeichnet die Zuerkennung aller Rechte und der Befehlsgewalt, die Schuhe erheben ihn in den Stand eines freien Herrn“.[23] In Kurzform sagt der Vater damit: „Ich will, dass alles wieder so wird wie es einmal war. Die Fehler, die du begangen hast, sind mir egal. Ich bin einfach nur froh, dass du wieder hier bist.“
Die Freude, die der Vater empfindet, macht sich auch dadurch bemerkbar, dass er in Vers 23 sofort ein Fest inklusive Mastkalb auf die Beine stellen lässt und die Menschen auf dem Hof aufruft, sich mit ihm zu freuen. Er begründet seine Freude mit der Aussage „mein Sohn war tot, und nun lebt er wieder; er war verloren, und nun ist er wiedergefunden“ (Vers 24). Im fernen Land also – außerhalb der Einheit mit dem Vater – war der Sohn tot und verloren. Nun aber – wieder vereint mit dem Vater – ist der Sohn lebendig und gefunden.[24] Ein wahrer Grund zur Freude also und so beginnt das Fest.
Im dritten und letzten Teil des Gleichnisses tritt nun der ältere Sohn in den Mittelpunkt. Häufig wurde vermutet, dass die Verse 25-32 zu einem späteren Zeitpunkt redaktionell hinzugefügt wurden und ursprünglich nicht zum Gleichnis gehörten. Mary Tolbert hat diese Vermutung allerdings durch eine umfangreiche strukturelle Analyse des Gleichnisses widerlegt und stellt fest: „It is neither an interpolation nor an awkward addendum. It is a neccessary and important part of the total configuration of the parable.“[25]
Der ältere Sohn kommt gerade von der Arbeit auf dem Feld zurück, als er bemerkt, dass im Haus Musik gespielt und getanzt wird. Um zu erfahren, was dort vor sich geht, ruft er einen Knecht zu sich und fragt diesen, was das Fest zu bedeuten habe. Jener antwortet ihm, dass sein Bruder zurückgekommen sei und der Vater darum ein Mastkalb habe schlachten lassen und ein Fest veranstaltet habe. Die Antwort macht den Bruder wütend und er weigert sich, am Fest teilzunehmen. Kurz darauf jedoch kommt der Vater aus dem Haus und erkundigt sich nach seinem Sohn. Interessant hierbei ist die Analogie von Vers 28 zu Vers 20, in dem der Vater auf den jüngeren Sohn zuläuft. Er behandelt seine beiden Söhne gleich. Er will Einheit schaffen und dort, wo die Söhne von der Einheit entfernt sind, kommt er auf die Söhne zu und will ihnen helfen.
In den Versen 29 und 30 wird nun auch klar, was den älteren Sohn so verärgert: Er fühlt sich ungerecht behandelt, da er dem Vater stets gehorcht hat und ihm treu geblieben ist, aber scheinbar nie auch nur annähernd in der Weise dafür belohnt wurde, wie sein Bruder, der sein „Vermögen mit Huren durchgebracht hat“ (woher er diese Information hat, bleibt unklar), nun nach seiner Rückkehr. Er vergleicht seinen Dienst am Hof sogar mit der Arbeit eines Sklaven indem er das Wort douleu,w verwendet. Seinen Bruder will er auch nicht mehr avdelfo,j nennen, sondern verwendet für ihn nur noch die Worte o` ui`o,j sou.
Der Vater reagiert daraufhin sehr ruhig, verständig und liebevoll. Er versucht gar nicht erst, sich gegen die Anschuldigungen zu wehren, sondern macht allein durch seine Anrede schon klar, wo der Sohn dran ist: te,knon. Genau so, wie der verlorene und wiedergefundene, so ist auch der ältere Sohn ein Kind des Vaters und hat das volle Recht der Sohnschaft mit allem was dazu gehört.[26] Mit der Anrede und dem folgenden Satz erinnert der Vater seinen Sohn daran, dass er dessen Treue durchaus schätzt und dass all sein Besitz auch dem Sohn uneingeschränkt zusteht. Das Haus, der Hof, die Felder, das Mastkalb, die Böcklein – all das, was dem Vater gehört, gehört auch seinem Sohn.
Auch das Problem, das der ältere Sohn mit seinem Bruder hat, will der Vater lösen. Er bezeichnet den jüngeren Sohn darum ganz bewusst mit o` avdelfo,j sou ou-toj. Damit macht er klar: Das ist nicht nur mein Sohn, sondern auch dein Bruder![27] Und dass dieser Sohn und Bruder zurückgekehrt ist, ist Grund genug zu großer Freude.
Das Gleichnis endet hier abrupt. Der Leser erfährt nicht, ob der ältere Sohn noch ins Haus geht und sich dem Fest anschließt, oder ob er draußen stehen bleibt und sich weigert.
[...]
[1] Bezeichnungen und Gliederung nach: Pokorny, Petr/Heckel, Ulrich: Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, Tübingen 2007, S. 490f.
[2] Ostmeyer, Karl-Heinricht: Dabeisein ist alles. Der verlorene Sohn, in: Zimmermann, Ruben: Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, S. 619.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Griechische Zitate nach: Aland, Kurt u.a. (Hrsg.): Novum Testamentum Graece, Stuttgart 272006.
[6] Deutsche Zitate nach: Neues Testament, Neue Genfer Übersetzung, Romanuel-sur-Lausanne 12009.
[7] Grundmann, Walter: Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1969, S. 311.
[8] Schrottroff, Luise: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, in: ZthK 68, Tübingen 1971, S. 42.
[9] Blomberg, Craig: Die Gleichnisse Jesu. Ihre Interpretation in Theorie und Praxis, Wuppertal 1998, S. 149.
[10] zw/n avqw,twj.
[11] Aland, Kurt/Aland, Barbara (Hrsg.): Wörterbuch zum Neuen Testament, Berlin/NY 61988, Art. »avqw,twj«, Sp.239.
[12] tw/n politw/n)
[13] Aland, Wörterbuch, Art. »kolla,w«, Sp. 897.
[14] Ebd.
[15] Vgl. Ostmeyer, Dabeisein, 626.
[16] A.a.O., 623.
[17] Aus, Roger David: Weihnachtsgeschichte – Barmherziger Samariter – Verlorener Sohn. Studien zu ihrem jüdischen Hintergrund, Berlin 1988, S. 144.
[18] Grundmann, Lukas, 313.
[19] Ouvke,i eivmi. a;xioj klhqh/nai ui`o,j sou)
[20] Ostmeyer, Dabeisein, 626.
[21] Vgl. Grundmann, Lukas, 313.
[22] Vgl. Bovon, François: Das Evangelium nach Lukas III/3, Neukirchen-Vluyn 2001, S. 43.
[23] Ostmeyer, Dabeisein, 626.
[24] Vgl. a.a.O., 629.
[25] Tolbert, Mary: Perspectives on the Parables. An Approach to Multiple Interpretations, Philadelphia 1979, S. 101.
[26] Vgl. Grundmann, Lukas, 315.
[27] Vgl. Bock, Darrell L.: Luke 9:51 – 24:53, BECNT, Grand Rapids 1998, S. 1319.