Biopolitische Dimensionen von Tod und Sterben


Hausarbeit, 2017

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Transformation von Machtformen – Aufkommen von Biomacht
2.1. Michel Foucault – Recht über den Tod und Macht zum Leben
2.2. Giorgio Agamben – Bare Life Theory

3. Die neue Sichtbarkeit des Todes
3.1. Ambivalenz der Sichtbarkeit des Todes
3.2. Wandlung des Sterbens

4. Der Tod als politischer Regulationsmechanismus
4.1. Parallelen zu der Sexualitätsdebatte
4.2. Palliativversorgung Sterbender
4.3. Sterbehilfe
4.4. Todesstrafe

5. Resümee

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit setzt sich mit den biopolitischen Dimensionen von Tod und Sterben auseinander. Die Begrifflichkeiten von Biopolitik und Biomacht gehen dabei auf Michel Foucault zurück und bezeichnen Machttechniken, die sich auf die Regulierung der Bevölkerung hinsichtlich Fortpflanzung, Gesundheitszustand und Sterblichkeit konzentrieren.

Einleitend stelle ich Michel Foucaults Theorie einer Transformation von Machtstrukturen „Recht über den Tod und Macht zum Leben“ vor, welche als theoretische Grundlage zum Verständnis des Aufkommens von Biomacht fungiert. Diesem folgt eine kurze Darstellung Giorgio Agambens „Theorie des nackten Lebens“, in welcher Agamben Foucaults Begrifflichkeiten der Biomacht aufgreift und sie um den Begriff des „bloßen Lebens“ erweitert. Agambens Theorie eröffnet neben Foucault eine alternative Betrachtungsweise auf die Funktionsmechanismen von Biopolitik. Während Michel Foucault Biomacht als einen dauerhaft existenten Kontrollmechanismus etabliert, koppelt Agamben Biomacht an den politischen Ausnahmezustand.

Der Hauptteil skizziert die Veränderungen, die Tod und Sterbeprozesse seit dem Aufkommen einer Biomacht erfahren haben. Dies schließt eine immer extremer ausschlagende Ambivalenz der Sichtbarkeit des Todes in unserem Alltag ein. Tägliche Todesnachrichten und –zahlen einerseits – unbedingtes Verbergen von Sterbeverläufen im Alltag andererseits.

Betrachtet wird die Wandlung des Sterbens hin zu einem Tod, der im Hinblick auf die aktuelle demografische Entwicklung und die weltpolitischen Geschehnisse durchaus als ein biopolitischer Regulationsmechanismus angesehen werden kann. An dieser Stelle wird ein Abschnitt die Parallelen zur Sexualitätsdebatte der 1960er-Jahre erläutern, um herauszustellen, wie der Diskurs „Tod“ den Diskurs „Sex“ in der Geschichte auf politischer Ebene abgelöst hat.

Anschließend beleuchte ich beispielhaft drei Mechanismen zur Regulierung von Sterbeprozessen: die Palliativversorgung Sterbender, Sterbehilfepolitik und die Todesstrafe und synchronisiere diese mit Biopolitik als Bevölkerungsregulierungspolitik.

Nach Betrachtung der verschiedenen Diskurse und deren Symbiose skizziert das Resümee abschließend anhand der Forschungsergebnisse die politische Bedeutung des Todes.

2. Transformation von Machtformen – Aufkommen von Biomacht

2.1. Michel Foucault – Recht über den Tod und Macht zum Leben

Die Geschichte der politischen Bedeutung des Todes ist gleichzeitig eine Geschichte der Transformation von Machtstrukturen. Michel Foucault beschrieb diese Transformation in seinem Text „Recht über den Tod und Macht zum Leben“ von 1976 als den Wechsel von einer absolutistischen Vorherrschaft eines Machthabers über sein Volk, hin zu einer lebenserhaltenden und -fördernden Biomacht. Wobei der Begriff der Biomacht eben auf Michel Foucault zurückzuführen ist und zusammen mit dem Begriff der Biopolitik Machttechniken beschreibt, die nicht auf das Individuum abzielen, sondern auf einen Gesellschaftskörper und sich dabei insbesondere auf die Regulierung dessen Fortpflanzungs- Sterbe- und Geburtenprozesse bezieht.

Für lange Zeit stellte ein charakteristisches Privileg herrschender Machtstrukturen dar, über Leben und Tod der Untergebenen in einer absolutistischen Form „verfügen“ zu können.[1] Dieses Privileg entsprach dem Prinzip von „töten oder leben lassen“, wobei sich eine deutliche Asymmetrie zugunsten des Tötens herausstellte.

Diese uneingeschränkte Macht des Herrschenden über Leben und Tod wird im 17. und 18. Jahrhundert erstmals infrage gestellt und zum Gegenstand politischer Debatten wodurch ein Transformationsprozess der Machtstrukturen eingeleitet wird.

Im 19. Jahrhundert kommt es zu einer Wendung politischer Strukturen hin zu einer „Lebensmacht“ welche sich auf die Lebenserhaltung, Vermehrung und körperliche Optimierung der Population fokussiert. Das Prinzip archaischer, souveräner Machtformen „töten oder leben lassen“, transformiert zu dem lebensoptimierenden Doktrin von „Leben schaffen und sterben lassen“ und damit zu einer „Biomacht“.[2]

Während die vorhergehenden Machtstrukturen durch Recht und Gesetz vor allem Einfluss auf das Individuum hatten, setzt sich die Biomacht darüber hinweg und durchdringt sämtliche Lebens- und Wirkungsbereiche der Gesellschaft. Technologien und Institutionen zur Prävention von Erkrankungen, Optimierung und Sortierung von Lebensabläufen, biologischen Kontrolle und allgemeinen Disziplinierung der Gesamtbevölkerung verbreiten sich parallel zur Industrialisierung rasant. Eine Politik, die darauf ausgerichtet ist bestehendes Leben zu sichern, zu regulieren und zu korrigieren bedarf eines vielfältigen Organisationsmechanismus. „Normen“, mit denen sich das Individuum vergleichen und an denen es sich orientieren kann, werden eingeführt und ermöglichen eine kontrollierte Strukturierung und Regulierung des Gesellschaftsapparates. Als Folge entwickelt sich eine disziplinorientierte „Normalisierungsgesellschaft“[3].

Mitte des 19. Jahrhunderts fungiert die aufkommende Debatte über Sexualität und Körperlichkeit in dem Transformationsprozess als politisches Instrument und wirkt durch die Fokussierung auf den eigenen Körper als ein weiteres administratives Element.[4] Statistiken über biologische Prozesse, wie Sterbe- oder Geburtenrate, werden erstmals erstellt und nehmen an Bedeutung zu. Das Phänomen Population wird zu einem beobachtungswürdigen, politisch bedeutsamen Element von Macht. Wer die Population kontrolliert, ihre körperliche Konstitution und damit den Körper der Arbeitskraft, hat die Macht.[5]

Infolgedessen erfährt der Mechanismus des Tötens einen Bedeutungsumschwung. Kriege, Massaker und Genozide werden nun nicht mehr mit dem Überleben des einen, souveränen Herrschers gerechtfertigt, sondern mit dem notwendigen Erhalt des Gesellschaftskörpers. Der Tod wird von dem Individuum auf eine Masse übertragen und verliert dabei gleichzeitig an individueller Bedeutung.[6] Rassismus ermöglicht eine direkte Beziehung zwischen dem Tod der Anderen und der individuellen Erhaltung und „Reinheit“ der eigenen Rasse. Der Gegner wird nicht mehr ausschließlich als ein kriegerischer oder politischer Feind wahrgenommen, sondern als eine biologische Gefahr.[7]

2.2. Giorgio Agamben – Bare Life Theory

Eine alternative Betrachtungsweise der Transformation von Hegemonialstrukturen und deren biopolitischer Bedeutung, bietet Giorgio Agamben in seiner Schrift „Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben“, publiziert im Jahre 1995. Agamben greift darin Foucaults Begrifflichkeit einer Biopolitik auf und erweitert diese um den Begriff des „bloßen Lebens“ und dessen politische Wirkungsmechanismen in einem gesellschaftlichen Gefüge. Seit dem Verschwinden des unmittelbar sichtbaren Todes in der wohlhabenden westlichen Welt durch das Ende des zweiten Weltkrieges, ist die Gesellschaft doch dauerhaft der Omnipräsenz einer lebensbedrohlichen Instanz ausgesetzt. Politisch zeichnet sich diese erst durch den kalten Krieg - einer ständigen nuklearen Bedrohung; und folgend durch klimabedingte ökologische Krisen, eine medizinische Gefährdung durch z. B. multiresistente Keime und Epidemien und den Klimawandel aus. Dies sind laut Giorgio Agamben die neuen Strukturen hinter denen sich der Tod verbirgt und denen die Bevölkerung jeden Tag medial ausgesetzt ist.[8]

[...]


[1] Michel Foucault: The History of Sexuality (im Folgenden abgekürzt mit HoS). In: The Will to Knowledge. London 1998, S. 135

[2] ebd., S. 137

[3] in Anlehnung an Michel Foucault – explizit, seine Vorlesung vom 17. März 1976 am Collège de France, Paris

[4] siehe Ausführung S. 8: „Parallelen zu der Sexualitätsdebatte“

[5] HoS, S. 145 f.

[6] ebd., S. 137

[7] Michel Foucault: Vorlesung vom 17. März 1976. In: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-76). Frankfurt am Main 1999, S. 276-305

[8] Benjamin Noys: The Culture of Death (im Folgenden abgekürzt mit CoD). New York 2005, S. 3

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Biopolitische Dimensionen von Tod und Sterben
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V441059
ISBN (eBook)
9783668801660
ISBN (Buch)
9783668801677
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biopolitik, Tod, Biomacht, Foucault
Arbeit zitieren
Mirjam Bäcker (Autor:in), 2017, Biopolitische Dimensionen von Tod und Sterben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441059

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