Ist die Förderung der phonologischen Bewusstheit durch das Würzburger Sprachprogramm sinnvoll?

Eine Vergleichsstudie mit Erstklässlerinnen und Erstklässlern hinsichtlich ihrer Leistungsdifferenzen


Research Paper (postgraduate), 2012

96 Pages, Grade: 1.0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tab eil enverzei chnis

1 Motivation

2 Einführung
2.1 Zielsetzung der Arbeit
2.2 Aufbau der Arbeit

3 Modellvorstellungen zum ungestörten Schriftspracherwerb
3.1 Modell der zweifachen Zugangswege beim Worterkennen von Coltheart
3.2 Stufenmodell der Schrift Sprachentwicklung nach Frith
3.3 Stufen des Schriftspracherwerbs nach Brügelmann und Brinkmann
3.4 Stufenmodell des Schriftspracherwerbs von Günther
3.5 Zwei-Wege-Modell des Schreibens von Schründer-Lenzen
3.6 Stufen des Lesen- und Schreibenlemens von Valtin
3.7 Zusammenfassung der Modelle

4 Phonologische Bewusstheit
4.1 Definition, Einordnung und Abgrenzung des Begriffs
4.2 Zusammenhang zwischen der phonologisehen Bewusstheit und den Schriftsprachfähigkeiten
4.3 Phonologische Bewusstheit als Prädikatorvariable für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten

5 Das Würzburger Sprachprogramm zur Förderung der phonol Ogi sehen Bewusstheit
5.1 Beschreibung und Durchführung
5.2 Theoretischer Hintergrund und Forschungsergebnisse bezüglich der Effektivität
5.3 Kritische Auseinandersetzung

6 Planung und Durchführung der Erhebung des sprachbezogenen Leistungsstands
6.1 Fragestellung und Hypothesen
6.2 Forschungsdesign
6.2.1 Versuchsaufbau und Plan der Durchführung
6.2.2 Untersuchungsinstrumente
6.3 Versuchsstichprobe

7 Ergebni sdarstellung
7.1 Auswertung der erhobenen Daten zur phonologischen Bewusstheit
7.2 Vergleich des sprachbezogenen Leistungsstands von Kindern, bezugnehmend zum Würzburger Sprachprogramm und zum Geschlecht
7.3 Darstellung der Aussagen der Eltern und der Lehrkraft

8 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
8.1 Zusammenfassung und Interpretation der Befunde
8.2 Diskussion

9 Literaturverzeichnis

10 Anhang

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich denjenigen danken, die mich bei der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt haben.

Besonderer Dank gilt hierbei meiner Betreuerin Prof. Dr. Ute Franz, die mir immer mit Rat und Tat zur Seite Stand und mich mit ihrem Fachwissen zu neuen Denkanstößen anregte. Neben der fachlichen Betreuung munterte Sie mich immer mit Witz und persönlichen Gesprächen auf.

Bedanken möchte ich mich für die Kooperation von Frau H., Schulleiterin der Grundschule , und von Frau B., Lehrerin der ersten Klasse, sowie für die Unterstützung seitens der Erstklässler und deren Eltern, die an den Tests und den Fragebögen teilnahmen. Frau B. hat mich jederzeit in meinem Vorhaben unterstützt, mir bedingungslos Unterrichtszeit für die Tests mit den Kindern zur Verfügung gestellt und die schriftliche Kommunikation mit den Eltern ermöglicht.

Besondere Anerkennung gilt Prof. Dr. habil. Wolfram Türke und Dr. Dipl.-Psych. Veneta Türke-Teubner für das gewissenhafte Korrekturlesen, das mich auch inhaltlich zu weiteren interessanten Ideen anregte.

Meinen Kommilitoninnen Anja Reich, Santana Reichert, Sarah Thiel, Ursula Lotter und Anne-Kathrin Sonnefeld möchte ich für die schöne und aufregende Studienzeit danken, die mir immer in Erinnerung bleiben wird.

Zum Schluss möchte ich noch meinen Eltern, Volkmar Türke und Gabriele Türke, sowie meiner Familie Dank aussprechen. Hier soll im Besonderen Christin Türke, meine Zwillings­Schwester, erwähnt werden, die mir in stundenlangen Telefonaten stets zur Seite Stand sowie mich bei der statistischen Auswertung meiner Fragebogen tatkräftig unterstützte. Sie ist diejenige, die mich während meines Studiums und darüber hinaus am meisten unterstützt hat und in jeglichen Lebenssituationen hinter mir Stand. Sie wird immer eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben spielen.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die hier nicht aufgeführt sind, aber im Hintergrund zum Erstehen dieser Arbeit beigetragen haben

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 : Modell der zweifachen Zugangswege beim Worterkennen, des direkten und indirekten Zugangs (Klicpera& Gasteiger-Klicpera 1995, s. 18)

Abbildung 2: Stufenmodell der Schriftsprachentwicklung nach Frith (1985) (Stock, Marx und Schneider 2005, s. 10)

Abbildung 3: Zwei-Wege-Modell des Schreibens (Schründer-Lenzen 2009, s. 64)

Abbildung 4: Zusammenhänge zwischen Fähigkeiten zur phonol Ogi sehen Bewusstheit und Schriftsprachfähigkeiten - Fokus Grundschulalter (Schnitzler 2008, s. 75)

Abbildung 5: Strukturgleichungsmodell zum Konstrukt des Leseverständnisses (Schneider & Näslund 1992, s. 268)

Abbildung 6: Strukturgleichungsmodell zum Konstrukt des Rechtschreibens (Schneider & Näslund 1992, s. 270)

Abbildung 7: Verteilung der Gesamttestergebnisse des BAKO 1-4 nach Teilnehmernummer

Abbildung 8: Verteilung des Gesamttestwerts in Abhängigkeit von der Teilnahme am Würzburger Sprachprogramm

Abbildung 9: Durchschnittswerte der Gesamttestwerte in Abhängigkeit von der Teilnahme am Würzburger Sprachprogramm

Abbildung 10: Verteilung des Gesamttestwerts nach Geschlecht

Abbildung 11 : Gegenüberstellung der Durchschnittswerte der Gesamttestwerte bei Jungen und Mädchen

Abbildung 12: Frühes Lese- bzw. Schreibinteresse vor Schuleintritt

Abbildung 13 : Gesamttestwert und frühes Lese- bzw. Schreibinteresse vor Schul eintritt

Abbildung 14: Prozentualer Anteil der Versuchsteilnehmer, die ältere Freunde haben

Abbildung 15: Prozentualer Anteil der Versuchsteilnehmer, die ältere Geschwister haben

Abbildung 16: Verteilung des Gesamttestwertes anhand der Bedeutsamkeit einer Förderung sprachlicher Fähigkeiten schon vor Schulbeginn zu Hause nach Meinung der Eltern

Abbildung 17: Verteilung des Gesamttestwerts und der Lehrereinschätzung zum allgemeinen Leistungsstand des Schülers

Abbildung 18: Verteilung des Gesamttestwerts und der Lehrereinschätzung zum sprachbezogenen Leistungsstand des Schülers

Abbildung 19: Verteilung des Gesamttestwerts, bezogen auf die Mathematikleistung

Abbildung 20: Verteilung des Gesamttestwerts, bezogen auf die Gedächtnisleistung

Abbildung 21 : Verteilung des Gesamttestwerts, bezogen auf die Rechtschreibleistung

Abbildung 22: Verteilung des Gesamttestwerts, bezogen auf die Leseleistung

Abbildung 23 : Verteilung des Gesamttestwerts, bezogen auf die

Konzentrationsleistung

Abbildung 24: Verteilung des Gesamttestwerts, bezogen auf die musischen Fähigkeiten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 : Testverfahren zur Überprüfung der phonologischen Bewusstheit (in Anlehnung an Schnitzler 2008, s. 83) 49

Tabelle 2: Übersicht über alle Teilnehmer der Stichprobe und das Geschlecht, das Gesamttestergebnis Tges und die Teilnahme am Würzburger Sprachprogramm 56

Tabelle 3 : Einteilung der Prozentränge nach entsprechender Leistungsbewertung und

nach Tges-Werten (vgl. Stock, Marx & Schneider 2003, s 27ff.)

Tabelle 4: Erreichte Punktzahl in den Subtests des BAKO im Format Rohwert

(Prozentrang)

Tabelle 5: Korrelation zwischen dem Gesamttestwert (Tges) und der Bedeutsamkeit

einer Förderung sprachlicher Fähigkeiten schon vor Schulbeginn zu Hause nach Meinung der Eltern (Frage E4.a)

Tabelle 6: Korrelation zwischen dem Gesamttestwert (Tges) und der Lehrereinschätzung zum allgemeinen Leistungsstand (Frage LÍ)

Tabelle 7: Korrelation zwischen dem Gesamttestwert (Tges) und der Lehrereinschätzung zum sprachbezogenen Leistungsstand (Frage L5)

1 Motivation

Seit PISA (Programme for International Student Assessment) ist bekannt, dass die Lesekompetenz deutscher Schüler1 verbesserungswürdig ist. Es wird ein früherer Beginn der Förderung verlangt. Verantwortlich für die Leseleistung 15-jähriger Schüler seien die vorschulischen Maßnahmen und der Anfangsunterricht. Diese Bürde lastet demzufolge hauptsächlich auf Kindergärten und Grundschulen. Um die Leseleistung in diesen Einrichtungen zu fördern, wurden zahlreiche Förderprogramme entwickelt und evaluiert.

Zwecks der Themenwahl meiner Zulassungsarbeit zum ersten Staatsexamen habe ich mehrere Kindergärten besucht, die eine sprachbezogene Förderung anbieten. Eine solche Maßnahme wurde beispielsweise mit dem Würzburger Sprachprogramm im Kindergarten XY realisiert. Mein Interesse galt neben der Durchführung dieses Trainings vor allem den Effekten, die das Programm erzielt oder zu erzielen versucht. Viele der Kinder, die an dem benannten Sprachprogramm teilnehmen, gehen in die regionale Grundschule. Da ich mich bei meiner Untersuchung, wie schon erwähnt, hauptsächlich mit den Effekten des Würzburger Sprachprogramms auseinandersetzen wollte, besuchte ich die erste Klasse der regionalen Grundschule. Viele dieser Erstklässler hatten ein Jahr zuvor das Training durchlaufen. Um tatsächlich signifikante Effekte bezüglich einer Verbesserung der phonologischen Bewusstheit identifizieren zu können, musste ich mit dem Lehrer sprechen, der sowohl "trainierte" als auch "nicht-trainierte" Kinder unterrichtete. Mein Interesse galt zunächst der Bestandsaufnahme zur phonologischen Bewusstheit von Kindern - ein eventuell stattgefundenes vorschulische Training, das Alters oder das Geschlecht fielen an dieser Stelle nicht ins Gewicht. Nun stellte ich mir die Frage, welche Ursachen zu einem guten bzw. welche zu einem schlechten Testergebnis beitragen. Können ein gutes Ergebnis auf die Teilnahme und ein schlechtes Ergebnis auf die Nicht-Teilnahme am Würzburger Sprachprogramm zurückgeführt werden? Liegen mögliche Ursachen im Elternhaus? Welchen Einfluss hat die allgemeine geistige Entwicklung auf die schriftsprachlichen Leistungen? Spielen andere Begabungen, beispielsweise mathematischer oder musischer Art, eine Rolle? Existieren Geschlechterunterschiede? Stimmt die Lehrereinschätzung bezüglich der schriftsprachlichen Leistungen mit dem Testergebnis überein? Lassen sich in einer Klasse ähnliche Effekte feststellen wie in empirischen Studien? Aus diesen Interessenfeldern können Ansatzpunkte für einen Fragekatalog abgeleitet werden. Prinzipiell soll geklärt werden, welche ausgewählten Faktoren das Testergebnis zur phonol Ogi sehen Bewusstheit beein­flussen.

2 Einführung

2.1 Zielsetzung der Arbeit

Ziel der Arbeit ist es, einerseits zu untersuchen, welche ausgewählten Einflussfaktoren auf die schriftsprachliche Leistung von Kindern wirken, andererseits herauszufinden, ob bessere Leistungen auf phon 01 Ogi scher Ebene durch eine Teilnahme am Würzburger Sprachprogramm als bedeutendster Bedingungsfaktor begründet werden kann. Die Forschungsinteressen werden später konkretisiert.

Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse dieser Erhebung auf andere Klassen ist aufgrund der kleinen Stichprobe nur bedingt möglich. Untersuchungsziel ist es nicht, die gewonnenen Erkenntnisse aus der Arbeit induktiv auf andere Kinder gleicher oder höherer Klassenstufen zu übertragen, sondern zu prüfen, ob die Teilnahme am Würzburger Sprachprogramm tatsächliche Ursache für eine bessere sprachliche Leistung in der ersten Klasse ist oder ob andere Faktoren ebenso eine, wenn nicht sogar wichtigere Rolle spielen. Es soll keine Aussage darüber getroffen werden, ob das Sprachtraining im Kindergarten weiterhin zum Einsatz kommen sollte oder nicht. Es werden in der Arbeit Punkte des Programms kritisiert, aber nicht dessen generelle Einsetzbarkeit oder Notwendigkeit bewertet. Den Verfasser dieser Arbeit interessieren vorab ausgewählte Einflussfaktoren, die neben dem Training auf die phonologische Bewusstheit und die damit einhergehende sprachliche Leistung tatsächlich wirken oder wirken können. In den Studien zum Würzburger Sprachprogramm wurden zwar positive Effekte nachgewiesen, aber andere Einflussfaktoren neben der Partizipation am Training nicht berücksichtigt.

2.2 Aufbau der Arbeit

Um die Relevanz der phonolOgi sehen Bewusstheit im Schriftspracherwerb verstehen zu können, sollen im ersten Teil der vorliegenden Arbeit verschiedene Modelle zum Schriftspracherwerb erläutert (Kapitel 3.1 bis 3.6) und Gemeinsamkeiten festgestellt werden (Kapitel 3.7). Aus allen schriftsprachlichen Modellen wird ein Konsens bzw. ein kleinster gemeinsamer Nenner erarbeitet, der eine Aussage über erforderliche Lemvoraussetzungen für den Schriftspracherwerb trifft.

Die wichtigste Lernvoraussetzung für den Schriftspracherwerb ist prinzipiell die phono- logische Bewusstheit. Nach einer Definition und Einordnung sowie Abgrenzung des Begriffs der phonologischen Bewusstheit im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 4.1 und 4.2) wird der Zusammenhang zu den Schriftsprachfähigkeiten hergestellt und geklärt, ob mögliche Defizite in diesem Bereich ein Prädikator für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten sein kann (Kapitel 4.3).

In einem dritten Teil wird das Würzburger Sprachprogramm als Fördermaßnahme in vor­schulischen Institutionen beispielhaft beschrieben (Kapitel 5.1 und 5.2) und einer kritischen Betrachtung unterzogen (Kapitel 5.3). Es soll die Frage geklärt werden, ob sich das Programm überhaupt für die Förderung der phonologischen Bewusstheit eignet und welche Aufgaben vor diesem Hintergrund möglicherweise ungeeignet sind.

Anschließend werden die Fragestellung und die Hypothesen der Forschungsinteressen definiert und die Untersuchungshypothesen, -durchführung, -instrumente und -probanden beschrieben (Kapitel 6).

In einem fünften Teil der Arbeit steht die Auswertung des Datenmaterials im Vordergrund (Kapitel 7).

Im letzten Abschnitt werden die erhobenen Daten vor dem Hintergrund der Fragestellung interpretiert (siehe Kapitel 8.1) und die Vorgehensweise der Datenerhebung bzw. die Kriterienauswahl für den Fragenkatalog diskutiert (Kapitel 8.2).

3 Modellvorstellimgen zum ungestörten Schriftspracherwerb

Bevor auf die phonologische Bewusstheit, der Schwerpunktsetzung dieser Arbeit, einge­gangen werden soll, wird auf Grundlage mehrerer theoretischer Modelle beschrieben, auf welche Art und Weise Lesen und Schreiben kognitiv ablaufen. Die phonologische Bewusstheit ist hier nur eine von vielen Bedingungsfaktoren, die den Schriftspracherwerb ermöglichen. Im Umkehrschluss heißt das, fehlen bestimmte sprachrelevante Lernvoraus­Setzungen, können diese den Erwerb der Schriftsprache behindern. Die Probleme, die Kinder mit dem Lesen und dem Schreiben haben, müssen ihre Ursachen im Lese- bzw. Schreibprozess oder in deren Entwicklung haben. Dieses Bedingungsgefüge soll in Prozess­oder in Entwicklungsmodellen näher erläutert werden. Hierzu werden einige Modelle zur Verdeutlichung der Komplexität des Themas ausgewählt. In der neueren Forschung werden vor allem Modelle entwicklungspsychologischer Art herangezogen, aus denen Folgerungen bezüglich möglicher Beeinträchtigungen des Schriftspracherwerbs abgeleitet werden können.

3.1 Modell der zweifachen Zugangswege beim Worterkennen von Coltheart

Das Modell von Coltheart (1978) (siehe Abbildung 1) zeigt einen direkten und einen indirekten Zugangsweg, Wörter zu erlesen (vgl. Stock, Marx und Schneider 2005, s. llf.). Die Entscheidung, welcher Weg gewählt wird, hängt von der Größe des mentalen Lexikons ab, weniger von dem Entwicklungsstand des Lesers. Das zu erlesende Wortmaterial ist entscheidend.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Modell der zweifachen Zugangswege beim Worterkennen, des direkten und indirekten Zugangs

Ist das Wortmaterial dem Leser bekannt, kann es von ihm über den Zugriff auf das mentale Lexikon direkt erlesen werden. Ist das betreffende Wort unbekannt, wird es schrittweise über die phonologische Rekodierung, d. h. die Segmentierung des Wortes in seine einzelnen Buch­staben, indirekt erschlossen.

3.2 Stufenmodell der Schriftsprachentwicklung nach Frith

Das einflussreichste Modell (siehe Abbildung 2) entwickelte Frith (vgl. Stock, Marx und Schneider 2005, s. 10). In der ersten Phase werden Wörter über das Erkennen herausstehender Merkmale erraten. In der zweiten Phase wird eine Beziehung zwischen Buchstaben und Laut hergestellt. In der dritten und letzen Phase wird nicht mehr jeder Buchstabe in sein entsprechendes Phonem transferiert, sondern aufgrund zunehmender Erfahrung mit dem Wortmaterial werden orthografische Gesetzmäßigkeiten erkannt und Wörter auf diese Weise erlesen. Auch irreguläre Wörter werden nun richtig geschrieben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Stufenmodell der Schriftsprachentwicklung nach Frith (1985)

Die drei Stufen werden im Modell von Günther (1986) noch näher beleuchtet, da er Friths Ausführungen erneut aufgriff und dabei den wesentlichen Gedanken des alten Modells beibehielt. Nur zu Beginn und am Ende des Schriftspracherwerbs additierte Günther jeweils eine Stufe (siehe Kapitel 3.4).

3.3 Stufen des Schriftspracherwerbs nach Brügelmann und Brinkmann

Folgende Ausführungen gehen auf Brügelmann und Brinkmann (vgl. 1994, s. 44ff) zurück, die ein weiteres Modell zum Schriftspracherwerb entwickelt haben. Hier läuft das Schreiben in fünf, das Lesen in vier Stufen ab.

Beim Schreiben heißt das konkret:

1. Kinder erkennen die Bedeutungshaltigkeit der Schrift. Schrift ist ein Träger von Informationen und hält Sprache fest.

2. Kinder erkennen die Buchstabenbindung der Schrift. Schrift setzt sich aus verabredeten, zahlenmäßig begrenzten konventionellen Zeichen, den Buchstaben, zusammen. Wörter bestehen aus bestimmten Buchstabenfolgen.

3. Kinder erkennen den Lautbezug der Schrift. Je nachdem, welche Buchstaben in einem Wort Vorkommen und in welcher Reihenfolge diese angeordnet sind, wirken sie sich auf die Klangform des Wortes aus. In schriftlich fixierten Wörtern werden die Laute komplett abgebildet.

4. Kinder erkennen die orthografische Eigenständigkeit der Schrift. Es existieren Zeichen in der Schriftsprache, die über eine lautorientiere Analyse nicht abgeleitet werden können. Rechtschreibmuster sind an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Letztere gehen auf kontextgebundene Verwendungen und nicht auf Übergeneralisierung von Rechtschreibregeln zurück.

5. Kinder erkennen die lexikalische Ordnung der Schrift, über das Schreiben werden morphematische Gemeinsamkeiten sichtbar, und es werden Ableitungen aus Wortverwandtschaften genutzt.

Beim Lesen lassen sich vier Stufen unterscheiden:

1. Kinder entdecken die Schrift als Merkmal der Umwelt. Die Aufmerksamkeit für Schrift und deren Bedeutung wächst.

2. Kinder erkennen Schrift als Kombination wiederkehrender Zeichen. Buchstabenfolgen sind Träger von Bedeutung, losgelöst vom Kontext oder von besonderen typografischen Formen.

3. Kinder erkennen Schriftzeichen als Hinweis auf Sprachlaute. Schrift ist nicht direkt auf die Bedeutung bezogen (viele Kinder denken, dass ein kleines Tier wenige Buchstaben hat; ein großes Tier hingegen viele Buchstaben), sondern der semantische Bezug ist durch die Lautform zu erschließen.

4. Kinder erkennen Schrift als integriertes Zeichen- und Deutungssystem. Kinder verknüpfen grafische Analyse mit Kontextdeutung und verknüpfen diese mit der Bedeutungssuche. Hierbei wird der Wortleseprozess automatisiert, und Buchstaben-, Wort- und Textebene werden miteinander koordiniert.

3.4 Stufenmodell des Schriftspracherwerbs von Günther

Günther (1986) publizierte ein Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese- und Schreib strategi en in Anlehnung an das Modell von Frith (siehe Kapitel 3.2), wobei Günther die Wechselbeziehung und Integration des Lesens und des Schreibens betont. Mit der Übertragung von der englischen in die deutsche Sprache ergänzte Günther das Modell um zwei Phasen. Der Schriftspracherwerb ist ein ״mehrphasiger, strategiebestimmter Entwick­lungsprozess“ (Günther 1995, s. 99), der sich in fünf Stufen gliedert: präliteral-symbolisch, logografemisch, alphabetisch, orthografisch und integrativ-automatisiert. Folgende Aussagen stützen sich auf Ausführungen von Günther (vgl. 1995, s. 99ff ).

Die präliteral-symbolische Stufe ist schon von Piaget detailliert beschrieben worden. Günther weist diese Stufe als notwendige Vorbedingung für den Beginn des Lesens und des Schreibens aus. Hierzu zählen beispielsweise das Erkennen von Bildern oder das Zeigen von Nachahmungshandlungen des Lese- oder des Schreibvorgangs.

Die logograf emi sehe Stufe ist durch das Wiedererkennen grafischer Gegebenheiten und nicht durch linguistische Kontextsignale gekennzeichnet. Diese Strategie wird für das Lesen eingesetzt, kann aber später auch durch Wiederholung des Wortmaterials beim Schreiben zum Tragen kommen.

Die alphabetische Strategie ist in ihrem Kern die Einsicht in die Graphem-Phonem­Korrespondenz. Basiert die logografische Strategie noch auf dem Prinzip der ״ ,Look-and- say-Methode‘ “ (Günther 1995, s. 106), wird mittels der alphabetischen Strategie ein Wort sequenziell analysiert und die Folge der erfassten Einheiten lautsprachlich kombiniert. Eine phonologische Schreibweise von Wörtern wird möglich, kann aber typische Rechtschreibfehler bei orthografisch unregelmäßigen Wörtern verursachen. Diese Strategie ist als Entwicklungszwischenschritt wichtig, erschwert aber die semantische Erschließung des Gelesenen.

Mit der orthografischen Strategie werden Probleme, die aufgrund des alphabetischen Verfahrens entstehen, durch spontane und intuitiv angewendete linguistische Wortbildungsregeln überwunden. Bedeutungshaltige Morpheme und teilweise auch Buchstabensequenzen und Silben bilden die Grundeinheiten in dieser Stufe. Werden die drei wichtigsten Stufen im globalen Kontext betrachtet, ist die logografische Strategie der Entwicklungsmotor für das Lesen, die alphabetische Strategie für das Schreiben und die orthografische Strategie für die Integration von beiden Systemen, die sowohl die Rezeptions- als auch die Produktionsprozesse steuert.

Die mtegrativ-automatisierte Strategie vereinigt alle vorherigen Stufen und schließt den Schriftspracherwerb in dessen Entwicklungslauf ab.

3.5 Zwei-Wege-Modell des Schreibens von Schründer-Lenzen

Das Modell von Schründer-Lenzen (vgl. 2009, s.63ff.) bezieht sich nur auf den Schreibprozess. Schründer-Lenzen betont, dass moderne Theorien des Schriftspracherwerbs davon ausgehen, dass kompetente Schreiber ein ״inneres Lexikon“ besitzen. Letzteres umfasst nicht - wie lange angenommen - visuelle Wortbilder, sondern sprachstrukturelles Wissen in mentaler Vernetzung. Dieses Wissen wird erst mit zunehmender Erfahrung des Schreibers aufgebaut. Das Zwei-Wege-Modell zeigt den direkten und den indirekten Weg, ein Wort ni ederzuschreib en.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Zwei-Wege-Modell des Schreibens

Indirekt heißt in diesem Zusammenhang, dass das Kind ein Wort erst aussprechen und hören muss, bevor es zum Schreibprozess kommen kann. Direkt heißt, dass durch das üben orthografisch richtiger Wortschreibung ein ״inneres Lexikon“ aufgebaut werden kann, das aus dem Lernwortschatz besteht.

Schründer-Lenzen (vgl. s. 65) vereinigt in diesem Modell zwei Extrempositionen. Zum einen wird das Prinzip nach Reichen ״Schreiben durch Lesen“ aufgegriffen. Reichen suggeriert mit der falschen Maxime, so zu schreiben wie du sprichst, eine absolut lautgetreue deutsche Schriftsprache. Zum anderen wird die Ganzheitsmethode von Kern als Gegenstück angeführt. Ausgangspunkt ist die visuelle Abspeicherung von Wörtern. Hier stellt sich allerdings die Frage nach der Komplexität. Kann ein Mensch jedes Wort der Schriftsprache visuell ab speichern?

Schründer-Lenzen (vgl. 2009, S.64) postuliert, Lesen und Schreiben seien von Anfang an zu verbinden. So sind auch Schreib strategi en nicht losgelöst voneinander zu betrachten. Für Schriftanfänger und für Schriftkundige gibt es verschiedene Zugangswege zur Schrift.

3.6 Stufen des Lesen- und Schreibenlernens von Valtin

Valtin (vgl. 1997, s. 76ff.) beschreibt zunächst kompakt sechs Stufen, in denen die Einsichten und die Fähigkeiten der Kinder hinsichtlich ihrer schriftsprachlichen Fähigkeiten qualitativ wachsen:

1. ״Nachahmung äußerer Verhaltensweisen“,
2. ״Kenntnis einzelner Buchstaben an Hand figurativer Merkmale“,
3. ״Einsicht in den Buchstaben-Laut-Bezug“ und die ״Kenntnis einiger Buchstaben/Laute“,
4. ״Einsicht in die Buchstaben-Laut-Beziehung“,
5. ״Verwendung orthografischer bzw. sprachstruktureller Elemente“ und
6. ״Automatisierung von Teilprozessen“ (Valtin 1997, s. 83).

Valtin (vgl. 1997, s. 76ff) bezieht sich in seinen Ausführungen zur Schreibentwicklung speziell auf die Verschriftung von Sätzen und nicht nur von einzelnen Wörtern. Er erachtet die Entwicklung der Erkenntnisse zur Phonembewusstheit und des Wortkonzepts als zentral.

Hinsichtlich der Schreib entwicklung unterscheidet Valtin (1997, S.78) die folgenden sechs qualitativ aufeinander aufbauenden Stufen:

1. Phase des Malens willkürlicher Buchstabenfolgen (willkürliche Schreibungen, Pseudowörter),
2. Vorphonetische Schreibungen,
3. Halbphonetisches Niveau,
4. Phonetisches Verschriften,
5. Phonetische Elmschrift und erste Verwendung orthografischer Muster,
6. Übergang zur entwickelten Rechtschreibfähigkeit (vollständige, richtige orthografische Wiedergabe von Wörtern).

Für die Leseentwicklung beschreibt Valtin (1997, s. 81f.) die sechs Stufen wie folgt:

1. Als-ob-Lesen,
2. Naiv-ganzheitliches Lesen,
3. Benennen von Lautelementen,
4. Buchstabenweises Erlesen,
5. Fortgeschrittenes Erlesen: Nutzen von größeren Einheiten,
6. Automatisierung und Hypothesenbildung.

Inwieweit nun das Lesen und das Schreiben und deren phasenartige Entwicklung Zusammenhängen, ist nicht eindeutig (vgl. Valtin 1997, s. 83). Manche Kinder verschriften (halb-)phonetisch, können aber das eigene Geschriebene nicht lesen. Andere Kinder können schon einige Wörter auf synthetische Art und Weise lesen, aber noch nicht schreiben.

3.7 Zusammenfassung der Modelle

Lesen und Schreiben können nicht voneinander getrennt werden. Der Schriftspracherwerb verläuft in qualitativen Stufen, die aufeinander aufbauen und in denen bestimmte Strategien erlernt werden und zum Einsatz kommen. Gemeinsamkeit aller Modelle besteht in der Entwicklung einer Einsicht in die Schrift, in die Graphem-Phonem-Korrespondenz und in die Orthografie.

Mit Hilfe der Modelle lässt sich zeigen, dass sich Schüler mit einer Lese-RechtschreibStörung (LRS) in ihren Leistungen im Schriftsprachbereich ähnlich sind und dass sie auf der untersten Stufe der Schriftsprachentwicklung mehr Zeit brauchen, um diese zu überwinden (vgl. Valtin 1997, s. 84).

Werden die Modelle hinsichtlich des Aspekts der Relevanz der phonologischen Bewusstheit näher untersucht, wird die Korrelation klar. Grundprinzip der logografi sehen Stufe ist das rein visuelle Erlesen ausschließlich nach expliziten Merkmalen, ohne dabei auf eine laut­orientierte Methode beim Lesen oder beim Schreiben zurückzugreifen. Die alphabetische Stufe trägt in ihrem Kern die Etablierung der Graphem-Phonem-Korrespondenz, wobei einzelne Buchstaben 1 autori enti eri erlesen und akustische Phoneme verschriftet werden. In der orthografischen Stufe geht es um die Ausbildung orthografischen und morphematisehen Regelwissens sowie die Automatisierung der Schriftsprachfähigkeiten und metakognitiven Kontrolltechniken, die den Prozess des Lesens und des Schreibens Steuern. Es kommt innerhalb der Strategien zu dem Phänomen, dass im Umkehrschluss die erworbenen Fähigkeiten die phonologische Bewusstheit beeinflussen. Wird beispielsweise die Graphem­Phonem-Korrespondenz verstanden und werden viele Wörter auf diese Weise erlesen, verbessern sich automatisch die Fähigkeit der lautorientierten Wortlesemethode und somit die der phonologischen Bewusstheit.

Alle Modelle können auf die phonologische Bewusstheit bezogen werden bzw. auch umgekehrt. Die Schriftsprachfähigkeiten und die phonologische Bewusstheit Stehen in allen Entwicklungsebenen des Schriftspracherwerbs im Wechselspiel miteinander. Die Interaktion des Schriftspracherwerbs mit der phonologischen Bewusstheit wird in Kapitel 4.2 behandelt.

4 Phonologische Bewusstheit

4.1 Definition, Einordnung und Abgrenzung des Begriffs

Je nach Autor existieren unterschiedliche Definitionen des Begriffs ״phonologische Be­wusstheit“ aufgrund individueller Schwerpunktsetzungen.

Tunmer und Hoover (1992, zit. n. Schnitzler 2008, s. 5) bezeichnen die phonologische Bewusstheit als

״metalinguistische Fähigkeit, die lautliche Struktur der gesprochenen Sprache zu analysieren und zu manipulieren, ohne auf die Bedeutung des zu analysierenden sprachlichen Materials einzugehen“.

Folgende Ausführungen beziehen sich auf Aussagen im Würzburger Sprachprogramm von Küspert und Schneider (vgl. 2003, s. 13). Einer Begriffsdefinition wird eine grobe Einordnungshilfe in globale sprachliche Strukturen vorangestellt. Schneider fasst spezifische sprachliche Fertigkeiten unter dem Begriff der phonologischen Informationsverarbeitung zusammen. Hierbei werden Informationen über die Lautstruktur bei Auseinandersetzung mit der gesprochenen oder der geschriebenen Sprache genutzt. Diese Fähigkeit gliedert sich in drei Bereiche. Der erste Bereich ist das phonologische Rekodieren aus dem semantischen Lexikon, wobei schriftliche Symbole (Wörter oder Bilder) in deren Lautstruktur transferiert und anschließend deren Bedeutung aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Der zweite Bereich ist das phonetische Rekodieren aus dem Kurzzeitgedächtnis, wobei schriftliche Symbole lautsprachlich im Arbeitsgedächtnis repräsentiert werden. Der dritte Bereich ist die phonologische Bewusstheit, die die Fähigkeit bezeichnet, die Lautstruktur der gesprochenen Sprache zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund kategorisieren Küspert und Schneider die phonologische Bewusstheit wie folgt:

״Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne bezieht sich auf größere Einheiten der gesprochenen Sprache, wie etwa Reime oder Silben. Dagegen verlangen Aufgaben der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne den bewussten Umgang mit den kleinsten Einheiten der gesprochenen Sprache, den Phonen (Lauten)“ (Küspert & Schneider 2003, s. 13).

Schnitzler (2008) konkretisiert die Ausführungen unter Einbezug der Schriftsprachfähigkeiten in Anlehnung an Skowroneck und Marx:

״Unter phonoiogischer Bewusstheit im weiteren Sinne versteht man Fähigkeiten auf der impliziten Silben- und Onset-Reimebene, durch die spätere Schriftspracherwerbsfähigkeiten vorhergesagt werden können.

Unter phonoiogischer Bewusstheit im engeren Sinne versteht man die Fähigkeit auf der expliziten Phonemebene, die in einem direkten Zusammenhang mit den Schriftsprachfähigkeiten am Schulanfang steht“ (Schnitzler 2008, s. 20).

Die phonologische Bewusstheit ist von der auditiven Wahrnehmung und der auditiven Verarbeitung abzugrenzen. Schnitzler (vgl. 2008, s. 9f.) bezieht sich auf mehrere Autoren. Stackhouse und Wells gliedern die Sprachverarbeitung in drei Teile hierarchisch auf: den Input, die Speicherung und den Output. Zum Input zählen die auditive Wahrnehmung, das phonologische Unterscheiden und Erkennen sowie die phonologische Bewusstheit. Die Speicherung beinhaltet phonologische und semantische Repräsentationen sowie motorische Programme. Die endgültige Sprachausgabe gliedert sich in das motorische Programmieren und das Ausführen. Aus dieser Systematik schließt Schnitzler, dass die ״phonologische Bewusstheit [...] höher in der Sprachverarbeitung [angesiedelt ist] als die auditive Wahrnehmung und Verarbeitung“ (Schnitzler 2008, s. 11), besonders da bei letzteren nur auditive Stimuli relevant sind. Bei Aufgaben zur phonol Ogi sehen Bewusstheit können neben auditiven auch andere Modalitäten, wie bildliche oder visuell-orthografische Repräsenta­tionen, wirksam aktiviert und verarbeitet werden.

Voraussetzung für die phonologische Bewusstheit ist ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit und Konzentration bzw. Gedächtnisleistung (vgl. Schnitzler 2008, s. 12f.).

Baddeley (vgl. 2003, s. 830f.) konkretisiert die Aufmerksamkeits- und die Gedächtnisleistung in der kognitiven phonol Ogi sehen Schleife, die Wörter durch aktive Wiederholungsleistung im Kurzzeitgedächtnis hält. Es ist unmöglich, ohne ein gewisses Maß an Wachheit und Konzentration Wörter in der phonologischen Schleife zu halten, bis das gewünschte Resultat am Ende zur Verfügung steht (vgl. Schnitzler 2008, s. 12ff).

Die phonologische Bewusstheit ist Teil der Sprachverarbeitung und somit auch Teil der phonologischen Informationsverarbeitung. Schnitzler (vgl. 2008, s. 16f.) teilt Letzteres in eine explizite und eine implizite Form ein. Explizit heißt, es können Aufgaben zur phonol Ogi schen Bewusstheit gelöst werden, wie das Erkennen oder das Verändern von Phonemen. Implizit heißt in diesem Zusammenhang, dass Aufgaben zum schnellen Benennen gelöst werden, indem auf das vorhandene lexikalische Wissen zurückgegriffen wird. Außerdem spielt hier die auditive Merkfähigkeit mit hinein, die es ermöglicht, phonologische Einheiten zu speichern. Schnitzler (vgl. 2008, s. 16) zieht mehrere Studien heran, die den Zusammenhang zwischen den eben genannten drei phonol Ogi sehen Bereichen und den späteren Lese- und Rechtschreibleistungen verdeutlichen. Wird von Defiziten in den drei Bereichen ausgegangen, kann dies möglicherweise eine Störung oder eine Schwäche im Lese- und Rechtschreibbereich auslösen.

Inwieweit eine Korrelation zwischen der phonologischen Bewusstheit und den Schriftsprachfähigkeiten besteht, soll im folgenden Abschnitt näher erläutert werden.

4.2 Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und den Schriftsprachfähigkeiten

Zahlreiche Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und den Schriftsprachfähigkeiten hin. In der Wissenschaft existieren drei Hypothesen über die Richtung(en) der Korrelation, die Schnitzler (vgl. 2008, s. 55) beschreibt.

Die Voraussetzungshypothese geht von der phonologischen Bewusstheit als einer Vorläufer­fähigkeit für den Schriftspracherwerb aus, die Konsequenzhypothese von der phonologischen Bewusstheit als eine Folge des Lesen- und Schreibenlemens. Die Interaktionshypothese stellt die Wechselbeziehung beider Bedingungsgefüge in den Vordergrund. Grundsätzlich stützen sich viele Autoren auf die letzte These, da die ״Fähigkeiten zur phonologischen Bewusstheit eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den erfolgreichen Schriftspracherwerb“ (Schnitzler 2008, s. 56) ist. In Korrelationsstudien (vgl. Schnitzler 2008, s. 56f.) konnte nachgewiesen werden, dass die phonologische Bewusstheit spezifisch mit dem Schriftspracherwerb zusammenhängt, überdies aber beispielsweise keine Beziehung zu mathematischen Fähigkeiten besteht. Auch externe Faktoren bedingen die phonologische Bewusstheit. So sind das schon genannte Arbeitsgedächtnis, die phonologische Informations­Verarbeitung bzw. die Aufmerksamkeitsprozesse oder einige Umweltaspekte wie vor­schulische und häusliche Förderung entscheidend.

Abbildung 4 zeigt Beziehungen zwischen der phonologischen Bewusstheit und den Schrift- sprachfähigkeiten. Die intensive Wechselbeziehung zwischen beiden eben genannten Faktoren ist unschwer zu erkennen. Vor allem im Schulalter wird dies deutlich. So bedingen sich explizite Fähigkeiten der phonologischen Bewusstheit und der Erwerb der alphabetischen sowie der orthografischen Strategie gegenseitig. Hier wird die Tatsache klar erkennbar, dass eine Störung der phonologischen Bewusstheit das Potenzial trägt, Schwierigkeiten im Lesen­oder Schreib enlemen hervormfen zu können. Genauer wird dies in Kapitel 4.3 beleuchtet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Zusammenhänge zwischen Fähigkeiten zur phonologischen Bewusstheit und Schriftsprach- fähigkeiten - Fokus Grundschulalter

Am Leseverständnis und am Rechtscheiben kann mittels Modellen gezeigt werden, inwieweit die phonologische Bewusstheit diese Fähigkeiten beeinflusst. Ausgangspunkt von Schneider und Näslund (1992, s. 266ff.) bilden Faktoren- und Regressionsanalysen zum Leseverständnis. In Kombination der erhobenen Variablen und der theoretischen Konstrukte entwickelten sie ein Modell (siehe Abbildung 5) zur Vorhersage des Leseverständnisses. Die Zahlen in Abbildung 5 und in Abbildung 6 konstatieren den Korrelationskoeffizienten zwischen zwei Faktoren.

Signifikanten Einfluss auf das Leseverständnis haben die phonologische Bewusstheit und das Rekodieren im lexikalischen Zugriff, wobei das Arbeitsgedächtnis durch die direkte Wirkung auf die Rekodierung das Leseverständnis indirekt beeinflusst.

Das Modell zur Vorhersage der Rechtschreibl ei stung unterscheidet sich von dem des Leseverständnisses (siehe Abbildung 6).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Strukturgleichungsmodell zum Konstrukt des Leseverständnisses

In Abbildung 6 wird die Anhängigkeit der phonol Ogi sehen Bewusstheit vom Arbeits­gedächtnis mit einem besonders hohen Korrelationskoeffizienten deutlich. Die direkte Wirkung der phonologischen Bewusstheit, der Rekodierung im lexikalen Zugriff sowie einer frühen Schriftkenntnis sind bei dem Modell zur Prädiktion des Rechtschreibens größer als bei dem Modell zum Leseverständnis. Außerdem wird die höhere Bedeutung der phonologischen Bewusstheit bezüglich der Rechtschreibleistung erkennbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Strukturgleichungsmodell zum Konstrukt des Rechtschreibens

In beiden Modellen zeigt sich der Einfluss der phonologischen Bewusstheit auf das Leseverständnis und auf die Rechtschreiblei stung im Zusammenspiel mit anderen Faktoren. Die Korrelation besteht aber auch in die andere Richtung. Die ״Einsicht in das alphabetische Prinzip [beeinflusst auch] die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit“ (Roth 1999, s. 93).

Bei der Vorhersage der Rechtschreibleistung über die phonologische Bewusstheit ist eine Prädiktion in beide Richtungen festzustellen (vgl. Stock 2005, s. 132f.). So kann mit Hilfe der Rechtschreibleistung die Leistung hinsichtlich der phonologischen Bewusstheit vorhergesagt werden. Die eben genannte Prädikationskraft der Rechtschreibfähigkeiten ist in demselben Umfang beim Leseverständnis nicht gegeben.

In den Regressionsanalysen werden lineare Zusammenhänge dargestellt, weniger das Zusammenspiel der einzelnen Prädikatoren. Aus diesem Grund ist die Aussagekraft der Modelle eingeschränkt (vgl. Küspert 1998, s. 190). Küspert misst besonders der Lehrervariable große Bedeutung zu. Die Unterrichtsgestaltung hat großen Einfluss auf den Schriftspracherwerb der Schüler (vgl. 1998, s. 190).

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1 In dieser Arbeit wird ausschließlich die männliche Form für Personen verwendet. Hier sind in jedem Fall weibliche Personen eingeschlossen.

Excerpt out of 96 pages

Details

Title
Ist die Förderung der phonologischen Bewusstheit durch das Würzburger Sprachprogramm sinnvoll?
Subtitle
Eine Vergleichsstudie mit Erstklässlerinnen und Erstklässlern hinsichtlich ihrer Leistungsdifferenzen
College
University of Bamberg
Grade
1.0
Author
Year
2012
Pages
96
Catalog Number
V441830
ISBN (eBook)
9783668799967
ISBN (Book)
9783668799974
Language
German
Keywords
förderung, bewusstheit, würzburger, sprachprogramm, eine, vergleichsstudie, erstklässlerinnen, erstklässlern, leistungsdifferenzen
Quote paper
Susann Türke (Author), 2012, Ist die Förderung der phonologischen Bewusstheit durch das Würzburger Sprachprogramm sinnvoll?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441830

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