Zur Konstruktion des Freund-Feind-Schemas in Printmedien der NS-Zeit


Bachelorarbeit, 2005

59 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Das Feindbild
II.1. Wesen und allgemeine Funktionen des Feindbildes..
II.2. Das Feindbild im Rahmen des NS-Propagandakonzepts
II.2.1. Propaganda – ihre Bedeutung für die Nationalsozialisten
II.2.2. Entwicklung und Bedeutung des Feindbildes Jude

III. Das Selbstbild der Nationalsozialisten

IV. Die Sprachliche Realisierung des Freund-Feind-Schemas
IV.1. Zur Geschichte der sprachlichen Realisierung des „Feindbildes Jude“
IV.2. Die sprachliche Gestaltung des Freund-Feind-Schemas im Nationalsozialismus
IV.2.1. Lexikalische Mittel
IV.2.2. Weitere sprachliche Mittel

V. Die Darstellung des Freund-Feind-Schemas in der Berichterstattung der Printmedien am Beispiel der Reichskristallnacht
V.1. Die Reichskristallnacht
V.2. Die Presse
V.3. Korpus, Methoden und Ziele der Untersuchung
V.4. Überregionale Zeitungen
V.4.1. Der Stürmer
V.4.2. Völkischer Beobachter
V.5. Regionale Zeitungen
V.5.1. Rostocker Anzeiger
V.6. Vergleich der Textanalysen

VI. Fazit

VII. Ausblick

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Zeitungsartikel

Verzeichnis der Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Anhang

I. Einleitung

Schon seit Jahrzehnten beschäftigen sich immer wieder Wissenschaftler mit der „Lingua Tertii Imperii“ [LTI]. Dass der gezielte Einsatz von Sprache ein wichtiger Bestandteil der Manipulation des deutschen Volkes durch die Nationalsozialisten war, ist kein Geheimnis. Grundlage der faschistischen Ideologie war die angebliche Ungleichheit der Völker beziehungsweise der menschlichen „Rassen“. Das Propagandakonzept Hitlers, welches er in „Mein Kampf“ ausführlich erläutert, hatte das Ziel, der Bevölkerung den Gegensatz zwischen den „Untermenschen“ und der „Herrenrasse“ klarzumachen und sie damit zum Kampf gegen den „Feind“ zu mobilisieren. Dieses Freund-Feind-Schema spielte eine Hauptrolle im Propagandakonzept der Nationalsozialisten, Ziel war dabei das Überzeugen der Masse von ihrer „Idee“. Dass sich die Feindbildkonstruktion nicht auf parteioffizielle Schriften beschränkte, sondern in nahezu alle öffentlichen Texte Einzug erhielt überrascht nicht, waren doch alle Medien seit der „Machtübernahme“ 1933 gleichgeschaltet und erhielten klare Anweisungen für das „Was“ und „Wie“ des Schreibens. Besonders die Presse war ein Medium, dem nahezu alle Freiräume entzogen wurden. Daher lohnt sich ein Blick auf die sprachliche Gestaltung des Freund-Feind-Konzeptes in den Printmedien der damaligen Zeit. Für eine Untersuchung solcher Art ist es erforderlich, ein theoretisches Fundament zu legen. Dabei muss eingangs geklärt werden: Was ist ein Feindbild, welche Funktionen besitzt es und welche Bedeutung kam ihm im Hitler’schen Propagandakonzept zu? Weiterhin stellt sich die Frage, welches Feindbild für Hitler besonders wichtig war und wie sich dies historisch erklären lassen kann. Schließlich sollen die auffälligsten sprachlichen Mittel zur Darstellung des Freund-Feind-Schemas in öffentlichen Texten vorgestellt werden, bevor sich die Untersuchung ausgewählter Texte anschließt. Die Analyse wird sich auf Artikel parteinaher Zeitungen beschränken, da diese Textsorte starken Reglementierungen durch das Regime unterworfen war und daher zu vermuten ist, dass sich die Journalisten streng an den vorgeschriebenen Sprachgebrauch hielten. Dabei soll geprüft werden, inwiefern sich die „gemäßigten“ Blätter für das allgemeine Volk in ihrer sprachlichen Darstellung des Freund-Feind-Schemas von den radikalen Hetzzeitschriften unterschieden. Um die Analysen der verschiedenen Zeitschriften einheitlich und vergleichbar zu gestalten, werden Artikel untersucht, die über ein und dasselbe Ereignis berichten: die „Reichskristallnacht“. Es gilt herauszufinden, ob und in welchem Maße die einzelnen Artikel von einer objektiven Berichterstattung zugunsten der Propagierung des Freund-Feind-Konzeptes abweichen, und mit welchen sprachlichen Mitteln dies geschieht.

II. Das Feindbild

II.1. Wesen und allgemeine Funktionen des Feindbildes

“Unter Feindbild verstehen wir nicht den Feind oder den Gegner selbst, sondern etwas Drittes, das sich zwischen ihn und uns selbst schiebt, ein Bild, das sich wie alle Bilder aus einer ganzen Anzahl von Komponenten zusammensetzt, die mit dem eigentlichen Objekt oft sehr wenig oder kaum etwas zu tun haben“.[1] Das „Feindbild’ ist das Produkt einer Propaganda, die mit semantischen, optischen und graphischen Mitteln den politisch-ideologischen Gegner dämonisiert, um [in der Regel] die eigene Herrschaft zu legitimieren“.[2]

Grundsätzlich versucht jeder Mensch jegliche kognitive Dissonanz in seiner Persönlichkeit zu beseitigen. Er strebt danach, all seine Handlungen zu rechtfertigen. Richten sich diese Tätigkeiten gegen einen Mitmenschen bzw. gegen eine gesellschaftliche Gruppe, so muss er sowohl der Gesellschaft als auch sich selbst Erklärungen für sein Handeln vorweisen. Schreibt er nun diesem „Gegner“ bestimmte negative Eigenschaften zu und entwickelt so ein Feindbild, so wertet er automatisch sein eigenes Handeln auf und rechtfertigt es. Nach Kurt Spillmann bildet der Mensch im Laufe seiner Entwicklung die Fähigkeit aus, Verständnis für seine Mitmenschen aufzubringen. Diese Fähigkeit kann jedoch „umschlagen in primitive emotionelle Feindbilder […]. Die Wahrnehmung der Gegenseite reduziert sich zum Feindbild“.[3] Als Grundlage für Feindbilder sind meist bereits Vorurteile gegen die „Feindgruppe“ vorhanden, auf denen die weitere Entwicklung des Feindbildes aufbaut. So werden die Mitglieder der eigenen Gruppe in ihren Voreingenommenheiten bekräftigt und entwickeln ein starkes Gruppengefühl. Der gemeinsame Nenner ist dabei die Abneigung gegen den vermeintlichen Feind.[4] Der Feind wird so zum Schuldigen für jegliche Misere, in der sich die eigene Gruppe befindet. Ihm werden mehr und mehr negative Attribute zugeschrieben, so dass sich das Bild immer mehr zum Gegenteil von dem verzerrt, was für die eigene Gruppe steht.[5]

Kurt Spillmann nennt 7 typische Merkmale des Feindbildes:

1. Misstrauen („Alles, was vom Feind kommt, ist entweder schlecht oder – wenn es vernünftig aussieht – aus unredlichen Motiven entstanden.“)
2. Schuldzuschiebung („Der Feind ist schuld an der existierenden Spannung bzw. an dem, was an den herrschenden Umständen für uns negativ ist.“)
3. negative Antizipation („Was immer der Feind unternimmt, er will uns schaden.“)
4. Identifikation mit dem Bösen („Der Feind verkörpert in allem das Gegenteil dessen, was wir sind und anstreben, er will unsere höchsten Werte vernichten und muss deshalb selbst vernichtet werden.“)
5. Nullsummendenken („Was dem Feind nützt, schadet uns“, und umgekehrt.)
6. De-Individualisierung („Jeder, der zur Gruppe der N.N. gehört, ist eo ipso unser Feind.“)
7. Empathieverweigerung („Mit unserem Feind verbindet uns keine Gemeinsamkeit; es gibt keine Information, die uns von unserer Feind-Auffassung abbringen könnte; den Feinden gegenüber sind menschliche Gefühle und ethische Kriterien gefährlich und fehl am Platz.“)[6]

Das Feindbild wird häufig für politische Zwecke eingesetzt. Im „Dritten Reich“ wurde die jüdische Gemeinschaft zum Feind erster Klasse ernannt. Jedes der genannten Merkmale soll nun für das „Feindbild Jude“ nachgewiesen werden:

1. Misstrauen:

- Das jüdische Volk war für Hitler Verbündeter aller Feinde und damit der größte Feind für das deutsche Volk.[7] Er beharrte auf der Meinung, die Juden seien die „Vernichter seines Volkes .[8] So konnte man dem häufig als hinterhältig dargestellten Juden natürlich nicht trauen, selbst wenn er noch so vertrauenswürdig wirkte.

2. Schuldzuschiebung:

- Den Juden wurde für vieles die Schuld gegeben, zum Beispiel für die Inflation und das soziale Elend vieler Bürger. Sie galten als geldgierige Wucherer, die den „kleinen Mann“ in Überschuldung stürzten. Auch für den Ausbruch des Krieges waren sie nach Meinung der Nationalsozialisten verantwortlich. Schon im Mittelalter galten sie als die Schuldigen für die Pest. Seit Beginn der Christenheit werden sie als Christusmörder angeprangert, dabei wird gern übersehen, dass Jesus selbst Jude war.[9] [Vgl. Kap. II.2.2.]

3. negative Antizipation

- Da „der Jude“ für Hitler hinter allen Feindmächten stand und das deutsche Volk vernichten wollte, waren die Konsequenzen aus all seinen Handlungen selbstverständlich als nachteilig für die „arische Rasse“ anzusehen.

4. Identifikation mit dem Bösen

- Die „Reinerhaltung des deutschen Blutes“[10] galt als Hauptziel der nationalsozialistischen Ideologie. Der Jude stand diesem Ziel im Wege, denn durch seine Adern fließe „minderwertiges“ Blut. Vermische sich dieses nun mit dem Blut eines Ariers, so würde dieses vergiftet. Diese „Blutschande“ galt als eines der schwersten Verbrechen und als Angriff auf die höchsten Werte im „Dritten Reich“. Auch der Vergleich der Juden mit dem Teufel, dem das deutsche Volk als Gesandter Gottes gegenübersteht[11], verdeutlicht, wie sehr die Juden dämonisiert wurden.

5. Nullsummendenken

- Die Juden als angebliche Schöpfer und Träger des internationalen Börsenkapitalismus“ und „Hauptfeind der deutschen Freiheit“[12] lebten nach Ansicht der Nationalsozialisten auf Kosten des deutschen Volkes. Nicht umsonst wurde immer wieder die Metapher des Parasiten gebraucht, der als Nutznießer eines Wirtes diesem zum Nachteil wird. Entzieht sich der Wirt wiederum dem Parasiten, oder „scheidet ihn aus“, wie es im NS-Jargon regelmäßig hieß, so stirbt der Mitesser [Vgl. Kap. IV.2.].

6. De-Individualisierung

- Egal ob ein Jude im 1. Weltkrieg an der Front sein Leben für das deutsche Volk geopfert oder riskiert hatte, gleich ob er dafür die höchsten militärischen Auszeichnungen bekam – für die Nationalsozialisten war er ein Volksfeind, da er der feindlichen Gruppe angehörte.

7. Empathieverweigerung

- Dass sie mit den Juden nichts gemeinsam hätten, ja dass sich sogar das Blut unterscheide, betonten die Nationalsozialisten immer wieder. Durch die stetige Entmenschlichung der Juden wurde es für sie ein Leichtes, kein Mitleid mit ihnen zu empfinden, denn wer hat schon Mitgefühl mit Unkraut und Blutegeln?[13]

II.2. Das Feindbild im Rahmen des NS-Propagandakonzepts

II.2.1. Propaganda – ihre Bedeutung für die Nationalsozialisten

Propaganda im Nationalsozialismus bezeichnet „alle Maßnahmen […] zur einheitlichen Ausrichtung des Volkes in allen politischen Fragen“.[14]

Die NS-Führung wollte Propaganda zu ihrem Werkzeug machen. Dazu war es notwendig, den Begriff von seiner traditionell negativ wertenden Bedeutung zu befreien. Am 13.03.1933 wurde das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ mit Goebbels an der Spitze eingerichtet. Dieser sollte das Image der Propaganda aufpolieren. „Ich verwahre mich dagegen, daß die Propaganda etwas Minderwertiges sei, denn wir säßen heute nicht in den Ministersesseln, wenn wir nicht die großen Künstler der Propaganda gewesen wären. Und wir hätten nicht den Krieg verloren, wenn wir die Kunst der Propaganda besser verstanden hätten. Das ist das Geheimnis der Propaganda: den, den die Propaganda fassen will, ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne daß er überhaupt merkt, daß er durchtränkt wird“.[15] Ebenfalls 1933 wurde ein Gesetz erlassen, das es verbot, „den Ausdruck ‚Propaganda’ gleichbedeutend mit ‚Reklame’ für die Wirtschaftswerbung zu verwenden“.[16] Immer wieder wurden Presseanweisungen herausgegeben, die die Verwendung des Propagandabegriffs steuern sollten: „Es wird gebeten, das Wort ‚Propaganda’ nicht mißbräuchlich zu verwenden. Propaganda ist im Sinne des neuen Staates gewissermaßen ein gesetzlich geschützter Begriff geworden und soll nicht für abfällige Dinge Verwendung finden. […] Propaganda nur dann, wenn für uns, Hetze wenn gegen uns“.[17] Folglich sollte dem Propagandabegriff jegliche negative Wertung entzogen werden, auf die feindliche Propaganda sollten neben der „Hetze“ Begriffe wie „Agitation“ oder „Lügenkampagne“ angewendet werden.

Auch Hitler hatte „schon immer die Tätigkeit der Propaganda außerordentlich interessiert“.[18] Er „sah in ihr ein Instrument, das gerade die sozialistisch-marxistischen Organisationen mit meisterhafter Geschicklichkeit beherrschten“ und erkannte, dass „die richtige Verwendung der Propaganda eine wirkliche Kunst darstellt“.[19] Es kam ihm darauf an, „diejenigen Menschen durch Aufklärung und Propaganda zu gewinnen, die bisher ihrer Erziehung und Einsicht nach auf gegnerischem Boden standen“.[20] Hitler war ohne Zweifel ein begabter Rhetoriker. Ihm war bewusst, dass der beste Weg, seinen Skeptikern und ihren Argumenten entgegenzutreten, die Flucht nach vorn war. Es sei „wichtig, sich in jeder einzelnen Rede vorher schon klar zu werden über […] zu erwartend[e] Gegeneinwände und diese dann in der eigenen Rede bereits restlos zu zerpflücken“.[21]

Die Propaganda war für ihn eine „Waffe ersten Ranges“[22] und ein Mittel, das „der Unterstützung des Ziels, dem sie dient, zweckmäßig angepaß[t]“[23] sein musste. Dieses Ziel war die Eroberung und Überzeugung des gemeinen Volkes von „seiner“ Idee, er wollte die Menschen „zum Sterben […] berauschen“.[24] Schon Klemperer erkannte: „Die LTI ist ganz darauf gerichtet, den Einzelnen um sein individuelles Wesen zu bringen, ihn als Persönlichkeit zu betäuben, ihn zum gedanken- und willenlosen Stück einer in bestimmter Richtung getriebenen und gehetzten Herde, ihn zum Atom eines rollenden Steinblocks zu machen“.[25] Frind fügt hinzu: „Wo […] Sprache ihre Darstellungs- und Ausdrucksfunktion weitgehend zugunsten der Appellfunktion aufgeben muß, wo Sprache nicht mehr als soziales und kommunikatives Phänomen erlaubt ist, da wird sie zum Vehikel einer Pseudo-Ideologie und selbst ein Werkzeug des Terrors“.[26] Nach Hitler habe sich Propaganda „ewig nur an die Masse zu richten! Für die Intelligenz […] ist nicht Propaganda da, sondern wissenschaftliche Belehrung“.[27] So machte er kein Geheimnis daraus, dass er sein Publikum, die „Masse“, für geistig beschränkt und ihre Empfindungen für primitiv hielt.[28] „.Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll“.[29] Er unterstellte der Mehrzahl der Bürger Unfähigkeit zu komplexer Meinungsbildung und ein Schwarz-Weiß-Denken, das lediglich zwischen „Liebe oder Haß, Recht oder Unrecht, Wahrheit oder Lüge“[30] unterscheiden könne. Um das Auditorium für sich zu gewinnen, hätte Propaganda folglich „nicht objektiv auch die Wahrheit […] zu erforschen, […] sondern ununterbrochen der eigenen zu dienen“.[31] Sie „hat sich auf wenig zu beschränken und dieses ewig zu wiederholen“[32] und soll „die Masse […] überzeugen“ durch „ein[e] tausendfach[e] Wiederholung einfachster Begriffe“.[33] In „Mein Kampf“ betonte Hitler immer wieder die Notwendigkeit der fortwährenden Wiederaufnahme der immer gleichen Gedanken.

„Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß“.[34] Daher habe sich jede Propaganda „auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis […] der Letzte“ das Anliegen versteht“.[35] Auch dem Zeitzeugen Victor Klemperer entging diese Strategie nicht: „Nein, die stärkste Wirkung wurde nicht durch Einzelreden ausgeübt, auch nicht durch Artikel oder Flugblätter, durch Plakate oder Fahnen, sie wurde durch nichts erzielt, was man mit bewußtem Denken oder bewußtem Fühlen in sich aufnehmen mußte. Sondern der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden“.[36] Dabei war die Entwicklung eines Feindbildes ein wichtiger Bestandteil des Hitler’schen Propagandakonzepts [Vgl. Kap. II.2.2.]. Es musste dem Publikum eingeprägt werden, dass der „Feind Jude“ das Unmenschliche schlechthin verkörperte. Das war nur, wie Hitler wusste, durch „gleichbleibend[e], konsequent[e] Betonung“ und „Beharrlichkeit“[37] möglich.

II.2.2. Entwicklung und Bedeutung des Feindbildes Jude

Wie bereits angedeutet, ist das Feindbild ein beliebtes Mittel politischer Gruppen für die Legitimierung der eigenen Aktionen gegen den Widersacher. So sahen auch die Nationalsozialisten das Feindbild als ein „Mittel zur Rechtfertigung von Gewalt und als Möglichkeit der Entmenschlichung von Menschen“[38] an. Die Feindbilder der Nationalsozialisten „dienten zum einen zur Rechtfertigung von Hitlers Politik, zum anderen sollten sie die ‚Masse’ zu seinem sicheren Kampfgefährten machen“.[39] Hitler selbst schrieb über die Notwendigkeit eines Feindbildes und benannte dabei sogar explizit die Gruppe, die zu seinem wichtigsten Feindbild werden sollte:

Es ist klar und hat sich bei allen Revolutionen durch die Praxis und die Tatsache erwiesen, daß ein Kampf für Ideale, für Verbesserungen irgendwelcher Art unbedingt ergänzt werden muß durch den Kampf gegen irgendeine Gesellschaft, Klasse oder Kaste.

[…] [K]eine der Revolutionen ist jemals ohne einen solchen Blitzableiter, durch den die Hassgefühle der breiten Masse abgeleitet werden, ausgekommen. Gerade daraufhin habe ich die revolutionären Vorgänge in der Geschichte nachgeprüft und mir dann die Frage vorgelegt: Gegen welchen Volksteil in Deutschland kann ich mit der größten Aussicht auf Erfolg meine Haßpropaganda einsetzen? Gefunden mußte ein solches Opfer werden und zwar eines, gegen das der Kampf auch materiell lohnte. Ich […] habe alle […] möglichen Lösungen dieses Problems geprüft und […] bin […] zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Kampf gegen die Juden ebenso populär wie erfolgreich sein würde.[40]

Dazu merkt Wagenlehner an, dass „[o]hne das klassische Feindbild in Gestalt des ewigen Juden […] die nationalsozialistische Bewegung nicht zu verstehen [sei]. Hitler entwickelte seine Bewegung gegen das von ihm geformte Bild vom Juden“.[41] Doch wurde dieses Bild wirklich von Hitler geformt? Wagenlehner übersieht an dieser Stelle, dass das negative Bild des Juden mit all seinen zugeschriebenen Eigenarten bereits lange vor Hitler vorhanden war. Außerdem beachtet er nicht, dass Feindbilder den Rezipienten nicht aus dem „Nichts“ heraus prägen können, sondern dass „diese Feindbilder an die Erfahrungen und Erwartungen, den Horizont der Zuhörer an[knüpfen].“[42] Zu diesen Erfahrungen gehörte beispielsweise der seit Jahrhunderten den Juden anhängende Ruf des Wucherers. Auch wenn der einzelne Mensch selbst nie in Kontakt mit betrügerischen Aktivitäten seitens der jüdischen Mitbürger gekommen war – ein gewisser Anteil an Voreingenommenheit war und ist wohl in jedem Menschen vorhanden, wie sonst war es möglich eine so breite Masse gegen eine Bevölkerungsgruppe zu mobilisieren? Dazu bemerkt Doris Gorr: „Ein gemeinsamer Feind wie ‚der Jude’, der bruchlos aus den bereits vor dem Nationalsozialismus vorhandenen Vorurteilsstrukturen hergeleitet und nun an die materiellen Plausibilitätsmuster angeklammert werden konnte, eignete sich gut für die Stärkung des Zusammenhalts verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, die in der Synthese des Volkes vereint werden“.[43] Doch warum wurde gerade die jüdische Minderheit zum Feind einer ganzen Nation „auserkoren“? Die Wurzeln des Antisemitismus gehen bis ins Jahr 70 n. Chr. zurück, als Jerusalem durch die Römer zerstört wurde und die Überlebenden in verschiedenen Ländern Zuflucht suchen mussten.

Dadurch bildeten sich in vielen Nationen jüdische Minderheiten, die trotz Integration in die jeweilige Kultur an ihren eigenen Traditionen festhielten. Ein schönes Beispiel dafür ist die Entstehung vieler verschiedener Formen des Jiddisch – einer Mischsprache die sich aus dem Hebräischen und der jeweiligen Landessprache zusammensetzt. Natürlich waren viele Mitglieder der Glaubensgemeinschaft nicht bereit ihrer Religion abzuschwören und beispielsweise zum Christentum zu konvertieren. Dadurch wurden sie zur Zeit der Kreuzzüge ein beliebtes Ziel der Inquisition in ganz Europa. Doch selbst die so genannten „Neuen Christen“, zum Christentum übergetretene Juden, konnten sich nie sicher fühlen, denn nicht selten wurde ihnen Scheinkonvertierung unterstellt. Sie wurden für Naturkatastrophen, Hungersnöte, ja sogar für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht, finden sich folglich bereits seit Jahrhunderten in der Rolle des Sündenbocks wieder. Gerüchte über Ritualmorde, wie später oft im „Stürmer“ zu lesen, verbreiteten sich und die Juden wurden dazu gezwungen, sich in der Öffentlichkeit zu erkennen zu geben – erst mit dem Judenfleck, später mit dem Stern. Da die Juden seit dem Mittelalter nur kaufmännische Berufe ausüben durften, hatten sie bald den Ruf der sich auf Kosten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Angeblicher Judenmord (6 Knaben) 1476 in Regensburg

der Christen bereichernden Ausbeuter inne. All dies führte zu einer immer stärkeren Ablehnung der Juden durch die Bevölkerung. Die rassistisch bedingte Verfolgung, wie sie bei

den Nationalsozialisten zu finden ist, ersetzt jedoch erst ab dem 19. Jahrhundert den bisher religiös motivierten Judenhass. Die Rassenlehre eines Gobineau, zu finden beispielsweise im „L’essai sur l’inégalité des races humaines“, unterscheidet klar zwischen „höheren“ und „niederen“ Rassen und gilt ebenso wie die „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ von Housten Stewart Chamberlain als Fundament für Hitlers Rassenwahn. Der „Rassebegriff [schien] Hitler dazu geeignet, das Volk zu einen“.[44] Die Annahme, gleichen Blutes zu sein, sollte dem deutschen Volk ein Gefühl der Zusammengehörigkeit jenseits von sozialen Unterschieden bieten. Gleichzeitig sollte es klar von den „Rassen minderwertigen Blutes“ abgegrenzt werden. Da das Blut der „niederen Rassen“ nicht „aufgewertet“ werden konnte [umgekehrt war es jedoch möglich, „arisches“ Blut durch Mischung mit jüdischem zu „vergiften“], wurde den Juden jede Chance auf Angleichung an die „Übermenschen“ verwehrt und sie konnten dadurch zu einem konstanten, unveränderlichen Feindbild gemacht werden.

Juden als „Untermenschen“ galten zunehmend als, äußerlich wie innerlich, anders geartet und minderwertig. Sie wurden „zu Schablonen verdreht und ihrer Menschlichkeit entkleidet. […] Die zunehmende Abstraktion des Juden gab den wachsenden Prozeß seiner Entpersönlichung wieder. Nachdem dem Juden einmal eine Seele aberkannt und echte Empfindungen abgesprochen waren, nachdem seine Religion einmal zum Fossil ohne ethischen Inhalt erklärt worden war, war er auf dem besten Wege, entmenschlicht zu werden“.[45] Schon aus dem 19. Jahrhundert sind Sprichwörter wie „Der Jude hat wohl des Menschen Gestalt / Doch fehlt ihm des Menschen inn’rer Gehalt!“[46] bekannt. Und der Entmenschlichungsprozess wurde immer weiter getrieben. Die Juden wurden nicht nur als Tiere [Ratten, Schlangen,…] betitelt, sondern auch so behandelt. Vor Parks, Badeseen und Kurorten fand man Schilder, auf denen anstelle des heute üblichen „Hunde verboten“ zu lesen war: „Juden unerwünscht“.[47] Auch die Gefangenentransporte zu den Konzentrationslagern erinnerten in ihrer unmenschlichen Art an Nutztierverfrachtungen.

Weiterhin wurde ihnen eine Verschwörung gegen den Rest der Welt unterstellt. „Die [gefälschten] Geheimnisse der Weisen von Zion“ sollten den Nationalsozialisten die notwendigen Beweise liefern. So erklärte Hitler seinen Krieg kurzerhand zum jüdischen Krieg. Das deutsche Volk versuchte er davon zu überzeugen, dass es vor dem „Feind“ geschützt werden müsse. Immer und immer wieder wurde die Boshaftigkeit und Unmenschlichkeit des „Gegners“ betont.

Dabei schöpften die Nationalsozialisten alle Möglichkeiten zur Streuung ihres Gedankenguts aus. Die Parteiführer berieselten das Volk in Massenkundgebungen mit ihrer Ideologie und vor allem mit antijüdischer Hetze. Jeder Haushalt sollte den so genannten „Volksempfänger“ bekommen um stets erreichbar für die Verbreitung des nazistischen Gedankenguts zu sein. Rundfunk und Presse wurden gleichgeschaltet, es erschienen Zeitungen wie „Der Stürmer“, der sich einzig der Judendenunziation verschrieben hatte. Hier wurde der Leser jeden Tag über neue jüdische Ritualmorde, Kinderschändungen und ähnliches „informiert“. Die Berichte im „Stürmer“ waren meist mit Karikaturen geschmückt, welche den verhassten Juden abbildeten [vgl. Abb. 2 – 4]. Sie stellten mit ihren Zeichnungen des langnasigen Juden oder auch des Juden in der Gestalt des Teufels illustrativ genau das Bild dar, das die Nazis auch durch sprachliche Mittel zu formen versuchten. Vor jüdischen Geschäften hingen Plakate mit der Aufschrift „Kauf nicht beim Juden!“. Im Kino zeigte man Filme wie „Jud Süß“ und „Der ewige Jude“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Der ewige Jude – Filmplakat zum antisemitischen Propagandafilm der Nationalsozialisten.

Abb. 3: Postkarte zur Ausstellung „Der Ewige Jude“, Wien 1938.

Abb. 4: Der Jude als Rassenschänder. Unter dem Bild ist zu lesen: „Der Nürnberger Jude Otto Mayer

pflegte seine Opfer zu kreuzigen. In völlig nacktem Zustande band er sie an ein eigens dazu angefertigtes Holzkreuz und schändete sie, sobald aus den Wundmalen das Blut floß.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

So wurde das Feindbild im ganzen Land verbreitet und es war kaum möglich, sich dieser propagandistischen Flut zu entziehen. Die Nationalsozialisten konnten ihre Feindbilder gezielt auf die Rezipienten zuschneiden und sie ihnen systematisch einprägen. Um das deutsche Volk zu antijüdischen Handlungen oder auch nur zur Tolerierung dieser zu bewegen, mussten „Informationen“ über den Gegner in sprachliche Mittel verpackt werden, die gezielt darauf gerichtet waren, die Masse anzusprechen und zu überzeugen [vgl. Kap. IV.2.].

Gleichzeitig wurden die grausamen Taten der Nationalsozialisten sprachlich verharmlost und getarnt, denn „Sprache kaschiert die Unmenschlichkeit“.[48] Wagenlehner ergänzt: „Der Vernichtungsvorgang selbst war so ungeheuerlich, daß sein gesamtes Umfeld der semantischen Tarnung bedurfte“.[49]

Ebenso wichtig wie die wirkungsvollste Sprache zur Manipulation der Massen auszuwählen war es, die geplanten Gräueltaten juristisch zu legitimieren und Rechtfertigungen für die Diskriminierung in Gesetzestexten zu verankern, so geschehen beispielsweise bei der Verfassung der Nürnberger Gesetze. Sie ließen die Handlungen der Nationalsozialisten legal erscheinen und das deutsche Volk konnte die Juden gesetzestreu und mit reinem Gewissen aus dem gesellschaftlichen Leben ausschließen.

III. Das Selbstbild der Nationalsozialisten

Bereits Victor Klemperer erfasste die Bedeutung des Feindbilds: „[O]hne den finstern Juden hätte es nie die Lichtgestalt des nordischen Germanen gegeben“.[50] Die Herabwürdigung des Feindes und die Aufwertung der eigenen Gruppe mussten sich die Waage halten. Man sah in den „Ariern“ das absolute Gegenteil der „niederen Rassen“. Während die Juden dämonisiert wurden, fühlten sich die Nationalsozialisten als Gesandte Gottes: „Wer den Teufel nicht hassen kann, der kann auch Gott nicht lieben. Wer sein Volk liebt, der muß die Vernichter seines Volkes hassen, aus tiefster Seele hassen“.[51] Hitler glaubte, „im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herren“.[52]

Vor allem im militärischen Bereich wurde das Ideal des heldenmütigen deutschen Mannes hochgehalten. Die deutschen Soldaten wurden heroisiert, während man die Niederlagen der Gegner und deren großen Verluste hervorhob. Gelangte der Feind doch einmal zum Sieg, dann konnte dies nur durch Hinterhalt, pausenlosen Angriff, waffentechnische Überlegenheit einer Übermacht und widrige Umstände im Allgemeinen geschehen: „In Stalingrad ist die Südgruppe der 6. deutschen Armee nach zweimonatigem Ringen gegen die feindliche Übermacht, bei bitterer Kälte und nach unmenschlichen Entbehrungen, am 31. Januar von den zahllosen schweren Waffen, Panzern und Flugzeugen der Bolschewisten überwältigt worden“.[53] Stets betonte man die Tapferkeit und Standhaftigkeit der deutschen Truppen: „Nach einem Heldenkampf, der in der Kriegsgeschichte nicht seinesgleichen hat, ist die südliche Gruppe der Verteidiger von Stalingrad, die schließlich auf ein kleines Häuflein zusammengeschmolzen ist, der erdrückenden Übermacht der bolschewistischen Massen erlegen, während die größere Kampfgruppe im Norden nach wie vor heldenhaft Widerstand leistet“.[54]

[...]


[1] Wagenlehner 1989, S. 6.

[2] Ebd., S. 18.

[3] Ebd., S. 10.

[4] Vgl. ebd., S. 11.

[5] Vgl. Gorr 2000, S. 86 f.

[6] Wagenlehner 1989, S. 7.

[7] Vgl. Gorr 2000, S. 83.

[8] Zit. nach Wagenlehner 1989, S.27.

[9] Vgl. ebd., S. 23.

[10] Gorr 2000, S. 102.

[11] Vgl. Wagenlehner 1989, S. 23.

[12] Zit. nach Graml 1988, S. 103.

[13] Vgl. Wagenlehner 1989, S. 40.

[14] Schmitz-Berning 1998, S. 475.

[15] Zit. nach ebd., S. 479.

[16] Ebd.

[17] Ebd., S. 480.

[18] Hitler 1925, S. 193.

[19] Ebd.

[20] Ebd., S. 524.

[21] Ebd., S. 522 f.

[22] Ebd., S. 204.

[23] Ebd., S. 194.

[24] Ebd., S. 202.

[25] Klemperer 1990, S. 29.

[26] Zit. nach Gorr 2000, S. 65.

[27] Hitler 1925, S. 196.

[28] Vgl. ebd., S. 201.

[29] Ebd., S. 197.

[30] Ebd., S. 201.

[31] Ebd., S. 200.

[32] Ebd., S. 202.

[33] Ebd., S. 203.

[34] Ebd., S. 198.

[35] Ebd.

[36] Klemperer 1990, S. 21.

[37] Hitler 1925, S. 203.

[38] Gorr 2000, S. 81.

[39] Ebd., S. 84.

[40] Zit. nach Wagenlehner 1989, S. 27 f.

[41] Ebd., S. 12

[42] Gorr 2000, S. 84.

[43] Ebd., S. 98.

[44] Ebd., S. 82.

[45] Ebd., S. 99.

[46] Ebd., S. 72

[47] Vgl. Schreckenberg 2003, S. 155.

[48] Gorr 2000, S. 92.

[49] Wagenlehner 1989, S. 34.

[50] Klemperer 1990, S. 187.

[51] Zit. nach Wagenlehner 1989, S. 27.

[52] Hitler 1925, S. 70.

[53] VB 43/33

[54] DA 43

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Zur Konstruktion des Freund-Feind-Schemas in Printmedien der NS-Zeit
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Zur Srachsituation im "Dritten Reich"
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
59
Katalognummer
V44266
ISBN (eBook)
9783638418997
ISBN (Buch)
9783640938094
Dateigröße
944 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konstruktion, Freund-Feind-Schemas, Printmedien, NS-Zeit, Srachsituation, Dritten, Reich
Arbeit zitieren
Berit Stehr (Autor:in), 2005, Zur Konstruktion des Freund-Feind-Schemas in Printmedien der NS-Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44266

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