Erzählstrategie in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" und ihr Beitrag zur Unauflösbarkeit des Werks


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Phantastische Literatur

3. Erzählinstanzen im Sandmann
3.1. Nathanael als Erzähler
3.2. Clara als Erzählerin
3.3. Der Erzähler
3.3.1. Der Erzählerexkurs
3.3.2. Multiperspektivität des Erzählers

4. F azit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

E.T. A. Hoffmanns Der Sandmann ist zum einen die wohl meistinterpretierteste, zum ande­ren auch die am gegensätzlichsten interpretierte Erzählung Hoffmanns. Bereits zu Zeiten der Entstehung des Textes wurde auf die Probleme, die dieser dem Leser bereitet, hingewiesen und teilweise sogar gänzlich von der Lektüre des Werkes abgeraten. Auch Goethe fällte kein positives Urteil über den Text beziehungsweise Hoffmanns gesamtes Werk und bezeichnet den Dichter selbst als krank:

״[...] welcher treue, für Nationalbildung besorgte Teilnehmer hat nicht mit Trauer gesehen, daß die krankhaften Werke jenes leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen und solche Verirrungen als bedeutend fördernde Neuigkeiten gesunden Gemütern eingeimpft worden.“[1]

Auch heute spaltet der Text noch die Massen und hat eine Unzahl an unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen Interpretationen hervorgebracht. Uneinigkeit herrscht schon darüber, was das zentrale Thema des Textes sei. Zahlreiche Interpretationen schreiben dem Text eine Destruktion der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit[2], andere eine Kritik an der Ver­nunft und der Aufklärung[3] zu, einige untersuchen das Verhältnis von Phantastik und Wahn- sinn[4] und betrachten den Text als Beispiel für die Behandlung der Wahnsinnsthematik in der Literatur der Romantik[5].

Was die meisten Interpretationen jedoch gemein haben ist, dass sie versuchen, eindeutige Antworten auf kontroverse Fragen, die der Text aufwirft, zu finden. So wird stets versucht, entweder zu beweisen, dass Nathanael tatsächlich wahnsinnig ist oder nicht, dass Coppola und Coppelius dieselbe Person sind oder zwei Personen und ob der Sandmann wirklich exis­tiert oder lediglich eine Figur Nathanaels Phantasie ist. Es verwundert hierbei nicht, dass die verschiedenen Interpretationen auch unterschiedliche Antworten auf diese Fragen liefern. Ein häufiges Problem der Literatur zum Sandmann ist vor allem, dass viele Interpretationen versuchen, ihre aufgestellte Theorie am Text zu beweisen, anstatt anhand des Textes eine

Theorie zu entwickeln. Ganz nach dem Motto ״Was nicht passt, wird passend gemacht“ werden dafür Teile des Textes, die nicht in die jeweilige Theorie hineinpassen, schlichtweg nicht beachtet, sodass es keineswegs verwundert, dass so viele Interpretationen existieren, die zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen und dem Text einen widersprüchlichen Sinn zuschreiben.

Dass jedoch gerade die Paradoxien und Unauflösbarkeiten im Sandmann den Text zu dem machen was er ist, wurde erst spät erkannt. So gibt es vergleichsweise wenig Interpretatio­nen, die die Unsicherheiten, Ungereimtheiten und Aporien des Textes als ״bewußt einge­setztes Strukturmerkmal des Textes [...] werten, das diesem erst seine Raffinesse gibt.“[6] Anstatt die Unentscheidbarkeit und Ungewissheit, vor die der Text den Leser an zahlreichen Stellen und auch am Ende stellt, als negatives Merkmal des Textes zu kritisieren, wird ver­mehrt die Nichtauflösbarkeit und die Multiperspektivität als grundlegend für das Verstand- nis desselben, so paradox dies auch klingen mag, gesehen.

In der vorliegenden Arbeit soll eben diese Multiperspektivität und Hoffmanns Erzählstrate­gie im Sandmann untersucht und aufgezeigt werden, dass diese für die Verständnis sch wie- rigkeiten, die Der Sandmann zuweilen bereitet, zu großen Teilen verantwortlich ist. Es ist eben genau dieser Wechsel zwischen verschiedenen Perspektiven und Erzählern, der es dem Leser unmöglich macht, die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu bestimmen und die Erzählung und deren kontroverse Fragen eindeutig zu erfassen und zu beantworten. Die Erzähl Strategie bedingt daher die Nichtauflösbarkeit des Sandmanns.

Zunächst soll eine kurze Beschreibung des Phantastischen in der Literatur vorgenommen werden, um somit später die Probleme, die die Erzähl Strategie Hoffmanns bei der Unter­Scheidung zwischen Phantastik und Realität bereitet, aufzeigen zu können. Im Anschluss werden dann die verschiedenen Erzählinstanzen, die im Sandmann auftreten, betrachtet und untersucht, inwiefern diese die Verständigkeit der Erzählung beeinflussen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Untersuchung der Multiperspektivität des Erzählerberichtes, die keine eindeutige Sichtweise ermöglicht und somit das Leserverständnis erschwert und die Grenze zwischen Fiktion und Realität verwischt.

2. Die Phantastische Literatur

Die Phantastische Literatur kann definiert werden als

״eine Form nicht-mimetischer Literatur, die in eine ,real mögliche Welt‘ eine andere, z. в. ,ту- thische Welt‘ einbrechen läßt, die dem dominierenden kulturellen Wissen des jeweiligen Publi­kums als unmöglich gilt.“[7]

Das heißt, die Textwelt besteht genauer gesagt aus zwei Welten, von denen eine real, die andere irreal ist. Letztere bricht in der phantastischen Literatur meist unvermittelt in die reale Welt ein und widerspricht der dort vorherrschenden Alltagserfahrung und Realitätskonzep­tion. Ob eine Textwelt als real oder irreal zu bewerten ist, ist demnach abhängig davon, ob sie mit dem kulturellen Wissen und den (logischen, biologischen, physikalischen, weltan­schaulichen) Normen der dominierenden Realitätskonzeption kompatibel ist oder nicht.[8] Auch in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann erlebt Nathanael dieses Einbrechen des Phantas­tischen in die akzeptable Teilwelt und nimmt dies, wie in der phantastischen Literatur ty­pi sch, als real wahr.

Während im Märchen, das keinerlei Bezug zur Realität hat, phantastische oder wunderbare Elemente schlichtweg akzeptiert werden, wird in der phantastischen Literatur, weil diese immer einen Bezug zur Realität hat, der Einbruch des Wunderbaren und Phantastischen als bedrohlich und die Sicherheiten der realen Welt in Frage stellend angesehen. Roger Callois beschreibt dies folgendermaßen:

״Im Phantastischen [... ] offenbart sich das übernatürliche wie ein Riß in dem universellen Zu­sammenhang. Das Wunder wird dort zu einer verborgenen Aggression, die bedrohlich wirkt, und die Sicherheit einer Welt zerbricht, in der man bis dahin die Gesetze für allgültig und unverrück­bar gehalten hat. Es ist das Unmögliche, das unerwartet in einer Welt auftaucht, aus der das Unmögliche per definitionem verbannt worden ist.[9]

Daher rufen phantastische Erzählungen meist eine unheimliche oder grausame Stimmung hervor und enden oft, im Gegensatz zum Märchen, mit einem tragischen Ereignis wie dem Tod oder dem Verschwinden des Protagonisten.[10]

Auch Nathanael ereilt am Ende des Sandmannes dieses Schicksal und er stürzt sich in einem seiner Wahnsinnsanfälle vom Turm und stirbt. Ob sein Wahnsinn jedoch durch das Phantas­tische im Sandmann ausgelöst wird, oder genau umgekehrt, sein Wahnsinn das Phantasti- sehe bedingt, bleibt eine der vielen offenen Fragen der Erzählung.

Marianne Wünsch argumentiert, dass das Auftreten phantastischer Elemente in der akzep­tablen Teilwelt stets erklärt werden muss, um die beiden Welten, die reale und irreale, kom­patibel zu machen. Dies, so Wünsch, könne auf drei Arten erfolgen. Entweder die phantas­tischen Elemente werden im Laufe der Erzählung getilgt und erweisen sich als Traum, Hai­luzination oder Wahnvorstellungen, womit die normale Realitätskonzeption bestätigt wird. Oder, dies sei die zweite Möglichkeit, die phantastischen Elemente werden als real und da­mit gleichzeitig die Koexistenz der normalen und der anderen Wirklichkeit bestätigt. Eine dritte Möglichkeit sei es, den Status der phantastischen Elemente ambivalent zu lassen und sowohl eine realistische als auch eine phantastische Erklärung anzubieten, wodurch es dem Leser überlassen bleibt, die Grenze zwischen Realität und Phantastik zu ziehen.[11]

Genau dies ist der Fall in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann. Der Leser wird zunächst mit Nathanaels Schilderung der phantastischen Ereignisse, also dem Auftreten des Sandmannes beziehungsweise des Advokaten Coppelius und dessen Misshandlung Nathanaels konfron­tiert. Da dieser keine rationale Erklärung für das Ereignis anbietet, geht der Leser nach des­sen Brief zunächst von der tatsächlichen Existenz dieser phantastischen Begebenheit aus. Nach Claras Antwortbrief jedoch ändert sich die Sichtweise auf die Ereignisse, da diese eine rationale Erklärung für die Begebenheit mit dem Sandmann, nämlich alchimistische Expe­rimente und eine ausgeprägte Phantasie des kindlichen Nathanaels, liefert. Selbst dieser ist nach Claras Brief zunächst davon überzeugt, dass Copolla und Coppelius nicht die selbe Person sein können und auch der Leser zweifelt Nathanaels Glaubwürdigkeit an. Welche Erklärung der Ereignisse nun tatsächlich stimmt, wird jedoch bis zum Ende der Erzählung nicht aufgeklärt und es bleibt offen, ob die phantastischen Elemente tatsächlich stattfinden, und damit sowohl die normale als auch die andere Wirklichkeit existieren, oder ob diese lediglich ein Gespinst Nathanaels Phantasie sind und demnach nur die normale Wirklichkeit existiert. Dies zu entscheiden, bleibt dem Leser überlassen, der jedoch aufgrund der ver­schiedenen Erzählinstanzen, sowie der Multiperspektivität Schwierigkeiten damit hat, die

Erzählung als Ganzes zu erfassen und die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu zie­hen.

3. Erzählinstanzen im Sandmann

In Hoffmanns Der Sandmann treten verschiedene Erzählinstanzen auf, nämlich Nathanael, Clara, sowie der Erzähler, die in unterschiedlichen Formen und aus unterschiedlichen Per­spektiven über das Geschehen berichten. Diese nehmen alle unterschiedlich oder gar keine Stellung zu den phantastischen Ereignissen, sodass es am Ende dem Leser überlassen wird, die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu ziehen und die Charaktere, sowie die ge­samte Erzählung zu beurteilen. Diese beginnt mit den drei Briefen Claras und Nathanaels und erst daraufhin meldet sich der Erzähler zu Wort, der, nach einem kurzen Exkurs über das Erzählen per se, die Geschichte, mal mehr und mal weniger allwissend erzählt und dabei häufig die Perspektiven wechselt, worauf später genauer eingegangen wird.

3.1. Nathanael als Erzähler

Der erste Erzähler, den der Leser kennenlernt und aus dessen Sicht er zunächst das Gesche­hen betrachtet, ist Nathanael, der sich in einem Brief an seinen Schwager Lothar zu wenden gedenkt, den Brief jedoch versehentlich an seine Verlobte Clara adressiert. Erbeginnt diesen sehr bildlich und dramatisierend: ״ Dunkle Ahnungen eines gräßlichen mir drohenden Schicksals breiten sich wie schwarze Wolkenschatten über mich aus, undurchdringlich je­dem freundlichen Sonnenstrahls“[12] und bezieht sich dabei auf sein Zusammentreffen mit dem Wetterglashändler Coppola, das in ihm eine Erinnerung an seine Kindheit hervorruft, die ״tief in sein Leben eingreifend" (S.7) gewesen sei.

Dass es sich dabei um ein phantastisches Ereignis handelt, wird bereits angedeutet, indem Nathanael Lothars mögliche Reaktion auf die Geschichte, ihn ״gewiß für einen aberwitzigen Geisterseher“ (S.7) zu halten, aufgreift. Er verleiht damit nicht nur dem Ereignis, das er zu erzählen gedenkt, den Status des Phantastischen, sondern unterminiert gleichzeitig seine ei­gene Glaubwürdigkeit, dadurch dass er bereits vor Beginn seiner Erzählung und damit bevor sich Lothar eine eigene Meinung darüber bilden könnte, den Bezug zur Wirklichkeit in Frage stellt. Auch räumt Nathanael ein, dass es wie toll aus ihm heraus lache (S.7), wenn er nur an die Begebenheit denke und beschreibt sich selbst als ״wahnsinnig[..]“ (S.8), wodurch sowohl bei dem Adressaten des Briefes als auch dem Leser Zweifel an seiner geistigen Verfassung aufkommen. Zudem behauptet er, Claras und Lothars Reaktion auf seine Erzählung bereits zu kennen. So höre er Lothar laut lachen und Clara die Geschichte als ״rechte Kindereien“ (S.8) abtun, womit zwar einerseits seine Erzählung in ihrer Ernsthaftigkeit abgewertet, an­dererseits jedoch auch Nathanaels Bewusstsein darüber, etwas Phantastisches, das für ihn Teil der Realität war, gesehen zu haben, betont wird.[13] Auch die Tatsache, dass Nathanael, bevor er das Ereignis schildert, zunächst die Schwierigkeit hervorhebt, dieses am adäqua­testen und wirkungsvollsten auszudrücken, demonstriert dessen Erkenntnis, etwas Phantas­tisches erlebt zu haben, das den anderen möglicherweise nicht glaubhaft erscheint : ״Ach mein herzlicher Lothar! Wie fange ich es denn an, dich einigermaßen empfinden zu lassen, dass das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein Leben so feindlich zerstö­ren konnte“ (S.7).

Das Ereignis, von dem Nathanael spricht, ist eine, für ihn rational nicht erklärbare, Begeg­nung mit dem Advokaten Coppelius, der, wie Nathanael glaubt, der Sandmann aus dem Märchen der Amme sei. Zunächst berichtet Nathanael von alltäglichen Erfahrungen aus sei­ner Kindheit und verwendet dafür das Präteritum sowie wörtliche Rede. Durch diese hat der Leser das Gefühl, direkt am Geschehen beteiligt zu sein und alles aus der Perspektive Natha­naels zu beobachten. Für den Höhepunkt seiner Erzählung, der Entdeckung des Advokaten Coppelius als Sandmann, wechselt Nathanael nun plötzlich vom Präteritum zum histori­sehen Präsens:

״Dicht, dicht vor der Türe ein scharfer Tritt - ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Tür springt rasselnd auf! - Mit Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fürchterliche Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittag ißt!-“ (S. 11)

Der plötzliche Tempuswechsel in dieser Passage lässt den Leser das Geschehen unmittelbar aus den Augen Nathanaels miterleben. Es wird der Eindruck erweckt, Nathanael berichte kein Ereignis aus seiner Kindheit, sondern erlebe die Situation just in diesem Moment und auch der Leser fühlt sich in das Geschehen eingebunden, als sitze er selbst hinter der Gardine und beobachte den Sandmann. Dieses unmittelbare Erleben des Lesers wird zudem durch die abgehackten Sätze, die Ausrufezeichen und die Gedankenstriche der Textpassage betont, die den Leser die angespannte Atmosphäre während der Entdeckung nachempfinden lassen.

Bei der näheren Beschreibung des Advokaten Coppelius und dessen regelmäßigen Besuchen wechselt Nathanael vom Präsens zurück ins Präteritum und bewirkt damit eine nüchterne und weniger emotionale Erzählweise. Es scheint, als wechsle Nathanael hier die Erzählper­spektive und berichte nicht mehr aus der Perspektive des kleinen Kindes, sondern eines Er­wachsenen, der rückblickend seine Erinnerungen beschreibt. Der Leser nimmt dadurch eine distanziertere Rolle ein als zuvor und nicht mehr unmittelbar am Geschehen teil. Als Natha­nael jedoch weiter die Machenschaften seines Vaters und Coppolas beschreibt, schildert er die Szenerie erneut aus der Sicht eines Kindes und der Leser erfährt alles aus dieser Perspek- rive, ist demnach auch wieder näher am Geschehen.

Verwunderlich ist, dass Nathanael, als er erzählt, wie er als kleiner Junge aus seinem Ver­steck stürzt und von Coppelius misshandelt wird, nicht vom Präteritum ins historische Prä­sens wechselt wie zuvor. Durch die wörtliche Rede jedoch wird die Szenerie trotzdem be­sonders eindrücklich beschrieben und dem Leser bleibt keine andere Wahl, als die Sicht­weise des jungen Nathanaels einzunehmen. Dieser berichtet zunächst noch subjektiv von den Ereignissen: ״Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen - scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer“ (S.13). Durch die Formulierung ״mir war es“ suggeriert Nathanael, dass es ihm lediglich erschien, als seien augenlose Ge­sichter um ihn herum, diese aber nicht wirklich existierten. Unmittelbar darauffolgend je­doch behauptet er, Coppelius habe geschrien ״Augen her, Augen her!“ (S.13), versucht, ihm ״glutrote Körner aus der Flamme“ (S.13) in die Augen zu streuen und ihn dann körperlich misshandelt: ״Und damit faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die Hände ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein“ (S.13).

Unterschied Nathanael zuvor noch zwischen seiner subjektiven Einschätzung und der Wirk­lichkeit, ist diese Grenze nun aufgehoben und er schildert die Ereignisse objektiv, so als gebe es keinen Zweifel daran, dass diese sich tatsächlich so zugetragen haben. Der Leser kann an dieser Stelle nicht entscheiden, ob die Misshandlung des Advokaten Coppelius tatsächlich so stattfand und der Sandmann demnach als phantastisches Element in die Wirklichkeit ein­dringt, oder ob er lediglich ein Gespinst Nathanaels Phantasie ist.[14] Ab diesem Punkt berich­tet Nathanael ausschließlich objektiv von den Ereignissen und der Leser muss diese Sicht­weise zwangsläufig akzeptieren, weil an dieser Stelle keine rationale Erklärung für den Vor­fall geliefert wird.

[...]


[1] Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe. Band 38. Schriften zur Literatur. Dritter Teil. Berlin 1907, S.131.

[2] Vgl. Werner Obermeit: Das unsichtbare Ding, das Seele heißt. Die Entdeckung der Psyche im bürgerlichen Zeitalter. Frankfurt am Main 1980.

[3] Vgl. Andrea Fuchs: Kritik der Vernunft in E.T.A Hoffmanns phantastischen Erzählungen ,Klein Zaches ge­nannt Zinnober‘ und ,Der Sandmann‘. Berlin 2001.

[4] Vgl. Horst Lederer: Phantastik und Wahnsinn. Geschichte und Struktur einer Symbiose. Köln 1986.

[5] Vgl. Georg Reuchlein: Bürgerliche Gesellschaft, Psychiatrie und Literatur. Zur Entwicklung der Wahnsinns­thematik in der deutschen Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. München 1986.

[6] Nikolai Vogel: E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann als Interpretation der Interpretation. Frankfurt am Main 1998, S.15.

[7] Marianne Wünsch: Phantastische Literatur. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubear­beitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 3:P-Z. Berlin 2010, s.71-74, hier S.71.

[8] Vgl.Ebd., S.71.

[9] Cailllois, Roger: Das Bild des Phantastischen. Vom Märchen bis zur Science Fiction, übersetzt aus dem Französischen von Rein A. Zondergeld. In: Zondergeld, Rein A. (Hg.): Phaicon 1. Almanach der phantasti- sehen Literatur. Frankfurt 1974, s.44-83.

[10] Vgl. Andrea Fuchs: Kritik der Vernunft in E.T.A Hoffmanns phantastischen Erzählungen ,Klein Zaches genannt Zinnober‘ und ,Der Sandmann‘. Berlin 2001, S.28.

[11] Wünsch: Phantastische Literatur, S.71.

[12] E.T.A Hoffmann: Nachtstücke, hg. von Gerhard R. Kaiser, Stuttgart 2010 (RUB 154), S.7-45, hier s.7. Im Folgenden stammt jedes Primärzitat aus dieser Ausgabe. Es wird im Fließtext hinter einem Zitat die Seitenzahl genannt.

[13] Vgl. Callian, Nicole: ״Bild - Bildlichkeit, Auge - Perspektiv“ in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann. Der Prozess des Erzählens als Kunstwerdung des inneren Bildes. In: E.T.A. Hoffmann Jahrbuch 12(2004), Heft 50, S-37-51, hier S.47.

[14] Emst F. Hoffmann: Zu E.T.A. Hoffmanns ״Sandmann“. In: Monatshefte 54(1962), Heft 5, s.244-252, hier S.245.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Erzählstrategie in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" und ihr Beitrag zur Unauflösbarkeit des Werks
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
22
Katalognummer
V442667
ISBN (eBook)
9783668806559
ISBN (Buch)
9783668806566
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Der Sandmann, Hoffman, Literatur, Klassiker, Dichter, Wahn, Wirklichkeit, Realität, Puppe, Olympia, Coppelius
Arbeit zitieren
Hannah Mohl (Autor:in), 2018, Erzählstrategie in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" und ihr Beitrag zur Unauflösbarkeit des Werks, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442667

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