Die Werbung der Zukunft. Wie Neuromarketing die Konsumentenansprache verändert


Textbook, 2018

79 Pages


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Inhaltsverzeichnis

Abstract / Zusammenfassung IV

Abbildungsverzeichnis V

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen des Neuromarketings
2.1 Neuroökonomie
2.2 Neuromarketing
2.3 Die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns
2.4 Psychologie der Massen

3 Einordnung der Werbung

4 Forschungsmethoden des Neuromarketings
4.1 Elektroenzephalografie (EEG)
4.2 Magnetenzephalografie (MEG)
4.3 Steady State Topography (SST)
4.4 Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
4.5 Eye-Tracking
4.6 Fazit
4.7 Apparative Beobachtungsmethoden

5 Erkenntnisse des Neuromarketings
5.1 Zusammenspiel des impliziten und expliziten Systems
5.2 Codes – Die Zugänge ins Gehirn
5.3 Brand Code Management

6 Fallbeispiel: Neuromarketing in der Praxis
6.1 Die Coca-Cola Company

7 Schlussfolgerung und Empfehlung

Literaturverzeichnis

Abstract / Zusammenfassung

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit verfolgt das Ziel, durch Erarbeitung der Erkenntnisse des Neuromarketings, einen Ausblick auf dessen Einflüsse auf die Werbung der Zukunft geben zu können.

Das Neuromarketing ist eine anwendungsorientierte, interdisziplinäre Forschungsmethodik, die anhand neurowissenschaftlicher Methoden, wie der EEG, MEG, SST oder fMRT versucht, die Aktivitäten im Gehirn des Konsumenten in Reaktion auf verschiedene Stimuli zu interpretieren, um eine Möglichkeit zur positiven Beeinflussung von Konsumenten abzuleiten.

Die verschiedenen beteiligten Forschungsdisziplinen verhelfen zu einem besseren Verständnis über die Anatomie und Funktionsweisen des menschlichen Gehirns. Der Großteil menschlichen Handelns basiert auf dem Bedürfnis, positive Emotionen zu erleben und Unlust zu vermeiden. Der Mensch richtet sich dabei stets nach seinem Belohnungs- und Vermeidungssystem, woraus folgt, dass er seine Entscheidungen unbewusst auf Basis positiver Emotionen trifft und diese erst im Nachhinein rationalisiert. Neben den Emotionen haben Faktoren wie Motive, Ziele, Persönlichkeit und die Gruppendynamik als Herdentier maßgeblichen Einfluss auf das menschliche Handeln. Diese Kriterien entscheiden über Relevanz, Glaubwürdigkeit und Differenzierung von Marken und Produkten und prägen demnach die Kaufentscheidung. Entscheidungen werden jedoch nie rein bewusst oder unbewusst getroffen. Die Erkenntnisse des Neuromarketings liefern hier verschiedene Ansätze und Theorien darüber, wie das menschliche Handeln stets aus dem Zusammenspiel von Bewusstsein und Unterbewusstsein entsteht.

Alle Marken und Produkte senden konstant Signale (Codes) aus, die unser Unterbewusstsein wahrnimmt und entschlüsselt. Je mehr unserer Sinneskanäle von einer Marke oder einem Produkt gezielt angesprochen werden, desto höher ist die Erfolgserwartung. Das Brand Code Management bietet hier eine, auf der Neuropsychologie basierende, strategische Methodik, um Marken Eingang in das menschliche Unterbewusstsein zu verschaffen. Das natürliche Phänomen der Emergenz kann dabei verwendet werden, um aus dem Zusammenspiel einzelner Codes verbesserte Eigenschaften und Strukturen für die Marke herauszubilden.

Am Beispiel eines aktuellen Werbespots der Coca-Cola Company wird verdeutlicht, welche Erkenntnisse des Neuromarketings bereits heute Eingang in die Werbung finden, um schlussfolgernd einen Ausblick evaluieren zu können, wie das Neuromarketing die Werbung der Zukunft beeinflussen wird.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Anatomie des menschlichen Gehirns.

Abbildung 2: Das limbische System.

Abbildung 3: Der Aufbau einer Nervenzelle.

Abbildung 4: Coca-Cola Werbespot „Taste the Feeling“

Abbildung 5: Entwicklung der weltweiten Marketingausgaben bis 2019.

Abbildung 6: Das emergente System eines Fischschwarms.

Abbildung 7: Coca-Cola Werbespot Fußball Weltmeisterschaft 2018 „Wir erfrischen eure Leidenschaft"

Abbildung 8: Apple Werbespot „Hinter dem Mac“

1 Einleitung

[1] Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung und der Wandel von Industrie- zu Informationsgesellschafft – täglich wird der Mensch von Massen an Informationen überflutet.[2] Es herrscht eine kontinuierlich wachsende Kommunikationsflut, welche einem immer flüchtiger werdenden Informationsverhalten von Konsumenten gegenübersteht.[3] Jährlich werden eine halbe Billion Euro in das Bewerben von Produkten und Dienstleistungen weltweit investiert; alleine in Deutschland beläuft sich das Werbeinvestment auf 80 Milliarden, mit steigender Tendenz.[4] Der deutsche Konsument wird von über 50.000 aktiv beworbenen Marken, einem Sortiment von über 10.000 Produkten im nächstgelegenen Supermarkt und über 3.000 täglichen Werbebotschaften verschiedenster Kommunikationskanäle konfrontiert.[5] Diese Reizüberflutung führt zu einer Informationsüberlastung. Der Konsument kann die Masse an Informationen nicht mehr wahrnehmen, geschweige denn aktiv verarbeiten – die Werbung stößt auf Überforderung und Desinteresse.[6] Dieses Phänomen der Informationsüberlastung stellt für die Kommunikation von Marken eine große Herausforderung dar.

Die digitale Revolution der Welt schreiten voran und bringt neue, innovativere Informations- und Kommunikationstechniken hervor. Markteintritte neuer Wettbewerber werden leichter, die Anzahl der Konkurrenten steigt. Produktmärkte erreichen höhere Sättigungsgrade, Produkte werden homogener. Das Resultat sind konzentrierte Märkte, auf denen sich Wettbewerbsfähigkeit nur noch durch Verdrängung etablieren lässt. Demnach muss der Fokus des Marketings auf die Kommunikationspolitik gelegt werden, um Produkte und Dienstleistungen anhand der Markenkommunikation mit einem emotionalen Mehrwert anzureichern, dem Konsumenten somit die Identifikation und Differenzierung zu erleichtern und letztendlich die Bevorzugung gegenüber der homogenen Konkurrenz zu erzielen. Denn es ist der immaterielle Mehrwert einer Marke, was letztendlich das Wahlverhalten eines Konsumenten bestimmt.[7]

Es existieren unzählige Publikationen über das Marketing, eine Vielzahl von Marketing- und Managementinstrumenten ist im Einsatz und es werden Millionen in die Marktforschung investiert. Trotzdem scheitern 80 Prozent aller neueingeführten Produkte obwohl vor der Einführung intensive Marktforschungsmaßnahmen getroffen wurden. Laut der GfK müssen um die 20.000 Produkte aufgrund ihres Misserfolgs nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden, was zu einer Verschwendung von jährlich zehn Milliarden Euro führt. Aspekte wie soziale Dynamik werden beispielweise bei herkömmlichen Produkttests meist nicht berücksichtigt, weshalb Neuentwicklungen, die eigentlich erfolgreich wären, bei der Marktforschung durchfallen und gar nicht erst eingeführt werden. Die klassische Marktforschung stößt an ihre Grenzen.[8] Ihre Messmethoden sind überholt und veraltet, da das implizite System (Unterbewusstsein) bezogen auf Kaufentscheidungen und Werbewirkung als primäres Entscheidungs- und Steuerungssystem gesehen wird. Demnach sind die Gründe für eine Entscheidung dem expliziten System (Bewusstsein) des Konsumenten unzugänglich und stellen die klassische Marktforschung vor eine Herausforderung. Die moderne Marktforschung bedarf einer Integration von impliziten Forschungsmethoden, da menschliches Verhalten auf einer Zusammenarbeit beider Systeme basiert.[9]

Hier kommt das Neuromarketing zum Vorschein, denn es ist mehr als nur eine verbesserte Methodik der Marktforschung. Es integriert Erkenntnisse und Verfahren verschiedener Disziplinen, von der Hirnforschung über die Psychologie bis hin zu Kulturwissenschaften und ist somit essentiell für die moderne Markenkommunikation. Diese Verfahren und Erkenntnisse zwingen uns zu einem Umdenken, eröffnen uns aber die Chance zu analysieren, wie sich Marken, Produkte und deren Kommunikation auf das komplexe und dynamische menschliche Gehirn auswirken.[10] Die beleuchteten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Trends sollen die ökonomische Notwendigkeit veranschaulichen, neurowissenschaftliche Erkenntnisse in das moderne Marketing zu integrieren.

Das Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist es, anhand von in Theorie und Praxis untersuchten Erkenntnissen einen Ausblick auf den Einfluss des Neuromarketings auf die Werbung der Zukunft geben zu können.

Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und praktischen Teil. Der theoretische Teil beginnt in Kapitel 2 und beleuchtet vorerst die theoretischen Grundlagen des Neuromarketings und gibt Aufschluss darüber, wie das dynamische Herdenverhalten des Menschen Einfluss auf die Marketingkommunikation nimmt. In Kapitel 3 wird die Werbung, als Bestandteil der Kommunikationspolitik, und deren aktueller Stand eingeordnet. In Kapitel 4 werden die Funktionalitäten der Forschungsmethoden des Neuromarketings beschrieben. Darauffolgend werden in Kapitel 5 die wichtigsten Erkenntnisse des Neuromarketings erläutert. Aufbauend darauf beginnt in Kapitel 6 der praktische Teil dieser Arbeit, in welchem die Einflüsse der gewonnenen Neuromarketingerkenntnisse auf die Werbung der Coca-Cola Company hin analysiert und somit deren Relevanz verdeutlicht werden. Kapitel Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. bildet die Schlussfolgerung dieser Arbeit und gibt eine kritische Betrachtung des Einflusses von Neuromarketing auf die Werbung der Zukunft wieder.

2 Theoretische Grundlagen des Neuromarketings

Kapitel 2 widmet sich den neurowissenschaftlichen Grundlagen, auf die das Neuromarketing gestützt wird. Das theoretische Wissen soll die Thematik dieser Arbeit einleiten und ein fundamentales Verständnis für das Neuromarketing vermitteln. Das Neuromarketing ist eine Teildisziplin der Neuroökonomie, somit wird im Vorfeld diese Begrifflichkeit definiert. Aufbauend darauf wird diese interdisziplinäre Forschungsform mit all ihren Aspekte veranschaulicht. Danach werden die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns und deren Einflussfaktoren auf die Informationsverarbeitung beleuchtet, welche sich ausschlaggebend auf das Kauf- und Entscheidungsverhalten des Konsumenten auswirken. Abschließend wird die Relevanz der menschlichen Gruppendynamik für das Neuromarketing anhand des einflussreichen Klassikers „Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon durch moderne Anwendungsbeispiele verdeutlicht.

2.1 Neuroökonomie

Der Bereich der Neuroökonomie hat sich aus der Verhaltensökonomie entwickelt und verfolgt das Ziel, anhand von Erkenntnissen, Theorien und Methoden der Neurowissenschaft ein höheres Bewusstsein für ökonomisches Verhalten auf Märkten zu erlangen. Die Neurowissenschaft wiederum analysiert die Formen und Strukturen des menschlichen Gehirns und versucht diese zu interpretieren. Die Implementierung der Neurowissenschaft in die Ökonomie ermöglicht also die Untersuchung mikroökonomischer Gegebenheiten wie das Entscheidungsverhalten eines unsicheren Konsumenten, Interaktion zwischen Individuen im Rahmen der Spieltheorie, intertemporales Wahlverhalten und das Verhalten in Institutionen und Märkten.[11]

2.2 Neuromarketing

Das Neuromarketing ist eine stark anwendungsorientierte Forschungsdisziplin, die anhand neurowissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse versucht, das Konsumentenverhalten in Reaktion auf Marketingstimuli zu analysieren und zu verstehen, um eine Möglichkeit zur positiven Beeinflussung des Konsumenten abzuleiten. Daher wird es im englischen auch als „Consumer Neuroscience“ bezeichnet. Die gewonnenen Erkenntnisse und Methoden des Neuromarketings können von der Gestaltung der Marke (Positionierung, Wahrnehmung etc.) bis hin zum Design von Verpackungen, Point of Sale Maßnahmen und weiteren Aspekten als Werkzeug eingesetzt werden, um positive Emotionen zu erzeugen, Motive gezielt anzusprechen und Markenversprechen in der Interaktion mit einem Produkt einzulösen. Im Wesentlichen werden die Ziele verfolgt, neue Markenstrategien zu entwickeln, die Produktgestaltung zu optimieren und die Implementierung von Produkten und Marken zu unterstützen.[12]

Das menschliche Gehirn ist ein aus Milliarden verbundener Nervenzellen bestehendes Konstrukt, welches durch Methoden der Sensorik, des Storytellings, der Symbolik und der Sprache in der Marketingkommunikation stimuliert werden kann. Die Wahrnehmung dieser Kommunikation und damit verbundene Abläufe und Emotionen im menschlichen Gehirn sind der Auslöser für Produktkauf und -nutzung. Durch gezieltes Ansprechen der richtigen Motive soll Relevanz und somit Kauf- und Nutzungsverhalten entstehen. Zentrale Relevanz für das Neuromarketing hat hier die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Handlungen – es ist die Rede vom Piloten bzw. Autopiloten. In der Theorie hat der Mensch keinen bewussten Einfluss auf seine Entscheidungen, der Großteil des menschlichen Handelns wird unterbewusst gesteuert und erst im Nachhinein rationalisiert. Menschen gehen davon aus, stetig bewusst und rational Entscheidungen zu treffen, tatsächlich läuft der Großteil unseres Handelns unbewusst im Autopilot Modus ab. Um Marketing und Design erfolgreich zu kommunizieren, ist es notwendig im Neuromarketing gewonnene Erkenntnisse an das Unterbewusstsein bzw. den Autopiloten auszurichten.[13]

2.3 Die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns

Um Marketingkommunikation gezielt einsetzen zu können, bedarf es einem tieferen, eingehenderen Verständnis des Konsumenten, der Funktionsweisen seines Gehirns, sowie der Art und Weise wie es Informationen verarbeitet und was ihn antreibt so zu handeln, wie er es tut. Hierbei klärt uns die Hirnforschung über den Aufbau, sowie Lernprozesse des Gehirns auf und Konsumenten demnach stets unter dem Einfluss seiner Emotionen Entscheidungen treffen. Die kognitive Psychologie lässt uns wiederum verstehen, wie Wahrnehmung und Aufmerksamkeit bestimmen, welche Reize an unser Bewusstsein gelangen und welche an Ignoranz treffen. Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale zeigen auf, was Konsumenten antreibt und somit ihr Verhalten prägt. Um das Konsumentenverhalten also wahrhaftig verstehen und durch das Marketing beeinflussen zu können müssen in erster Linie alle Einflussfaktoren auf die Informationsverarbeitung verstanden werden.

2.3.1 Erkenntnisse der kognitiven Psychologie

Wahrnehmung und Aufmerksamkeit bestimmen, welche Reize an das Bewusstsein des Konsumenten gelangen und welche verloren gehen. Die kognitive Psychologie ist für ein besseres Verständnis des Konsumenten ebenso essentiell wie die Hirnforschung. Die Kognitionspsychologie ist die wissenschaftliche Erforschung, wie mentale Prozesse der Informationsverarbeitung funktionieren und welche Organisationsstrukturen ihnen zugrunde liegen. Zentrale Forschungsfragen sind beispielsweise die Entstehung von intelligentem Denken oder die Visualisierung von Denkprozessen im Gehirn.[14] Prozesse der Kognition spielen eine große Rolle, da sie über wahrgenommene Möglichkeiten das Verhalten des Konsumenten beeinflusst. Der Neurowissenschaftler Moshe Bar beschreibt die Wahrnehmungsfunktion des menschlichen Gehirns wie folgt:

„Das menschliche Gehirn ist kein passives Organ, das einfach darauf wartet von externen Reizen aktiviert zu werden. Das Gehirn benutzt kontinuierlich vergangene Erfahrungen, um sensorische Informationen zu interpretieren und diese für unmittelbar relevante Zukunft vorherzusagen.“[15]

Die Wahrnehmung wird als ein Organisations- und Interpretierungsprozess von Sinnessystemen bereitgestellter Informationen durch das menschliche Gehirn definiert. Die Wahrnehmung ist auf die Evolutionsentwicklung zurückzuführen und basiert somit auf den Instinkten. Der Mensch kann weder direkten Einfluss darauf nehmen was er wahrnimmt und was nicht, noch sich allem bewusst sein, was er wahrnimmt. Das Unterbewusstsein funktioniert hierbei wie ein Sortierungsmechanismus: Bevor Reize bewusst wahrgenommen werden, unterlaufen sie vorerst einer Kategorisierung und werden als gefährlich oder neutral eingestuft.[16] Wahrnehmung ist ein ununterbrochener dynamischer, niemals statischer Prozess, der mit bestimmten Abläufen definiert werden kann, die in unterschiedlichen Reihenfolgen auftreten oder auch völlig ausbleiben können. Ein Stimulus, ein Reiz aus der Umwelt, leitet diesen Prozess ein. Dieser kann als verfügbarer- oder beachteter Stimulus klassifiziert werden. Der verfügbare Stimulus beschreibt die Gesamtheit aller in der Umwelt erfassten Dinge, die potenziell vom Menschen erfasst werden können, ohne gezielt Aufmerksamkeit zu erregen. Der beachtete Stimulus entsteht, wenn Aufmerksamkeit auf ein Objekt gelenkt wird.[17] Eine Person sitzt beispielsweise in der Bibliothek und liest ein Buch, im Augenblick ist der beachtete Stimulus das Buch. Daraufhin wird jene Person von einem Kommilitonen angesprochen – der beachtete Stimulus wechselt somit vom Buch zum Kommilitonen. Marketingkommunikation ist ein verfügbarer Stimulus, der uns vielen alltäglichen Situationen begegnet. Für eine erfolgreiche Kommunikation gilt es das Unterbewusstsein des Konsumenten so anzusprechen, damit aus dem verfügbaren- ein beachteter Stimulus wird. Wenn unsere Sinne etwas wahrnehmen, erhält es nicht automatisch unsere selektive Aufmerksamkeit. Die selektive Aufmerksamkeit ist die kognitive Fähigkeit, aus einer Gesamtmasse von elf Millionen Sinneseindrücken, die jede Sekunde von außerhalb auf uns einwirken, für die aktuelle Motivstruktur des Menschen relevante Reize herauszufiltern. Hagendorf bezeichnet die Aufmerksamkeit als Prozesse der Selektierung relevanter bzw. Deselektierung irrelevanter Informationen für die aktuelle Handlung. Selektion bzw. Deselektion beeinflussen somit die Wahrnehmung und Handlungsplanung und -ausführung. Diese Fähigkeit ermöglicht dem Menschen logisches Denken, um reaktiv auf seine Selektion richtig zu handeln.[18]

Aus evolutionären Gründen nimmt der Menschen permanent seine Umwelt wahr und entscheidet dabei, welche der Eindrücke relevant, gefährlich oder neutral einzustufen sind, und somit unserer Aufmerksamkeit bedürfen und an das Bewusstsein gelangen. Ziel des Marketings muss es also sein, mit der richtigen Handlung zur richtigen Zeit und am richtigen Ort die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu gewinnen. Jedes Detail einer Marketingkampagne, einer Point of Sale Maßnahme oder des Produktdesigns ist ein potenziell verfügbarer Stimulus, der vom Unterbewusstsein des Konsumenten wahrgenommen werden kann. Es gilt alle implizit und explizit ausgesendeten Signale der Customer Journey zu untersuchen und gezielt auf die Zielgruppe maßzuschneidern.[19]

2.3.2 Erkenntnisse der Hirnforschung

Das menschliche Gehirn ist ein unglaublich komplexes Denkorgan, das aus Milliarden von Neuronen, die kontinuierlich miteinander kommunizieren um Informationen auszutauschen, besteht und sich anatomisch in die vier Bereiche des Frontallappens, Parietallappens, Temporallappens und Occipitallappens unterteilen lässt. Der Frontallappen ist für motorische Abläufe und höhere kognitive Prozesse verantwortlich; beispielsweise prägt er die Entscheidungsfindung und fördert die Spracherkennung. Direkt hinter dem Frontallappen liegt der Partiallappen. Er unterstützt den Frontallappen bei der Spracherkennung, ist aber primär für Berührungsempfindlichkeit und räumliches Denken zuständig. Der Temporallappen bildet das Zentrum des Gedächtnisses und der Emotionen. Der letzte Bereich, der Occipitallappen ist hauptsächlich für das Sehen zuständig.[20]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Anatomie des menschlichen Gehirns.[21]

Im inneren des Temporallappens befindet sich eine Gruppe von Strukturen, die man als limbisches System bezeichnet; seine wichtigsten Bestandteile sind der Hippocampus, der Hypothalamus und die Amygdala. Das limbische System ist für die Verarbeitung von Emotionen und Gedächtnisprozessen zuständig.[22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das limbische System.[23]

Eine der zentralen Strukturen des limbischen Systems ist der Hippocampus, einer der wenigen Orte im Gehirn, in dem neue Neuronen durch den Prozess der Neuroneogenese geboren werden. Seine Funktionen sind die Steuerung unserer Affekte, einem besonders intensiven Gefühl, das mit deutlichen körperlichen Begleiterscheinungen, z.B. ein durch Freude aufkommendes Lächeln oder Erröten durch Scham, verbunden ist[24], und die Einspeicherung bzw. das Erlernen neuer Inhalte in unser Langzeitgedächtnis.[25]

Der Hypothalamus gilt als Zentrum des autonomen Nervensystems. In ihm werden motivationale Zustände gesteuert, vor allem die hormonelle Beeinflussung der Körperfunktionen, und vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten kontrolliert.[26]

Die Amygdala ist für die Neuromarketingforschung der mit Abstand wichtigste Bestandteil des Gehirns, denn sie ist verantwortlich für die Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen – besonders ausgeprägt bei Angst oder Furcht. Die Amygdala funktioniert als emotionaler Verstärker, der das emotionale Sozialverhalten reguliert und zuständig für die Entstehung und Wiedererkennung von körperlichen Reaktionen und Emotionen ist. Innerhalb der neurowissenschaftlichen Forschung wurden beispielsweise die Amygdala bei Affen zerstört – als Resultat wirkten die Tiere emotionsloser als früher und hatten Schwierigkeiten mit emotionalen Assoziationen.[27]

Das Gehirn setzt sich aus Milliarden von Neuronen, die kontinuierlich miteinander kommunizieren, um durch die Freisetzung von Neurotransmittern Informationen auszutauschen, zusammen. Jedes Neuron wiederum (Nervenzelle) setzt sich aus dem Soma (Zellkörper) und davon abgehenden Dendriten (kleine Arme des Zellkörpers) zusammen. Ebenfalls vom Soma abgehend, erstreckt sich ein schlauchartiger Fortsatz, das Axon, bis zu den Dendriten der nächsten Nervenzellen. Zwischen Axon und Dendriten der nächsten Nervenzelle besteht eine kleine Lücke die man als Synapse oder synaptischer Spalt bezeichnet.[28] Nervenzellen tauschen im synaptischen Spalt Informationen durch Freisetzung von Neurotransmittern aus. Die Transmitter sind chemische Botenstoffe, die durch Einwirkung auf die Dendritenmembranen ihre elektrische Polarität verändern. Die Dendriten sammeln die veränderten Polaritäten und versenden diese entlang des Axons zu den anderen Dendriten der Nervenzelle.[29]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Der Aufbau einer Nervenzelle.[30]

Wenn Nervenzellen synchron aktiv sind, binden sie sich enger aneinander. Umso häufiger sie synchron elektrische Potenzialveränderungen versenden, desto stärker wird die Synapse. So funktioniert, oberflächlich betrachtet, der Lernprozess im menschlichen Gehirn – je öfter eine Tätigkeit, beispielsweise das Lernen eines Instruments, also wiederholt wird, desto stärker verbinden sich die Synapsen. Resultierend daraus entsteht Erfahrungswissen.[31] Durch konstant wiederholte, präsente Markenkommunikation können somit Markenbotschaften und Assoziationen verankert werden. Wie maßgeblich der Einfluss der Wiederholung ist, wird in Kapitel 2.4 verdeutlicht.

Den modernen Messverfahren der Hirnforschung, die eine Echtzeit-Beobachtung von Prozessen im Gehirn ermöglichen, verdanken wir die Erkenntnis, dass Menschen ihre Entscheidungen unbewusst treffen und erst im Nachhinein rationalisieren. Die Prozesse des Gehirns sind nie rein rational, Faktoren wie Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale sind ausschlaggebend, wenn man die Handlungen und Entscheidungen von Konsumenten verstehen will. Kontaktpunkte mit Marketingkommunikation müssen Emotionen auslösen und dürfen nicht auf absolut rationalen Motiven beruhen um im Gedächtnis zu bleiben.[32]

2.3.3 Der Antrieb menschlichen Handelns

Der Großteil menschlichen Handelns basiert auf dem Bedürfnis, positive Emotionen zu erleben und Unlust zu vermeiden. Das Verhalten des Menschen wird aber noch von drei weiteren, komplexeren Motiven der Sicherheit, Erregung und Autonomie darin geprägt, welche Ziele er sich setzt und mithilfe welcher Umsetzung er sie erreicht. Auf die lange Zeit unseres Lebens betrachtet sind Motive eine relative Konstante, im Laufe eines Tages können sie jedoch viele Variablen bilden. Das Unterbewusstsein richtet unsere Aufmerksamkeit größtenteils auf Marken und Produkte aus, die im Sinne unserer Motive stehen. Anhand Motiven definieren sich durch Produkte und Marken abgegrenzte Zielgruppen; wiederum durch die Ansprache richtiger Motive in Markenbotschaften kann Differenzierungspotenzial zum Wettbewerb geschaffen werden.[33]

Im vergangenen Kapitel 2.3.1 wurde erklärt, wie Wahrnehmung und Aufmerksamkeit funktionieren; nun ist es relevant zu erklären, wie von der Aufmerksamkeit selektierte Reize unser Handeln beeinflussen. Die Erkenntnisse der Hirnforschung haben zeigen auf, dass der Mensch basierend auf seinen positiv oder negativ abgespeicherten, gefühlten und erlebten Emotionen intuitiv Entscheidungen trifft. Das Gehirn stuft Marken, Produkte und Dienstleistungen, die keine Emotionen auslösen als wertlos ein. Der Wert eines hergestellten Produktes ist nie derselbe wie der des endgültigen Preises – der Wert eines Produktes entsteht im Bewusstsein des Kunden.[34] Emotionen formen unser Kauf- und Entscheidungsverhalten, somit gilt für die Markenkommunikation positive Emotionen auszulösen und negative zu vermeiden.

Menschliche Emotionen werden gänzlich durch das Belohnungs- und Vermeidungssystem gesteuert, sie generieren Meinungen, Einstellungen und Gefühle zu Stimuli und entscheiden über weitere Schritte des Verhaltens. Das Belohnungssystem ist in die zwei Subsysteme der Belohnungsvorhersage/-erwartung und dem eigentlichen Belohnungssystem unterteilt. Die Belohnungserwartung motiviert den Körper, das angestrebte Gefühl der Ausschüttung von Glückshormonen zu erreichen. Das eigentliche Belohnungssystem, welches sehr stark von Dopamin, einem überwiegend erregenden Neurotransmitter, abhängig ist, schüttet beim Erleben des belohnenden Moments das Glückshormon Endorphin aus. Gegensätzlich dazu steht das analog gebaute Vermeidungssystem das ebenfalls zwei Subsysteme, einerseits für die Erwartung einer Strafe, andererseits für die Verarbeitung der Strafe besitzt.[35]

Hierbei ist es interessant, das gesellschaftliche Phänomen der Abhängigkeit durch Technologie, insbesondere Social Media, und der daraus resultierenden Beeinträchtigung des Belohnungssystems und der Dopamin-Ausschüttung anzumerken. Harvard Wissenschaftler stellten 2012 in einer Studie fest, dass Selbstdarstellung in Social Media ein Glücksgefühl im Gehirn aktiviert, das normalerweise mit Essen, Geld und Sex assoziiert wird.[36] Jede Textnachricht, jedes Like, jeder Follower – die Interaktion mit Social Media und Smartphones schüttet Dopamin aus. Die Dopaminausschüttung wiederum fühlt sich gut an, das mögen wir, deshalb versuchen wir kontinuierlich durch jene Methoden dasselbe Gefühl erneut zu erleben. Dopamin ist die gleiche Substanz, die uns das Gefühl der Ekstase verleiht, wie beim Rauchen, Alkohol trinken, Glücksspiel. Rauchen, Glücksspiel und Alkohol unterliegen jedoch einer Altersbeschränkung. Ganz im Gegenteil das Smartphone und Social Media, was das Äquivalent dazu ist, einem Jugendlichen Zugang zum Schnapsschrank zu gewähren und dabei zu betonen: „Schau mal da, wenn deine Pubertät zu anstrengend wird – bediene dich“. Verdeutlicht ausgedrückt setzen wir die Gesellschafft einer suchterzeugenden Technologie aus, die ohne weiteres maßlos „konsumiert“ werden kann. Im Kontext des neurowissenschaftlichen Marketings würde sich hier eine unorthodoxe Weise der Kommunikation anbieten: Durch kluge Konzeption wäre es im Bereich des Möglichen, Dopamin-Manipulation durch direkten Kontakt zum Konsumenten in Social Media oder Applikationen des Werbetreibenden, z.B. Benachrichtigungen von Shopping-Apps einer Bekleidungsmarke, zu betreiben.

Der Mensch richtet seine Handlungen stets nach dem Belohnungs- und Vermeidungssystem aus. Unsere Motive entscheiden über Motivation oder entsprechend Demotivation, die wir einer Handlung entgegenbringen. Motive befähigen ihren Besitzer, bestimmte Dinge in ihrer Umwelt wahrzunehmen, dadurch eine emotionale Erregung zu erleben, den Impuls zur Handlung zu verspüren und reaktiv darauf zu handeln.[37]

2.3.3.1 Motive

Menschliche Motive sind festgelegte Konstanten, die nicht durch externe Faktoren wie Markenkommunikation erzeugt werden können. Der Hirnforscher Manfred Spitzer beschreibt die Problematik folgendermaßen: „Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist etwa so sinnvoll wie die Frage ‚Wie erzeugt man Hunger?‘ Die einzig vernünftige Antwort lautet ‚Gar nicht, er stellt sich von alleine ein‘.“ Marken und Produkte müssen also so kommuniziert und gestaltet werden, dass sie vorhandene Motive gezielt ansprechen und nicht versuchen, künstliche Motive zu erzeugen. In jedem Menschen sind seit den ersten Lebensjahren die drei zentralen, sozialen Motivationssysteme der Sicherheit, Erregung und Autonomie verankert. Um erfüllt leben zu können, bedarf es jedem Menschen an einem unterschiedlichen Maß dieser Motive, dennoch verhalten sie sich über Zeit und Situation hinweg bei jedem Individuum konstant. Sie bestimmen, welche Laufbahn ein Mensch einschlägt, seine sozialen Strukturen sowie Ziele und prägen maßgeblich seine Verhaltensmuster. Welche Motive sich im Verlauf des späteren Lebens stärker ausprägen, kann jedoch vom individuellen Charakter oder kultureller Entwicklung stark beeinflusst werden.[38]

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

[2] (Vgl. Fuchs/Unger (2014): S. 104 f.)

[3] (Vgl. Kroeber-Riel/Gröppel-klein (2013): S. 358 ff.)

[4] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 20)

[5] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 64)

[6] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 63)

[7] (Vgl. Esch (2017): S. 9 ff.)

[8] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 16)

[9] (Vgl. Kwiatkowski (2017): S. 7)

[10] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 15 ff.)

[11] (Vgl. Kwiatkowski (2017): S. 3)

[12] (Vgl. Kwiatkowski (2017): S. 3 f.)

[13] (Vgl. Van de Sand (2017): S. 45 ff.)

[14] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 8 f.)

[15] (Scheier/Bayas-Linke/Held/Schneider (2012): S. 169)

[16] (Vgl. Hagendorf/Krummenacher/Müller/Schubert (2011): S. 3 ff.)

[17] (Vgl. Van de Sand (2017): S. 29 f.)

[18] (Vgl. Hagendorf et al. (2011): S. 8 f.)

[19] (Vgl. Van de Sand (2017): S. 31)

[20] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 53)

[21] (Van de Sand (2017): S. 20)

[22] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 51 f.)

[23] (Van de Sand (2017): S. 21)

[24] (Vgl. Müsseler/Rieger (2017): S. 216)

[25] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 52)

[26] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 52)

[27] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 52)

[28] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 34 f.)

[29] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 36 f.)

[30] (Van de Sand (2017): S. 23)

[31] (Vgl. Becker-Carus/Wendt (2017): S. 37 ff.)

[32] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 55 ff.)

[33] (Vgl. Van de Sand (2017): S. 33)

[34] (Vgl. Häusel (2012): S. 17 f.)

[35] (Vgl. Häusel (2012): S. 31 f.)

[36] (Vgl. Tamir/Mitchell (2012): S. 4 f.)

[37] (Vgl. Müsseler/Rieger (2017): S. 224 ff.)

[38] (Vgl. Held/Scheier (2018): S. 97)

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Details

Title
Die Werbung der Zukunft. Wie Neuromarketing die Konsumentenansprache verändert
Author
Year
2018
Pages
79
Catalog Number
V442754
ISBN (eBook)
9783960954187
ISBN (Book)
9783960954194
Language
German
Keywords
Neuromarketing, Werbung, Marketing, Psychologie, Neuropsychologie, Brand Code Management, Sozialpsychologie, Digitalisierung, Hirnforschung, Neuroscience, Consumer Neuroscience, Neuroökonomie, Neurooeconomics, Wirtschaftspsychologie, Digitale Psychologie, Neurobiologie, Coca-Cola, Coca-Cola Company, Advertising, Multisensorik
Quote paper
Andreas Bendik (Author), 2018, Die Werbung der Zukunft. Wie Neuromarketing die Konsumentenansprache verändert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442754

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