Freehwin beim „Anfang der Weisheit“

Herr und Knecht – Teilband A


Fachbuch, 2018

170 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Freehwin beim „Anfang der Weisheit“

Das Abiturium Aureum

Zum Wo im Nirgendwo

Auf dem Weg zum „Anfang der Weisheit“

Am Anfang vom „Anfang der Weisheit“ und seinen
Gepflogenheiten

Der Tag beim „Anfang der Weisheit“

Der Badetag

Der Tag des Herrn

Das Fähnlein der Pfadfinder

Gestaltetes Wörterlernen

Gelockerte Zügel

Ein „Holzfälleralmus“ aus Lappland

Frankreich lässt grüßen

Fehden beim „Anfang der Weisheit“ oder

„Was nicht bricht, macht hart“

Beim „Swami“ im Aubachschlösschen

Auf dem Weg zum Frieden

Beim „Anfang der Weisheit“ fünfzig Jahre danach

Abschied mit Schmerzen oder der unvermeidliche

Verfall eines Erbes

Anhang 1: Frances Hodgson Burnett: Der Kleine Erlauchte Herr

Fauntleroy, Übersetzung aus dem Jahr 1964

Anhang 2: Die letzte Schlacht von des Sonnenkönigs Marschall

Anhang 3: Referat über philosophische Theoreme bei Platon

Anhang 4: Die Illenau

Nachtrag aus dem Jahre 2017 zu den Aufzeichnungen

aus dem Jahre 1966

Endnoten

Beim „Anfang der Weisheit“

Das Abiturium Aureum

Die Alumni [i] vom Abiturjahrgang des „Almanats“ [ii] aus dem Jahr 1967 sind für den „Alumnitag“ des Jahres 2017 zum fünfzigsten Jubiläum ihres Abiturs eingeladen. In einem Festakt soll ihnen die Urkunde des „Abiturium Aureum“ [1] überreicht werden. Dieser Einladung will Freehwin folgen und entschließt sich, nach vierzig Jahren wieder an einem Alumni-Treffen teilzunehmen. Viele von denen, die ihm in ganz besonderer Weise am Herzen liegen, werden sicherlich nicht anwesend sein, nämlich diejenigen, die mit ihm damals in die Sexta [2] , ein besonders prägendes Schuljahr, eingetreten sind und nicht bis zum Abitur durchgehalten haben. Auf der Bahnfahrt dorthin kommen ihm viele Erinnerungen an die Zeit des „Almanats“, über die er schreiben möchte.

In der Nacht vor der Abreise träumt ihm, eine wild gewordene Dampflokomotive stürme außer Rand und Band vom Schwarzwald herkommend auf ihn zu, als er gerade neben den Bahnschranken seines Geburtsortes steht, der immer nur schlicht „Städtchen“ genannt wird, und die ihn zu zermalmen droht. Sie steht bis zum Bersten unter Dampf und aus ihrem Kamin schießt gleißendes Feuer hervor. Aus Angst, sie könne gerade dort entgleisen, wo er steht, duckt er sich in die hinterste Ecke des Schrankenwärterhäuschens hinein. Glücklicherweise rast sie mit lautem Getöse an ihm vorbei und verschwindet am Ende des Donautals. [iii]

Die Traumszene, so wie sie sich im übertragenen Sinne darstellt, weist darauf hin, dass mit der Schwarzwaldbahn von der Rheinebene her etwas Lebensgefährliches auf ihn zukommt, das gerade noch an ihm vorübersaust, oder dem er gerade noch entkommen kann. In der Rheinebene und an der Strecke der Schwarzwaldbahn von Karlsruhe nach Konstanz befand sich das „Almanat“. Die Gefahr kann im übertragenen Sinne mittelbar verstanden werden als von Wut oder Zorn auf dieses „Almanat“ ausgehend oder aber als Folge von diesen, die, wenn sie entgleisen, Freehwin vernichten würden. Die Traumszene lässt darüber hinaus noch zweierlei erkennen, was ihn vor der Vernichtung bewahrt: Zum einen zieht er sich vor der Gefahr zurück, zum anderen entgleisen Wut oder Zorn nicht, sondern lassen sich durch die gewohnten Geleise beherrschen, sodass er nicht an deren Folgen zugrunde gehen kann. [iv]

Zum Wo im Nirgendwo

Am frühen Vormittag eines Sonntags im Oktober des Jahres 2017 fährt Freehwin mit der Bahn von der Universitätsstadt zum „Almanat“. Es soll eine Rundreise in die Vergangenheit werden, denn er will zunächst nach sehr vielen Jahren seinen Geburtsort wieder aufsuchen, wo er einen Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte. Die Strecke ist ihm von seinen Fahrten in die Universitätsstadt zu Beginn seines Studiums her noch bekannt.

Die Nebel des Goldenen Oktobers hängen noch über den bunten Weinbergen, als er von dort aufbricht. Auf der Fahrt in den Süden ziehen herbstbunte Wälder an ihm vorbei, deren Farben durch das helle Licht der Sonne in besonderer Weise leuchten. In das Grün der Nadelhölzer mischen sich gelbe, orangefarbene und rotbraune Flecken, die sich in seinem impressionistischen Blick, den er sich im Laufe der Jahre angeeignet hat, ineinander schieben. Dieser lässt das Spiel der Farben noch stärker hervortreten, sodass es bisweilen unwirkliche Züge annimmt. Dazwischen schieben sich abgeerntete Felder, gelegentlich kleine Dörfer mit ihren braunen Gehöften und einige grellweiße Windräder in der Ferne, die wie lange Spargel die Anhöhen des Hügellandes überragen, sich behäbig drehen und zusammen mit großen schiefergrauen Flächen schräg über der Erde von einer neuen Zeit künden. Im Gegensatz zu früher, als qualmende Dampflokomotiven die Züge bewegten und die Gebäude der Bahnhöfe mit einer dicken Schicht von Ruß bedeckten, waren inzwischen deren Mauern aus hellgrauem bis bräunlichem Muschelkalk wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt worden. Immer wieder säumen Weingärten, die sich Südhänge emporziehen, die Bahnlinie. Die grauen Steinmauern der Weinberge an den Hängen des Neckartals blicken auf den Fluss herab und verwandeln die Steillagen des kernigen Würtembergers in uneinnehmbare Festungen. Vereinzelt ragen Geräteschuppen wie Geschützbunker aus den Abhängen heraus.

Unterwegs kommt Freehwin die Erzählung „Unterm Rad“ von Hermann Hesse wieder in den Sinn, die er in der Obertertia [3] gelesen hatte. Wie er erst sehr viel später erfuhr, war Hesse Zögling der evangelisch-lutherischen „Pastorenschmiede“ im Seminar des ehemaligen Zisterzienserklosters „Maulbronn“, deren römisch-katholisches Gegenstück in Baden das „Almanat“ war. Hesse war also mit solchen Bildungseinrichtungen gut vertraut, obwohl er es dort nur ein halbes Jahr ausgehalten hatte und dann zu einem Freund entfloh. Bei diesem Freund wohnte er ein knappes Vierteljahr, bevor er Hand an sich legte und danach etwa ein weiteres Vierteljahr in einer Nervenheilanstalt verbrachte. Die Erlebnisse im Maulbr

onner Seminar hat er teilweise in seinem literarischen Schaffen zu bewältigen versucht. Hesse beschreibt in dieser Erzählung vortrefflich das Leben in einem Konvikt, das – im Unterschied zum „Almanat“ – zum Studium der evangelischen und nicht der katholischen Theologie vorbereiten sollte. Freehwin erkannte in dieser Erzählung viele Ähnlichkeiten zum „Almanat“, zumindest zu dessen Unterstufe. Der Kurienkardinal Bea aus Riedöschingen, ein Dorf nahe bei seinem Geburtsort gelegen, war der ranghöchste kirchliche Würdenträger, der zeitweise das „Almanat“ besucht hatte. Er bekannte freimütig, dass er dessen Strenge nicht ausgehalten habe und es nach kurzer Zeit verlassen hätte. Freehwin selbst hatte all die Jahre durchgehalten, vermutet aber, dass die Strenge, die seinerzeit dort herrschte, sich inzwischen etwas gemildert hat, so dass sein Durchhalten nicht nur durch sein Verdienst allein ermöglicht wurde. Jedenfalls entlasteten Hesse‘s Schilderungen über das Maulbronner Seminar damals sein Gemüt, da sie seine Erlebnisse im „Almanat“ in ein heilsames Verhältnis zu dem Leben damals setzten. Auch erkannte er bei sich einen jener Wildlinge, von denen Hesse schreibt, dass sie sich der gestrengen Ordnung nicht fügen wollten.

Die karge Milch der „Ammen“ im „Almanat“ – eigentlich sollte man eher von „almi patres“ [4] sprechen – brachte nicht nur Engel [5] hervor, zu welchen er sich nicht gezählt hätte, zumindest nicht bei denen wie er, welche sich ab der Sexta [6] im „Almanat“ aufhalten mussten.

Vermutlich ließ sein hinterhältiger Widerstand ihn all die Jahre durchhalten, zwar mit seelischen Verletzungen, die aber im Gegensatz zu Hesse nie lebensgefährlich waren oder wurden. Für einige seiner Mitschüler war er manchmal ein Ärgernis, fügte ihnen aber niemals unmittelbar Schaden zu, denn das war für ihn eine Frage der Ehre. Wohl aber focht er mit „Rex“ [7] – dem späteren Schulleiter, der diesen Beinamen wegen seiner herrischen Art bekommen hatte und der besser „Jähzornsalmus“ hätte genannt werden sollen – mittels allerhand Streichen und Narreteien eine Eigenfehde aus, die ihm selbst zeigten, dass er sich wehren konnte, von denen ihm jede einzelne einen Verweis aus dem „Almanat“ hätte einbringen können. Dieses „Sich-wehren“ fand meist keine vernünftigen Ziele, mit denen er es den „Tätern“ hätte „zeigen“ können, ohne selbst „Täter“ zu werden.

In Stuttgart hat Freehwin vor der Weiterfahrt in Richtung Bodensee einen längeren Aufenthalt. Diese Zeit nutzt er für das Mittagessen aus bayerischem Bierbraten mit Semmelknödel und Krautsalat, das er unter den Arkaden des Bahnhofgebäudes beim mit schwäbisch-slawischem Tonfall sprechenden „Haxenwirt“ genüsslich einnimmt.

Auf der Weiterfahrt zeigt sich die Landschaft im Großraum Stuttgart wie in allen Ballungsgebieten zersiedelt und lockt nicht mit reizvollen Anblicken. Diese ändern sich erst ab Horb, als im sich verjüngenden Neckartal die Bahnlinie und der Neckar einander begleiten. Der schmale Flusslauf schlängelt sich durch das Tal, gesäumt von Weidensträuchern und kleineren Bäumen. Bewaldete Höhenzüge umgeben das Tal, die sich im gemächlich dahinfließenden Fluss spiegeln und mit ihrer herbstlichen Farbenpracht das Auge erfreuen. Hin und wieder huschen verwitterte Felsen des schwäbischen Jura vorbei und gelegentlich ragt aus den Wäldern eine dunkle Burgruine hervor. Nach einiger Zeit wundert sich Freehwin darüber, weshalb der Neckar an manchen Stellen zu einem Bach verkommt. Die Ursache dafür – so findet er bald heraus – sind Klärwerke, die in der Nähe von größeren Städten wie Horb, Sulz, Oberndorf oder Rottweil dem Fluss Wasser entziehen und es dann flussabwärts in diesen wieder einleiten.

Als sich der Zug Oberndorf nähert, erinnert Freehwin sich daran, dass er mit einem seiner Söhne dort vor langer Zeit bei seiner letzten Fahrt zu seinem „Städtchen“ einen Halt eingelegt hatte. Damals las dieser „Shadowrun“, eine Reihe von Zukunftsromanen, die um das Jahr 2050 spielen. Die „Shadowrunner“ – Straßenkämpfer – benutzten unter anderen auch Waffen der Firma „Heckler & Koch“ aus Obernburg. Von diesen Romanen war Freehwin zwar nicht sonderlich begeistert, ein Widerstand dagegen hätte ihnen aber noch mehr Anziehungskraft verliehen. Aus der Not eine Tugend machend versprach er seinem Sohn, dass sie bei nächster Gelegenheit das Werk der Firma Heckler & Koch in Oberndorf besuchen werden. Die Gelegenheit war gekommen und sie trafen am Vormittag eines Samstags dort ein. Zu dieser Zeit wurde im Werk selbstverständlich nicht gearbeitet, sodass sie nur einen wortkargen Pförtner antrafen, der sie zum Waffenmuseum in die Stadtmitte schickte, das noch bis Mittag geöffnet hätte. Dort erfuhren sie, dass sich in Obernburg die Waffenschmiede der württembergischen Herzöge und späteren Könige befand und verständlicher Weise sich später Waffenfabriken wie „Heckler & Koch“ oder „Mauser“ dort angesiedelt hatten. In diesem Waffenmuseum erfuhren sie etwas über Waffenkunde im Allgemeinen und Waffen im Besonderen, sowie deren Geschichte, unter Berücksichtigung der Firmen des Ortes. Freehwin hatte damals den Eindruck gewonnen, dieses Wissen wirke auf seinen Sohn eher ernüchternd als begeisternd, denn Waffen übten in der Folge keinen sonderlichen Reiz mehr auf ihn aus.

Beim Halt in der jetzigen Kreisstadt des „Städtchens“ muss Freehwin in einen kleineren Zug umsteigen, der die Städte Ulm und Freiburg miteinander verbindet. Dieser fährt bis zur früheren Kreisstadt des „Städtchens“ die Donau entlang, wo die beiden kleineren Flüsse, die Brigach und die Breg, zusammenfließen und – wie man ihm in der Heimatkunde seiner Grundschule mit einem Merkspruch beibrachte [8] – die Donau zuweg bringen. Einen Teil ihres Wassers aus dem Schwarzwald – die Wasserscheide zwischen Donau und Rhein umgehend – verliert die Donau aber wieder in einem Teilstück, der „Donauversickerung“, die sich in der Nähe der jetzigen Kreisstadt des „Städtchens“ befindet. Es verschwindet dort in tiefen Höhlen des Juragebirges, um dann im „Achtopf“ wieder an die Oberfläche zu quellen. Von dort aus fließt das ehemalige Donauwasser in den Bodensee und von diesem in die Nordsee anstatt ins Schwarze Meer. Der Zug fährt unweit an der Donauversickerung vorbei, wo im Sommerhalbjahr das Flussbett weitgehend ausgetrocknet ist und im Winterhalbjahr meist eine nur knietiefe Furt ergibt. Diese Stelle kann Freehwin vom Zug aus gut erkennen. Dort, am äußersten Horizont im Osten des „Städtchens“ seiner Kindheit, überkommt ihn eine befremdliche Wehmut, die in dem Maße zunimmt, wie sich der Zug diesem nähert. Ihm kommt ein Chanson von Francoise Hardy aus dem Jahr 1966 wieder in den Sinn, der sich ihm seither immer wieder ´mal aufdrängte:

Quand je me tourne vers mes souvenirs Wenn ich mich meinen Erinnerungen zuwende,

je revois la maison où j'ai grandi. sehe ich das Haus wie- der, wo ich groß gewor- den bin.

Il me revient des tas de choses. Mir kommen wieder eine Menge Dinge in den Sinn.

Je vois des roses dans un jardin. Ich sehe Rosen in einem Garten.

Là où vivaient des arbres, Da wo Bäume lebten,

maintenant la ville est là ist jetzt die Stadt

et la maison, les fleurs que j'aimais tant und das Haus, die Blu- men, die ich so sehr liebte,

n'existent plus. gibt es nicht mehr.

Ils savaient rire tous mes amis Alle meine Freunde konnten lachen,

ils savaient si bien partager mes jeux sie konnten so schön mit mir gemeinsam spielen,

mais tout doit finir pourtant dans la vie aber alles muss zu Ende gehen, vor allem im Le- ben,

et j'ai dû partir, les larmes aux yeux. und ich musste fortge- hen, mit Tränen in den Augen.

Mes amis me demandaient: "Pourquoi pleurer? Meine Freunde fragten mich: „Warum denn weinen?

Découvrir le monde vaut mieux que rester. Die Welt zu entdecken ist weit besser, als hier zu bleiben.

Tu trouveras toutes les choses qu'ici Du wirst all das fin- den,

on ne voit pas was man hier nicht sieht,

toute une ville qui s'endort la nuit eine ganze Stadt, die nachts

dans la lumière." in Licht einschläft.“

Quand j'ai quitté ce coin de mon enfance Als ich dieses Fleck- chen meiner Kindheit verlassen habe,

je savais déjà que j'y laissais mon coeure. da wusste ich schon, dass ich mein Herz dort ließ.

Tous mes amis, oui, enviaient ma chance Alle meine Freunde neideten mir mein Glück,

mais moi, je pense encore à leur bonheur, aber ich denke noch immer daran, wie glück- lich sie waren,

à l'insouciance qui les faisait rire an ihre Unbekümmert- heit, die zuließ, dass sie lachen konnten,

et il me semble que je m'entends leur dire: und mir scheint, als ob mir noch in den Ohren klingt, wie sie sagen :

"Je reviendrai un jour, un beau matin „Ich werde eines Tages an einem schönen Mor- gen

parmi vos rires wieder zu ihrem La- chen zurückkehren,

oui, je prendrai un jour le premier train ja, ich werde eines Ta-

du souvenir." ges den ersten Zug Richtung Erinnerung nehmen.“

La temps a passé et me revoilà Die Zeit ist vergangen und da bin ich wieder,

cherchant en vain la maison que j'aimais. wie ich vergeblich das Haus suche, das ich liebte.

Où sont les pierres et où sont les roses Wo sind die Steine und wo sind die Rosen

toutes les choses auxquelles je tenais? und all die Dinge, an denen ich hing?

D'elles et de mes amis plus une trace Von ihnen und meinen Freunden keine Spur mehr,

d'autres gens, d'autres maisons ont volé leurs places. andere Leute, andere Häuser haben ihnen den Platz weggenom- men.

Là où vivaient des arbres, maintenant Da wo Bäume lebten,

la ville est là ist jetzt die Stadt,

et la maison, où est-elle, und das Haus, wo ist es,

la maison où j'ai grandi? das Haus, wo ich groß geworden bin?

Je ne sais pas où est ma maison Ich weiß nicht, wo mein Haus ist,

la maison où j'ai grandi. das Haus, wo ich groß geworden bin.

Où est ma maison? Wo ist mein Haus?

Qui sait où est ma maison? Wer weiß, wo mein Haus ist?

Nach der Donauversickerung erreicht der Zug einen Eisenbahnknotenpunkt, wo sich Schwarzwaldbahn und Donau-Höllentalbahn kreuzen. Wenige Fahrminuten davon entfernt liegt das „Städtchen“, welches seit dem Mittelalter Stadt- und Marktrechte besaß und von einer Stadtmauer umgeben war. Dort hält der Zug am Bahnhof oder vielmehr, was früher einmal einer war, denn das Gebäude ist verrammelt, verriegelt und völlig heruntergekommen. Die Fahrgäste müssen nun bei Wind und Wetter in Schutzkabinen auf die Züge warten, was in der kalten Winterzeit alles andere als angenehm ist.

Einige Reisende steigen mit Freehwin hier aus. Sie wollen offensichtlich den Bahnsteig möglichst rasch wieder verlassen und begeben sich daher über den schienengleichen Bahnübergang, wo früher die Bundesstraße die Bahnlinie der Schwarzwaldbahn kreuzte, in Richtung „Städtchen“. Dort stand ehemals das bereits erwähnte Schrankenwärterhäuschen, aus dem heraus – bevor und nachdem Züge vorbeifuhren – der Schrankenwärter die Bahnschranken betätigte. Jetzt schließen und öffnen sich die Schranken selbsttätig.

Im Unterschied zu den Mitreisenden lenkt Freehwin jedoch seine Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Dort öffnet sich neben dem Gebäude des ehemaligen Bahnhofes eine Türe im Maschenzaun, der das Bahngelände von der Bahnhofsstraße trennt. Von dort her kommt ihm eine hagere Frau entgegen in mittlerem Alter mit schwarzem, von silbernen Fäden durchzogenem Haar. Sie hält einen hochwertigen Fotoapparat in der Hand und mustert – so wie er – das Gebäude vom Bahnsteig aus. Während sie gemeinsam in Richtung der Bahnhofstraße gehen, bemerkt sie ganz nebenbei zu Freehwin: „Es lohnt sich wohl nicht, ihn zu fotografieren?“. Bei dieser Frage, auf die sie wohl keine Antwort erwartet, ist ihm etwas unwohl zu Mute, denn immerhin war das ja einmal sein Bahnhof gewesen. Daraufhin fragt er zurück: „Fotografieren Sie Bahnhöfe?“. Als knappe Antwort erhielt er: „Das auch.“ Und wieder stellt sie eine Frage an ihn: „Wurde er zuschanden renoviert?“ Als er darauf nicht antwortet, fragt sie weiter: „Donauabwärts gibt es doch wohl noch schönere Bahnhöfe?“. Ihm fällt keine bessere Antwort ein als: „Wie man es nimmt“. Daraufhin steigt sie in ihren roten Skoda und fährt die Bahnhofstraße in Richtung des Bahnübergangs davon.

Freehwin selbst betrachte sich das Gebäude auch von der Bahnhofstraße her und blickt durch ein verdrecktes Fenster in den früheren Warteraum. Dieser hat immer noch den alten, geölten Bretterboden, auf dem ein wohl ebenso alter Ofen steht. Besonders in den strengen Wintern hielten sich in dem gut geheizten Raum viele Fahrgäste auf, von deren Schuhen Schneewasser auf den Boden rann. Damit die Bretter durch das Schneewasser nicht zu Schaden kamen, wurden sie früher regelmäßig eingeölt. Die Luft roch dann ziemlich streng, sodass die Leute zwischen Kälte und gereizten Atemwegen wählen mussten. Etwa zehn Minuten vor Ankunft eines Zuges rief der diensthabende Beamte die Fahrgäste aus dem Warteraum auf einen vergitterten Vorplatz. Er zog dann das Schiebegitter bloß soweit zurück, damit immer nur ein Fahrgast nach dem anderen durch die Lücke treten konnte, überprüfte genau die Fahrkarten und drückte mit seiner Zange ein Loch in sie hinein. Erst dann durften sie den Bahnsteig betreten.

Von all diesen früheren Wichtigkeiten ist nichts mehr übrig geblieben und der Warteraum verschmutzt einsam vor sich hin. Als Freehwin dann durch das Fenster späht, hinter dem sich der Gang zum Schalter erstreckt, rührt sich bei ihm wieder diese merkwürdige Wehmut. Der Schalterraum, wo sich früher die Bahnbeamten aufhielten, ist ebenso verwaist, wie alle anderen Räume. Früher musste ein Beamter, wenn er Fahrkarten ausstellte, von Zeit zu Zeit diese Tätigkeit unterbrechen, denn er bekam vom nächstgelegen Bahnwärterhaus die Ankunft eines Zuges gemeldet. Diesen musste er – auf dem Bahnsteig stehend – erwarten und dann von der Amtsstube aus dem nächsten Bahnwärter die baldige Ankunft melden. Erst dann konnte er den Verkauf von Fahrkarten fortsetzen. Es empfahl sich daher, schon frühzeitig vor der Ankunft des gewünschten Zuges am Bahnhof zu sein.

Vom ehemaligen Bahnhof aus geht Freehwin mit etwas gedrückter Stimmung die Bahnhofsstraße entlang in Richtung Bahnübergang. Links begleitet ihn auf der verbreiterten Bahnhofstraße, wo sich früher Schrebergärten befanden, der Bahndamm, rechts an Stelle eines früheren Abhanges die Mauer des Friedhofes. In der Höhe des Bahnübergangs führt ihn sein Weg nach rechts zu einer Kreuzung mit drei Straßen. An die Stelle der früheren Kreuzung ist jetzt ein Kreisverkehr mit einer grünen Insel in der Mitte eingerichtet worden, der – gleichsam wie ein auf dem Rücken liegender Mensch mit Blick in den strahlend blauen Himmel – das „Haupt“ der Hauptstraße des „Städtchens“ bildet. Dieses „Haupt“ ruht in der hellen Nachmittagsonne und strahlt überlegene Ruhe aus. Blickt man vom „Haupt“ die Hauptstraße hinunter, dann erstreckt sich an der rechten Seite ihres „Halses“ eine kleine Grünanlage mit altem Baumbestand aus mächtigen Rosskastanien, an deren Ende inmitten eines weiten Platzes – gleichsam den „Brustkorb“ der Hauptstraße bildend – der große, runde Sechsröhrenbrunnen steht. Ganz früher konnten an Markttagen die Bauern der Gegend dort ihr Vieh tränken, das sie zu Markte trieben. Nach einem gelungenen Kauf oder Verkauf wurde der Erfolg dann mit einem angemessenen Umtrunk besiegelt, was die große Zahl von Wirtshäusern im „Städtchen“ erklärt. In Freehwins Kindheit versammelten sich auf dem Marktplatz mehrmals im Jahr fliegende Händler zu einem Krämermarkt und boten Waren feil, welche die Leute sonst nur in den größeren Städten der Gegend kaufen konnten, was bei den damaligen Verkehrswegen sich ziemlich aufwändig gestaltete. Die Kinder bevorzugten natürlich Süßigkeiten, Freehwin vor allem Magenbrot, eine Art von schmackhaftem Lebkuchen, den es nur dort gab.

An der rechten Seite des Marktplatzes, also an der rechten „Brustseite“ der Hauptstraße, steht das Gebäude der alten Post aus dem 17. Jahrhundert, oder gar noch früher, wo damals die Postkutschen hielten. Es hatte genügend Platz für Gasträume, Unterkünfte für Reisende, Lagerräume und Stallungen für Pferde. Jetzt beherbergt es eine Pizzeria und die „Silver Lounge“.

Gegenüber der Grünanlage an der oberen linken Seite des „Halses“ der Hauptstraße hat die Volksbank im Gebäude der früheren Volksschule, deren erste vier Klassen Freehwin besuchte, ihre Schalter eröffnet. Daneben, im ehemaligen Forst- und späteren Postamt, lärmt jetzt eine Diskothek. Etwas weiter unten davon hat sich die frühere Tankstelle in eine Pizzeria verwandelt.

Am Beginn der „Taille“ der Hauptstraße öffnete sich früher das östliche Tor durch die Stadtmauer. Auf der linken Seite begrenzt das Gasthaus – früher mit Metzgerei – „Zum Fischer“ die Hauptstraße und diesem gegenüber auf der anderen Seite der „Taille“ steht das Gebäude der ehemaligen Kreissparkasse, wo jetzt das Notariat untergebracht ist. Am schmalen, aber gestreckten „Bauch“ der Hauptstraße, der sich wie eine verlängerte „Taille“ hinzieht, kann Freehwin keine nennenswerten Veränderungen feststellen. Beim Übergang des langen, schmalen „Bauches“ zum „Becken“ der Hauptstraße fügt sich auf der linken Seite das nach einem Brand wieder aufgebaute Elternhaus seines Vaters in die Häuserzeile ein, ohne der Stadtverwaltung einen Anlass für Beanstandungen zu geben. Unmittelbar unterhalb davon hat im Gebäude des ehemaligen Gasthauses „Zum Kranz“ ein Optikerladen eröffnet. Auf der gegenüberliegenden rechten Seite der Hauptstraße, wo früher im Gasthaus „Zum Falken“ gezecht wurde, ist in ein völlig neues Bauwerk eine Drogeriekette eingezogen.

Unterhalb des Bauches beginnt bekanntlich das Becken; so auch bei der Hauptstraße des „Städtchens“ in Gestalt des Rathaus- oder Kirchplatzes. In Höhe der linken „Beckenschaufel“ erhebt sich das aus rotem Sandstein erbaute Rathaus. An Stelle der vier Tore im Erdgeschoss, wo früher die Gerätschaften der Feuerwehr untergebracht waren, wurden von der Stadtverwaltung inzwischen große Fenster angebracht mit dahinterliegenden Büroräumen, denn eine richtige Verwaltung benötigt für ein würdiges Walten genügend Flächen und gehörig Kubikmeter umbauten Raumes, da sonst aus dem Walten nichts Vernünftiges werden kann.

Im „Städtchen“ herrschten früher gestrenge Sitten, wofür besonders „der Mercks“ als Polizist sorgen musste, dessen Dienststelle sich im Rathaus befand. Hinter seinen Diensträumen war der Karzer untergebracht oder das „Kitchen“, wie er auch genannt wurde. Diesen erkannte man von außen daran, dass es dort in der Rückwand des Rathauses nur eine ganz kleine Fensternische gab, die zudem mit einem starken Eisengitter bewehrt war. Frechen Kindern des „Städtchens“ drohte man damit, dass sie „vom Mercks“ verhaftet und „bei Wasser und Brot“ in das „Kitchen“ gesteckt würden. Mehrmals am Tag machte sich „der Mercks“ außerhalb seiner Dienststelle bemerkbar, indem er mit seiner Fünfhunderter- BMW im „Städtchen“ Streife fuhr und dabei überprüfte, ob die Fahrräder der Kinder auch den Vorschriften entsprachen. Alle Kinder des „Städtchens“ fürchteten ihn. „Der Mercks“ verkörperte für diese uneingeschränkt die Obrigkeit noch vor dem Stadtpfarrer, dem Oberlehrer und dem Bürgermeister. Die ehrgebietende Furcht genoss er auch sichtlich, wenn er überprüfte, ob die Ladenschlusszeiten und die Sperrstunde eingehalten wurden. Sonst hatte er nichts zu tun, denn das Verbrechen mied das „Städtchen“. Da wusste auch niemand, ob das „Kitchen“ jemals benutzt wurde. Der Stadtpfarrer war nicht weniger zimperlich. Beim Schwätzen und Stören während des Gottesdienstes wurde hart durchgegriffen, denn das Haus Gottes durfte nicht auf solch schändliche Weise entweiht werden. Wo käme die Menschheit hin, wenn diese Frevel ungesühnt blieben? Das Strafen bekam ein rot gewandeter Aufseher übertragen, der einen Stab mit einer großen Kugel und einem Kreuz darauf als äußeres Zeichen seiner Befugnisse in der Hand hielt. Störenfriede wurden unnachgiebig aus den Bänken gezogen und vor der versammelten Kirchengemeinde an den Pranger gestellt.

Hinter dem Rathaus und neben der Stadtkirche steht das Elternhaus von Norbert, einem von Freehwins Freunden im Kindergarten und in den ersten Klassen der Volksschule. Dieser wurde ihm besonders von seiner Mutter als Vorbild empfohlen, denn er sei ein braves und frommes Kind, das an Sonntagen neben dem Hochamt auch die Andacht am Nachmittag und die Vesper am Abend besuchen würde. An hohen Festtagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten nehme er sogar mehrmals an den Eucharistiefeiern teil. Noch niemals sei er wegen ungebührlichen Verhaltens in der Kirche vom Aufseher aus der Bank gezerrt und in den Mittelgang gestellt worden.

Eines Tages musste Freehwin mitansehen, wie Norbert laut schreiend und strampelnd an der einen Hand von seiner Mutter und an der anderen „vom Mercks“ die Straße über den Schotter aus Juragestein zum Rentamt hinuntergeschleift wurde, ein sehr altes Gebäude, dessen eine dicke Außenmauer die frühere Stadtmauer war. Darin verschwanden sie. Das Erdgeschoss des Rentamtes war bedrohlich düster und roch muffig, denn dort befanden sich in mittelalterlicher Zeit die Kasematten. Am anderen Tag wollte Freehwin im Kindergarten von Norbert wissen, was denn geschehen war. Unter Tränen und nachdem er ihm feierlich gelobt hatte, niemandem etwas davon zu verraten, erzählte er Freehwin, wie streng es bei ihm zu Hause zugehen würde. Freehwin hat Wort gehalten und bis jetzt darüber geschwiegen. Seine Mutter hätte, weil er nicht folgsam gewesen war, „den Mercks“ geholt und mit seiner Hilfe ihn in den dunklen Keller des Rentamtes wie in ein Verlies gesperrt. Erst nach langer Zeit hätten sie ihn wieder freigelassen. Wenn Norbert zuhause nicht folgsam wäre, würde er ebenfalls in den dunklen Keller des Elternhauses gesperrt. Nachdem er einmal aus Mutters Handtasche eine Tafel Schokolade genommen hatte, war er in den Keller geschleppt worden und ihm sollte auf einem Hackklotz die rechte Hand abgehackt werden. Heute würde man die Vorgänge von damals wohl eine Scheinfolter oder gar eine Scheinhinrichtung nennen.

Nach diesen unschönen Erinnerungen geht Freehwin zurück auf den Platz zwischen Rathaus und Kirche, in dessen Mitte sich das Kriegerdenkmal erhebt. Er ist neu gestaltet worden und hat anstatt des früheren Abhangs eine breite Treppe bekommen, neben der in einen kleinen Brunnen Wasser plätschert. Schräg gegenüber dem Rathaus, auf der anderen Seite der Hauptstraße, hat die Stadtverwaltung in einer Ausbuchtung einen großen, von einer Heiligenfigur überragten Brunnen aufstellen lassen, der ursprünglich nach Freehwins Erinnerung anderswo stand, und in dem früher das Vieh getränkt wurde. Die Heiligenfigur über den beiden Röhren sollte die dort getränkten Tiere vor Unheil bewahren. Hinter dem Brunnen bekam man früher im Gasthaus „Zur Krone“ gut bürgerliche Küche vorgesetzt; jetzt sind dort Pizzen, Pasten und Antipasti zu haben.

Nach dem „Becken“ folgen die „Beine“ der Hauptstraße. Neben dem linken „Oberschenkel“ befindet seit eh und je das Kaufhaus „Engesser“. Daran hat sich bislang nichts geändert. Selbst der Schriftzug „Engesser“ an der linken Seitenwand zum Rathausplatz hin ist der gleiche geblieben. Es scheint, als ob dort die Zeit stehen geblieben wäre. Nur die Dekoration und die Auslagen in den Schaufenstern haben sich der neuen Zeit angepasst. Auch am Gasthaus „Zum Hecht“ neben dem rechten „Oberschenkel“ an der gegenüberliegenden Straßenseite gelegen – schon immer das erste Haus am Platz – hat sich wenig geändert. Es hat nur einen neuen, zeitgemäßen Anstrich erhalten.

Neben dem „Hecht“, in Höhe des rechten „Unterschenkels“ der Hauptstraße, hatte früher der Mechaniker des „Städtchens“ seine Werkstatt und sein Geschäft. Dort wurden Autos, Motorräder und Fahrräder ausgebessert und es gab auch Fahrräder und Kleinmotorräder zu kaufen sowie Benzin, das ursprünglich mit der Hand in Messbehälter über der Pumpe gedrückt wurde und von dort der Schwerkraft folgend in den Tank floss. Jetzt ist in diese Räume – gemäß der geistigen Nähe zu Fahrzeugen – eine Fahrschule eingezogen. Gegenüber – also neben dem linken „Unterschenkel“ der Hauptstraße – befindet sich in den Räumen des früheren „Konsum“ ein Geschäft für Inneneinrichtungen, das zeitgemäß mit großen Schriftzügen „Hemens-Home: der Trendberater“ seine Dienste anbietet. Es folgt unmittelbar daran das Haus einer früheren Gaststätte mit Metzgerei, damals „Zum Hirschen“ genannt. Dort erhalten nun in einer Praxis für Massage und Physiotherapie Patienten Linderung bei ihren Leiden.

Zwischen den „Füßen“ der Hauptstraße konnte man durch das westliche Tor das „Städtchen“ verlassen. Neben dem rechten „Knöchel“ der Hauptstraße hat wieder mal eine Pizzeria das frühere Gasthaus „Zum Löwen“ ersetzt.

Auf dem bereits erwähnten Weg kehrt Freehwin zum Kirchplatz zurück, geht an der Kirche vorbei und verlässt durch eine Lücke zwischen zwei Häusern, wo früher das südliche Stadttor, das Mühlentor, stand, das „Städtchen“. Dann folgt er der Donaustraße den Bahndamm entlang nach Osten bis er auf halbem Wege zum Bahnübergang sein Elternhaus erreicht. Daneben und dahinter sind seit seinem letzten Aufenthalt hier neue und gewaltige Gebäude errichtet worden, gegenüber denen sich sein Elternhaus geradezu kleinlaut ducken muss. Das Dach des größten Gebäudes, das der Kreissparkasse, trägt eine Krone von Eindruck heischenden Sonnenkollektoren. In seine Wehmut mischt sich bei diesem Anblick noch eine Art Mitgefühl für das kleine Elternhaus. Alles ist vereinsamt, kein Lebenszeichen rührt sich dort, wo früher reges Leben herrschte, ein Kommen und Gehen von Patienten stattfand und Stimmengewirr zu hören war. Das Haus steht nun leer und soll demnächst verkauft werden, denn sein Bruder kann wegen der schlechten gesundheitlichen Verfassung die Arztpraxis nicht mehr weiterführen. Freehwin nutzt diese Gelegenheit, um endgültig von seinem Elternhaus Abschied zu nehmen, indem er vom Dachgeschoss bis in den Keller jeden der leeren Räume betritt und sich von jedem einzelnen mit einem Gefühl der Wehmut verabschiedet.

Das herrliche Wetter, die goldgelbe Abendsonne und die bunten Bäume des gegenüberliegenden Höhenzuges, der „Länge“, beleben seine Stimmung soweit wieder, dass er sich entschließt, seine Unterkunft aufzusuchen, da er morgen seine Reise schon in der Frühe fortsetzen muss, damit er mit der Regionalbahn den Bahnhof des nächstgelegenen Eisenbahnknotenpunktes noch rechtzeitig für die Schwarzwaldbahn erreicht. Da er innere Ruhe finden will, begibt er sich nicht auf dem kürzesten Weg dorthin, sondern nutzt die Abendsonne und ergeht sich ein wenig am Oberlauf der „jungen Donau“, wie sie im Briefkopf der Stadtverwaltung genannt wird. Um dorthin zu gelangen, muss er im „kleinen Durchlass“ die Bahnlinie unterqueren. Dahinter erstreckt sich eine weite Flur, auf der früher die Donau ihre Schlingen und Schleifen zog. Wegen Überschwemmungen bei Schneeschmelzen glaubte man, ihr ein neues, gerades Flussbett geben zu müssen. Der alte Flusslauf blieb jedoch teilweise erhalten und ähnelt nun einem kleinen, langgestreckten und gewundenen See. Das restliche Gelände dient dem Sport und auch der Naherholung. Es gibt dort Boule-Bahnen, ein Fußballfeld mit Vereinsheim und eine riesige, anmutig geschwungene Halle für Veranstaltungen jeglicher Art.

Die Donau überquert Freehwin auf dem alten, schmalen Steg, den er als kleines Kind aus Furcht vor den Fluten nur mit Bangen betrat. Dann schlendert er die Donau hinab und nähert sich über das Donauried, wo Rinder friedlich weiden oder gemächlich wiederkäuen, seiner Unterkunft in einem Nachbarort des „Städtchens“. Im Westen versinkt der glutrote Ball der Sonne allmählich hinter dem Wartenberg, einem mächtigen Vulkankegel, der sich mitten im Donautal aus dem Juragestein erhebt. Links und rechts begleiten ihn die bunten Wälder des „Rossberges“ und der „Länge“, zwei Höhenzüge aus Juragestein. Der Weg und die Landschaft wirken sehr beruhigend und geben ihm das Gefühl des inneren Friedens. Zwei Geheimnisse die ihn in seiner Kindheit plagten, machen sich wieder bemerkbar: Was sich wohl hinter dem Höhenzug im Süden, der „Länge“, und dem im Norden, dem „Rossberg“, verbergen mag. Diese Geheimnisse lassen sich jetzt durch keine noch so genaue Flurkarte und keinen gründlichen Ortstermin mehr enthüllen, sondern offenbaren sich nur einem verträumten Kinderblick. Auf dem Weg zur Unterkunft kommen Freehwin Fahrten mit der Schwarzwaldbahn wieder in den Sinn.

Seit Anfang April des Jahres 1959 fuhr er sechsmal im Jahr in beiden Richtungen mit der Schwarzwaldbahn. Aber bereits seit dem Kleinkindalter ist er mit seinen Großeltern diese Strecke viele Male gefahren, als diese häufiger im Jahr zu Besuch in die Baar kamen, einige Zeit dort blieben und er am Ende eines solchen Besuchs zu ihnen nach Hause in die Domstadt fuhr. Seine Erinnerungen an diese Fahrten sind jedoch sehr spärlich und unzusammenhängend. Er erinnert sich an Abteile, die nicht miteinander verbunden waren, die jeweils von außen einzeln erstiegen werden mussten, und deren Bänke aus Holzlatten einander gegenüberstanden. Andere Abteile wiederum waren – voneinander abgeschlossen oder auch nicht – durch einen Seiten- oder einen Mittelgang verbunden. Die Fenster wurden nur durch einen Gurt aus starkem Leder mit Löchern darin bewegt und durch einen Zapfen in der gewünschten Höhe festgehalten. Das letzte Loch im Gurt hielt das Fenster geschlossen. Wenn der Zug durch ein Tunnel fuhr, mussten die Fenster wegen des beißenden Rauches der Dampflokomotive rasch geschlossen werden. Freehwin fiel auf, dass die Fenster schwarze Rollos hatten, mit denen sich die Abteile verdunkeln ließen. Auch wurden die Abteile nicht nur durch Glühbirnen aus weißem Glas erhellt, sondern auch aus blauem. Sein Großvater erklärte ihm, dass die Züge während des Krieges nur nachts fahren konnten und verdunkelt werden mussten, damit sie von feindlichen Flugzeugen aus nicht gesehen und beschossen werden konnten.

Abenteuerlich war der Übergang von einem Waggon auf einen anderen. Dieser erfolgte im Freien auf Stegen zwischen den Waggons. Diese Übergänge waren Freehwin nicht geheuer, denn er fürchtete, die übereinander geklappten Stege könnten zusammenbrechen und er würde dann auf die Gleise fallen.

In besonders anschaulicher Erinnerung blieben ihm der Bahnhof in Villingen, das Freibad in Sankt Georgen, das Rätsel um den Bahnhof in Triberg sowie das Freibad nach Hornberg. Freibäder hatten für ihn seinerzeit eine große Bedeutung, was seine Erinnerungsfähigkeit daran erklären mag, denn in der Donau sollte er nicht baden, weil damals Abwässer ungeklärt eingeleitet wurden. Baden konnte er nur in der Domstadt und auch das nur, wenn er dort in den Sommerferien für wenige Wochen seine Großmutter besuchte. In Villingen wurde für die Fahrt bergab eine zweite Dampflokomotive angekoppelt, worüber er sich wunderte. Wie Freehwin später erfuhr, benötigte der Zug für die Steigungen bergauf bis Villingen noch eine zweite Dampflokomotive, die ab dort aber nicht mehr gebraucht und daher als Leerfahrt, an den nächsten bergab fahrenden Zug angekoppelt, zurückgebracht wurde.

Nachdem der Zug den langen Sommerautunnel bei Sankt Georgen verlassen hatte, fuhr er auf der nördlichen Seite des Nussbach-Gutach-Tals durch viele Tunnels bergab, um schließlich am Triberger Bahnhof anzuhalten. Die Lage des Bahnhofes in Triberg verwirrte Freehwin. Er war von Ost nach West auf der nördlichen Talseite ins Tal hineingefahren. Folglich musste im Triberger Bahnhof die Felswand bergseitig rechts von den Schienen liegen und das Bahnhofsgebäude – nach Schwarzwälder Art ganz mit Holzschindeln verkleidet – demnach auf der linken Seite der Schienen. In Wirklichkeit war die Lage aber gerade umgekehrt, die Felswand befand sich links und das Bahnhofsgebäude rechts von den Schienen. Der Zug setzte seine Fahrt in Triberg fort, ohne dass Freehwin für sich klären konnte, weshalb die wirklichen Gegebenheiten mit seinen Vorstellungen nicht übereinstimmten, zumal diese noch dadurch gestützt wurden, dass der Zug das enge Nussbach-Gutach-Tal nach Hornberg wieder auf der nördlichen Talseite verließ, wo sich am Abhang links der Schienen ein Freibad befand. Außerdem wunderte er sich darüber, dass eine Dampflokomotive auf der südlichen Seite des Tales von West nach Ost fuhr, wobei nach seiner Sicht der Lage sie doch auf seiner Seite ihm entgegenkommen müsste. Oder gab es dort noch eine weitere Bahnstrecke auf der südlichen Talseite? Diese ihn verwirrenden Beobachtungen wollte er während des längeren Aufenthaltes in Offenburg klären. Der nächste Halt nach Hornberg war der Bahnhof von Hausach, wo die zweite und für diese Fahrt nicht mehr benötigte Dampflokomotive abgekoppelt wurde, damit sie als zusätzliche Lokomotive den nächsten Zug wieder bergauf ziehen konnte.

In Offenburg musste Freehwin in einen Personenzug umsteigen, weil der D-Zug in der „Almanat-Stadt“ nicht anhielt. Bei einem dieser Aufenthalte erfuhr er, dass die Streckenführung der Schwarzwaldbahn sehr viel verwickelter war, als es zunächst schien. Damit der große Höhenunterschied zwischen Rheinebene und Schwarzwald ohne zu große Steigungen überwunden werden kann, verläuft die Streckenführung in großen Bögen sowohl auf der einen, als auch auf der anderen Seite des Nussbach-Gutach-Tals und kreuzt dieses zweimal, was ihm aber wegen der kurzen Brücken und den häufigen Wechseln von Tunnels und freien Strecken nicht weiter auffiel. Durch dieses Wissen waren die zunächst verwirrenden örtlichen Verhältnisse am Triberger Bahnhof für ihn geklärt.

Mit diesen Erinnerungen im Sinn geht Freehwin zu Bett und kann nach dem ereignisreichen Tag sogleich einschlafen.

Auf dem Weg zum „Anfang der Weisheit“

In der Frühe wacht Freehwin frisch und munter auf und hat noch genügend Zeit, um in aller Ruhe zum ehemaligen Bahnhof des „Städtchens“ zu gehen. Er nimmt den kürzesten Weg dorthin über das Donauried, über dem an diesem noch kühlen Morgen dicker Morgennebel hängt. Es kündigt sich heute ein Wetterumschwung an, denn der Himmel ist auch dicht von Wolken verhangen. Die Kühe auf der Weide dort liegen entweder geruhsam und wiederkäuend auf der Wiese oder stehen einfach nur träge herum. Seine Anwesenheit brachte dann doch etwas Unruhe herein, denn sie waren es sicherlich nicht gewohnt, dass sich jemand zu so früher Stunde dorthin verirrt.

Am Bahnhof – oder besser gesagt: an der Haltestelle des Zuges – setzt sich Freehwin in die gläserne Wartekabine und erwartet dessen Ankunft. Da er zeitig gekommen ist, hat er noch etwas Muße, um darüber nachzudenken, wie es eigentlich zum „Anfang der Weisheit“ kam. Die Gründe dafür waren ganz einfach: Seine Mutter wurde um das Jahr 1942 als 28 jährige Ärztin gezwungen, ihre Weiterbildung zur Fachärztin an der Landesfrauenklinik in Karlsruhe abzubrechen und wurde als Landärztin ins „Städtchen“ dienstverpflichtet, wo sie die ärztliche Betreuung eines bestimmten Sprengels und eines kleinen Krankenhauses nebst der „Heil- und Pflegeanstalt“ des Landkreises übernahm. Dort verblieb sie, weil sie Freehwins Vater kennenlernte und mit ihm eine Familie gründete. Der Großvater seines Vaters und dessen beide Brüder kamen im 19. Jahrhundert von der Eidgenossenschaft an den Oberlauf der Donau herüber und gründeten oder übernahmen dort jeweils eine Getreidemühle. Getreidemühlen waren damals mit Ausnahme einer Sägemühle die einzigen vorindustriellen Werke in dieser Gegend. Sein Vater war daher ein anerkannter und angesehener Bürger des „Städtchens“ und jahrzehntelang Mitglied des Pfarrgemeinderates.

Aus den beiden Söhnen sollte mal etwas rechtes werden, worunter die „Sorge um das Heil der Menschen“ zu verstehen war. Der eine sollte sich um das Heil des Leibes kümmern, also Arzt werden, der andere als Priester für das Heil der Seele sorgen, zumal es in Vaters Linie auch Geistliche gab. Diesen Erwartungen sind die beide Kinder nachgekommen: Freehwins Bruder wurde Arzt und er selbst Seelsorger, aber nicht, wie gewünscht geistlicher, sondern weltlicher. Die Möglichkeiten, sich für solche Berufe vorzubereiteten, waren jedoch auf dem Lande vergleichsweise bescheiden. Da gab es ein Gymnasium in der dreizehn Kilometer entfernten früheren Kreisstadt des „Städtchens“, wohin eine gute Zugverbindung mit der Schwarzwaldbahn bestand. Sein Vater sprach sich dafür aus, denn er wollte, dass die Söhne heimatnah zur Schule gehen sollten, zumal einer seiner Brüder das Realgymnasium im dreißig Kilometer entfernten Villingen besucht hatte, wohin es ebenfalls eine gute Zugverbindung mit der Schwarzwaldbahn gab. Dieser Bruder beendete seine Ausbildung zum Diplom-Ingenieur an der Technischen Hochschule in Karlsruhe. Der andere Bruder besuchte zunächst die Uhrenmacherschule in dem etwa dreißig Kilometer entfernten Furtwangen und danach das Polytechnikum – heutzutage Fachhochschule genannt – in Karlsruhe, das er als Maschinenbautechniker, heute würde es Mschinenbauingenieur heißen, beendete. Die Geschwister, darunter Freehwins Vater, ermöglichten auch in den schlechten Zeiten der Weltwirtschaftskrise diesen beiden Brüder das Studium. Mit seiner Auffassung einer heimatnahen Schulbildung konnte sich Freehwins Vater aber nicht gegen dessen Mutter durchsetzen, da die Söhne eben Arzt und Priester werden und keinen technischen Beruf ergreifen sollten. Die Mutter hatte von den Kindern schulisch zwar viel verlangt, glaubte aber, dafür – sprich für die schulischen Belange – nicht viel selbst beitragen zu können.

Die große Bedeutung ihres Berufes als Ärztin und ihre Haltung hinsichtlich der schulischen Belange ihrer Kinder hatte bei genauerer Betrachtung jedoch bestimmte Gründe, denn als Ortsfremde hatte sie im „Städtchen“ einen schweren Stand. Während sie im weiten Umkreis die ärztliche Versorgung aufrechterhalten musste, als „der Alte [9] Säbelrasseln ging“, wie sie es nannte, waren die Leute zunächst auf ihre Hilfe angewiesen. Auch war das kleine Krankenhaus, als die Front näherrückte und über das „Städtchen“ hinwegrollte, eine Art von Notlazarett, in dem Freehwins Mutter alleine die ärztliche Notversorgung für die verwundeten Soldaten durchführte einschließlich Notoperationen bei Bauchschüssen und Amputationen bei schweren Verletzungen der Gliedmaßen, bis diese dann in ein ordentliches Lazarett verlegt werden konnten. Die Soldaten, denen sie nicht mehr helfen konnte und die unter ihren Händen verstarben, wurden in einem Teil vom Friedhof des „Städtchens“ begraben. Noch gut kann sich Freehwin daran erinnern, dass sie mit den kleinen Kindern an Allerheiligen die Gräber der verstorbenen Soldaten, die sie alle selbst kannte, besuchte.

Ihre Stellung im „Städtchen“ änderte sich aber nach Ende des Krieges wegen den Seilschaften der alten politischen Kaste grundlegend. Im „Städtchen“ mussten ihre Kinder sich vor bestimmten Familien aus für sie damals unbegreiflichen Gründen in Acht nehmen. Darüber wurde zu Hause jedoch nicht offen gesprochen. Die Gespräche daheim glichen eher einer Verschwörung, da die Kinder nicht verstehen sollten, was jeweils gemeint war. Man unterhielt sich in für sie rätselhaften Kürzeln, sodass bei Freehwin der Eindruck des Unheimlichen entstand. Dieser regte seine Vorstellungskraft besonders an, sodass er vielen Leuten im Städtchen misstraute, weil er ein unbestimmtes Gefühl hatte, sie seien Feinde der Familie. Auch wurde zuhause immer nur von einem „S“, „St“ oder „S-T“ gesprochen. Auch wenn Freehwin damals nicht genau wusste, wer „S“, „St“ oder „S-T“ genau war, so bekam er dennoch den Eindruck, dass es sich um einen Feind der Familie handeln musste. Erst viel später wurde ihm klar, dass damit „der Alte“ gemeint war.

Als Freehwin größer war, erklärte ihm seine Mutter die wirklichen Zusammenhänge. Danach sollte sie nach Ende des Krieges als nunmehr in ihrem ärztlichen Beruf überflüssige aus dem „Städtchen“ gedrängt werden, weil zum einen „der Alte“ nunmehr vom Säbelrasseln zurückgekehrt war, zum anderen weil wegen des Überschusses an Ärzten – die Ausbildung von Ärzten war während des Krieges nicht unterbrochen, da diese ja zur Versorgung von Verwundeten gebraucht wurden – für einen Verwandten von ihm ein zweiter Arztsitz eingerichtet werden sollte. Außerdem sollte auf den Arztsitz „des Alten“ sein Sohn nachrücken. Man hätte ihr deswegen sogar die Kassenzulassung zurücknehmen wollen, wodurch sie ihre berufliche Grundlage verloren hätte, welche ihr in diesen unsicheren Zeiten einen gewissen Halt gegeben hatte. Zwar hatte sie bereits damals Freehwins Vater gekannt und auch ihre Herkunftsfamilie hätte sie auffangen können, sodass sie nicht ins Bodenlose versunken wäre, aber sie hatte ein großes Bedürfnis gehabt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf andere angewiesen zu sein. Außerdem war es für sie auch eine Frage der Ehre, sich nicht auf diese erniedrigende Weise entfernen zu lassen.

Um den Verlust der Kassenzulassung abzuwenden, war sie gleich nach dem Krieg, als es noch keinen geregelten Zugverkehr gab, mehrmals mit dem Fahrrad über den Schwarzwald und das Höllental bei der für Südbaden zuständigen Kommandantur der französischen Besatzungsmacht in Freiburg vorstellig geworden. Dort hatte man großes Verständnis für ihr Anliegen gehabt, denn sie hatte glaubhaft machen können, dass es sich hierbei um Machenschaften der alten politischen Kaste handelte. In der Kommandantur sei entschieden worden, dass ihr die Kassenzulassung nicht entzogen werden darf.

Nachdem sie sich im „Städtchen“ halten konnte, hatte man ihr durch die alten Seilschaften am Ort allerlei Schikanen zugefügt. So hatte sie keine Sprechstunden für ihre Patienten in den geheizten Räumen des Krankenhauses abhalten dürfen, als es für Privatpersonen kaum Heizmaterial gegeben und sie die Räume ihrer Praxis nicht ausreichend hatte heizen können. Auch ihre Kinder hatten das Krankenhaus nicht betreten dürfen, da der Hausmeister sie daraus vertrieben hätte. Letzteres drohte ihnen bis Mitte der Fünfzigerjahre, denn soweit reichte wohlgemerkt der lange Arm der alten Seilschaften.

Darüber hinaus war ihr Bekenntnis zum Katholizismus – auch zum politischen – der alten politischen Kaste zuwider gewesen. Deswegen wurde sie bereits zu Beginn ihres Studiums im Jahre 1934 als „Schwarze“ verspottet. Und ausgerechnet eine solche wollte den alten Seilschaften die Verteilung der Arztsitze streitig machen! Die Einstellung für oder gegen sie verlief sogar bis zu einem gewissen Grad entlang der Konfessionsgrenzen. So war beispielsweise ein Nachbarort geschichtlich bedingt schon seit alter Zeit entlang der Konfessionsgrenze kommunalpolitisch in Unter(…) und Ober(…) geteilt. In Ober(…) wohnten hauptsächlich – wenn nicht gar ausschließlich – Protestanten, in Unter(…) hingegen Katholiken. In Ober(…) gab es eine evangelische Kirche, der ein Pastor vorstand, in Unter(…) hingegen eine katholische mit einem Pfarrer, zu dem und zu dessen Haushälterin Freehwins Mutter ein herzliches Einvernehmen hatte. In Ober(…) wirkten Diakonissen als Krankenschwestern, in Unter(…) hingegen Nonnen, zu denen Freehwins Mutter ebenfalls einen herzlichen Umgang pflegte. Katholiken kamen – nach Aussage der Mutter – bevorzugt zu ihr in Behandlung, Protestanten hingegen zum „Alten“. Freehwin gewann daher den Eindruck, als ob im Allgemeinen Protestanten dem „S“, „St“ oder „S-T“ zugeneigt waren und nicht seiner Mutter. Im Nachhinein – in Kenntnis der politischen Hintergründe – betrachtet kommt es ihm auch so vor, als ob die Protestanten dieser Gegend der alten politischen Kaste näher gestanden hätten als die Katholiken, deren „Führer“ der Stellvertreter Gottes auf Erden in Rom war und es eben keine zwei „Führer“ auf Erden geben durfte.

Aufgrund dieser Umstände kam für die Mutter damals nur ein Konvikt infrage. Zwar hatte sie sich über die Jahrzehnte hinweg durch ihre – man kann schon sagen – aufopfernde Tätigkeit Hochachtung im „Städtchen“ und in den umliegenden Ortschaften erworben, denn bei ihrer Beerdigung an einem Freitagnachmittag war der Friedhof voller Leute, die von ihr Abschied nahmen, aber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den schulischen Werdegang Freehwins war dieses noch nicht abzusehen. In der Umgebung gab es keine große Auswahl an weiterbildenden Schulen. Da war „Salem“, am Bodensee gelegen, ein „schwäbisches Eton“. Dieses wurde jedoch von den Eltern Freehwins wegen seines elitären Anspruchs abgelehnt, eine Entscheidung, die er auch heute noch richtig findet, denn wie er später verschiedentlich erfahren hat, wurden dort elitäre Kerle herangezogen und wer nicht dazu passte, wurde von einer elitären „Mafia“ gnadenlos herausge-„mobbed“. Von seiner Art her hätte Freehwin sicherlich nicht dazugehört. Außerdem hatte ein Verwandter, ein Protz, seine Kinder dorthin geschickt und Freehwins Eltern wollten es ihm nicht gleichtun. Der „Birklehof“ in Hinterzarten – eine weitere Möglichkeit – kam deswegen nicht in Betracht, weil die Kinder in katholischem Geiste erzogen werden sollten. Es gab dann noch das Konvikt eines Missionsordens in der früheren Kreisstadt des „Städtchens“, dessen Zöglinge das örtliche Gymnasium besuchten, sowie das Jesuitenkolleg in Sankt Blasien mit dem Leitspruch „Credere et agere“ [10] und das „Almanat“ mit dem Leitspruch „Initium sapientiae, timor domini“ [11] . Weshalb die Entscheidung auf letzteres fiel, weiß Freehwin nicht, denn seine Meinung dazu war nicht gefragt. Missionskonvikt und Jeduitenkolleg schienen den Eltern wohl doch zu viel des Guten zu sein, denn sie fürchteten vermutlich, dass ihre Kinder eines schönen Tages von diesen Ordnen vereinnahmt werden würden, diesen beigetreten könnten und dann an eine Missionsstation irgendwo auf dem Erdball versetzt worden wären. Das wäre durchaus eine berechtigte Befürchtung gewesen. Also blieb nur noch das „Almanat“ übrig. Es hatte zudem keinen elitären Anspruch, denn für dieses waren vor Gott alle Menschen gleich. Es stand allen Bevölkerungsschichten offen, denen seine Zöglinge auch entstammten. Elitäre Pinkel hatten dort einen schweren Stand.

Seinen Eltern muss Freehwin heute noch dankbar sein, dass sie sich nicht vom gelehrten Ansehen und dem Ruf der „Societas Jesu“ haben blenden lassen, denn sonst wäre es vermutlich seiner geistigen Freiheit übel ergangen. Er fürchte, sie hätten ihn mit „repressiver Toleranz“ [v] eingefangen, was auf grobschlächtige Weise den anderen niemals gelungen war. Er fürchte daher, er wäre niemals zu dem geworden, der er jetzt ist: eine Art von Freigeist, dem selbst der goldene Vogelkäfig der Jesuiten, welcher die gesamte Erde umspannt, anwidert. Die „Societas Jesu“ hätten Freehwin vermutlich den ihnen gemäßen Geist eingeflößt, vor allem aber den Roms von den Anfängen bis zur Gegenwart, nicht jedoch den eines Pyrrhon von Elis, eines Sextus Empiricus, eines Agrippa oder eines Ainesidemos, denen er sich geistig besonders nahe fühlt. Für diese Vermutungen gibt es einen guten Grund: In der Oberstufe hörten die Zöglinge einmal den Vortrag eines Jesuiten mit dem einem Buche [12] nachempfundenen Titel über „geheime Verführer“. Vortrag und Vortragender begeisterten Freehwin sogleich und zwar in einer Weise, dass er sich umgehend das Buch besorgte, nur um dann festzustellen, dass es im feinsinnigen Ausdruck dem geistreichen Vortrag nicht gleichkam. Absicht des Vortragenden war, die Zöglinge gegen die Verführungskünste weltlicher Mächte zu feien, und er tat gut daran. Der Jesuit gewann dadurch Freehwins uneingeschränkte Hochachtung. Nur: Wie stand es mit seinen Verführungskünsten für den Frommen Glauben und das Heil, die er verkündete? Freehwin selbst hat sie glücklicherweise nie erfahren und ist dankbar dafür, denn er ist sich nicht sicher, ob er ihnen so hätte widerstehen können, wie er den anderen widerstand.

Bei all diesen Überlegungen hat Freehwin beinahe seinen Zug verpasst, denn es gelingt ihm buchstäblich nur noch in allerletzter Sekunde, sich durch die Waggontüre zu zwängen. Nach dem aufregenden Einstieg fällt ihm ein Traum von letzter Nacht wieder ein:

„Es ist wieder soweit: Die Ferienzeit ist vorbei. In den ersten Jahren hatte ich Abschiedsschmerz, der mir die Trennung vom Elternhaus immer wieder schwer machte. Es ging nicht ohne Tränen ab. Der Tag der Abreise von zuhause begann immer geschäftig. Letzte Vorbereitungen mussten getroffen und alles Notwendige in die Koffer verpackt werden. Meine Mutter lässt es sich nicht nehmen, mich wie üblich selbst am nächstgelegenen Eisenbahnknotenpunkt zum D-Zug zu bringen. Wie immer drängt die Zeit, denn sie ist bis zuletzt mit der Sprechstunde für ambulante Patienten beschäftigt. Mein Vater, unsere Haushälterin und ich warten ungeduldig bis endlich meine Mutter die Sprechstunde unterbricht. Als ich hastig einen meiner Koffer in die Hand nehme, da reißt einer der Gurte, welche die beiden Hälften zusammenhalten. Große Aufregung herrscht, denn die Zeit bis zur Abfahrt des D-Zuges ist mehr als knapp. Mein Vater hat den zündenden Einfall, den gerissenen Gurt durch eine ebenfalls gerissene, aber viel längere Hundeleine zu ersetzen, indem er deren eines Ende durch einen Karabinerhaken am anderen Ende zieht und kunstvoll verkeilt. Die Lage ist gerettet. Schleunigst eile ich zum Auto, denn meine Mutter war vorangegangen und ist abfahrbereit. Ich finde keine Zeit mehr, um mich von meinem Vater, den der Abschied genauso schmerzt wie mich, meinem Bruder und der Haushälterin zu verabschieden. In rascher Fahrt geht es dann zum Bahnhof. Die Zeit drängt so sehr, dass wir nicht mehr die öffentliche Straße benutzen können, die zum Bahnhof führt, sondern als Abkürzung einen Feldweg durch Schrebergärten nehmen müssen, dessen Durchfahrt nur Anliegern erlaubt ist. Meine Mutter eilt voraus, um die Fahrkarte zu lösen, und ich komme mit den schweren Koffern keuchend hinterher. Am Fahrkartenschalter wartet niemand mehr, sodass wir die Fahrkarte gleich erhalten. Wir eilen auf den Bahnsteig, wo der Zug gerade abfahren will. Die Dampflokomotive zischt und schnaubt ungeduldig. Ich hieve die beiden schweren Koffer den hohen Einstieg hoch, denn der Bahnsteig war nicht befestigt, sondern man muss über Schotter gehen. Von meiner Mutter kann ich mich nicht mehr richtig verabschieden, sondern winke ihr als der Zug bereits anfährt durch das Fenster der Waggontüre zu. Nach wenigen Minuten kommt der Zug an unserem Haus vorbei, wo mir mein Vater, mein Bruder und die Haushälterin zuwinken“.

Während Freehwin diesem Traum noch nachhängt, fährt sein Zug bereits im Bahnhof des Verkehrsknotenpunktes ein. Bis zur Abfahrt der Schwarzwaldbahn hat er noch eine Viertelstunde Aufenthalt, sodass er sich den Bahnhof näher betrachten kann. Auch dieser Bahnhof ist nicht mehr in Betrieb und das Gebäude selbst unbewohnt und heruntergekommen. Ebenfalls gibt es dort keinen Warteraum mehr, sondern nur noch offene und zugige Wartekabinen auf den Bahnsteigen. Der Schalterraum, der früher zugleich auch Warteraum war und den er früher so oft aufsuchen musste, ist nun verschlossen und verdreckt. Diesem Verfall steht entgegen, dass die Bahnsteige nunmehr hoch und befestigt sind, sodass man bequem ein- und aussteigen kann. Auch gibt es jetzt Unterführungen zu den einzelnen Bahnsteigen, sodass die Gleise nicht mehr wie früher mühsam überstiegen werden müssen. Rasch geht Freehwin auf seinen Bahnsteig zurück, denn die Schwarzwaldbahn wird in wenigen Minuten eintreffen. Sie wird nicht mehr von einer zischenden und stampfenden Dampflokomotive gezogen, sondern von einer schnittigen E-Lok. Jetzt legt Freehwin die gleiche Strecke wie früher zurück und wie letzte Nacht im Traum, aber welch ein Unterschied: es winkt ihm niemand mehr zu, als der Zug an seinem Elternhaus vorbeifährt, das einsam und verlassen dasteht, wie aus einer anderen Welt stammend. Noch ein letzter Blick auf das „Städtchen“, als der Zug über die Eisenbahnbrücke rattert, welche die Donau überquert, unter der er und seine Freunde früher durchkrochen, wenn sie von der einen Seite der Bahnlinie auf die andere gelangen wollten, und die nach dem Krieg von Bombentrichtern umgeben war, aber selbst nie getroffen wurde. Vorbei geht es an der Stadtmühle, eine Mühle seiner Vorfahren. Noch ein letzter Blick auf den Wartenberg, das Ende seines Horizontes im Westen des „Städtchens“, und weiter fährt der Zug in das sich öffnende Donautal. In der Ferne erblickt Freehwin den Fürstenberg, wohin er in der dritten Grundschulklasse eine erschöpfende Wanderung gemacht hatte. Auf dessen Gipfel stand vormals die Burg der Herren vom Fürstenberg, die sich in einer Dauerfehde mit den Herren vom Wartenberg befanden, an dessen Fuß das „Städtchen“ liegt, und deren Burgruine noch heute zu besichtigen ist. Die Burg der Fürstenberger hingegen wurde im Jahre 1632 während des dreißigjährigen Krieges von den Schweden völlig zerstört, deren Gemäuer im Laufe der Zeit abgetragen und anderweitig verwendet. Erhalten ist am Fuße des Fürstenberges und in der Nähe des linken Donauufers nur noch das große, aus Buntsandstein erbaute Mausoleum der Fürstenberger, das Freehwin von der Bahnlinie aus nur undeutlich hinter Tannen versteckt erblicken kann. Davor und unterhalb des Mausoleums steht die andere Mühle seiner Vorfahren. Der wuchtige Bau lässt an eine Wasserburg denken. Ein entfernter Onkel führte ihn, als er noch klein war, durch die Innereien dieser Mühle, wobei die einzelnen Stockwerke oder Ebenen mittels eines „Pater noster“ erreicht wurden. Dadurch dass diese Art von Aufzug, mit dem auch Säcke von Getreide und Mehl befördert wurden, in sich nicht abgeschlossen war, konnte man an den Seiten abstürzen, weshalb sich Freehwin ängstlich an die Hand des Onkels klammerte. Auf der untersten Ebene befanden sich die Wasserräder, die von schäumenden Wassermassen der Donau angetrieben wurden. Auch hier klammerte sich Freehwin ängstlich an die Hand des Onkels, als dieser ihn auf einem schmalen Steg über die wilden Wassermassen führte.

Am rechten Donauufer erhebt sich das klobig-gedrungene Gemäuer der Entenburg, ein Jagdschloss aus der frühen Zeit der Fürstenberger. Noch ein Blick zurück auf den Wartenberg, auf dessen Gipfel sich das gefällige Jagdschloss der Fürstenberger aus deren späteren Zeit erhebt, sowie etwas unterhalb davon gelegen die Burgruine der Wartenberger und weiter geht es dem Anfang der Donau entgegen.

In der früheren Kreisstadt des „Städtchens“, wo die dritte und letzte Mühle seiner Vorfahren von den Wassern der Brigach angetrieben wurde, unterbricht Freehwin die Zugfahrt, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie eine heimatnahe Schulausbildung für ihn hätte verlaufen können. Seine Schwägerin, die das Gymnasium dieser Stadt besucht hatte, hat ihm den Weg dorthin beschrieben. Dieser beträgt vom Bahnhof aus etwa einen Kilometer. In den Gebäuden des damaligen Gymnasiums – sagte sie ihm – sei jetzt aber die Realschule untergebracht. Freehwin begibt sich dorthin, geht um die Gebäude herum, lässt sie auf sich wirken und stellt sich vor, wie es gewesen wäre, wenn er jeden Schultag dort verbracht hätte. Die Stelle, wo sich das Missionskonvikt befindet, wusste die Schwägerin nicht, sodass er sich danach durchfragen muss. Wen er auch immer fragt, niemand kennt noch das Missionskonvikt. Die vergebliche Mühe macht ihn hungrig und er begibt sich in ein ganz bekanntes Café dieser Stadt, wo er und die anderen Kandidaten sich seinerzeit stärkten, nachdem sie die Führerscheinprüfung bestanden hatten. Der Inhaber dieses Cafés, ein Herr in seinem Alter, erinnert sich noch an das Missionskonvikt, das aber bereits vor Jahrzehnten aufgelöst worden war, und beschreibt ihm den Weg dorthin. In dessen Gebäuden sei nun eine Behinderteneinrichtung untergebracht. Freehwin begibt sich dorthin. Vom Konvikt aus beträgt die Entfernung zum Gymnasium ebenfalls nur etwa einen Kilometer. An die Zeit des Konvikts erinnert jetzt nur noch ein Gebäude, in dem sich dem Äußeren nach zu schließen wohl die Kapelle befunden haben muss.

Nachdem Freehwin einen allgemeinen Eindruck davon gewonnen hatte, wie eine heimatsnahe Schulbildung hätte verlaufen können, begibt er sich nochmals an die Stelle, wo „Brigach und Breg die Donau zuweg“ bringen. Brigach und Breg bilden bei ihrem Zusammenfluss eine Landzunge, an deren Spitze eine Art von Denkmal an „Die Donau“ steht. Dorthin gelangt er vom ehemaligen Konvikt aus durch den allgemein zugänglichen Teil des Parks der Fürstenberger und lässt sich auf einer Bank nieder, von wo aus er die zusammenfließenden Wasser beobachten kann. Während er ihnen nachschaut, kommen ihm Erinnerungen an den Beginn vom „Anfang der Weisheit“ in den Sinn.

Am Anfang vom „Anfang der Weisheit“ und seinen

Gepflogenheiten

Der Anfang vom „Anfang der Weisheit“ begann bei strahlendem Sonnenschein in der geruhsamen nachösterlichen Zeit des Jahres 1959, denn das Schuljahr fing damals im Frühling an. Freehwin stellte sich vor, die Neuankömmlinge würden mit einer kleinen Feier empfangen. Nichts dergleichen! So stand er nun vor der mächtigen Freitreppe des „Anfangs der Weisheit“ mit ihren unzähligen, Ehrfurcht gebietenden Stufen und blickte staunend nach oben zum Haupteingang, wo ihn „Die Weisheit“ erwartete und über dem mit goldenen Lettern stand: Initium sapientiae, timor domini“ [13] . Eigentlich müsste Freehwin die mächtige Freitreppe zum „Anfang der Weisheit“ bekannt vorgekommen sein, denn seine Familie fuhr immer daran vorbei, wenn sie die Großeltern in der Domstadt besuchten. Es wäre aber sicherlich zu viel verlangt, von einem Kind unter zehn Jahren zu erwarten, es müsse sich vorstellen können, dass es dereinst diese Freitreppe erklimmen würde.

Wenn Freehwin jetzt an die „Furcht vor dem Herrn“ denkt, fallen ihm die Worte von Pontius Pilatus ein: „Quid est veritas?“ [14] , welche Zweifel darüber erkennen lassen, was Wahrheit, was Wissen und was Weisheit sei. Nach dem überwältigenden Eindruck über den „Anfang der Weisheit“ müsste man glauben, dort wäre diese auch gelehrt worden. Weit gefehlt: Trotz der unangreifbar erscheinenden Behauptung, die den Haupteingang zierte, hatte Freehwin jedoch dort niemals erfahren, was das eigentlich sei, Weisheit, obwohl immer wieder davon gesprochen wurde. Vermutlich wussten deren Hüter selbst nicht genau, was sie da hüten sollten. Dieses wäre keine Schande gewesen, denn Sokrates bekämpfte bekanntlich die Sophisten unerbittlich, welche vollmundig erklärten, sie könnten Weisheit lehren.

Als Freehwin sich sehr viel später eigene Gedanken darüber gemacht hat, ist er zu dem schlichten Ergebnis gekommen, „Weisheit“ leite sich von „Wissen“ ab. Welches Wissen ist aber damit wohl gemeint? Ist mit „Weisheit“ auch „Können“ gemeint, also die Beherrschung einer bestimmten Fertigkeit oder „technè“? Oder ist Weisheit ein Wissen, das für das Leben im Allgemeinen taugt? Hat Weisheit etwas mit Lebensweisheiten zu tun? Allmählich gelangte er zu einer gewissen Überzeugung: Weisheit sei ein Wissen um die Lehren aus dem Menschensein im Allgemeinen und um menschliche Schwächen sowie Unzulänglichkeiten im Besonderen.

Diese Auffassung erscheint ihm gar nicht einmal so schlecht. Aber was ist das, das Menschensein, aus dem Lehren gewonnen werden können, um die man wissen und durch die man Weisheit erlangen kann? Eine endgültige und ihn allseits zufriedenstellende Antwort darauf kann Freehwin nicht geben, wohl aber einen Hinweis darauf. Mit dem Menschensein oder dem, was André Malraux unter „La condition humaine“ [15] verstehen könnte, haben sich vor allem Lebensphilosophen, Existenzphilosophen, Existentialisten, Schriftstellerphilosophen und Schriftsteller, wie etwa Dostojewski, befasst. Bei ihnen ließe sich wohl etwas über Menschensein in Erfahrung bringen. Man könnte auch bei denen nachforschen, die es eigentlich wissen müssten, bei den antiken Griechen. Diese nannten Weisheit „sophia“ und das Streben danach „philosophia“. Weisheit wäre dann das, was Philosophen oder die Philosophie darüber zu lehren wissen. Ohje, jetzt gelangt man vom Ästchen aufs Stöckchen. Dennoch könnte man vermuten, am „Anfang der Weisheit“ wäre Philosophie gelehrt worden. Wieder weit gefehlt, obwohl Jugendliche, sogar Kinder, durchaus offen sind für philosophische Fragen, sofern ihnen diese auf geeignete Weise nahe gebracht werden. Sie sind offen für Fragen: Was ist, wenn ich die Augen schließe, oder wenn ich schlafe? Was ist, wenn ich nicht mehr lebe? Was war am Anfang? Warum können sich Menschen irren? Wie können Menschen glücklich werden?

Ein Grund dafür, weshalb am „Anfang der Weisheit“ Philosophie nicht gelehrt wurde, mag darin bestehen, dass deren Hüter die Philosophie nur als „ancilla theologiae“ [16] betrachteten. Anstatt sich also bei der Magd aufzuhalten ging man lieber gleich „bei die Domina“. Diese Gedanken kamen Freehwin aber erst sehr viel später. Jetzt ging es vielmehr darum, sich erst einmal „Beim Anfang der Weisheit“ einzurichten. Die Zuteilung der Schlafräume, des Betts und des Spinds sowie des Klassenzimmers hatten die Neuankömmlinge bereits schriftlich mitgeteilt bekommen, sodass sie sich an der Pforte nur danach erkundigen mussten, wo was zu finden ist. Freehwins Eltern schleppten seine Habseligkeiten an Ort und Stelle und räumten alles wohlgeordnet ein, sodass sie getrost den Heimweg antreten konnten.

Statt einer Begrüßungsfeier bekam Freehwin eine Begrüßung der besonderen Art, denn er traf sich mit einigen Jungs, die er von der Aufnahmeprüfung her kannte, im kleinen Ziergarten vor seinem Klassenzimmer im A-Bau, in dessen Mitte sich ein kleiner Teich mit Zierfischen befand. Ein Mitschüler aus Worms, der „Eps“, kam auf den Gedanken, mit Freehwin zu wetten. Er wettete, dass er, Freehwin, nicht für fünfzig Pfennige mit Schuhen in den etwa dreißig Zentimeter tiefen Teich steige. Freehwin überlegte hin und her, denn einerseits waren fünfzig Pfennige damals kein geringer Betrag, der Gegenwert entsprach etwa einer Tafel Schokolade, andererseits waren nasse Füße und nasse Schuhe auch nicht angenehm. Schließlich nahm er die Wette an, denn außer der verlockenden Tafel Schokolade wollte er sich nicht den Schneid abkaufen lassen, und stieg einen kurzen Augenblick in den Teich. Alle lachten. Der Teufel wollte es so, dass gerade ein „almus“, der „Blanke Hans“, der wegen seiner breiten Glatze diesen Beinamen erhalten hatte, vorbeikam und sie wegen des Gelächters zur Rede stellte. Er war ein „laufender Meter“ mit rundem Kopf und einer „blanken Platte“ oben drauf. Treuherzig berichteten ihm die Jungs von ihrer Wette, denn zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, wie das Ganze ausgehen würde, sonst hätten sie ihm von einem Missgeschick erzählt. Der „Blanke Hans“ entriss Freehwin kurzerhand die fünfzig Pfennige und steckte sie ohne weitere Erklärung in seine Hosentasche. Teilte man die Auffassung, Wetten seien Teufelswerk oder schädlich für das Gemeinschaftsleben oder was auch immer, dann hätte dies zunächst einer Verwarnung bedurft oder im Falle von Teufelswerk der Erklärung, dass der Erlös der Wette dem Opferstock der Kirche zu spenden sei, da Gott Freehwin den Mut verliehen hätte, die Wette zu gewinnen. So fühlte er sich beraubt, konnte nichts dagegen unternehmen und verspürte eine ohnmächtige Wut. Das Geld war einfach nur weg. Was daraus wurde, hat er niemals erfahren. Aber ihm war jetzt klar geworden, dass Raub auch zur Weisheit gehören müsse, also zum Wissen um die Lehren aus dem Menschensein. Dieser und ähnliche Vorfälle machten ihn widerspenstig. Bei Widerspenstigkeit kannte man jedoch am „Anfang der Weisheit“ weder Spaß noch Gnade. Dennoch ließ er sich nicht unterkriegen.

Die Rangordnung in der Führung des „Anfangs der Weisheit“ oder des „Almanats“ gliederte sich wie folgt:

Direktor, Gesamtaufsicht: „Bibl“;

Rektoren, Oberaufsicht,

Oberaufsicht F-Bau: „Jähzornsalmus“ bzw. „Rex [17] “;

Oberaufsicht A-Bau und B-Bau: „Kümmereralmus“;

Präfekten, Mittelaufsicht,

Präfekt A-Bau, häufiger Wechsel,

Präfekt B-Bau, häufiger Wechsel,

Zensoren, Unteraufsicht, jährlicher Wechsel,

Schüler aus höheren Klassen, welche Schlafräume, Studier- räume der Unterstufe, Esstische im Refektorium beaufsichtig- ten.

Die Zensoren verfügten über eine große Machtfülle, denn sie konnten je nach Laune auch bei geringfügigen Störungen empfindliche Strafen erteilen. Daher hätte es bei ihnen einer besonders sorgfältigen Auswahl, einem gewissen pädagogischen Geschick und einer gewissen Anleitung für den Umgang mit jüngeren Mitschülern bedurft, was Freehwin aber nie aufgefallen war. Freehwin hat eher den Verdacht, Rabauken seien zur „Frontbewährung“ an die „Front“ geschickt und solche geschont worden, die sich bei den Rektoren Liebkind gemacht hatten. Wer beispielsweise aus dem Studierraum verwiesen wurde, musste sehr auf der Hut sein, im Treppenhaus nicht vom Präfekten oder Rektor auf deren Rundgang entdeckt zu werden, und im Notfall rasch auf die Toilette entweichen, denn im Wiederholungsfalle musste der so Erwischte für mehrere Tage die Hausaufgaben im Treppenhaus vor den Wohnräumen der „almi“ verrichten zum Gespött und Häme der vorbeikommenden Mitschüler: „Ätsch, wieder mal einen erwischt“. Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, um die Güte von Hausaufgaben zu erfassen, die unter solchen Umständen zustande kamen.

Ohne jeden Zweifel wäre es viel besser gewesen, die „almi“ hätten einen Störer zu sich in das Arbeitszimmer genommen, dort an ein Pult gesetzt und nach einiger Zeit selbst abgefragt. Freehwin ist davon überzeugt, auf diese Weise wären künftige Störungen während der Studierzeit auch für die Störer fruchtbar verhindert worden und die Betroffenen hätten gleichzeitig eine Menge dazugelernt, nicht nur Fachliches, sondern auch Menschliches. Warum dies nicht so oder in ähnlicher Weise geschehen ist, bleibt eines der vielen Rätsel, die das „Almanat“ Freehwin aufgegeben hat: War es mangelndes Mitgefühl für Kinder, oder schlichte Unkenntnis von deren Erziehung, war es Überlastung durch zahlreiche Verpflichtungen oder schlichte Bequemlichkeit, hatten die „almi“ etwas zu verbergen, oder hatten sie gar Grund irgendwelche Anschuldigungen zu befürchten?

Die „almi“ machten dem Leitspruch des „Anfangs der Weisheit“, Furcht vor dem Herrn zu haben, alle Ehre. Wer gegen die zahlreichen Verbote verstieß, wurde empfindlich bestraft. Die Strafen reichten von „an den Pranger stellen“, was „hinausstellen“ genannt wurde, bis zu Strafspaziergängen. Einer der Lehrer, der von den Zöglingen „Thanatos“ [18] genannt wurde, hatte besondere Fähigkeiten zur Förderung des Lernwillens: Zum einen bestellte er solche, die er für unwillig hielt, in den Gang vor der Lehrerbibliothek, welche von ihm verwaltet wurde und die sich im Trakt mit den Musizierzimmern befand, zum anderen trug er während des Unterrichts ein Stück Spanisch-Rohr im Ärmel, das er „Tröster“ nannte und bei geeigneter Gelegenheit die Finger der Auserwählten „trösten“ ließ.

Für Freehwin prallten Welten aufeinander. Bedauerlicherweise war seine Welt die schwächere. Vor allem in der Unterstufe – also den ersten drei Klassen – ging es im „Almanat“ ziemlich heftig zur Sache. Eine Vorstellung davon soll ein Vorfall geben, der sich in der Adventszeit des Jahres 1959 zutrug:

Nach dem Abendstudium von halb sechs bis sieben brachen beim Klingelzeichen alle Dämme und die aufgestaute Kraft überflutete alles, was sich ihr in den Weg stellte. Es wurde nach ein und einer halben Stunde „silentium absolutum“ [19] gebrüllt, was die Lungen hergaben, mit den Füßen auf den Boden gestampft, die Pultdeckel auf- und zugeschlagen, dass es nur so knallte, mit den Klappsitzen gehämmert, am besten alles gleichzeitig. Noch sehr gut erinnert sich Freehwin daran, wie „Thanatos“ bei einer solchen Gelegenheit ihn mitten in das Gesicht schlug, weil die Zöglinge wie üblich einen wirklich ohrenbetäubenden Lärm verursachten und er sich gerade – nahe der Türe zum Studierzimmer stehend – in der Reichweite seiner Hand befand. Danach war Freehwin wie versteinert.

In der Unterstufe, also von der Sexta [20] bis zur Quarta [21] , ist Freehwin als Folge von Bespitzelungen und Vertrauensbrüchen misstrauisch geworden. Beispielsweise hat sich der Präfekt des B-Bau, den die Zöglinge „Doktor Grimasse“ nannten, in der Quinta [22] sein Vertrauen erschlichen, sodass er ihm vertrauensvoll erzählt hat, er sei zuhause am liebsten mit seinen früheren Freunden zusammen. Sie seien viel in der freien Natur unterwegs, würden Fangspiele machen wie beispielsweise „Räuber und Gendarm“, oder ganz einfach mit den Fahrrädern herumfahren und veranstalteten auf den Feldwegen Wettfahrten. Auch würden sie gerne Laubhütten in den Wäldern der angrenzenden Höhenzüge des „Städtchens“ bauen. Bei schönem Wetter würden sie oft Fußball spielen und bei schlechtem im Pfarrheim kegeln. Dies alles hörte er sich geduldig an, nur um seine Mutter bei einem Besuch zu ermahnen, sie solle Freehwin mehr beaufsichtigen, damit er zuhause nicht so viel herumstreunen könne. Darüber war sie sehr erbost und machte Freehwin schwere Vorwürfe, wie er nur so etwas erzählen könne. Seither sagte Freehwin keinem der „almi“ mehr etwas über sich.

Ein weiteres Beispiel von Vertrauensbruch ist Freehwin noch in guter Erinnerung geblieben: Da Unbekanntes und ferne Länder schon immer eine große Anziehungskraft auf ihn ausübten, zog er sich immer wieder mit dem angeblichen Freund Werner in einen kleineren Clubraum zurück, wo er sich leidenschaftlich einen Bild- und Kartenatlas der Erde betrachtete und sich auf Traumreisen begab. Er stellte sich vor, sein Onkel Franz hätte sie nach Hamburg gebracht, wo sie auf einem Überseeschiff, das seine Fracht nach Kanada bringen sollte, als Leichtmatrosen anheuerten. Unterwegs erlebten sie auf dem Frachtschiff zahlreiche Abenteuer, an die sich Freehwin jetzt nicht mehr erinnern kann. In Quebec-Stadt löschte der Frachter seine Ladung, wo sie auch an Land gingen. Mit dem Lohn für ihre Mitarbeit auf dem Schiff in der Tasche ging es dann den Sankt Lorenz Strom aufwärts zu den großen Seen. Diese durchfuhren sie mit verschiedenen Schiffen, auf denen sie sich als Helfer nützlich machten, und so für Unterkunft, Verpflegung und Fahrt nicht eigens aufkommen mussten. Auf dieser Fahrt ereigneten sich wieder allerhand Erlebnisse, die natürlich nach dieser langen Zeit in Vergessenheit geraten sind. In Marathon, an der Nordseite des Oberen Sees gelegen, landeten sie an. Dort kauften sie sich von einem Teil des für sie unermesslichen Verdienstes auf dem Überseeschiff Pferde, auf denen sie die Hudson Bai entlang ritten. Ihre Spur verlor sich dann in den riesigen Weiten des nordwestlichen Kanadas, wo sie selbstverständlich die unglaublichsten Abenteuer mit Indianern und allen möglichen Wildtieren durchlebten.

Werner spielte – wie sich später herausstellte – nur zum Schein mit, machte sich in Wirklichkeit aber darüber lustig. Hinterrücks erzählte er überall herum, was Freehwin sich auf den Traumreisen alles vorstellte. Eine Zeit lang bekam er deswegen den Uznamen „der Trapper“ und wurde damit gehänselt, was ihn sehr kränkte und worüber er sich ziemlich ärgerte. Dieser große Vertrauensbruch lastete schwer auf ihm und ließ ihn deswegen sehr vorsichtig werden, was er Mitschülern anvertrauen konnte. So war es eben in dieser Schulgemeinschaft üblich. Mit Ende der Quarta [23] – beim Übergang von der Unter- zur Mittelstufe fand meist ein großer Wechsel in der Zusammensetzung der Klassen statt – hat Freehwin alle seine Freunde, denen er vertraute, verloren. So war er mehr und mehr auf sich allein gestellt.

Unangenehm war, dass niemand von den Zöglingen einen eigenen Bereich hatte, über den er selbst verfügen konnte, denn es war jederzeit mit Kontrollen von Spinden, Pulten und Fächern für Bücher oder Nahrungsmittel zu rechnen. Jedes neue Schuljahr brachte neue Überraschungen mit sich: In welcher Schlafstube würde genächtigt werden, in welcher Studierstube gelernt, in welchem Klassenzimmer Unterricht gehalten und in welchem Refektorium an welchem Tisch mit welchen Leuten gegessen?

Die Zöglinge mussten am Ende eines jeden Schuljahres – wie für den Auszug nach Ägypten – sowohl in den Schlaf-, als auch in den Studierstuben ihre gesamte Habe in Schachteln und Kisten verpacken, im Speicher unterm Dach abstellen, um sie nach Ostern wieder herunterzuholen und für ein weiteres Jahr in ihrer neuen Bleibe zu verstauen, sodass es nirgends einen äußeren Rahmen gab, in den sie sich hätten hineinleben können. Emsig wie die Ameisen wuchteten sie die Schachteln und Kisten durch die Gänge und Treppen, über den Innenhof und wieder über Treppen und Gänge in die neuen Stockwerke. Lange hat sich Freehwin nach dem tieferen Sinn solcher inneren Umzüge gefragt und keine ihn überzeugende Antwort dafür gefunden. Es war halt so. Mit der Zeit kam ihm der Verdacht, dass diese jährlichen Veränderungen auch einen tieferen Sinn haben müssten: Niemand von den Zöglingen sollte im Diesseits Wurzeln schlagen, sondern ganz auf das Jenseits des Diesseits hinleben. Der geheime Leitspruch könnte daher lauten: „Nulla stabilitas loculi in orbe“ [24] , oder wie einer der Kirchenväter verlauten ließ: „Mein Herz ist unruhig, bis es ruhet in Dir“ [25] . Diesem Ziel sollten wohl die jährlichen Wechsel dienen. Was dieses für das Lebensgefühl von heranwachsenden und später erwachsenen Menschen bedeutet, mag sich jeder selbst ausdenken.

Der Tag beim „Anfang der Weisheit“

Es bedarf keiner besonderen Vorstellungskraft, um zu erahnen, wie der Tag beim „Anfang der Weisheit“ begann: natürlich mit Wecken. Gegen dreiviertel sieben riss die Zöglinge eine schrille Glocke aus den Träumen. Muffig und brummig saßen sie auf dem Rand ihrer Betten, aber es half nichts, sie mussten in die Waschräume, denn die „almi“ ließen nicht lange auf sich warten und rissen sie sonst unsanft aus den Betten. Das Aufstehen fiel besonders in der kalten Jahreszeit schwer. Fröstelnd schlurften die Zöglinge in den Waschraum und wischten mit eisig kaltem Wasser die Spuren der Nacht aus ihren Gesichtern. Die meisten ließen es damit gut sein. Wer auf gesunde Zähne Wert legte – solche gab es auch – putzte sich diese noch, bevor es zum Ankleiden in die Schlafstube zurückging. Großen Wert legten die „almi“ auf ein ordentlich „gebautes“ Bett. Nachlässige fanden mittags oder abends ihr Bettzeug durcheinandergewühlt wieder. Und noch aus einem anderen Grund empfahl sich ein tadellos hergerichtetes Bett, denn sollte nachts einmal ein kleines Unglück – in den ersten Klassen nicht ganz ausgeschlossen – vorgekommen sein, so ließ sich dieses dadurch gut verheimlichen und niemand kam in den Ruf eines „Bettseichers“. Diese hatten es nämlich nicht leicht, denn außer Häme und Spott kamen sie in der „Krankenvilla“ unters Dach und wurden vom kleinwüchsigen „Kümmereralmus“ mit seinem runden Gesicht in der Nacht mehrmals zum kleinen Geschäft geweckt, vermutlich dann, wenn ihn ein solches gerade selbst drückte.

Um sieben strömten dann noch etwas verschlafen alle zur Morgenandacht in die Kirche. Zwei Mal in der Woche wurde dort eine Messe gehalten und das Abendmahl bereits am Morgen gereicht. Danach ging es nicht schnell genug ins Refektorium zum Frühstück.

Um acht begann während der Woche – also auch am Samstag – der Unterricht und endete um eins. Dieser unterschied sich wohl kaum von dem an anderen Gymnasien mit Ausnahme von Latein, Griechisch und Hebräisch, denen eine besonders große Bedeutung beigemessen wurde.

Mit knurrenden Mägen eilten nach dem Unterricht die Zöglinge ins Refektorium zum Mittagessen, das in „silentium absolutum“ [26] eingenommen wurde. Dafür mussten die „Zensoren“, die Tischältesten, sorgen, die am Kopf jeden Tisches saßen. Unruhige Geister „stellten“ sie „hinaus“, die dann entweder am Eingang innerhalb des Refektoriums oder außerhalb im Treppenhaus ausharren mussten bis die anderen mit der Mahlzeit zu Ende waren, und konnten erst dann „nachessen“.

Verschiedentlich musste auch Freehwin die Pflichten eines „Zensors“ übernehmen: als Stubenältester, Tischältester oder Studierältester. Als Kapo schien er den „almi“ brauchbar zu sein. Weshalb dieses so war, ist ihm für immer ein Rätsel geblieben. Möglicherweise wollten sie ihn durch das Vorbild, das ihm dadurch zukam, in ihre Welt einfügen. Diese Pflichten verrichtete Freehwin jedoch nicht als ihr Helfershelfer, denn er war bei den „Zensierten“ durchaus beliebt, obwohl er auf einen geordneten Ablauf im Gemeinschaftsleben sehr wohl achtete, denn dieses war ja seine Aufgabe. Aber er drückte schon mal ein Auge zu, verwarnte zunächst und setzte, wenn das nicht half, den Störenfried in seine Nähe. Das war immer ausreichend. Freehwin kann sich nicht erinnern, dass er zu strengeren Mitteln, wie „Hinausstellen“, greifen musste. Bei Tisch hielt er es genauso wie in der Studierstube: Häufige Störer mussten sich unmittelbar neben ihn setzen. Dann herrschte Ruhe.

Nach dem Mittagessen stand den Zöglingen eine gute Stunde zur freien Verfügung. Während den hellen und wärmeren Jahreszeiten konnten sie die Freizeit auf den Sportstätten oder dem Freibad des „Almanats“ verbringen. Während den dunklen und kälteren Jahreszeiten standen ihnen das Klassenzimmer oder Clubräume für Spiele und Basteleien zur Verfügung. Auch waren nachmittags die Schlafstuben geöffnet, sodass sie, was im Alltag erforderlich war, in dieser Zeit verrichten konnten wie etwa Kleider säubern, Schuhe putzen oder kleine Wäsche erledigen. Solche mit „Käsfüßen“ konnten in dieser Zeit auch ihr Fußbad nehmen. Im Bett durften sie sich jedoch nicht ausruhen. Dieses Verbot war Freehwin lange Zeit völlig unverständlich geblieben, wo doch eine kleine Mittagsruhe dem allgemeinen Wohlbefinden gut tut. Erst sehr viel später erfasste er den tieferen Sinn: Ruhe wurde nicht als Erholung, sondern als Müßiggang verstanden. Damit die Zöglinge in den Betten nicht dem Müßiggang frönen konnten, der ja bekanntlich aller Laster Anfang ist, besonders in einem Alter, in dem die Triebe erwachen, war Mittagsruhe in den Betten untersagt. Und hatte etwa der jährliche Wechsel in der Zusammensetzung der Schlafstuben denselben Grund? Sei es, wie es war. Jedenfalls wurde dieses Verbot sehr genau überwacht und Zuwiderhandlungen streng bestraft.

Die Zeit nach dem Mittagessen diente ebenfalls für Besorgungen außerhalb des „Almanats“, sofern die benötigten Sachen nicht im kleinen Laden an der Pforte erhältlich waren, oder Dienstleistungen in Anspruch genommen werden mussten, wie beispielsweise beim Schuster, Schneider, Reinigung oder ähnliches. Ein- und Ausgaben – sei es im schuleigenen Lädchen, oder außerhalb – mussten die Zöglinge in einem Kontobüchlein vermerken, das regelmäßig vom „Kümmereralmus“ überprüft wurde, sodass sie mit ihrem Taschengeld haushalten lernten. Der Teufel hatte – wie überall sonst, so auch hier – wieder einmal seine Finger im Spiel, denn sie lernten bei dieser Gelegenheit auch, wie man – im Kleinen – Ein- und Ausgaben in völliger Übereinstimmung mit den Vorgaben unauffällig „frisiert“.

In der Unterstufe mussten die Zöglinge für einen Ausgang außerhalb des Anwesens nach dem Mittagessen im Refektorium beim diensthabenden „almus“ einen Erlaubnisschein beantragen. Dieser füllte ihn in einem dafür vorgesehenen Büchlein – zur dauerhaften Überprüfung mit Durchschlag – aus und vermerkte Tag, Uhrzeit und Grund des Ausgangs. Den Erlaubnisschein mussten sie außerhalb des Geländes bei sich tragen, damit sie diesen einer Streife von „almi“ vorzeigen konnten. Wer ohne Erlaubnisschein außerhalb erwischt wurde, erhielt eine empfindliche Strafe, beispielsweise längere Zeit Ausgangssperre. Trotz dieser Ausgangsregelung – oder gerade deswegen – suchten viele den „almi“ ein Schnippchen zu schlagen, indem sie hinter der Mehrzweckhalle durch die Hecken – die dort schwer einsehbar waren – entkamen. Außer dem Sieg über die „almi“ hatten sie dadurch jedoch wenig gewonnen, denn sie mussten sich hinter den Hecken des angrenzenden Friedhofes verstecken, diesen von Grabstein zu Grabstein heimlich durchqueren, um dann auf Schleichwegen im „Almanatdorf“ oder in der näheren Umgebung herumzustreifen, verborgen in Wiesen, Feldern oder kleinen Gehölzen, immer auf der Hut, von einem der „almi“ entdeckt zu werden. Diese Unternehmungen erfolgten im Geist von Robin Hood und des Sherwood Forest. Nach der Rückkehr von diesen Streifzügen erfüllte die Ausreißer das Gefühl eines unbeschreiblichen Triumphes über die „almi“. So sind Norbert und Freehwin an einem Samstagnachmittag zur Winterzeit in der Quarta [27] vom Gelände entwichen und haben sich unbemerkt auf Feldwegen, durch Felder und durch das Illenauer Wäldchen zum „Foyer du Soldat“ geschlichen. Norbert, der in der zweiten Hälfte der Quinta [28] Zögling des „Almanats“ wurde und vorher das Realgymnasium in Baden-Baden besucht hatte, wo Französisch als erste Fremdsprache gelehrt wurde, konnte sich auf Französisch soweit verständlich machen, dass er einen Soldaten bat, ihnen dort für fünfzig Pfennige eine Schachtel Zigaretten zu bringen. Sie erhielten dafür eine Packung „Gitanes“, mit der sie dann den Heimweg antraten. Kurz bevor sie das Schulgelände erreicht hatten, erwischte sie der „Thanatos“ und wollte ihren Ausgangsschein überprüfen, den sie natürlich nicht vorweisen konnten. Norbert fiel geistesgegenwärtig die Ausrede ein, Freehwins Mutter habe ihm wegen seiner Neigung zu Übergewicht Spaziergänge an der frischen Luft verordnet und einen solchen hätten sie gerade hinter sich gebracht. „Thanatos“ schluckte diese Ausrede zunächst und die Lage schien gerettet. Nachdem er aber darüber geschlafen hatte, kam ihm in den Sinn, dass sie dennoch bestraft werden müssen und gab ihnen als Strafarbeit eine Übersetzung auf, was ihre Liebe zu diesem Fach noch weiter steigerte.

Die erste Studierzeit begann um halb drei, dauerte mit einer kurzen Pause zwei Unterrichtsstunden – die gelegentlich auch dem Nachmittagsunterricht dienten – und endete um viertel nach vier. Auch in dieser Zeit musste „silentium absolutum“ [29] herrschen, wofür wieder die „Zensoren“ zu sorgen hatten.

Um viertel nach vier gab es für die, welche ihn mochten, einen Nachmittagskaffee, den sie „Mugefug“ nannten. Danach stand ihnen wieder eine gute Stunde zur freien Verfügung, jedoch blieben dieses Mal die Schlafstuben verriegelt. Daran schloss sich von halb sechs bis sieben das Abendstudium an. Danach strömten wieder Heerscharen hungriger Mägen zum Abendessen ins Refektorium. Im Anschluss daran konnten die Zöglinge über eine knappe Stunde frei verfügen. Bei schlechtem Wetter und während der dunklen Monate war diese Zeit für sie meistens ziemlich langweilig. Sie wollte einfach nicht vergehen, denn sie mussten sich in den Gebäuden aufhalten und konnten die Sportstätten nicht nutzen. Im Allgemeinen ging es dort sehr laut zu, sodass kaum jemand etwas für sich selbst tun konnte außer kleinen Basteleien, Kartenspielen oder anderen Gesellschaftsspielen.

Welch‘ eine Fügung des Himmels, der ihnen einen in der Jugendarbeit – wie es hieß – erfahrenen Spätberufenen oder „Spätzünder“ – wie diese auch genannt wurden – aus Mannheim bescherte, der sich anbot, ihnen die Zeit bis zum Abendgebet um acht zu verkürzen. Als Spätberufene galten „viri probati“ [30] , die erst nach einer anderen Berufsausbildung sich zum Geistlichen berufen fühlten. Auf solche „viri probati“ – sofern sie bereits verheiratet waren und eigene Kinder hatten – müsste der Grundsatz des Zölibats zwar nicht angewendet werden, in der Römischen Kirche will man jedoch nur ausnahmsweise auf diesen verzichten, weshalb die „Spätzünder“ alle unverheiratet waren. Dafür gibt es durchaus vernünftige Gründe. Ein wesentlicher für Freehwin ist das Verhindern einer mächtigen Kaste aus Priestergeschlechtern.

Die Spätberufenen waren in bequemen Zweierzimmern eines eigenen Gebäudes untergebracht, besuchten die Schulgemeinschaft unentgeltlich und erhielten darüber hinaus auch noch eine Unterstützung für den allgemeinen Lebensunterhalt. Bei der Frage, ob alle oder welcher Teil dieser „alumni“ sich auch nach Abschluss der höheren Schule noch zu Geistlichen berufen fühlten, hüllten sich alle in Stillschweigen.

Besagter „Spätzünder“ fragte einige der Zöglinge, die sich gerade in der Nähe der Milchbar aufhielten, ob ihnen spannende Geschichten gefallen würden. Dann wollte er noch wissen, was sie gerne hören möchten: Märchen, Abenteuer- oder Wildwestgeschichten. Darüber waren sie begeistert, denn noch nie hatte sich jemand um ihre Wünsche gekümmert. Alle wollten sie Abenteuer- und Wildwestgeschichten hören. Jetzt musste nur noch ein geeigneter Ort dafür gefunden werden und dann konnte es losgehen. Die Suche fiel nicht schwer, denn neben der Milchbar gab es einen kahlen Raum, dessen Fußboden und Wände weiß gekachelt waren, weshalb er nur „die Kachel“ hieß. Darin stand eine Tischtennisplatte, welche die Zöglinge gerne dafür beiseite räumten.

Von Tag zu Tag drängten sich immer mehr Zöglinge in „der Kachel“. Am besten gefielen ihnen die Nacherzählungen von Errol Flynn Filmen, weshalb sie ihren „vir probatus“ und Wohltäter auch „Errol Flynn“ oder kurz, aber liebevoll, den „Errol“ nannten. Er war der geborene Geschichtenerzähler und Alleinunterhalter, der bei den zehn- bis zwölfjährigen gut ankam. Sie mochten ihn einfach. Vermutlich hatte „Errol“ die sehr anschaulichen und lebhaften Nacherzählungen von Filmen zu einem großen Teil sich selbst ausgedacht und ersonnen, denn Freehwin mochte sich nur schwer vorstellen, dass dieser bei einer solchen Fülle von Filmen sich an deren genauen Ablauf erinnern konnte. Diese schöne Zeit dauerte so lange, bis der „Kümmereralmus“ auf verschlungenen Wegen Wind davon bekam. Eines Abends war er mitten unter ihnen. Es herrschte plötzlich eisiges Schweigen. Freehwin schwante nichts Gutes, denn inzwischen hat er die „almi“ kennengelernt, und wusste, dass es nichts Erfreuliches bedeutete, wenn einer davon irgendwo auftauchte. Sein Gefühl sollte Recht behalten. Zunächst war „Errol“ wegen des unerwarteten Besuches etwas gehemmt und die Geschichte des Abends wollte nicht so recht in Gang kommen. „Errol“ wäre aber nicht der geborene Alleinunterhalter gewesen, wenn er nicht alsbald wieder in Schwung gekommen wäre. Die Geschichte wurde von Satz zu Satz spannender. Nur der „Kümmereralmus“ zog ein immer verdrießlicher werdendes Gesicht, denn die Geschichte wollte ihm nicht gefallen. In der Folge wurde das kleine abendliche Vergnügen – wie alle Vergnügungen – ohne Begründung verboten. Für die Zöglinge bedeutete dies einen herben Verlust, denn endlich gab es da jemanden, der sie verstand, der sie ernst nahm und etwas Gutes für sie tun wollte. Keine Filmgeschichten, auch keine spannenden Erzählungen mehr, welche die düsteren Winterabende erhellten. Mit dem „Errol“ war es nun endgültig vorbei: Er war für immer in der Bleibe für Spätzünder verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Viele trauerten ihm nach.

Waren es Eifersucht und Neid über „Errols“ Beliebtheit bei den Zöglingen, waren es die Western, die eine Abwendung vom frommen Glauben befürchten ließen, oder waren es gar Befürchtungen, es könnte zu einigen von uns eine allzu enge „Männerfreundschaft“ entstehen? Trauten die „almi“ etwa ihren eigenen angehenden Geistlichen nicht? Ob die „almi“ wohl sich ihrer selbst trauten? Sogar mit einem geschärften Auge der Erinnerung betrachtet kann Freehwin bei „Errol“ keinerlei Anzeichen für einen „Hang“ zu Kindern und Jünglingen erkennen. Wer kennt die wirklichen Gründe für dieses Verbot? Niemand wird es mehr erfahren können.

Anstatt dass die „almi“ aus dem schier unerschöpflichen Quell der Spätberufenen für die „Jugendarbeit“ aufgeschlossene, darin befähigte und erfahrene Kräfte für die Betreuung der Zöglinge gewannen und ihnen lohnende Arbeitsverträge anboten, sodass sie sich für den Abschluss des Aufbaugymnasiums mehr Zeit nehmen und sich der Betreuung der Schüler besser widmen konnten, hatten sie bereitwillige unter diesen nicht nur vergrault und abgewiesen, sondern geradezu ausgeschlossen.

Um acht schrillte die Glocke ein letztes Mal am Tage. Dann drängelten sich die Kleinen der Unterstufe in die Kirche. Während des Abendgebetes hieß es Gewissenserforschung betreiben. Niemand wusste jedoch, was das eigentlich genau ist. So forschte ein jeder so vor sich hin, bis die Zeit des Forschen vorüber war, und sie ins Bett gehen durften.

[...]


[1] D. h. „Goldenes Abitur“.

[2] Erste Jahrgangsstufe des Gymnasiums.

[3] Fünfte Jahrgangsstufe eines Gymnasiums.

[4] D. h. „Nährväter“.

[5] „alo“ bedeutet eben auch „verschlimmern“.

[6] Erste Jahrgangsstufe eines Gymnasiums.

[7] D. h. „König“.

[8] „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“.

[9] damit war der bisher am Ort praktizierende Arzt gemeint.

[10] D. h. „Glauben und Wirken“.

[11] D. h. „Der Anfang von Weisheit ist die Furcht vor dem Herrn“ (Psalm 111:10).

[12] „The Hidden Persuaders“ von Vance Packard.

[13] D.h. „Der Anfang von Weisheit ist die Furcht vor dem Herrn“

[14] D.h. „Was ist Wahrheit?“

[15] D. h. „Die Art und Weise vom Menschensein“.

[16] D.h. „Magd der Theologie“.

[17] D. h. „König“.

[18] D. h., „Tod“.

[19] D.h. „völliges Schweigen“.

[20] D. h. erste Gymnasialklasse.

[21] D. h. dritte Gymnasialklasse.

[22] D. h. zweite Gymnasialklasse.

[23] D. h. dritte Gymnasialklasse.

[24] D.h. „Nur kein gesichertes Plätzchen hinieden“.

[25] Eine Aussage von Augustinus, dessen Quelle – da aus der Erinnerung zitiert – Freehwin aber nicht angeben kann.

[26] D. h. „völliges Stillschweigen“.

[27] D. h. dritte Gymnasialklasse.

[28] D. h. zweite Gymnasialklasse.

[29] D. h. völliges Stillschweigen.

[30] d.h. „tüchtige Kerle“.

Ende der Leseprobe aus 170 Seiten

Details

Titel
Freehwin beim „Anfang der Weisheit“
Untertitel
Herr und Knecht – Teilband A
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Psychotherapie und Medizinische Psychologie)
Autor
Jahr
2018
Seiten
170
Katalognummer
V443048
ISBN (eBook)
9783668806849
ISBN (Buch)
9783668806856
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
freehwin, anfang, weisheit, eine, erzählung, Zeitgeschehen, Neuübersetzung von Frances Hodgson Burnett: Der Kleine Erlauchte Herr Fauntleroy, Tod des Vicomte de Turenne Maréchal de France
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Karl-Ernst Bühler (Autor:in), 2018, Freehwin beim „Anfang der Weisheit“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443048

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