Staatsbürgerschaft und Identität im Spannungsfeld der Globalisierung


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was bedeutet Staatsbürgerschaft?
2.1 Ansätze der politischen Theorie
2.2 Abstammungs- und Territorialprinzip

3. Staatsbürgerschaft und Identität
3.1 In Deutschland
3.2 In Europa

4. Staatsbürgerschaft und Globalisierung

5. Schluss

Literatur:

1. Einleitung

“Da nun der Staat ein Zusammengesetztes ist, so wie irgendein anderes Ganzes, das aus vielen Teilen zusammengesetzt ist, so ist es klar, daß man zuerst nach dem Staatsbürger fragen muß. Denn der Staat ist eine bestimmte Anzahl von Staatsbürgern. Also fragen wir, wen man Staatsbürger nennen soll und wer ein Staatsbürger ist. Auch darüber gibt es vielfache Zweifel.”[1]

Aristoteles

Wie das einleitende Zitat beweist, beschäftigen sich Menschen schon seit der Antike mit der Frage, wer an einer Gemeinschaft teilhaben darf und somit Rechte und Pflichten, die diese Gemeinschaft mit sich bringt, innehat, und wer nicht. Heutzutage sind es vor allem Juristen, die sich mit dem Feld des Staatsangehörigkeitsrechts zu beschäftigen haben. Doch ist die Staatsbürgerschaft einer Person nicht viel mehr als ein Rechtsgeschäft? Sie sagt etwas aus über Nationalität, Herkunft und Identität. Nach den allgemeinen juristischen Kriterien ist die Staatsbürgerschaft zwar eine reine Rechtsbeziehung, jedoch nur, wenn diese mit einem gewissen Wesensgehalt ausgefüllt ist. Nämlich eine persönliche Bindung zu einem Staat. Doch was ist in Zeiten, in der der Nationalstaat an Bedeutung verliert und im Zuge der Globalisierung eingestehen muss, dass seine Handlungsspielräume bei den neuen globalen Themen sehr beschränkt sind. Was ist die Staatsbürgerschaft ohne Nationalstaat? Verliert auch sie an Bedeutung? Und was tritt an ihre Stelle? Abstammung, Ethnie oder Religion? Mit was sollen sich die Menschen identifizieren? Das sind einige Fragen, die diese Arbeit anschneiden will. Sie will dem Leser zuerst einen allgemeinen Überblick über die Staatsbürgerschaftstheorie und ihrer gesetzlichen Ausgestaltung in Deutschland geben. Danach will sie die Bedeutung der Staatsbürgerschaft für die Identität von Individuen und die Bedeutung der Staatsbürgerschaft für zwei politische Ebenen, nämlich der nationalen (am Beispiel Deutschland), und der supranationalen (am Beispiel der EU), untersuchen. Dabei soll das Augenmerk vor allem auf den durch Globalisierung bzw. durch Transnationalisierung veränderten Gegebenheiten und der Identifikation mit einem vereinigten Europa liegen. Am Ende will die Arbeit noch einen Blick in die Zukunft des Konzeptes Staatsbürgerschaft werfen, Auswirkungen auf die Staatsbürgerschaft durch Globalisierung und mögliche Konzepte, wie auf diese Veränderungen auf nationaler oder supranationaler Ebene reagiert werden könnte. Durch ansteigende Migration stellt sich immer mehr die Frage nach politischer Partizipation von Migranten, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft auch am Maße der demokratischen Partizipation gemessen wird. Dies scheint vor allem nach der 1989 einsetzenden Demokratisierungswelle in Europa, aber auch weltweit immer wichtiger zu werden. Doch erst zur Staatsbürgerschaft allgemein, ihren Wesensmerkmalen, ihren theoretischen Grundlagen, und Wurzeln in der politischen Ideengeschichte.

2. Was bedeutet Staatsbürgerschaft?

Im politikwissenschaftlichen Wörterbuch wird Staatsbürgerschaft definiert als: i.S. der Staatsangehörigkeit (engl. nationality) die rechtliche Mitgliedschaft in einem Staat. Im liberalen Verfassungsstaat bezeichnet S. die zivilen, polit. und sozialen Bürgerrechte (Citizenship).[2]

Die Definition zeigt schon, dass sich die grundlegende Bedeutung der Staatsbürgerschaft wohl geändert hat, seit es liberale, d.h. auf legitimer Grundlage errichtete Verfassungsstaaten gibt. Es scheint einen Unterschied zu geben zwischen der Staatsbürgerschaft in einem demokratisch legitimierten System, und der Mitgliedschaft zu einem z.B. autoritären System. Diese Diskrepanz wird später noch Thema sein, wenn ich zum Konzept einer demokratischen Staatsbürgerschaft kommen werde. In der Bundesrepublik ist die Staatsbürgerschaft nicht gesetzlich definiert, sie wird vielmehr vorausgesetzt. GNILIENSKI stellt allerdings fest, dass in den weitläufig anerkannten juristischen Meinungen kaum „grundlegende Differenzen über den Begriff der Staatsangehörigkeit bestehen“[3]. Er kennzeichnet die Staatsangehörigkeit durch folgende fünf Wesensmerkmale.[4]

Die Staatsbürgerschaft wirkt unmittelbar. D.h. sie wirkt direkt auf den Bürger, ohne dass eine Zwischeninstanz nötig wäre, um ihm die Mitgliedschaft zu ermöglichen. Wie im ideengeschichtlichen Teil noch angesprochen, war dies nicht immer so. Gerade im Stadtstaat des Aristoteles z.B. war eine vollwertige Mitgliedschaft extrem von der Ständestruktur der Gesellschaft abhängig.

Eine weitere Besonderheit dieser direkten Rechtsbeziehung zum Staat ist ihre rechtliche Wirksamkeit auch über das Hoheitsgebiet des Staates hinaus. Auch im Ausland ist ein Staatsbürger der Staatsgewalt seines Heimatstaats unter bestimmten Umständen unterworfen. Nach GNILIENSKI zeigen sich hierbei „deutlich die Veränderungen bei einer verstärkten Einbürgerung in Deutschland lebender Menschen. Während sie bisher nur auf inländischem Gebiet der Regelungshoheit deutscher Behörden unterworfen waren, erstreckte sich deren Kompetenz auf gewissen Gebieten nach einer Einbürgerung auch auf Aktivitäten im Ausland“[5]. Vielleicht ein interessanter Aspekt in der Diskussion um den internationalen Terrorismus.

Bei dem Merkmal der Beständigkeit handelt es sich bereits um ein Wesensmerkmal der Staatsbürgerschaft, welches durch die Rechtspraxis einiger Staaten an Bedeutung verliert. Während zwar weitläufig akzeptiert wird, dass eine Staatsbürgerschaft auf Dauer angelegt sein soll und sie im Regelfall kaum zu verlieren ist, wird ausgerechnet dieses Paradigma durch den Schutz eines weiteren geschwächt. Durch Bemühungen, die doppelte Staatsbürgerschaft nur in Sonderfällen zuzulassen, enthält z.B. das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht die Möglichkeit, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden, d.h. allerdings, dass eine Staatsbürgerschaft abgelegt werden muss. Diese Praxis der Ablegung steht somit im Widerspruch zum Kriterium der Beständigkeit.

Das ebenfalls in der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft aufgegriffene Prinzip des Effektivitätsgrundsatzes besagt, dass die Staatsangehörigkeit mehr sein soll als ein einfaches Rechtsgeschäft wie ein Vertrag. Sie soll einen „materiellen Gehalt“[6] besitzen. Hier stellt sich die Frage, ob Staatsbürgerschaft gleich Identität ist. Hierauf wird später noch eingegangen, allerdings lässt sich schon sagen, dass dieser Grundsatz in einer globalisierten Welt wohl am meisten in Frage gestellt wird, in der Identitätskonflikte durch Migration und transnationalen Netzwerken immer mehr eine Rolle spielen.[7]

Das letzte Kriterium für Staatsbürgerschaft ist die Ausschließlichkeit. Nach diesem Prinzip kann es eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht geben, da es die Staatsbürgerschaft auf eine solch hohe Ebene legt, dass es nur möglich ist, seine volle Loyalität gegenüber einem Staat zu zeigen und nicht gegenüber zweien. Im Kontext dieser Arbeit ist dieser Grundsatz ebenfalls sehr ausschlaggebend, es geht schließlich um nicht weniger, als die Feststellung, dass ein „echter“ Staatsbürger sich mit einem Staat voll identifizieren muss. Konflikte werden nicht beachtet, was diesen Grundsatz wohl nicht ohne Grund in die Kritik kommen lässt und es behauptet wird, er sei den Gegebenheiten nicht mehr angemessen.

Staatsbürgerschaft ist eine Kombination dieser fünf Kriterien. Je nach Regelung eines Staates kann das ein oder andere Kriterium geschwächt bzw. gestärkt werden, was die Staatsbürgerschaft an sich noch nicht als Konzept schwächen würde. Im letzten Kapitel stellt sich dann jedoch die Frage, ob die neuen Bedingungen eines der Kriterien so schwächen, dass die Staatsbürgerschaft eventuell in naher Zukunft obsolet werden könnte. Auf jeden Fall kann man feststellen, dass die Staatsbürgerschaft und dadurch die Mitgliedschaft bei einer Gemeinschaft mehr sein muss, als eine reine Rechtsbeziehung. Gerade die Identitätskonflikte bei Ausländern, wenn es darum geht, seine ursprüngliche Angehörigkeit zu Gunsten der deutschen abzulegen, zeigt, wie sehr die Staatsbürgerschaft auch mit Identität und Zugehörigkeit zu tun hat. Diese gefühlsmäßige Bindung macht den politischen, aber auch den wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema so schwer.

2.1 Ansätze der politischen Theorie

Wie eingangs erwähnt, beschäftigt die politische Philosophie schon seit jeher die Frage nach dem Staat und seiner Mitglieder. Im Aristotelischen Stadtstaat (polis) war das Bürgerkonzept noch sehr von der Ständegesellschaft abhängig. Zwar war das Konzept Aristoteles’ auf einen breiten Mittelstand als partizipierende Staatsbürgerschaft ausgerichtet, in Wirklichkeit jedoch war Athen nur mit einer kleinen politischen Oberschicht zu regieren. „Nur durch die umfassenden Beschränkungen der Zahl der Bürger war die Einhaltung des Regierungsprinzips der aktiven und unmittelbaren Teilnahme am politischen Entscheidungsprozeß, das mit zunehmender Größe der polis auch gewissen Einschränkungen unterlag, möglich“[8]. Mit dem Status heutiger Staatsbürger waren also nur diejenigen zu vergleichen, die durch Zugehörigkeit zu einem Stand oder Beruf, oder durch Vererbung den Status des Bürgers erhalten hatten.

Die demokratische Staatsbürgerschaft, wie wir sie heute kennen, entwickelte sich erst mit Anbruch der politischen Moderne.[9] „Sowohl in der Athenischen Polis als auch in der mittelalterlichen Stadt hatten Bürger Freiheiten und Rechte, sie waren jedoch im Unterschied zur politischen Moderne Ausdruck von Standesprivilegien innerhalb des herrschenden politischen Systems“[10]. Erst die Erkenntnis, dass jeder Mensch von Natur aus Träger von gewissen Rechten ist, machte den Weg frei für den Staatsbürger als Träger ihm vom Staat übertragener Rechte und Pflichten. Rousseau und die anderen Kontraktisten begründeten mit ihren Staatsverträgen den Bürger als Fundament des Staates, von dem er seine Legitimation bezieht.

MURMANN trifft an diesem Punkt eine wichtige Unterscheidung zwischen Staatsbürgerschaft unter legitimer und nichtlegitimer Staatsgewalt: „Eine politische Philosophie demokratischer Staatsbürgerschaft sollte daher an die normative Differenz von legitimer und nichtlegitimer Gewalt anknüpfen. Anders können Wert und Legitimität des Staatsbürgerstatus als Ausdruck einer ausdifferenzierten politischen Zugehörigkeit im Rahmen unserer faktischen gesellschaftlichen Mitgliedschaften nicht einsichtig gemacht werden“[11].

Vor allem Rousseau und Kant haben über diese Differenzierung und ihren Grundideen von Freiheit und Autonomie die heutige Auffassung von Staatsbürgerschaft geprägt.[12]

In ihrem Buch „Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit” spaltet Seyla BENHABIB den Begriff Staatsbürgerschaft in drei Komponenten auf: „kollektive Identität, Privilegien politischer Partizipation und soziale Rechte und Ansprüche“[13]. Um nun die Brücke von rechtlichen Aspekten über historisch-philosophische Ansichten zur aktuellen Diskussion zu schlagen und auch im Hinblick auf das nächste Kapitel der Arbeit soll dieser moderne, soziologisch geprägte Begriff von Staatsbürgerschaft nun kurz dargestellt und die drei Komponenten vorgestellt werden.

[...]


[1] Aristoteles, in: Bergstraesser, Arnold/Oberndörfer, Dieter (Hg.), Klassiker der Staatsphilosophie, Stuttgart 1962, Bd.1, S.39

[2] Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf: Lexikon der Politikwissenschaft, München 2002, S.896.

[3] Gnielinski, Thomas: Die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrecht, Frankfurt am Main, 1999, S.19.

[4] Vgl. Ebd. 1999, S.19ff.

[5] Gnielinski, 1999, S.20.

[6] Vgl. Ebd., 1999, S.20; bzw. Herbert, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, Beck, München 2001, S.331f.

[7] Vgl. Murmann, Sven: Demokratische Staatsbürgerschaft im Wandel, Würzburg 2000, S.15.

[8] Gnielinski, 1999, S.8.

[9] Vgl. Murmann, 2000, S.42.

[10] Ebd. 2000, S.42.

[11] Ebd., S.14.

[12] Vgl. Ebd., S.19.

[13] Benhabib, Seyla: Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit, Fischer, Frankfurt am Main 1999, S.88.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Staatsbürgerschaft und Identität im Spannungsfeld der Globalisierung
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Migration und Integration im europäischen Mehrebenensystem
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V443746
ISBN (eBook)
9783668812161
ISBN (Buch)
9783668812178
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Staatsbürgerschaft, Identität, Globalisierung, Migration, Integration, EU
Arbeit zitieren
Benjamin Peschke (Autor:in), 2005, Staatsbürgerschaft und Identität im Spannungsfeld der Globalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443746

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Staatsbürgerschaft und Identität im Spannungsfeld der Globalisierung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden