Forschungsstandpunkte zum Dynastiewechsel von 751 im deutschen Kaiserreich

"Die folgenschwerste Tat des ganzen Mittelalters" oder "boshaftes Geschwätz"?


Hausarbeit, 2011

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Positionen deutscher Historiker des Kaiserreichs zum Dynastiewechsel
2.1 Positionen evangelischer Historiker zum Dynastiewechsel von
2.2 Ansätze konfessionsneutraler Forschung am Beispiel E. Mühlbachers
2.3 Positionen katholischer Historiker zum Dynastiewechsel von

3. Zusammengefasste Thesen und Fazit

4. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der fränkische Dynastiewechsel von 751, bei dem das Königsgeschlecht der Merowinger vom Adelsgeschlecht der Karolinger abgelöst wurde, ist schon seit langem Gegenstand mittelalterlicher Geschichtsforschung. In der Historie der deutschen Geschichtsschreibung finden sich daher zahlreiche, unterschiedliche Forschungsergebnisse in Bezug auf mögliche Bewertungen und Interpretationen dieses wichtigen Ereignisses des frühen Mittelalters. Dabei spiegelt insbesondere die Geschichtsschreibung des deutschen Kaiserreichs von 1871-1914 in sich sehr vielseitige Forschungsmeinungen wider, die stark von der damaligen Zeit und den damaligen politischen Verhältnissen geprägt waren.

Allgemein teilte sich das Lager der kaiserlichen Historiker in konservativ-katholische und evangelische Geschichtsschreiber, die in ihren Arbeiten insbesondere der Frage nachgingen, inwieweit der damalige Papst Zacharias in den Dynastiewechsel verstrickt gewesen ist. Diese Frage war für viele Historiker das Diktum der Zeit, an dem sich die wissenschaftlichen Geister schieden. Die Kontroverse war auch deshalb hoch brisant, weil insbesondere die evangelische Seite die Geschehnisse von 751 als Revolution verstand, da es der Papst nach ihrer Meinung zu Unrecht gewagt hatte, in das weltpolitische Geschick des größten europäischen Staates der Zeit einzugreifen und somit kirchliche nicht von politischen Interessen zu trennen.

In dieser Arbeit soll im Folgenden daher beispielhaft skizziert werden, wie der Dynastiewechsel von 751 mit seiner „konfessionellen Reizwirkung“[1] zur Zeit des deutschen Kaiserreichs von den verschiedenen Konfessionen bewertet und interpretiert wurde. Es soll dabei der Versuch unternommen werden, Erklärungen dafür zu finden, weshalb die evangelischen Historiker des deutschen Kaiserreichs den Dynastiewechsel als „die folgenschwerste Tat des ganzen Mittelalters“[2] verstanden, während die katholischen Historiker jegliche Beteiligung des Papstes an den Vorgängen von 751 „als

unglaubwürdiges ‚Geschichtchen‘“ oder als „Sage“[3] abstritten. Es soll außerdem ermittelt werden, inwiefern diese Bewertungen aus heutiger Sicht zutreffend sind.

Zunächst wird in einem ersten Abschnitt kurz auf die Schriften verschiedener evangelischer Historiker der Zeit eingegangen und ihre zentralen Thesen herausgearbeitet. In einem zweiten Schritt wird anschließend eine weitgehend neutrale Position der Zeit herausgestellt, mit der versucht werden soll, zwischen den konfessionellen Schriften einen Ausgleich herzustellen. Im dritten Teil werden schließlich die katholischen Forschungsmeinungen der Zeit dargestellt. Den Abschluss bilden zuletzt die zusammengefassten Thesen der verschiedenen Historiker und ein Fazit.

2. Positionen deutscher Historiker des Kaiserreichs zum Dynastiewechsel

2.1 Positionen evangelischer Historiker zum Dynastiewechsel von 751

Die religiöse Konfession hatte einen unglaublichen, fast ausschlaggebenden Einfluss auf die Bewertung der Ereignisse von 751 im Kaiserreich. Die Interpretationen und Bewertungen, die zahlreiche evangelische Historiker über den Dynastiewechsel verfassten, setzten sich grundsätzlich ebenso wie die ihrer katholischen Kollegen in erster Linie mit der Frage auseinander, inwiefern der Papst an den Ereignissen von 751 beteiligt war. Da diese im Kaiserreich mit dem Begriff der Revolution stark negativ belastet waren, versuchten beide religiösen Parteien, den Papst aus ihrer Konfessionalität heraus entweder der Haupttat zu beschuldigen, oder ihn von jedem weltpolitischen Machtstreben freizusprechen.

Unter dem Eindruck der damaligen politischen Instabilität und radikalen Veränderungen, versuchten die evangelischen Historiker der Zeit, maßgeblich vertreten durch den evangelischen Kirchenhistoriker Gerhard Ficker und den evangelischen Historiker und Rechtsgelehrten Felix Dahn, die Schuld für die vermeintliche Revolution des Jahres 751 direkt beim Papst zu suchen, da sie „jed[e] geistlich[e] Bevormundung in politischen Dingen“[4] verurteilten. In ihren Schriften klagten sie verstärkt über die Unrechtmäßigkeit und die weltpolitische Gier, die den Papst Zacharias dazu veranlasst habe, dem Wunsch Pippins nach dem Königtitel zu entsprechen und das alte Merowingergeschlecht, namentlich den letzten König der Merowinger Childerich III., der keine faktische Macht mehr besaß[5], zu bestrafen und ins Kloster von St. Bertin zu verbannen. So sahen beide Historiker die Schuld für die Revolution zu großen Teilen beim Papst und beschuldigten ihn des persönlichen Machtstrebens.

Felix Dahn setzte sich in seinen Texten vor allem mit rechtspolitischen Fragen auseinander und kam dabei zu der Erkenntnis, dass „die Thronbesteigung Pippins (…) Bruch des Rechts, aber sittlich entschuldbar [war]“[6]. Zudem habe es sich bei der Tat um einen „lang und sorgfältig auf allen Seiten vorbereitet[en] Schritt“[7] gehandelt, bei dem „Großes (…) einstweilen von langer Hand leise, behutsam, vorsichtig, umsichtig vorbereitet“ worden war „unter den Franken und im fernen Rom.“[8] Dahn sah in den Handlungen des ehemaligen Hausmeiers Pippin und des Papstes Zacharias eine Verschwörung, die jeder judiziösen Wirklichkeit enthoben worden war. Er verurteilte die Taten des Kirchenoberhaupts daher zutiefst. Der Dynastiewechsel erfolgte nach seiner Meinung zwanghaft und losgelöst von jeder Form der Rechtsgrundlage, denn „[Childerich] hatte wie jeder Meroving ein Recht auf den leeren Thron“[9] behalten, selbst wenn er de facto keine eigene politische Macht mehr besaß. Für den evangelischen Historiker, dem noch heute eine „besonder[e] Sprachgewalt“[10] attestiert wird, kamen die Taten Pippins einer Revolution gleich, da sie die politische Landkarte aus seiner Sicht dramatisch verändert hatten.

Diese Tat wurde deshalb von Dahn mit dem Begriff Revolution konnotiert, da es sich nach Meinung des evangelischen Historikers erstmals um einen Eingriff der Kirche in die Weltpolitik gehandelt hatte. Im Kaisserreich galt jedoch die strenge Trennung von Politik und Kirche.

Der evangelische Kirchenhistoriker Gerhard Ficker wandte sich in seinen Bewertungen des Dynastiewechsels von 751 ebenfalls gegen die Thesen der katholischen Seite. Er stellte die Geschehnisse gar als „folgenschwerste Tat des ganzen Mittelalters“[11] heraus, welche viele weitere Jahrhunderte maßgeblichen Einfluss auf das westeuropäische Geschick der Völker haben sollte. Dieser „markante Superlativ“[12] machte deutlich, wie stark Ficker die vermeintlichen Handlungen des Papstes Zacharias sanktionierte. Anders als Dahn fragte er jedoch weniger nach den rechtlichen Grundlagen des Bundes zwischen Karolingern und dem Papst. Vielmehr beschäftigt er sich mit der Verlagerung der Machtverhältnisse hin zum Papst und dessen Gründen für seinen erstmaligen Auftritt auf der weltpolitischen Bühne. Dabei prangerte er das Kirchenoberhaupt dafür an „seine geistliche Autorität für ein Unterfangen“ missbraucht zu haben, „das seinem Wesen nach [jeglicher] Rechtmäßigkeit entbehrte.“[13] Daher erkannte Ficker in dem Bündnis eine primär pro-päpstliche Einigung zwischen Karolingern und der Kirche, die vorwiegend dem Papst eine höhere Machtposition verschaffte. „Die Verantwortung für die Revolution“, so schreibt Ficker in seiner Darstellung „schob (…) [Pippin somit] dem Papste zu“[14], da nun das päpstliche Urteil über das zukünftige Königsgeschlecht ein sehr viel größeres Gewicht bekam, als der Königstitel selbst. Hierbei wurde jedoch offen gelassen, ob sich der Papst eigentlich dieser Verantwortung habe entziehen wollen oder ob genau das Gegenteil der Fall gewesen war, nämlich das dieser förmlich darauf gewartet hatte, seinen Machtbereich zu vergrößern. Schließlich habe er 754 „aus seiner hilflosen Lage [auch] kein Hehl“[15] gemacht.

Gemäß Fickers Interpretation des Dynastiewechsels von 751 war Pippins Handeln auf der einen Seite wohl überlegt, andererseits aber auch mit einem hohen Risiko für zukünftige fränkische Reichsherren verbunden. Vor allem die unterschiedlichen Bedingungen des Bündnisses ließen für Ficker keinen anderen Schluss zu, als dass Pippin dem Papst für einen vergleichsweise geringen Gegenwert eine deutliche Ausdehnung des päpstlichen Machtbereichs gewährt hatte.

So schreibt Ficker:

Die Verpflichtungen, die [Pippin] übernahm, sind ungeheuer, wenn man sie vergleicht mit dem, was der Papst zu bieten hatte: für reale Werte gab er den Segen des Himmels und verhieß den Lohn in der Zukunft.[16]

Trotz alledem bescheinigte Ficker Pippin ein erstaunliches, außenpolitisches Geschick und nicht etwa politische Naivität. So konstatierte er, der neue fränkische Herrscher habe seine Anfrage an den Papst Zacharias, wer denn nun König im fränkischen Reich sein solle, sehr wohl mit Bedacht getätigt, da er sich sicher war, die tatsächliche weltliche Macht weiterhin in Händen zu behalten. Somit ließe sich das Bündnis zwischen Zacharias und Pippin schließlich bezogen auf die neuen Machtverhältnisse nach so darstellen, dass der Papst zwar „Landesherr“ war, „[Pippin jedoch] eine Selbstständigkeit [des Papstes] in politischen Angelegenheiten nicht zuließ und auch in kirchliche Verhältnisse eingriff.“[17] Pippins „Anspruch auf die alleinige Herrschaft“[18] wurde durch das Papstbündnis also keineswegs gefährdet.

2.2 Ansätze konfessionsneutraler Forschung am Beispiel E. Mühlbachers

Der österreichische Historiker und Diplomat Engelbert Mühlbacher publizierte 1896 ein umfangreiches Werk, in dem er sich der Problematik des Dynastiewechsels von 751 von einer weit weniger kirchlichen Perspektive näherte. Seine Argumentationsstruktur basierte dabei, ebenso wie die vieler anderer Historiker, auf den Überlieferungen der „Vita Karoli Magni“ von Einhard, dem er attestiert „mit wenigen meisterhaften Strichen (…) die klägliche Rolle des merowingischen Königs“[19] dargestellt zu haben.

[...]


[1] Schieffer, Rudolf: Die folgenschwerste Tat des ganzen Mittelalters? Aspekte des wissenschaftlichen Urteils über den Dynastiewechsel von 751. In: Becher, Matthias/ Jarnut, Jörg (Hgg.): Der Dynastiewechsel von 751. Vorgeschichte, Legitimationsstrategien und Erinnerungen, Münster 2004, S. 5.

[2] Ficker, Gerhard/ Hermelink, Heinrich/ Krüger, Gustav (Hg.): Das Mittelalter. Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende 2, Tübingen, Mohr 1929, 2. Auflage, S. 20.

[3] Schieffer: S. 4 oder Vgl. hierzu: Damberger, Joseph F.: Synchronistische Geschichte der Kirche und der Welt im Mittelalter 2, Regensburg 1850, S. 339.

[4] Schieffer, S. 2.

[5] Vgl. Becher, Matthias: Merowinger und Karolinger, Darmstadt 2009, S. 64.

[6] Dahn, Felix/ Oncken, Wilhelm (Hg): Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen. Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, Bd. 3, Berlin 1883, S. 859.

[7] Ebd., S. 857.

[8] Ebd., S. 855.

[9] Ebd., S. 860.

[10] Schieffer, S. 3.

[11] Ficker, S. 20.

[12] Schieffer, S. 1.

[13] Ebd., S. 2.

[14] Ficker, S. 20.

[15] Ebd.

[16] Ficker, S. 20.

[17] Ebd., S. 20-21.

[18] Becher, S. 63.

[19] Mühlbacher, Engelbert: Deutsche Geschichte unter den Karolingern. Stuttgart 1896, S. 54.

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Details

Titel
Forschungsstandpunkte zum Dynastiewechsel von 751 im deutschen Kaiserreich
Untertitel
"Die folgenschwerste Tat des ganzen Mittelalters" oder "boshaftes Geschwätz"?
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät für Geisteswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
14
Katalognummer
V444043
ISBN (eBook)
9783668819047
ISBN (Buch)
9783668819054
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mittelalter, Karolinger, Merowinger, Dynastiewechsel, Pippin
Arbeit zitieren
Bernd Appel (Autor:in), 2011, Forschungsstandpunkte zum Dynastiewechsel von 751 im deutschen Kaiserreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444043

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