Die Welthandelsorganisation als Form demokratischen Regierens jenseits des Nationalstaats?

Eine Bewertung anhand der Lektüre von Michael Zürns "Democratic Governance Beyond the Nation-State"


Hausarbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,3

Mareike L. (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Demokratie in internationalen Institutionen - nach Michael Zürn
2.1. Der Demos auf internationaler Ebene
2.2. Entscheidungsfindung auf internationaler Ebene

3. Postnationale Demokratie in der Welthandelsorganisation
3.1. Ein gemeinsamer Demos in der WTO?
3.2. Gefahren des Konsensprinzips
3.2.1. Redistribution von Handelsgewinnen
3.2.2. In- und Outputlegitimität
3.2.3. Green Room Meetings

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„ International institutions are not the problem, but part of the solution to the problem of modern democracy. “ (Zürn, 2000, S. 190)

Ende der 1940er Jahre wurden infolge der Bretton-Woods-Verhandlungen die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IMF) und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT-Abkommen) ins Leben gerufen, um den neuen Herausforderungen der Globalisierung gerecht werden zu können. Die 23 Gründungsmitglieder des Letzteren verfolgten dabei das Ziel, den internationalen Handel zu regulieren und die weltweiten Handelsschranken langfristig abzubauen. Hiervon wurden sich entsprechend der traditionellen Außenhandelstheorie Handelserweiterungen und Wohlfahrtsgewinne erhofft.

Seit diesem Zeitpunkt und mit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) durch die GATT-Mitglieder im Jahr 1995 werden etwa 95% der weltweiten Warenex- und importe unter dessen Dach gehandelt (Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2010/2011, S. 14). Auch die wachsende Mitgliederzahl, die inzwischen bei 161 Mitgliedsstaaten liegt, zeigt den starken Bedeutungszuwachs der Handelsinstitution.

Demnach ist die Auseinandersetzung mit der demokratischen Legitimität der Organisation eineganz Entscheidende. Michael Zürn, deutscher Politikwissenschaftler im Bereich GlobalGovernance, fragt in seinem Aufsatz „ Democratic Governance Beyond the Nation-State: The EU and Other International Insitutions “ nach dem Einfluss, den einzelne Bürger derMitgliedsstaaten bei der Entstehung des fast 10.000 Seiten umfassenden Regelwerks derInstitution haben konnten (Vgl. Zürn, 2000, S. 184). Er möchte so in seiner Einleitung auf dieProblematik postnationaler Demokratie Aufmerksam zu machen. Ob, und in welchem Maßeinternationale Institutionen als demokratisch legitimierbar erachtet werden, ist in der Forschungviel umstritten und auch Zürn befasst sich mit dieser Problematik. Aus seiner Definition vonDemokratie heraus erklärt er die gesellschaftliche Denationalisierung, nicht etwa dieInstitutionen selbst als Ursache für postnationale Demokratiedefizite.

Nach Zürn ist Demokratie ganz allgemein ein Prozess öffentlicher Willensbildung undEntscheidungsfindung, bei der jeder, der von den Entscheidungen betroffen ist, dieselbenMöglichkeiten hat daran aktiv teilzunehmen und Einfluss auszuüben (Vgl. ebd., S. 186).

Auch wenn Internationale Institutionen laut Zürn eine Möglichkeit bieten, den zunehmenden Legitimationsproblemen von Nationalstaaten entgegenzuwirken, sind diese Institutionen nichtzwingend, und heutzutage noch lange nicht vollends demokratisiert. In seinem Aufsatzuntersucht Zürn deshalb entscheidende Elemente demokratischer Strukturen, und ob diese imtransnationalen Raum überhaupt bestand haben können. In Kapitel 2 dieser Arbeit werdeneinige seiner Ergebnisse herausgearbeitet, um sie im dritten Kapitel an der WTO überprüfen zukönnen. Gilt die Welthandelsorganisation nach Zürn als demokratisch legitimiert? Imabschließenden Kapitel wird der Versuch zur Beantwortung dieser Frage unternommen.

2. Demokratie in internationalen Institutionen - nach Michael Zürn

Für die Demokratisierung internationaler Institutionen bedürfe es eines gemeinsamen Demos, den es auf transnationaler Ebene nicht geben könne. Es fehle schlicht an den sozialen Voraussetzungen demokratischer Strukturen. Die Bestrebungen dieser Institutionen stünden zusätzlich vor dem strukturellen Dilemma eines Nullsummenspiels zwischen staatlicher Souveränität und Supranationalität. Internationalisierungsbemühungen würden demnach die nationale Souveränität einschränken, wohingegen genau diese eine Hürde für effizientes internationales Handeln bildet (Vgl. ebd., S. 183).

Diese zwei Hypothesen führt Zürn bereits in seinem Abstract an. Sie bilden zwei kritische Argumente gegen die Entwicklung demokratischer internationaler Institutionen, die Zürn in seiner Schrift im Detail zu untersuchen versucht. Auf Grundlage dieser Hintergrundhypothesen betrachtet er Aspekte der Input- und die Output-Legitimität, welche durch das Phänomen der „societal denationalization“ (ebd., S. 186) sowohl inner- als auch außerstaatlich vor ein Legitimationsproblem gestellt werden.

Eine mögliche Antwort auf die Schieflage von politischem und sozialem Raum sieht Zürn in Global Governance-Ansätzen internationaler Institutionen. Anders als in den zu Beginn genannten Thesen, bewertet er die Beziehung zwischen Sozialem und Poltischem im internationalen Raum nicht etwa als ein unüberwindbares Dilemma, sondern als einen dynamischen Prozess, der mithilfe der richtigen Governance-Mechanismen zu postnationalen demokratischen Strukturen führen kann (Vgl. ebd., S. 190).

Durch die Dekonstruktion des Begriffs demos versucht er dessen einzelne Bestandteilelosgelöst im supranationalen Raum zu betrachten. Für die verschiedenen Formen demokratisch legitimierter Verhandlungen und Entscheidungsfindungsprozesse in Institutionen brauche es einen Minimalansatz solch einer politischen Gemeinschaft.

Diese Prozesse müssen jeweils nach den gegebenen Ausprägungen eines internationalen demos gewählt werden, um entsprechend ihrer Input- und Output-Legitimität demokratische Strukturen zu etablieren oder zu stärken, so Zürn.

Dieses Kapitel dient dazu, Zürns Analyse der anfänglichen Hypothesen darzustellen um hierdurch ein Schema zu finden, mit dessen Hilfe die demokratische Legitimation der Welthandelsorganisation untersucht werden soll.

Als Rechtfertigung für die Herausbildung postnationaler, demokratischer Strukturen durchinternationale Institutionen betrachtet Zürn das Phänomen der Globalisierung. Letzterer Begriffsei allerdings irreführend. Stattdessen benutzt der Autor den Begriff der societal denationalization und definiert ihn als „indication of the weakening link between territorialstates and their corresponding national societies“ (Zürn, 2000, S. 187). Durch die Verlagerungdes sozialen Raumes auf die supranationale Ebene entstehe ein Legitimationsdefizit desNationalstaates durch die räumliche Inkongruenz zwischen einer Gesellschaft und ihrenRepräsentanten im politischen Prozess. Nicht die Internationalisierung politischer Prozesseselbst sei demnach das Problem heutiger Legitimation, sondern die gesellschaftlicheAbwendung vom normativen Selbstverständnis des Territorialstaats. Zum einen steige durchdie Externalisierung von Politiken in integrierte Märkte die Input-Inkongruenz zwischen Volkund Repräsentanten, zum anderen nehme ihre Distanzierung durch die sinkende Autonomie desNationalstaats auch im Output zu. (Vgl. ebd., S. 190)

Nach Zürn können internationale Institutionen hier ein Bindeglied bilden, um den politischenund den sozialen Raum zusammenzuführen und das räumliche Legitimationsproblemüberwinden.

2.1. Der Demos auf internationaler Ebene

Bildet dieses Konzept den Anreiz zum weiteren Ausbau von Global Governance-Strukturen, so geben die eingangs erwähnten, skeptischen Thesen weiterhin Grund zu der Annahme, dass es internationalen Institutionen aufgrund von unüberwindbaren Hindernissen unmöglich ist, demokratisch zu agieren.

Wie zu Beginn seines Aufsatzes angekündigt, fordert Zürn die These einiger Kritiker - in der internationalen Politik könne es keine Demokratie geben, da es eines gemeinschaftlichenDemos fehle - heraus. Dieser sei immer Bestandteil einer nationalen Identität und somit nichtauf globale Politik anwendbar. Geht man nun aber von gesellschaftlicher Denationalisierungaus, bedarf es einer differenzierten Betrachtung des Ausdrucks Demos. Zürn dekonstruiertdieses Konzept und gliedert seine Bedeutung in fünf Bestandteile auf, um dezidiert auf derenAnwendbarkeit in der internationalen Politik einzugehen. Der Demos sei definiert durchbürgerliche Rechte, Vertrauen, einen Gemeinsinn, einen öffentlichen Diskurs undSolidarität.

Bei den dem Demos zugrunde liegenden Rechten handele es sich um die autonomen, bürgerlichen Rechte seiner Individuen in Bezug auf Selbstbestimmung, körperliche Integrität und politische Partizipation. Mit zunehmender Denationalisierung steigt für Zürn die Notwendigkeit internationaler Überwachungsmechanismen. Diese seien im Bereich der Menschenrechte beispielsweise vorhanden und sind ein Anzeichen für die Internationalisierung von Rechten über die Staatengrenzen hinaus.

Außerdem müsse politisches Vertrauen vorhanden sein. Mitglieder eines Demos vertrauen aufdie Einhaltung einmal verabredeter Verpflichtungen und die Akzeptanz dieser durch Andere.Zwischen den OECD-Staaten bestehe ein solches Vertrauen, weshalb supranationaleVereinbarungen zwischen diesen Ländern überhaupt erst entstehen können. PolitischesVertrauen sei heutzutage somit nicht mehr auf nationalstaatliche Grenzen beschränkt.

Drittens sei ein minimaler Gemeinsinn, eine gemeinsame Identität, erforderlich um in der öffentlichen Debatte gemeinsame Politiken formulieren zu können. Diese Identität ist hier dadurch definiert, dass die Präferenzen einer Einzelperson auch in der Beachtung des gemeinschaftlichen Wohlergehens Ausdruck finden.

Gibt es für die Betroffenen solcher Verhandlungen die Möglichkeit des öffentlichenMeinungsaustausches, entsteht ein öffentlicher Diskurs, welcher ebenfalls Bedingung für einengemeinschaftlichen Demos sei. Für die Institutionalisierung eines breiteren Diskurses benötigees allerdings einer gemeinsamen Sprache und Medienlandschaft, als auch einer gemeinsamenParteienlandschaft. Auf internationaler Ebene fehle es eines solchen strukturellen Gerüstes.

Zuletzt beschreibt Zürn noch einmal die Notwendigkeit einer kollektiven Identität alsGrundstein eines gemeinsamen Demos. In ihrer intensiveren Form betitelt er diese alsSolidarität, definiert durch: „[The] willingness of individuals to give up things they value for

the sake of the collectivity“ (Zürn, 2000, S. 199). Diese Solidarität spiegelt sich besonders in der Akzeptanz redistributiver Maßnahmen wieder. Zürn hinterfragt jedoch, ob eine solchintensive Form kollektiver Identität für die Definition von Demokratie wirklich zwingendnotwendig sei.

2.2. Entscheidungsfindung auf internationaler Ebene

Entscheidungsfindungsprozesse sind selten selbst Teil von Untersuchungen demokratischerStrukturen. Ihre Erscheinungsform trägt aber einen deutlichen Teil zum demokratischenProzess innerhalb von Institutionen bei. Internationale Verhandlungen seien nur im Rahmeneines vorhandenen demos demokratisch legitimierbar. Existiert nicht wenigstens ein Minimumeines Gemeinschaftsgefühls führen Verhandlungen zu kompetitivem Verhalten und die Akteureverlieren, bedacht auf den eigenen Gewinn, den Blick auf langfristige Ziele (Vgl. ebd., S. 192).Solch eine Handlungsweise widerspricht letztlich dem demokratischen Prinzip der Output-Legitimität. Politische Ergebnisse müssen effizient und vor den Repräsentierten gerechtfertigtsein.

3. Postnationale Demokratie in der Welthandelsorganisation

Das folgende Kapitel dient dazu, die erarbeiteten Kriterien demokratischer Strukturen an der Welthandelsorganisation zu überprüfen. Gibt es einen internationalen Demos, der solch eine Handelsinstitution rechtfertigt? Und welche Verhandlungsformen sind für die WTO zutreffend? Wie finden In- und Output-Legitimierung statt?

Gerade für die Form der Konsensentscheidung ist eine Mindestform des Demos erforderlich,wenn es um Beschlüsse zur Schaffung und Umverteilung von Handelsgewinnen geht. Bringendie multilateralen Verhandlungen nicht die gewünschten Ergebnisse für ein Land und müssenEingeständnisse in den Handelsbeziehungen in Kauf genommen werden, muss ein Anreiz zurweiteren Kooperation und Beibehaltung multilateraler Verträge bestehen, um zu demokratischlegitimierten Ergebnissen unter dem Dach der Welthandelsorganisation zu kommen.

Aus diesem Grund müssen zunächst die vorab angeführten Elemente eines Demos im Zusammenhang mit der Institution der WTO untersucht werden.

3.1. Ein gemeinsamer Demos in der WTO?

Gegenseitig anerkennte Rechte der Mitgliederstaaten und das Vertrauen darin, dass diese undweitere Bestimmungen auch eingehalten werden, bilden den ersten Teil dieser Untersuchung.Die einzelnen WTO-Abkommen, sowie schon vor deren Gründung das GATT-Abkommen,bilden das Regelwerk der Organisation. In dem Marrakesh Agreement Establishing the WorldTrade Organization (kurz: WTO-Abkommen) wird einleitend betont: „The Parties to thisAgreement [are] determined to preserve the basic principles and to further the objectivesunderlying this multilateral trading system“ (World Trade Organization, 1994).

Die Repräsentanten der einzelnen Mitgliedsstaaten haben grundsätzlich das Recht an derWillensbildung und politischen Entscheidungsfindung teilzuhaben. Die Entscheidungsfindunggeschieht durch das Konsensprinzip, im Falle einer Abstimmung auf Grund von Uneinigkeithat jedes Mitgliedsland eine Stimme (Vgl. ebenda, Art. IX.1). Jedoch ist hier bereits auf die Green Room Meetings einzugehen, die in Kapitel 3.2.3. thematisiert werden. Wegen derSchwierigkeit einer Konsensbildung bei inzwischen 161 Mitgliedern (Vgl. World TradeOrganization, 2015b) wurde bereits zu Zeiten des GATT-Abkommens auf exklusiveVerhandlungen im Kreis weniger Mitgliedsländer zurückgegriffen. Die Ergebnisse dieserwurden anschließend den anderen Ländern zum Beschluss vorgelegt, eine aktive politischePartizipation ist also durchaus eingeschränkt.

Das Vertrauen in die Einhaltung der verabschiedeten Abkommen ist durch die gemeinsame Verabschiedung dieser prinzipiell gegeben. Zusätzlich wird es durch den Streitschlichtungsmechanismus des Dispute Settlement Bodys gestärkt. An ihn kann sich ein Staat wenden, wenn er seitens eines anderen Mitglieds die Abkommen verletzt sieht (Vgl. World Trade Organization, 2015a).

Einem Demos gehören nach Zürn überdies die Eigenschaften des Gemeinsinns und des öffentlichen Diskurses an. In seiner extremeren Form finde sich in Ersterem auch die Eigenschaft der Solidarität.

Betrachtet man das WTO-Abkommen, ist gleich zu Beginn die Betonung eines gemeinsamenwirtschaftlichen Prinzips zu entdecken. Der Welthandelsorganisation liegt eine gemeinsameVorstellung von ‚richtiger‘ Wirtschaftspolitik zugrunde, die sich in dem Bestreben äußert,tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse weitestgehend abzubauen und so den Handel zufördern und die globale Wohlfahrt zu steigern. (Vgl. World Trade Organization, 2015c) Dieser Gemeinsinn ist natürlich wirtschaftspolitisch sektoral begrenzt und kann nicht auf alle Governance-Felder übertragen werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Welthandelsorganisation als Form demokratischen Regierens jenseits des Nationalstaats?
Untertitel
Eine Bewertung anhand der Lektüre von Michael Zürns "Democratic Governance Beyond the Nation-State"
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Theoriedebatten in den Internationalen Beziehungen
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V444059
ISBN (eBook)
9783668813229
ISBN (Buch)
9783668813236
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theoriedebatten, Internationale Beziehungen, International Relations, Politikwissenschaft, Politikwissenschaften, WTO, Welthandelsorganisation, Zürn, Michael Zürn, Regieren, Demokratie, Globalisierung, Welthandel, Souveränität, Neorealismus, Neoliberaler Institutionalismus, Politische Theorie
Arbeit zitieren
Mareike L. (Autor:in), 2015, Die Welthandelsorganisation als Form demokratischen Regierens jenseits des Nationalstaats?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444059

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