Doping mit System. Quellenkritische Analyse von Christian Schenks "Riss"


Seminar Paper, 2018

17 Pages, Grade: 2,0


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Dopingsystem der DDR
2.1 Geschichtliche Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings
2.2 Organisationsstrukturen im DDR-Sport

3 Riss – Mein Leben zwischen Hymne und Hölle
3.1 Äußere Quellenkritik
3.2 Innere Quellenkritik
3.3 Quelleninterpretation
3.3.1 Aufbau und Inhalt
3.3.2 Textanalyse

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Doping und Leistungssport sind unmittelbar miteinander verbunden und wurden im kalten Krieg zum Sinnbild für den Sieg um jeden Preis. Der Sport wurde instrumentalisiert, um die Überlegenheit eines politischen Systems zu beweisen. Wie weit die Funktionäre eines Staats dabei gehen würden, zeigte sich in den letzten Jahrzehnten, als das konspirative Zwangsdoping der DDR durch Stasidokumente und Zeugenaussagen aufgedeckt wurde. Tausende Sportlerinnen und Sportler wurden jahrelang systematisch gedopt und müssen nun, Jahre nach dem Ende der DDR, mit den Konsequenzen leben. So auch der Ausnahmeathlet Christian Schenk, der in den Achtzigern und Neunzigern zahlreiche Erfolge im Zehnkampf erringen konnte, während er staatlich verordnete Steroide einnahm und heute vor den Scherben seiner Existenz steht. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Analyse seiner Autobiographie und verfolgt das Ziel, seine Denk- und Verhaltensmuster aufzuschlüsseln sowie seine Wahrnehmung des Zwangsdopings darzulegen. Sie geht der Frage nach, wie mit dem Thema Doping zu seiner aktiven Zeit in der DDR umgegangen wurde und wie er sich heute rechtfertigt. Dazu wird zunächst ein geschichtlicher Abriss über die Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings angeführt und dann die Organisationsstruktur des DDR-Sportsystems vorgestellt, um ein fundiertes Grundwissen über das Staatsdoping zu erlangen. Die zugrundliegende Literatur umfasst neben diversen Internetbeiträgen vor allem die Bücher von Giselher Spitzer (1998, 2007, 2012) sowie Andreas Singler und Gerhard Treutlein (2006). Darauf aufbauend wird die Autobiographie „Riss – mein Leben zwischen Hymne und Hölle“ von Schenk untersucht. Methodisch orientiert sich dieses Kapitel an den Vorgaben zur Quellenanalyse nach (Borowsky, Vogel & Wunder, 1989). Auf die äußere und innere Quellenkritik folgt die Quelleninterpretation, die den Buchinhalt kurz wiedergeben soll und abschließend ausgewählte Aussagen Schenks kritisch analysiert. Die Quellenanalyse fokussiert dabei Schenks Darstellungen des Dopings und geht nicht auf die Ausführungen zu seinen Trainings- und Wettkampferfahrungen ein. Ebenso werden seine Spätfolgen nicht behandelt, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

2 Das Dopingsystem der DDR

2.1 Geschichtliche Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings

Die Dopingpraxis der DDR, die systematisch organisiert und ohne Wissen oder sogar gegen den Willen der Aktiven betrieben wurde, verhalf dem verhältnismäßig kleinen Land[1] in den Jahrzehnten ihres Bestehens zu enormem Erfolg im Bereich des Sports. Bei den Olympischen Spielen wurde die DDR im Medaillenspiegel auf dem dritten Platz, hinter der USA und der Sowjetunion, gelistet. Das inhumane System der Leistungssteigerung bestand nicht nur aus Zwangsdoping nahezu aller Leistungssportler, sondern auch aus einem perfekten, staatlichen Verschleierungsprogramm, das den Dopingkontrollen der Zeit standhielt. Die Wiedervereinigung Deutschlands 1989 eröffnete die Möglichkeit, durch Zeitzeugen und Dokumenteneinsicht die Ausmaße des Staatsdopings zu erfassen[2]. Schätzungsweise 15.000 Sportlerinnen und Sportler der DDR wurden systematisch gedopt (Doping in der DDR - "Leistungseugenik einer Diktatur", 2018), davon viele bereits ab dem siebten bis zehnten Lebensjahr (NDR). Über das Jahr verteilt erhielten sie verbotene Medikamente zur Leistungssteigerung primär als Nahrungsergänzung. Die Funktionäre der SED und des Sports erhofften sich dadurch, die Weltgeltung der DDR und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat zu verbessern (Spitzer, 2007). Am Ende der 1950er Jahre begann man vor allem im Radsport mit der Verwendung von Stimulanzien wie Amphetaminen[3] und gründete 1964 den Sportmedizinischen Dienst, der die Vergabe organisierte. Die Sportler der Fußballnationalmannschaft wurden nicht nur während des Wettkampfes, sondern auch in der Trainingsphase gedopt, um sie an das erhöhte Leistungsniveau zu gewöhnen. Da diese Wirkung für Schnellkraftsportarten wie Leichtathletik und Gewichtheben nicht ausreichte, begann man 1966/67 erstmals mit der Erprobung von Anabolika in der Sportvereinigung „Dynamo“ in Berlin. Nach ersten Erfolgen wurde daraufhin eine systematischere Forschung zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1968 initiiert mit 42 Werferinnen und Werfern. Dieses Beispiel zeigt die beginnende, planmäßige Integration von Doping in die Trainingsmethodik der DDR (Singler & Treutlein, 2006). Da das politische System den Sport zur Machtdemonstration instrumentalisierte, folgte eine staatliche Leistungs- und Medaillenplanung mit Fokus auf Sportarten, die besonders aussichtsreich waren (Spitzer, 1998). Einzelne Dokumente belegen, dass bereits seit 1970 der gesamte Olympia-Kader der DDR mit Anabolika gedopt wurde, was aus der Leistungsentwicklung in den Sportarten Schwimmen, Leichtathletik und Gewichtheben ersichtlich wird (Spitzer, 1998). Bis 1974 praktizierten die Funktionäre des Sports das Doping eher dezentral und ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen, bis sie schließlich umdisponieren mussten. Eine neue Nachweismethode für Anabolika im Jahr 1974 verlangte nach einer umfassenden, systematischen Steuerung zur Vermeidung von Überdosierungen und sichtbaren Nebenwirkungen, um der Gefahr der Entlarvung zu entgehen, sodass die Arbeitsgruppe UM („Unterstützende Mittel“ unter der Leitung von Bauersfeld) ins Leben gerufen wurde. Sie beschäftigte sich mit der Entwicklung von Verschleierungspraktiken und Dopingverfahren (Singler & Treutlein, 2006). Die Zeit nach 1974 wird als zentrale anabole Phase bezeichnet, die das staatlich kontrollierte und finanzierte Zwangsdoping landesweit organisierte und reglementierte. Unter dem Namen „Staatsplanthema 14.25“ des jährlichen Volkswirtschaftsplans wurde die Erforschung und Anwendung von Doping zentralisiert. Jährlich wurden zwei Millionen Steroid-Tabletten (Oral-Turinabol) verabreicht und seit 1983 auch Hirn- und Peptidhormone (EPO), Wachstumshormone (HGH), Elektrolytlösungen mit Vitaminzusätzen, Pharmaka zur Ökonomisierung des Hirnstoffwechsels und Eigenblut (Blutdoping) (Spitzer, 1998). Begründet wurde die intensive Dopingpraxis mit den Entwicklungen im Westen und der Einschätzung, dass ohne die Zugabe von Anabolika das Leistungsniveau von vor 1974 nicht gehalten werden könne (Spitzer, 1998).

Zum konspirativen Dopingsystem der DDR gehörte auch eine verschleiernde Sprachregelung, die von allen Verantwortlichen verwendet wurde, um die Sportlerinnen und Sportler nicht zu beunruhigen. Den Athletinnen und Athleten wurde suggeriert, die „unterstützenden Mittel“ würden den Trainingsprozess unterstützen und seien lediglich Vitamine und Mineralien. Nur in wenigen Fällen wurden sie von den Ärzten und Trainern in das Doping eingeweiht. Die Arbeitsgruppe UM implementierte unter Missachtung der Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler gezielt Dopingpläne in die Vorbereitungsphasen und führte „Ausreisekontrollen“ durch, die als Überprüfung der Reisetauglichkeit deklariert wurden. Sie wurden durchgeführt, um den Urin der Athletinnen und Athleten vor internationalen Wettkämpfen auf positive Dopingergebnisse zu prüfen. Wenn die Grenzwerte überschritten wurden, verweigerte man ihnen die Ausreise. „Mauer und Stacheldraht schützten also das biomedizinische Betrugsverfahren nachhaltig vor der Entdeckung“ (Spitzer, 2007). Wissenswert ist an dieser Stelle, dass das DDR-Regime eine Doppelstrategie in der Dopingpraxis verfolgte: Bei internationalen Wettkämpfen war Doping zur Nutzung des Leistungsvorteils „Pflicht“, während bei nationalen Begegnungen auf Doping verzichtet wurde, um eine Chancengleichheit zu gewährleisten (Spitzer, 2007).

Als das IOC Trainingskontrollen in der DDR einführte, kam es schließlich zur postanabolen Phase des Zwangsdopings. Da man nun Gefahr lief, während der Vorbereitungsphase kontrolliert zu werden, musste man die bewährte Dopingpraxis umstrukturieren. Psychopharmaka und exogen zugeführte, körpereigene Opiate, anabole Niedrigdosierungen und Eiweißkonzentrate, Plasmaexpander aus der Notfallmedizin als EPO-Ersatz und gezieltes Blutdoping sollten erprobt werden. Dazu kam es jedoch nie, weil die Herrschaftsstrukturen 1989 aufgelöst wurden (Spitzer, 2007).

2.2 Organisationsstrukturen im DDR-Sport

Die Erringung einer internationalen Spitzenposition im Sport war die Zielsetzung des Politbüros der SED, dem höchsten Machtorgan der DDR. Im Zentralkomitee der SED war Manfred Ewald, der Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) verantwortlich für dieses Ziel. Er hatte auch den Vorsitz in der Leistungssportkommission (LSK), die als ein Verbindungselement zwischen Politik und Sport zu verstehen ist. Sie gab unter anderem die Richtung des flächendeckenden Zwangsdopings an, das dann von den übrigen Organisationen umzusetzen war. Dazu zählt vor allem der DTSB, der ein Dachverband aller Sportbände der DDR war. Er gliederte sich in 15 Bezirkssportorganisationen, die wiederum in Stadtbezirks-, Kreis- und Stadtorganisationen sowie Sportgemeinschaften unterteilt waren. Auch alle Sportausschüsse standen unter der Leitung des DTSB.

Das „Sportministerium der DDR“ war das sog. Staatssekretariat für Körperkultur und Sport (SKS) in Berlin. Es bestimmte die systematische Förderung des Leistungssports und plante Sportbauten, -geräte und -materialien, war also auch für die Verteilung der Investitionsmittel im Sport zuständig. Ihm unterstanden verschiedene Institute und Hochschulen, die Trainerausbildung und der Sportmedizinische Dienst (SMD). Nennenswert ist an dieser Stelle noch die Organisationsstruktur des SMDs, dem unter anderem das Zentralinstitut (ZI) unterstellt war und somit das Doping-Kontrolllabor in Kreischa. Diese Konstellation aus medizinischer Forschung und Trainerausbildung ergänzte sich ideal zu einer optimalen Wettkampfvorbereitung und „medizinischer Unterstützung“ der Sportlerinnen und Sportler (Piel & Schäfter, 2018).

3 Riss – Mein Leben zwischen Hymne und Hölle

3.1 Äußere Quellenkritik

Das Buch „Riss – Mein Leben zwischen Hymne und Hölle“ ist eine Autobiographie des DDR-Goldmedaillengewinners Christian Schenk, die mithilfe des freien Autors Fred Sellin verfasst und am 29.08.2018 vom Droemer Verlag in München veröffentlicht wurde. Fred Sellin, geboren 1964, studierte Journalistik und arbeitete daraufhin jahrelang als Redakteur bei diversen Tages- und Wochenzeitungen. Er machte sich selbstständig als freier Autor und betreute und verfasste unter anderem die Autobiografien von der Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch, den Klitschko-Brüdern, dem deutschen Schauspieler Ben Becker sowie Biografien über Heinz Rühmann und Boris Becker. Christian Schenk, geboren 1965 in Rostock, ist der Sohn des DDR-Meisters im Hürdenlauf Eberhard Schenk. Er wechselte 1975 vom Turnen zur Leichtathletik und 1982 spezialisierte er sich auf den Zehnkampf. Er startete auf nationaler Ebene für den SC Empor Rostock und trainierte zu DDR-Zeiten unter Klaus-Gerhard Schlottke. Sein größter Erfolg war bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, wo er unerwartet die Goldmedaille im Decathlon für die DDR gewann (8488 Punkte). Nach der Wende startete er für die Bundesrepublik Deutschland und errang bei der WM 1991 in Tokio eine Bronzemedaille. Bemerkenswert ist seine Bestleistung von 8500 Punkten, die er 1993 – also nach der Zeit des DDR-Zwangsdopings – in Stuttgart erreichte. Seine Hochsprungbestleistung von 2,27m im Straddle ist bis heute ungeschlagen. Während seiner Karriere begann er ein Medizinstudium, konnte dies allerdings aus Zeitgründen nicht beenden und studierte später Publizistik in Mainz. Nach seiner Sportkarriere arbeitete er von 1994-96 als Leichtathletik-Experte beim ZDF-Sport und machte sich 1996 erfolgreich mit einer Agentur für Sport- und Gesundheitsmarketing selbstständig. Er erkrankte an einer Depression und leidet an einer bipolaren Störung. Nach zwei gescheiterten Ehen, die zwei Söhne hervorbrachte, lebt er mit seiner schwerkranken Mutter in seinem Elternhaus auf Rügen (Riss).

Die Adressaten seiner Biographie sind nicht nur alle sportbegeisterten Leichtathletik-Fans, sondern auch Familienmitglieder, Freunde, ehemalige Mitstreiter und Konkurrenten sowie alle Kritiker, die ihn jahrelang des Dopings bezichtigten. Er möchte mit dem Buch seine Vergangenheit aufarbeiten und das wissentliche Doping gestehen, um mit dem Thema abzuschließen. Außerdem versucht er, seinen Freunden und Familienmitgliedern seine Krankheit näher zu bringen und verständlich zu machen (Schenk & Sellin, 2018).

3.2 Innere Quellenkritik

Die Thematik des Buchs lässt sich in den Komplex des DDR-Zwangsdopings einordnen. Es ist eine Darlegung des Geschehenen aus erster Hand und reiht sich somit in die Liste der Autobiographien von DDR-Sportfunktionär Thomas Köhler und Skisprunglegende Hans-Georg Aschenbach ein. Es stellt die subjektive Wahrnehmung eines Opfers des Dopingsystems dar und ist als persönlicher Kommentar zum damaligen Spitzensport zu verstehen. Der Autor verfolgt die Absicht, seine Sicht der Dinge darzustellen und Einblicke in das Leben eines DDR-Spitzensportlers zu geben. Er skizziert die Trainings- und Dopingmethoden, die ihn in seiner Karriere begleitet haben und stellt dar, welche Rolle er im damaligen System einnahm. Da die DDR den Sport aus politischen Gründen massiv förderte, war seine Funktion als Spitzensportler überaus wichtig. Diese Stellung versucht er zu unterstreichen.

Es handelt sich um eine Autobiographie und keinen Tatsachenbericht, daher müssen die Aussagen Christian Schenks kritisch hinterfragt und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Er gesteht zwar das wissentliche Doping und seine freiwillige Entscheidung zur Einnahme des Oral-Turinabols ein, es bleibt jedoch fragwürdig, ob es sich bei dieser Freiwilligkeit tatsächlich um eine freie Entscheidung handelt, oder ob nicht doch ein Zwang dahintersteht, der von Schenk verdrängt wird.

Die Darstellungen seiner Krankheit und des Lebens nach dem Sport sind überaus interessant und sollten an anderer Stelle aufgearbeitet werden, um die Spätfolgen eines jahrelangen Dopings zu erfassen, der Fokus der folgenden Analyse liegt jedoch auf seiner Beschreibung der Dopingpraktiken und seiner Einstellung dazu.

[...]


[1] 18 Millionen Einwohner. Judt (2013).

[2] Erstmals Berendonk (1991); thematisch ebenfalls lesenswert ist Spitzer (2005).

[3] Vor allem Pervitin, das bereits im Zweiten Weltkrieg zur Leistungssteigerung missbraucht wurde. Vgl. Spitzer (2007).

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Doping mit System. Quellenkritische Analyse von Christian Schenks "Riss"
College
University of Münster
Grade
2,0
Author
Year
2018
Pages
17
Catalog Number
V444255
ISBN (eBook)
9783668814134
ISBN (Book)
9783668814141
Language
German
Keywords
doping, system, quellenkritische, analyse, christian, schenks, riss
Quote paper
Christoph Niemann (Author), 2018, Doping mit System. Quellenkritische Analyse von Christian Schenks "Riss", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444255

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Title: Doping mit System. Quellenkritische Analyse von Christian Schenks "Riss"



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