Thomas Morus' Utopia als die gerechtere Gesellschaft?

Ein Essay über Gleichheit und Gerechtigkeit


Essay, 2017

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Utopia - Die Beweggründe

2. Utopia - eine Einführung

3. Die kommunistische Richtung

4. Utopia - die gesellschaftliche Organisation
4.1 Arbeitsregelung
4.2 Soziale Beziehungen
4.3 Das Kriegswesen

5. Die politische Organisation

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Utopia - Die Beweggründe

Der um 1478 in London geborene Thomas Morus gilt mit seinem literarischen Werk „Utopia“, das er um 1516 in lateinischer Schrift verfasste, als Begründer der modernen Sozialutopie. Aufgeteilt in zwei Büchern thematisiert er hier ein Ideal einer Gesellschaft fernab von den zu dieser Zeit in England herrschenden Strukturen, die insbesondere zu Ungunsten der unteren Klassen ausfielen.1 Die Verhältnisse, die im England des 16. Jahrhunderts vorzufinden waren, stellten den wesentlichen Beweggrund für Morus zum Schreiben dieses Buches dar. Wie auch in anderen Ländern waren die Menschen zu dieser Zeit abhängig von den jährlichen Ernteergebnissen, da die Import- und Exportmöglichkeiten noch sehr gering waren. So lebten 90% der englischen Bevölkerung auf dem Land, um dort mit landwirtschaftlichen Schwerstarbeiten ihr existenzielles Überleben zu sichern. Erst als der aus dem Westen kommende Frühkapitalismus seinen Weg nach England fand, wurden die Städte, vor allem aber die heutige Hauptstadt London, von Menschenmassen überflutet. Allerdings war diese Verstädterung keineswegs die Folge positiver Entwicklungen. Vielmehr begünstigte sie die Verarmung der Menschen, die durch Landarbeit ihr täglich Brot verdienten. So wurden Bauern von ihrem Land gewaltvoll vertrieben und flüchteten in die nahegelegenen Städte, wo sie dann auf den Straßen verhungerten, sofern sie nicht als Tagelöhner in den neu entstandenen Fabriken Arbeit fanden.2 Die wirtschaftlichen Veränderungen hatten zur Folge, dass sich die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich verschärfte, wobei das Lager der Besitzenden die deutliche Minderheit bildete.

Empört über derartig strukturierte Verhältnisse machte es sich Morus zur Aufgabe einen Staat zu entwickeln, der auf der Idee einer idealen Gesellschaft beruht. Sein dabei entstandenes Werk „Utopia“ kann als brechnung zum Frühkapitalismus gesehen werden, welches die am Beispiel Englands entstandenen Ungerechtigkeiten versucht auszuloten.

Im Folgenden soll erörtert werden, inwiefern es Morus gelungen oder auch nicht gelungen ist, einen für alle gerechten Idealstaat zu konstruieren. Dabei sollen Parallelen zum sich im 19.

Jahrhundert etablierten Kommunismus gezogen werden, welcher, wie Utopia selbst, durch die Umsetzung bestimmter, egalitaristischer Ideen versucht, Gerechtigkeit zu erlangen.

2. Utopia - eine Einführung

Utopia ist die Vorstellung eines Idealstaats, der für Gerechtigkeit stehen und in welchem keinem Menschen durch das Fehlen eben dieser Leid widerfahren soll. Die Frage der Auslegung der Gerechtigkeit allerdings ist ein viel diskutiertes, vor allem aber sehr komplexes Thema. Bereits weit vor Morus, der im späten Mittelalter des 16. Jahrhunderts lebte, machten sich Menschen darüber Gedanken, wie Gerechtigkeit auszulegen sei, damit sie auf allgemeinen Zuspruch treffen würde. Der römische Jurist Ulpian beispielsweise, der bis etwa 228 nach Christus lebte, betrachtete die Gerechtigkeit als einen „festen und dauernden Willen, jedem sein Recht zuzuteilen.“3 Aufgrund der nicht zu unterschätzenden Komplexität des Begriffs kann an dieser Stelle allerdings keine allgemeingültige Definition gefunden werden. Die folgende, schriftliche Auseinandersetzung soll deshalb entlang eines von mir festgelegten Gerechtigkeitsmaßstabes erfolgen, unter welchem jedem Menschen sein Recht unter der Voraussetzung des Vorhandenseins materieller und sozialer Ressourcen, die zur Aufrechterhaltung seiner Würde notwendig sind, zugeteilt wird.

Morus‘ Idee, wie ein solches Prinzip der Zuteilung von Rechten umgesetzt werden könnte, basiert in erster Linie auf der Anwendung radikaler Gleichheitsgrundsätze. Das betrifft vor allem die Verteilung materieller Güter, die hauptsächlich an der Existenzsicherung eines jeden beteiligt sind. Die ungleichen Verteilungen dieser Güter verschulden die Verarmung und nicht selten den Tod der Menschen, die unzureichend darüber verfügen, während die Minorität derjenigen, die den Anspruch auf einen Großteil des Guts haben, in Überdruss leben und aus ihrem Eigentum zusätzlichen Profit schlagen. Zur Ausklammerung derartig ungleichmäßiger Verhältnisse konstruierte Morus eine Gesellschaft, die zum einen ohne Geld auskommt und zum anderen eine Gleichverteilung der übrigen materiellen Ressourcen vorsieht. So basiert das Zusammenleben in Utopia auf einer kollektiven Gemeinschaft, die ganz nach dem Motto „alles gehört allen“ die Sicherung eines grundlegenden Wohlstandes vorsieht: Kleidung und Unterkünfte werden vom Staat gestellt, Nahrung gemeinsam in dafür vorgesehenen Sälen eingenommen, und jegliche Einrichtungen, beispielsweise für Bildung oder Gesundheitswesen, nach Belieben oder bei Bedarf zur freien Verfügung gestellt. Zur Aufrechterhaltung dieses Lebensstandards ist die Arbeit auf dem Feld für jeden, der dazu in der Lage ist, vorgesehen. Die landwirtschaftlichen Tätigkeiten kommen der Gemeinschaft zu Gute, die dann letztendlich auch gemeinschaftlich ihren Nutzen daraus zieht.

3. Die kommunistische Richtung

Aus heutiger Sicht kommt dieses Grundgerüst Utopias am ehesten den sich im 19. Jahrhundert etablierten Kommunismus gleich. Bekannte Vertreter wie Marx oder Engels versuchten genauso wie Morus im Zuge des Kapitalismus, dessen Entwicklung zunehmend durch die Industrialisierung bedingt war, ein Konzept zur Ausklammerung der dadurch entstehenden Ungleichheiten zu finden. Die Idee des Kommunismus als herausfordernder Gegenspieler zum Kapitalismus besteht in der Abschaffung des Privateigentums als „Ursache allen Übels“4 zur Herstellung einer klassenlosen Gesellschaft. Die Gleichverteilung materieller Güter ist sowohl in Utopia, als auch in der viel später stattfindenden, kommunistischen Bewegung das Hauptaugenmerk, das sich zugleich auf das Wohlergehen der Gemeinschaft richtet. Damit entspringen beide Sozialutopien einem eigentlich lobenswerten und nicht zu verachtenden Beweggrund. Die Aufhebung von Reichtumsunterschieden geht einher mit Ideen, die dem positiven Zusammenleben einer Gemeinschaft tatsächlich entgegenkommen würden. So könnte verhindert werden, dass Reiche politischen Einfluss nehmen und dadurch die Ausbeutung der Armen verstärkt wird. Damit wäre eine signifikante Voraussetzung für eine gemeinsame, vernünftige Willensbildung geschaffen. Auch die Solidarisierung der Gesellschaft könnte dadurch Früchte tragen, da sich alle Menschen auf einer Ebene begegnen und nicht anhand ihres Besitzes in gesellschaftliche Gruppen eingeteilt werden würden, in welchen sie dann völlig isoliert zu anderen Gruppen miteinander leben.5 Und dennoch trifft die Idee einer egalitären Gerechtigkeit, unter welcher man die Gleichbehandlung mit Blick auf andere versteht6, sowohl in der kommunistischen Bewegung7, als auch in dem viel früher entstandenen literarischen Werk Morus‘ auf starke Kritik, die dafür verantwortlich ist, dass beide Konstrukte hinsichtlich des angestrebten Ziels einer gerechten Gesellschaft zum Scheitern verurteilt sind. So hinterfragte bereits Aristoteles die Bedeutung einer auf Gemeinbesitz beruhenden Gesellschaft mit der Behauptung, Menschen würden durch eben diesen gemeinschaftlichen Besitz eher zu Auseinandersetzungen neigen, als durch die Anerkennung von Privateigentum.8 Dies lässt vermuten, dass die eigentliche „Ursache allen Übels“ viel tiefer reicht, und das Privateigentum vielmehr eine sich daraus ergebende Folge zu sein scheint. Denn die Ungleichheit der Menschen liegt in ihrer Natur, weshalb die Umsetzung eines auf Gleichheit beruhenden Systems einer Umgestaltung eben dieser Natur zugrunde liegen müsste. Aus der Evolutionsbiologie ist uns allerdings bekannt, dass die menschliche Natur nicht nach Belieben formbar ist. So verfügen die meisten Lebewesen dieser Welt über instinktive Verhaltensweisen, die, nicht selten zu Ungunsten anderer Lebewesen, ihr eigenes Überleben sicherstellen sollen. Diese nach Darwin ausformulierte und anerkannte Theorie, in welcher „der Stärkere gewinnt“, kann ebenso auf das Missglücken kommunistischer Versuche und damit auch auf Utopia selbst übertragen werden. So kann der Besitz an Privateigentum verglichen werden mit dem von Tieren eingenommenen Lebensräumen, die sie um ihres Überlebens willen instinktiv verteidigen. Der Grund und Boden, das darauf grasende Nutzvieh, sowie der Handel mit dem aus der Landwirtschaft gewonnenen Erzeugnis kann beschrieben werden als eine „Grundlage für Privateigentum, welche eine permanente Eigenschaft des sozialen Lebens darstellt und als solche unüberwindbar ist.“9 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die von Morus angestrebte Auslotung der Habgier der Menschen nicht durch die Abschaffung des Geldes erreicht werden kann.

Weiterhin sehen kommunistische Anhänger die Abschaffung des Privateigentums als Voraussetzung für die Freiheit, denn das Zusammenleben in einer materialistisch geprägten Gesellschaft versetzt jedes einzelne Mitglied dieser in eine materielle Abhängigkeit, die sie an der Verwirklichung ihrer selbst zu hindert scheint.10 Ausgehend von dieser These kann die von Schopenhauer aufgestellte Begriffsfindung aufgeführt werden, welche die Freiheit als „ bwesenheit von alledem, das uns in irgendeiner Weise hemmt oder hindert“11 beschreibt. Nach der kommunistischen Theorie hätte der Übergang des Privateigentums in den Gemeinbesitz eine vollkommene Unabhängigkeit jedes Einzelnen zur Folge, welche die Freiheit der Menschen und damit die freie Entfaltung ihrer selbst erst möglich mache, da sie, laut Definition, nichts daran hindern oder hemmen würde. Doch ganz offensichtlich wäre das Gegenteil der Fall. Zum einen nämlich müsste man den Menschen ihr Privateigentum erst einmal entziehen, bevor es verstaatlicht werden kann, was im Zusammenhang mit den oben beschriebenen, instinktiven Verhaltensweisen der Menschen auf Widerstand treffen würde, zum anderen aber, und das ist der entscheidende Punkt, führt die Verstaatlichung der Produktionsgüter die Menschen in eine neue, viel stärkere Abhängigkeit. Somit ist der Einzelne gebunden an die Gemeinschaft und ihr Funktionieren, und die Gemeinschaft wiederum an die Institution, welche die Produktionsgüter verwaltet.

4. Utopia - die gesellschaftliche Organisation

Die radikale Umstrukturierung Utopias gegenüber der zu dieser Zeit in England bestehenden Verhältnissen bezieht sich nicht nur auf die Abschaffung des Geldes und des Privateigentums, welche als wesentliche Schnittstellen zum Kommunismus sichtbar werden. So kann neben der Verteilung materieller Güter auch die Ordnung sozialer Werte angesprochen werden. Diese Werte können in Dimensionen kategorisiert werden, die den Menschen in seiner Würde schützen und somit grundlegend für ein menschenwürdiges, und nur dann gerechtes Leben sind. Darunter zählen politische und individuelle Selbstbestimmung, leibliche Unversehrtheit, gesellschaftliche Anerkennung, leibliche und emotionale Zuwendung, oder auch Möglichkeiten der Besonderung.12 Dabei folgt Morus auch hier wieder gewissen Gleichheitsprinzipien, die dem Ziel einer gerechten Gesellschaft entgegenkommen sollen.

[...]


1 Vgl. Morus, Thomas; Beck, Jürgen (Hrsg.): Utopia. Altenmünster: Jazzybee Verlag, 2016.

2 Vgl. Maurer, Michael: Geschichte Englands. Stuttgart: Reclam, 2000, Seite 60ff.

3 Springer Gabler Verlag (Hrsg.): Gerechtigkeit. In: Gabler Wirtschaftslexikon. Online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/6013/gerechtigkeit-v9.html. [letzter Aufruf: 27.02.2017].

4 Vgl. Pipes, Richard: Kommunismus. Berlin: Berliner Taschenbuchverlag, 2003, Seite 21

5 Vgl. Michel, Heiner: Warum Gleichheit? Eine Kritik des liberalen Egalitarismus. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2004, Seite 175 ff.

6 Krebs, Angelika (Hrsg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit. Texte der neuen Egalitarismuskritik. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2000, Seite 10.

7 Vgl. Pipes, R., 2003, Seite 11

8 Vgl. Pipes, R., 2003, Seite 16

9 Pipes, R., 2003, Seite 207

10 Vgl. Pipes, R., 2003, Seite 31

11 Gleixner, Jörg (Hrsg.): Freiheit. In: Schopenhauers Kosmos. Augsburg. Online im Internet. URL: http://www.schopenhauers-kosmos.de/Freiheit. [letzter Aufruf: 27.02.2017].

12 Vgl. Michel, Heiner: Warum Gleichheit? Eine Kritik des liberalen Egalitarismus. Frankfurt: Campus Verlag, 2011, Seite 20.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Thomas Morus' Utopia als die gerechtere Gesellschaft?
Untertitel
Ein Essay über Gleichheit und Gerechtigkeit
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V446504
ISBN (eBook)
9783668827387
ISBN (Buch)
9783668827394
Sprache
Deutsch
Schlagworte
thomas, morus, utopia, gesellschaft, essay, gleichheit, gerechtigkeit
Arbeit zitieren
Jessica Bauer (Autor:in), 2017, Thomas Morus' Utopia als die gerechtere Gesellschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446504

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