Digitalisierung in der Unternehmensberatung. Wie die digitale Transformation das Geschäftsmodell der Strategieberater verändert


Textbook, 2019

73 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Digitalisierung
2.2 Geschäftsmodelle in Zeiten des Hyperwettbewerbs

3 Untersuchung der aktuellen Entwicklungen der Beratungsbranche
3.1 Kurzer Überblick zum deutschen Beratungsmarkt
3.2 Disruption der Professional Service Firms
3.3 Sehen Berater ihr Geschäftsmodell im Wandel?
3.4 Digital Labs und Start-Ups
3.5 Neue Beratungsansätze
3.6 Freelancer Matching Plattformen

4 Diskussion
4.1 Die Zukunft der Strategieberatung
4.2 Ersetzt Virtuelle Präsenz den Kundenbesuch?
4.3 Gibt es bald nur noch Freelancer?
4.4 Bleiben Strategieberater Solution Shops?

5 Fazit und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Evolutionsstufen digitaler Transformation

Abbildung 2: Pfade der digitalen Transformation

Abbildung 3: Wie sich traditionelle Geschäftsmodelle zu digitalen verhalten

Abbildung 4: Anteil der Nutzung von Online-Banking

Abbildung 5: Anzahl Bankstellen in Deutschland

Abbildung 6: Komplexität der IT-Architektur

Abbildung 7: Design-Prinzipien digitaler Geschäftsmodelle

Abbildung 8: Taxonomie von Analytics

Abbildung 9: Wissensarbeitsplatz der Zukunft

Abbildung 10: Typisierung digitaler Dienstleistungen

Abbildung 11: Performance Nachfrage und Angebot

Abbildung 12: Produktzyklen in Zeiten der Digitalisierung

Abbildung 13: Wachstumsprognose Consultingmarkt 2016

Abbildung 14: Marktanteile von Unternehmensberatungen nach Umsatzklassen

Abbildung 15: Erfolgsabhängiges Projekthonorar

Abbildung 16: Wie stark wird die Digitalisierung Ihr Geschäftsmodell und Ihre Prozesse in den nächsten 5 Jahren verändern?

Abbildung 17: Gründe für eine weniger gute Ausgangslage von Unternehmensberatungen in punto Digitalisierung

Abbildung 18: Digital Labs in Deutschland

Abbildung 19: Typologien Digital Labs in Deutschland

Abbildung 20: Die Beratungsleistung an sich wird sich weiter digitalisieren

Abbildung 21: Gründe für die Nicht-Nutzung von Beratungsleistung

1 Einleitung

Eingeleitet wurde die Digitalisierung oder auch digitale Revolution mit einer Entdeckung von Gordon Moore im Jahre 1965. Moore stellte in der Fachzeitschrift Electronics die These auf, dass eine ständige Leistungssteigerung der Mikroprozessoren bei sinkenden Kosten zu erwarten sei. Die erste Schätzung Moores von einer jährlichen Verdopplung dämpfte sein damaliger Intel-Kollege auf eine Verdopplung alle 18 Monate. Und diese Beobachtung gilt bis heute, 51 Jahre später. Seine Beobachtung, der sich stetig verbessernden Mikroprozessoren war der Grundstein einer Revolution hin zu der digitalen Gesellschaft wie wir sie heute kennen. Immer leistungsfähigere Prozessoren, die Entwicklung immer kleinerer Endgeräte und die zunehmende Vernetzung haben unseren Alltag nachhaltig verändert. Heute ist die Digitalisierung das beherrschende Thema quer durch alle Industrien und Dienstleistungssektoren. Sie hat bereits mehrere Branchen völlig verändert, hat bewährte Geschäftsmodelle auf den Kopf gestellt und Branchengrenzen aufgebrochen.1 „Konsumenten, Kunden und selbst das ganze Wirtschaftssystem wurden durch die Digitalisierung beschleunigt, volatiler und dadurch weniger berechenbar.“2 „Doch nicht nur die Kunden aus der Industrie, auch die Unternehmensberater selbst müssen das eigene Geschäft für die digitale Zukunft fit machen“, ist BCG-Deutschlandchef Carsten Kratz überzeugt.3 „Für alle Berater stellt die Digitalisierung heute neben der Globalisierung die größte Herausforderung dar.“4

Harvard Professor Clayton Christensen schrieb 2013 im Harvard Business Review über die bevorstehende Disruption bei den Beratern. Die Beratungsbranche stehe noch ganz am Anfang des Transformationsprozesses, aber die ersten Anzeichen für einen Wandel wären erkennbar. Ziel dieser Arbeit ist eine auf den Beobachtungen von Christensen aufbauende Einschätzung der Auswirkungen der digitalen Revolution auf das Geschäftsmodell von Strategieberatern in Deutschland. Der aktuelle Stand der Digitalisierung soll analysiert werden und aufkommende Entwicklungen der Branche beurteilt werden. Hierfür werden zunächst die theoretischen Hintergründe der Digitalisierung erklärt und die Pfade beschrieben, auf denen ein Unternehmen den Digitalisierungsprozess durchlaufen kann. Anschließend soll der Begriff des Geschäftsmodells zunächst näher erläutert werden, um darauf aufbauend die Potenziale und Gefahren von Geschäftsmodellinnovationen in Zeiten der Digitalisierung aufzuzeigen. Danach wird eine Untersuchung der aktuellen Entwicklungen des Strategiemarktes durchgeführt, um den Stand der Transformation festzustellen und den Markt nach neuen, sich entwickelnden Geschäftsmodellen zu sondieren. Im dritten Teil dieser Arbeit sollen die zuvor gefundenen Ergebnisse kritisch betrachtet und mit Meinungen aus Wirtschaft und Wissenschaft abgeglichen werden. Schlussendlich folgt ein Fazit über die Entwicklungen der Strategieberatung und es soll ein Ausblick gegeben werden, wie das Geschäftsmodell der Strategieberatung in einer digitalen Welt aussehen kann.

Um das zuvor beschriebene Ziel der Arbeit zu erreichen, wurde zunächst eine Literaturrecherche zu „Digitalisierung der Unternehmensberatung“ durchgeführt. Verwendete Stichwörter waren unter anderem: Consulting 4.0, Digitalisierung; Unternehmensberatung; Digitization; Consulting. Genutzt wurden hierfür die Datenbanken EBSCOhost, Genios/Wiso und Springer. Anschließend wurde durch eine Rückwärtsrecherche die Grundlagenliteratur für den theoretischen Hintergrund ermittelt. Danach wurde mit Hilfe von Google Scholar eine Vorwärtsrecherche zu den bereits gefundenen Werken durchgeführt. Zur Untersuchung der aktuellen Entwicklungen wurden zuerst Schlagwörter aus der wissenschaftlichen Literatur in der Genios Datenbank recherchiert, um aktuelle Zeitschriften- und Zeitungsartikel bezüglich der Entwicklungen in den Beratungen ausfindig zu machen. Später wurden die Internetseiten der Beratungshäuser, Fachspezifische Internetseiten und in den wissenschaftlichen Arbeiten erwähnte Plattformen analysiert.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Digitalisierung

2.1.1 Definition

Eine genaue Definition des Begriffes Digitalisierung existiert momentan nicht. Vielmehr werden in der Literatur häufig die vielen Entwicklungen und Innovationen aufgeführt, die nach Meinung der Autoren zur Digitalisierung beigetragen haben.5 Sie erlauben es Unternehmen und Konsumenten nicht nur bisherige Abläufe und Prozesse effizienter zu gestalten, sondern bieten ein enormes Potenzial völlig neuer Ansätze und Werkzeuge über sämtliche Bereiche der Wertschöpfung von Unternehmen. So sieht der Großteil der Autoren als Grundsteine dieser Entwicklung vor allem die heutige Form des Internets und den steigenden Anteil an intelligenten Maschinen. Der starke Anstieg der zur Verfügung stehenden Rechenleistung in Kombination mit der zunehmenden Vernetzung aller beteiligten Entscheidungsfinder, macht Maschinen intelligenter und hilft Menschen beim Bearbeiten und Lösen von komplexen Problemen. Jaekel unterscheidet bei der Analyse digitaler Geschäftsmodelle prinzipiell zwischen drei verschiedenen Phasen der Digitalisierung. Jede Phase war durch ihre eigenen Innovationen und neuen Technologien geprägt. Und alle drei haben unterschiedliche Einflüsse auf die Wirtschaft ausgeübt (Siehe Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Evolutionsstufen digitaler Transformation

Quelle: Jaekel (2015) in Anlehnung an Berman und Bell (2011)

In der ersten Stufe der Digitalisierung wurden neue Wege der Telekommunikation ermöglicht und Betriebsprozesse wurden durch einzelne Softwareprodukte unterstützt. In der zweiten Stufe der Digitalisierung entstehen neue Wirtschaftszweige und Geschäftsprozesse rund um das Thema Internet. Die dritte Stufe ist geprägt durch die Entwicklung diverser mobiler Endgeräte wie Laptop, Smartphone und mittlerweile eine ganze Reihe an digital und intelligent Devices, die in jeder nur denkbaren Lebenssituation den Zugang zu Information und Rechenleistung ermöglichen. So ist es Menschen heutzutage nicht nur möglich durch Cloudlösungen und Software as a Service (Kurz: SaaS) orts- und sogar hardwareunabhängig zu arbeiten, sondern die Digitalisierung durchdringt unser komplettes Leben, vom Kühlschrank mit Internetanbindung über die Puls-Uhr mit Wetterbericht bis hin zur Zahnbürste mit Bluetooth Anbindung ans Smartphone.

Zwar werden in dieser Arbeit lediglich die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Berufsalltag der Strategieberater analysiert, allerdings führt die zunehmende Digitalisierung der Umgebung des Menschen auch zu einem verschwimmen der Grenzen zwischen privatem Leben und Berufsalltag. Vor allem neu aufkommende Arbeitsweisen wie Home- oder Mobile Office – die durch die Digitalisierung ermöglicht wurden – verstärken diesen Effekt. Werden diese Teilbereiche der Digitalisierung noch mit Skepsis betrachtet, so sind an anderen Stellen die Transformationsprozesse schon voll im Gange.

Als ein Beispiel sei hier die computergestützte Verarbeitung von „Big Data“ zu nennen. „Unternehmen sind durch die mittlerweile sehr fortgeschrittenen analytischen Informationssysteme in der Lage, die stetig wachsenden Datenmengen effizient und effektiv zu verarbeiten und semiautomatisch zu analysieren.“6 Diese Informationssysteme durchforsten riesige Datenmengen mithilfe intelligenter Algorithmen, um Tendenzen, Cluster oder Muster zu erkennen. Dadurch können nicht nur Entwicklungen der Masse analysiert werden, sondern Untersuchungen können bis auf ein einzelnes Individuum heruntergebrochen werden. Trotz der steigenden Menge an Daten ist eine differenziertere und detailliertere Ansicht ermöglicht. So können beispielsweise Konzerne die Massenmärkte bedienen und trotzdem ein Customer-Relationship-Management aufzubauen, dass auf jeden individuellen Kundenwunsch eingehen kann. Ermöglicht wird diese Art von digital CRM durch intelligente Informationssysteme, die Daten zu Kunden sammeln und detailliert auswerten.

Ein weiteres großes Anwendungsfeld der Digitalisierung ist die Automatisierung von Produktionsprozessen in Industrieunternehmen. Oft ist von Industrie 4.0 oder von Internet of things die Rede. Der steigende Grad an Computertechnik in Produktionsmaschinen ermöglicht durch die Vernetzung der einzelnen Produktionsmaschinen und die Entwicklung von miteinander kommunizierenden Fertigungsgütern völlig neue Prozesssteuerungsmöglichkeiten.

All diese neuen Technologien bieten eine Fülle an Möglichkeiten von neuartigen Prozessgestaltungen für Unternehmen. Doch für die Umgestaltung und Verbesserung der eigenen Prozesse fehlen häufig das notwendige Fachwissen und der ausreichende Abstand zu den eigenen Abläufen. Daher werden Berater ins Haus gerufen, um bei der Initiierung und der Durchführung der Veränderungsprozesse zu assistieren. Nicht ohne Grund wird deshalb die Digitalisierung als maßgeblicher Einflussfaktor für das Umsatzwachstum der Beratungs-branche angegeben.7 Verwunderlich hierbei ist der teilweise stark abweichende Grad der Digitalisierung zwischen Kunde und Berater. Zwar helfen viele Berater tagtäglich ihren Kunden bei der Neuaufstellung ihrer Prozesse, haben ihre Eigenen jedoch bisher noch kaum umgestaltet.

Da der Begriff der Digitalisierung sehr weit gefasst ist, sollen in den folgenden Kapiteln zunächst die Anforderung der Digitalisierung an ein Unternehmen, einen Prozess und an die Mitarbeiter des Unternehmens erläutert werden, um anschließend drei verschiedene Pfade der Digitalisierung aufzuzeigen, über die ein Unternehmen den Veränderungsprozess durchlaufen kann.

2.1.2 Anforderungen

Um die Veränderungsprozesse von sich digitalisierenden Unternehmen besser zu verstehen, soll nun besonderes Augenmerk auf die spezifischen Eigenschaften und die Anforderungen der Digitalisierung gelegt werden. Ein Anhaltspunkt zur Identifikation digitaler Produkte und Prozesse geben Shapiro und Varian. Sie definieren den Begriff der Information mit der hinreichenden und notwendigen Bedingung: „… anything that can be digitized – encoded as a stream of bits – is information.“8 Somit ist jegliche Information digitalisierbar. Und weiter noch sind es ausschließlich Informationen, die sich als digitalisierbar erweisen.

Somit können physische Produkte nicht digitalisiert werden. Wohl aber können sie durch digitale Komponenten erweitert oder der das Produkt betreffende Informationsfluss verändert werden. Als gutes Beispiel kann hier ein Kühlschrank dienen: Ein digitaler Kühlschrank hat nach wie vor dieselben physischen Eigenschaften wie sein analoger Vorgänger, jedoch erweitert um digitale Funktionen wie MHD-Kontrolle oder ein Display mit der aktuellen Wochenwerbung der Lebensmitteleinzelhändler der Umgebung.

Betrachtet man jedoch das Geschäftsmodell eines Unternehmensberaters, so werden kaum physische Güter ausgetauscht. Kunden bezahlen ausschließlich für eine Dienstleistung der Berater. Häufig wird diese in Form von Informationserhebungen, Datenauswertungen, Diskussionen, Verhandlungen, Lösungsfindungen und Endpräsentationen erbracht. Somit sind die verkauften Produkte von Beratern besonders informationslastig und bieten viele Möglichkeiten zu digitalen Ausgestaltung. Für eine rein digitale Form der Beratungsleistung muss diese allerdings eine Reihe von Bedingungen erfüllen, um durch Informationssysteme verarbeitet werden zu können.9

- Standardisiert: Damit die Leistungen strukturiert erfasst werden können, müssen sie ausreichend standardisiert sein. Zusätzlich greifen effizienzsteigernde Effekte besser bei standardisierten Leistungen
- Modularisiert: Ein Grundprinzip der Digitalisierung ist das Zerlegen großer Einheiten in eine Kombination aus vielen kleinen. Somit können mächtige digitale Lösungen gebaut werden, bei gleichzeitiger Komplexitätsreduktion.
- Anpassbar: Trotz der Standardisierung der Leistungen muss eine Lösung immer an die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden anpassbar bleiben.
- Integriert: Um effiziente digitale Lösungen anzubieten, muss der gesamte Beratungsprozess miteinander vernetzt sein, um isolierte Einzellösungen zu vermeiden.
- Kunden-befähigt: Bei digitalen Beratungsleistungen muss nach wie vor der Kunde in die Entscheidungsfindung eingebunden sein.
- Sozial: Digitale Beratungsleistung sollte alle Stakeholder innerhalb und ggf. sogar außerhalb des Unternehmens einbeziehen.

Inwiefern nun die Beratungsleistung eines Strategieberaters digital zu erbringbar ist, muss für jeden Einzelfall gesondert analysiert werden. Kann meine Leistung standardisiert werden ohne ihre Anpassungsfähigkeit zu verlieren? Ist es möglich unseren Beratungsprozess in Module zu unterteilen? Diese Fragen sind später ausschlaggebend für den Grad der Digitalisierung der Beratungsleistungen. So lassen sich digital erbrachte Beratungsleistungen nach Werth und Greff folgendermaßen klassifizieren:10

1.- Computer unterstützte Beratung bezeichnet den Sachverhalt, dass Softwarewerkzeuge eingesetzt werden, um einzelne Aufgaben eines Beraters zu unterstützen. Dabei sind die Werkzeuge selbst domänenneutral. Nur die Art und Weise wie sie genutzt werden, erzeugt einen Mehrwert für die Beratung selbst. Textverarbeitung, Excel oder Dokumentverarbeitungssysteme sind hierfür typische Beispiele.
2.- Computer gestützte Beratung dagegen umfasst solche Softwarewerkzeuge, die speziell für die Beratungsbranche entwickelt wurden und die in dieser Domäne einzelne Aufgaben spezifisch unterstützt.
3.- Computer gesteuerte Beratung geht darüber hinaus. Hier steht nicht die einzelne Aufgabe im Vordergrund, sondern die Unterstützung der Beratungserbringung als Ganzes. Der wesentliche Unterschied ist dabei der Prozessfokus, während vormals die Funktionsunterstützung im Vordergrund stand.
4.- Computer erbrachte Beratung schließlich zielt weniger auf die Unterstützung als vielmehr auf die Substitution des Beraters. Hier werden Aufgaben, die originär beim beratenden Mitarbeiter liegen, von einem Softwaresystem übernommen. Hier ist es die Anwendung selbst, die die Beratungsleistung (zumindest partiell) erbringt.

Wie genau ein Computer gesteuerter Beratungsprozess aussieht und ob Computer erbrachte Strategieberatung möglich ist, wird in Kapitel 4 näher erläutert. Vorerst soll betrachtet werden, wie Unternehmen die Umstrukturierung ihres Unternehmens hin zu einer digital Enterprise angehen können.

2.1.3 Die drei Pfade der Umsetzung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Pfade der digitalen Transformation

Quelle: Eckert (2014) nach Berman und Bell (2011)

Für Unternehmen, die den Weg der Digitalisierung beschreiten möchten, bieten sich mehrere Möglichkeiten. So betrachtet die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers insbesondere die kundennahen Aktivitäten, wohingegen andere Beratungshäuser die Digitalisierung von innen heraus betrachten und zunächst die eigenen Prozesse digitalisieren.11 Das IBM Institute for business value greift in seiner Studie beide Pfade auf und setzt sie wie in Abb. 2 veranschaulicht in Relation zueinander.12

Führt man das Konzept von IBM noch weiter, ergibt sich noch ein dritter Pfad. Dieser legt den Fokus auf den Aufbau der notwendigen Kernkompetenzen im Unternehmen, um in Anschluss gleichermaßen alle Prozesse im Unternehmen digitalisieren zu können.13 Mit welchen Schritten ein Unternehmen die oben genannten Pfade beschreiten kann und welche Mehrwerte sie jeweils liefern, soll nun erläutert werden.

Beschreitet ein Unternehmen den ersten Pfad (Abb. 2 Kurve [1]) der Digitalisierung, wird es im ersten Schritt grundlegende Kernkompetenzen entwickeln um am Markt erfolgreich zu sein. Darauf aufbauend werden erste Prozesse des Unternehmens digitalisiert, z.B. durch die Entwicklung digitaler Verkaufskanäle (Facebook, Onlinehandel, etc.). Als Beispiel kann hier Burberry genannt werden, die zunächst eine Unternehmenspräsenz auf Facebook aufgebaut haben und anschließend wurde Kunden bei "streaming fashion shows" die Möglichkeit geboten, direkt während der Show die gezeigten Kleider zu bestellen.

Im nächsten Schritt werden die gesammelten Informationen über das gesamte Unternehmen hinweg genutzt. Alle Prozesse, Mitarbeiter und Partner werden eingebunden, um dem Kunden neue Angebote - einer Kombination aus digitalen und physischen Produkten - mit größerem Mehrwert bieten zu können.

Im dritten Schritt werden nun alle Elemente der Wertschöpfungskette durch digitale Technologien integriert, um dem Kunden am Point-of-sale einen voll integrierten und optimierten Mehrwert bieten zu können. Ein Beispiel hierfür liefert Tesco, die durch die Standardisierung und Integration ihrer Absatzsysteme in den Ladenlokalen dem Kunden einen Einkauf via Smartphone und Barcodes ermöglicht haben.14

„Um Kunden ein reales digitales Einkaufserlebnis zu ermöglichen, müssen in der Zukunft liegende Szenarios ausschließlich von der Kundenseite betrachtet werden. Auf diese Art und Weise werden viele der Blindstellen aufgedeckt, da die vorhandenen Grenzen des Unternehmens, der Branche oder des Marktes ignoriert werden. Ideale Zukunftsszenarien müssen sich weigern, die in Stein gemeißelten Spielregeln einzuhalten und weit in die Ferne zu schauen, ohne die aktuellen Konkurrenten zu beachten.“15 Nur so ist anhaltende Nutzeninnovation möglich (Siehe Abb. 2 Kurve [2]).

Startet ein Unternehmen also mit der Digitalisierung der Nutzenangebote für Kunden, werden im ersten Schritt die vorhandenen physischen Produkte durch digitale Komponenten ergänzt, um Kunden weitere Mehrwerte zu bieten. So ermöglicht der Spielzeughersteller LEGO, eigene LEGO-Produkte zu entwickeln und an Designwettbewerben in "virtual communities" teilzunehmen.

Anschließend werden die physischen Produkte nochmals um digitale Komponenten erweitert mit dem Ziel, durch diese weiteren Inhalte neue Erlösströme zu erzeugen. So können bei LEGO die zuvor eigens designten Produkte auch als Baukasten erworben werden.

Abschließend wird das Erlöskonzept des Unternehmens überarbeitet. Die digitalen Produkte werden die zuvor angebotenen physischen Produkte wahlweise komplett ersetzten oder es werden voll integrierte Produkte als Kombination aus digitalen und physischen Komponenten angeboten.16 Wie sich die neuen digitalen Produkte und die Traditionellen ergänzen können, veranschaulicht Roland Berger in Abb. 3.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Wie sich traditionelle Geschäftsmodelle zu digitalen verhalten

Quelle: Roland Berger

So können wie am Beispiel Tesco erwähnt, die digitalisierten Prozesse das traditionelle Geschäft unterstützen. Die digitale Technologie dient hier dazu, die Prozesse des Unternehmens effizienter zu gestalten. Weiterhin können neben den traditionellen Produkten auch digitale Produkte angeboten werden, wie die individualisierten Baukästen von Lego, die neben den existierenden Produkten zusätzlich vertrieben werden. Allerdings ist es auch möglich, dass die digitalen Angebote die traditionellen nach und nach verdrängen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Anteil der Nutzung von Online-Banking

Quelle: Statista/Bundesverband deutscher Banken

Diese Art von digitalem Kannibalismus ist derzeit in der Bankenbranche zu beobachten. Hier wird im Rahmen der Digitalisierung das Online-Banking vorangetrieben (Siehe Abb. 4), allerdings wird dadurch das traditionelle Bankgeschäft in den einzelnen Filialen substituiert und den Zweigstellen die Geschäftsgrundlage genommen (Siehe Abb. 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Anzahl Bankstellen in Deutschland

Quelle: Statista/Deutsche Bundesbank

Der dritte Pfad der Digitalisierung (Siehe Abb. 2 Kurve [3]) wird in Unternehmensberatungen am häufigsten umgesetzt. Hier werden spezielle Maßnahmen ergriffen, um die notwendigen digitalen Kernkompetenzen zu erwerben. Dies geschieht häufig durch ein verstärktes Recruiting von Informatikspezialisten, die zusätzliches out-of-the-box thinking mitbringen und durch Kooperation mit Start-Ups der entsprechenden Bereiche. Neben der Kooperation und Förderung von Start-Ups gibt es Ansätze, durch die Gründung von Digital Labs und Smart Factories die digitalen Kompetenzen im eigenen Haus zu fördern.

Der Vorteil dieser Art von Disruption liegt in der gesamtheitlichen Betrachtung des Geschäftsmodells. Wohingegen bei den ersten beiden Pfaden die zugrundeliegende Frage lautet: „Do we do the things right?“, so wird hier häufig die Frage gestellt: “Do we do the right things?“ Wie schon zuvor erwähnt, können durch die Digitalisierung nicht nur neue agile Eindringlinge den Markt verändern, sondern auch branchenfremde Player mit neuartigen Geschäftsmodellen sind in der Lage die eigene Geschäftsbasis anzugreifen. So hat Apple mit der Einführung des Smartphones nicht nur den Handymarkt verändert, sondern auch der Fotoindustrie massive Umsatzeinbrüche beschert. Angefangen von den Amateurfotographen, die nun keine Kleinbildkameras mehr kaufen und somit das Geschäftsmodell von Sony, Canon und Nikon berühren, bis hin zu den Printstores, die keine Fotoalben mehr verkaufen. Oder der Internetkonzern Google/Alphabet, der durch die Entwicklung von autonom fahrenden Autos in der Automobilbranche zum neuen Konkurrenten wird.

Somit bieten sich Unternehmen viele Möglichkeiten ihr Geschäftsmodell zu digitalisieren und zu erweitern. Dies bedeutet logischerweise auch, dass sich neben verschiebenden Branchengrenzen und neuen Konkurrenten auch die IT-Architektur verändern wird. So hat das Beratungsunternehmen McKinsey festgestellt, dass Unternehmen, die der Digitalisierung einen hohen Stellenwert beipflichten, eine signifikant höhere Komplexität in ihrer IT-Architektur vorweisen (Siehe Abb. 617 ).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Komplexität der IT-Architektur

Quelle: Bossert und Laartz (2016) S. 2

Um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können und gleichzeitig die neuen Anforderungen von digitalen Geschäftsmodellen zu beherrschen, hat Jaekel ein Vorgehensmodell zum Design digitaler Geschäftsmodelle geschaffen (Siehe Abb. 7). Um in der Volatilität der digitalen Wirtschaft Schritt zu halten, sieht er ein Start-Up Vorgehen als erste Bedingung. Eine weitere Voraussetzung sei die notwendige Fehlerkultur bei Start-Ups. Digitale Prozesse und Produkte werden in Iterationsschritten entwickelt. Das hat jedoch zur Folge, dass Prototypen auch mal fehlschlagen können. Zur Steuerung dieser Entwicklungsprozesse sind eine gute Führung und Beteiligung des Top-Managements sowie ein ordentlich strukturiertes Datenmanagement erforderlich. Werden diese vier Punkte von Unternehmen berücksichtigt, können effizienter und effektiver neue digitale Geschäftsmodelle designt werden. Und bei Business Model Prototyping gilt stets: “Think big, start small.”18

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Design-Prinzipien digitaler Geschäftsmodelle

Quelle: Jaekel (2015) S. 47

Letztendlich bieten sich also gleichermaßen neue Chancen und Herausforderungen. Im folgenden Kapitel sollen einige dieser Chancen und Herausforderungen speziell für Unternehmensberater aufgezählt und erläutert werden.

2.1.4 Chancen und Herausforderungen

Durch die Digitalisierung haben Unternehmen die Möglichkeit viele neue Arten von Apps, Programmen, Vernetzungen und Endgeräten zu neuen Prozessen und Produkten zu kombinieren. Doch trotz all dieser neuen Ideen und potenziellen Konzepte ist es wichtig eines zu beachten: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie schafft die reale Welt nicht ab, sondern sie ordnet den Umgang mit ihr neu“, sagt Telekom-CEO Timotheus Höttges.19 Eine Digitalisierung nur um der selbst Willen ist unsinnig, solange kein Mehrnutzen für den Kunden oder das Unternehmen entstehen. Diese Nutzenverbesserungen können Kosteneinsparungen im Unternehmen, Convenience Erhöhung beim Kunden oder verbesserte Performance des Endproduktes sein. Wichtig jedoch ist ein Mehrwert der digitalen Produkte und dieser Mehrwert muss einerseits erkennbar sein, andererseits muss der Preis für den Mehrwert stimmen. Häufig jedoch ist im Vorhinein nicht eindeutig bestimmbar, ob ein neues Produkt ausreichend Mehrwert bieten wird und noch weniger bestimmbar ist der Preis, den Kunden bereit wären zu zahlen. Dieses Risiko der Digitalisierung erfordert eine besondere Fehlerkultur der Unternehmen. Sie ist ein inhärenter Bestandteil der großen Akteure der digitalen Welt. So musste Microsoft 7,6 Mrd. Dollar auf das Mobilfunkgeschäft abschreiben oder Apple stellte 2012 sein Musik-Netzwerk Ping mangels Erfolg ein. Der Gründer von Amazon Jeff Bezos verkündete auf einer Technologie-Konferenz, dass der gescheiterte Smartphone-Vorstoß „Fire-Phone“ Milliarden gekostet hat und eingestellt wird. Das Scheitern ist Bestandteil disruptiver und innovativer Geschäftsmodelle, die mit einer hohen Unsicherheit und Investitionsrisiko verbunden sind.20 Deshalb sollten die nachfolgenden Chancen, die sich durch die Digitalisierung ergeben mit Vorsicht betrachtet werden. Immer nach dem Prinzip von Jaekel: „Think big, start small“21.

2.1.4.1 Big Data und Predictive Analytics

Eine der wichtigsten Beobachtungen der Digitalisierung ist das Mooresche Gesetz. Es handelt sich hierbei um die Faustregel, dass die Komplexität (die Anzahl von Schaltkreiskomponenten auf einer bestimmten Fläche) integrierter Schaltkreise sich in einem regelmäßigen Abstand verdoppelt. Diese Zeitabstände variieren je nach Literatur zwischen 12 und 24 Monaten22, aber der Grundgedanke hat sich bewahrheitet. Ca. alle zwei Jahre verdoppelt sich die verfügbare Rechenleistung und etwa alle 18 Monate verdoppeln sich die im Internet verfügbaren Daten.23 Auch die in Unternehmen anfallenden Daten vermehren sich in ähnlichem Tempo. Diese riesigen Mengen an Informationen werden in der Fachliteratur häufig als „Big Data“ beschrieben.

Big Data bietet Unternehmen viele Möglichkeiten, dafür müssen die Analyse-Prozesse in Unternehmen aber neu gedacht werden. Zwar liegen den Unternehmen Information über Kunden, Konkurrenten, Märkte und Prozess in nie gekanntem Ausmaß vor, jedoch sind die bisherigen Analysetools nicht mehr in der Lage, diese Berge an Informationen zu verarbeiten und jene Kennzahlen zu ermitteln, die für Unternehmen wirklich relevant sind. Zusätzlich müssen der Daten-Qualität und Daten-Aktualität stärkere Bedeutung zugewiesen werden. Doch zuvor ein kleiner Exkurs in die Theorie der Datenanalyse.

[...]


1 Vgl. Palass (2016) S. 8; Thommen und Ruoff (2016) S. 67; Braun (2016) S. 38.

2 Bloching et al. (2016) S. 3.

3 Paravicini (2014).

4 Berger (2016) S. 54.

5 Vgl. Berman und Bell (2011), Binckebanck und Elste (2016); Bloching et al. (2016); Huber und Kaiser (2015); Jaekel (2015).

6 Christ und Ebert (2016) S. 299.

7 o.V. (2015).

8 Shapiro und Varian (1999), S.3 zitiert nach Wetzel (2004) S.99.

9 Vgl. Werth et al. (2016) S. 59 f.

10 Werth et al. (2016) S. 59.

11 Vgl. Eckert (2014) S. 267.

12 Vgl. Berman und Bell (2011) S. 6.

13 Vgl. Eckert (2014) S: 267.

14 Vgl. Eckert (2014) S. 267.

15 Bloching et al. (2016) S.8; Vgl. Pütter (2016).

16 Vgl. Eckert (2014) S. 268.

17 Alle drei Ergebnisse lieferten einen p-Wert, der unter 0.05 lag.

18 Jaekel (2015) S. 45 ff.

19 Braun (2016) S. 40.

20 Vgl. Fuest (2015) S. 30.

21 Jaekel (2015) S. 47.

22 Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Mooresches_Gesetz.

23 Vgl. Braun (2016) S. 38.

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Details

Title
Digitalisierung in der Unternehmensberatung. Wie die digitale Transformation das Geschäftsmodell der Strategieberater verändert
Author
Year
2019
Pages
73
Catalog Number
V448544
ISBN (eBook)
9783960954903
ISBN (Book)
9783960954910
Language
German
Keywords
Unternehmensberatung, Strategieberater, Digitalisierung, Geschäftsmodelle, Customer Relationship Management, Hyperwettbewerb
Quote paper
Dominic Alexander Neu (Author), 2019, Digitalisierung in der Unternehmensberatung. Wie die digitale Transformation das Geschäftsmodell der Strategieberater verändert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448544

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