Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Grundbegriffe des deutschen Abstammungsrechts
I. Abstammung
II. Mutterschaft
III. Vaterschaft
C. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammungsverhältnisse
I. Verfassungsrechtliche Herleitung
1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG)
a. Recht des Kindes auf Kenntnis des biologischen Vaters
aa. Leitentscheidungen des BVerfG
bb. Abwägung mit Grundrechten anderer Beteiligter
b. Recht des Vaters auf Kenntnis der eigenen Abkömmlinge
2. Elternrecht (Art. 6 II 1 GG)
II. Menschenrechtliche Verbürgungen
III. Einfachgesetzliche Ausprägungen
1. Generalklauselartige Auskunftsansprüche
a. Treu und Glauben (§ 242 BGB)
aa. Voraussetzungen
(1) Sonderverbindung
(2) Fehlende eigene Informationsmöglichkeit und fehlendes Verschulden
(3) Zumutbarkeit für den Verpflichteten
bb. Verfassungsmäßigkeit
cc. Auskunftsansprüche im Einzelnen
(1) Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter
(a) Bisherige Rechtsprechung des BGH
(b) Entscheidung des BVerfG vom 24.02.2015
(c) Kritik
(d) Ausblick de lege ferenda
(2) Auskunftsanspruch des Kindes gegen Ärzte und andere Stellen
bei künstlichen Befruchtungsmethoden
(a) Anspruch gegen den behandelnden Arzt
(b) Anspruch gegen die Samenbank
b. Pflicht zu Beistand und Rücksicht (§ 1618a BGB)
2. Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der
leiblichen Abstammung (§ 1598a BGB)
a. Hintergrund
b. Beteiligte
aa. Aktuelle Rechtslage
bb. Entscheidung des BVerfG vom 19.04.2016
cc. Kritik
c. Stellungnahme
3. Anspruch auf Auskunft aus dem Samenspenderregister (§ 10 SaRegG)
a. Auskunftsanspruch
b. Feststellungssperre
c. Zeitlicher Anwendungsbereich
d. Stellungnahme
4. Einsichtsrecht des Kindes in den Herkunftsnachweis (§ 31 I SchKG)
5. Anspruch auf Erteilung von Personenstandurkunden (§§ 62, 63 PStG)
D. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Abkürzungen entsprechen Kirchner, Hildebert / Pannier, Dietrich, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., Berlin 2015.
A. Einleitung
Die Suche nach der Wahrheit über die eigene Herkunft und die natürliche Abstammung beschäftigt viele Menschen ihr Leben lang. Dabei geht es den Betroffenen oftmals in erster Linie nicht um die Geltendmachung von Ansprüchen im Sorge-, Unterhalts- oder Erbrecht, die aus der Abstammung von einer Person resultieren können. Vielmehr steht die Suche nach einer Wahrheit im Mittelpunkt, die ihnen Auskunft geben kann über Vergangenes, Gegenwärtiges und am Ende über sich selbst. Das BVerfG geht daher zutreffend davon aus, dass die Kenntnis der Abstammung eine „Schlüsselstellung für die Individualitätsfindung und das Selbstverständnis“ einer Person einnimmt.1
Die Frage nach dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und der eigenen Abkömmlinge (Abstammungsverhältnisse) stellt sich immer dann, wenn die genetische Abstammung von der rechtlichen Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern abweicht. Dies ist nicht nur bei der Adoption der Fall. Durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz (KindRG)2 vom 16.12.1997 wurde zur Erfüllung des in Art. 6 Abs. 5 GG formulierten Gleichstellungsauftrags der Statusunterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern endgültig abgeschafft. Ob die Mutter eines Kindes verheiratet ist, spielt aber weiterhin eine Rolle bei der Feststellung der Vaterschaft nach §§ 1592 Nr. 1, 1593 BGB. Die Zahl der nichtehelichen Kinder ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Wurden 1993 noch rund 118.000 Kinder außerhalb einer Ehe geboren, waren es 1998 bereits 157.000 und 2015 knapp 258.000.3 Nicht zuletzt blieben die Eltern von schätzungsweise über 1200 der zwischen 2000 und 2013 geborenen Kinder durch anonyme Kindesabgaben und -aussetzungen unbekannt.4 Alle diese Fälle und die rasanten Fortschritte in der Reproduktionsmedizin zeigen die praktische Relevanz einer rechtlichen Absicherung des urmenschlichen Bedürfnisses auf Kenntnis der eigenen Abstammungsverhältnisse.
Im Folgenden soll erörtert werden, inwieweit das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammungsverhältnisse in unserer Rechtsordnung verankert ist. Nach einer kurzen Einführung in das deutsche Abstammungsrecht werden die verfassungsrechtliche Herleitung und anschließend die einfachgesetzlichen Ausprägungen dieses Rechts unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzgebung näher beleuchtet.
B. Grundbegriffe des deutschen Abstammungsrechts
I. Abstammung
Die Abstammung als Grundlage der Verwandtschaft i.S.d. § 1589 BGB wird grundsätzlich durch die genetisch-biologische Herkunft von den Eltern, also von Mutter und Vater, begründet und bestimmt.5 Im deutschen Recht ist die Abstammung jedoch vor allem ein rechtlicher Status, der sich nach den §§ 1591 ff. BGB richtet.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die rechtliche Anerkennung der Elternschaft stets von der Prüfung abhängig zu machen, von wem das Kind im Einzelfall abstammt.6 Da die Praxis für die Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern einer leicht feststellbaren Rechtsgrundlage bedarf, ergibt sich die rechtliche Zuordnung aus solchen Umständen, die erfahrungsgemäß einen Schluss auf die natürliche Abstammung zulassen.7 Dies kann dazu führen, dass genetisch-biologische Herkunft und rechtliche Zuordnung im Einzelfall auseinanderfallen.
Die Tatsache der biologischen Abstammung entfaltet für sich genommen, abgesehen etwa vom Eheverbot der Verwandtschaft nach § 1307 BGB, grundsätzlich keine rechtlich relevanten Wirkungen.8 Rechtlich entscheidend ist allein, wem die Stellung als Vater und Mutter eines Kindes zukommt. Ein Eltern-Kind-Verhältnis, welches durch Adoption begründet worden ist, entfaltet nach § 1754 BGB die gleichen Rechtswirkungen wie die Abstammung nach den §§ 1591 ff. BGB.
Das deutsche Abstammungsrecht geht nach wie vor von der Zuordnung des Kindes zu einem Vater und einer Mutter aus und damit von dem Ideal, dass genetische, soziale und rechtliche Elternschaft zusammenfallen, obwohl neue Familienformen und die Fortschritte der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dazu führen, dass ein Kind oftmals faktisch mehr als zwei Elternteile hat.9
II. Mutterschaft
Nach § 1591 BGB ist Mutter eines Kindes stets die Frau, die es geboren hat. Dies entspricht dem lateinischen Rechtssatz „mater semper certa est“.10 Erst die Entwicklungen in der modernen Fortpflanzungsmedizin haben eine solche positive Normierung erforderlich gemacht. Durch eine Ei- oder Embryonenspende kann es zum Auseinanderfallen von genetischer und biologischer Mutter kommen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es eine solche „gespaltene Mutterschaft“ im Interesse des Kindes jedoch nicht geben.11 Nur die gebärende Frau habe zu dem Kind während der Schwangerschaft sowie während und unmittelbar nach der Geburt eine körperliche und psychosoziale Beziehung. Zwar sind diese Befruchtungstechniken nach § 1 ESchG und §§ 13b-d AdVermiG gesetzlich verboten. Eine Klarstellung der Mutterschaft im Zivilrecht erscheint dennoch im Hinblick auf die Fälle geboten, in denen eine Eispende entweder im Ausland oder verbotenerweise im Inland vorgenommen wird.12
III. Vaterschaft
Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (Nr. 1), der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist (Nr. 3). Das Abstellen auf das Vorliegen einer wirksamen Ehe im Zeitpunkt der Geburt entspricht dem lateinischen Rechtssatz „Pater vero is est, quem nuptiae demonstrant“.13 § 1592 BGB stellt die drei möglichen Formen der Vaterschaftszuordnung abschließend und gleichwertig nebeneinander.14 Im Umkehrschluss aus §§ 1594 II, 1600d I BGB ergibt sich jedoch, dass die Vaterschaft nach Nr. 1 grundsätzlich derjenigen nach Nr. 2 und 3 vorrangig ist. Anders als bei der Mutterschaft sieht das deutsche Recht die Möglichkeit der Anfechtung der Vaterschaft in den §§ 1600 ff. BGB vor.
C. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammungsverhältnisse
Im Rahmen des KindRG hat es der Gesetzgeber trotz einer entsprechenden Anregung des Bundesrates15 abgelehnt, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ausdrücklich zu regeln.16 Im Mittelpunkt steht daher bis heute die Herleitung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammungsverhältnisse aus den Grundrechten des Grundgesetzes. Neben den von der Rechtsprechung aus den zivilrechtlichen Generalklauseln entwickelten Auskunftsansprüchen hat der Gesetzgeber auch ausdrückliche Regelungen zur Durchsetzung dieses Rechts geschaffen.
I. Verfassungsrechtliche Herleitung
1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG)
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als ungeschriebenes Grundrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG hergeleitet.17 Es gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen.18 Aufgrund der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat die Rechtsprechung des BVerfG den Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet.19
a. Recht des Kindes auf Kenntnis des biologischen Vaters
aa. Leitentscheidungen des BVerfG
Mit Beschluss vom 18.01.1988 hat das BVerfG erstmals ein Recht des nichtehelichen Kindes auf Kenntnis des leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters (sog. biologischer Vater) aufgrund des Art. 6 V GG sowie aus Art. 2 I GG bejaht und somit die Entscheidung der Instanzgerichte bestätigt, dass ein nichteheliches Kind einen Anspruch darauf habe, von seiner Mutter den Namen seines Vaters zu erfahren.20 Nur wenn das Kind seinen Vater kennt, mit dem es gemäß § 1589 BGB verwandt ist, könne es in eine persönliche Beziehung zu ihm treten oder unterhaltsrechtliche und erbrechtliche Ansprüche durchsetzen. Vor dieser Entscheidung hatte der BGH das Bestehen eines solchen Anspruchs mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht der Mutter abgelehnt.21 Die Versagung eines Auskunftsanspruchs entsprach auch der ganz herrschenden Ansicht im Schrifttum, die einerseits formal darauf abstellte, dass das Persönlichkeitsrecht des Kindes Handlungspflichten Dritter nicht begründen könne, andererseits eine Abwägung zwischen den beiden widerstreitenden Persönlichkeitsrechten vornahm.22 Insoweit hat die Entscheidung des BVerfG zu einem Paradigmenwechsel geführt.23
In seinem Urteil vom 31.01.1989 konkretisierte das BVerfG dieses Recht weiter.24 Als Individualisierungsmerkmal gehöre die Abstammung zur Persönlichkeit und die Kenntnis der Herkunft biete dem Einzelnen unabhängig vom Ausmaß wissenschaftlicher Ergebnisse wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Daher umfasse das Persönlichkeitsrecht auch die Kenntnis der eigenen Abstammung. Das Gericht betonte jedoch, dass Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen schützen könne und kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen verleihe.
Mit Beschluss vom 06.05.1997 stellte das BVerfG klar, dass für die Frage, ob ein nichteheliches Kind einen Anspruch gegen seine Mutter auf Benennung des Vaters hat, weder durch das nach Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG geschützte Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung noch durch Art. 6 V GG ein bestimmtes Ergebnis vorgegeben sei.25 Vielmehr stehe den Gerichten bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten der Mutter und des Kindes im Rahmen der Anwendung zivilrechtlicher Generalklauseln ein weiter Spielraum zur Verfügung.
bb. Abwägung mit Grundrechten anderer Beteiligter
In allen Entscheidungen ist die tragende Überlegung, dass ein Mensch ein Recht auf Kenntnis seiner biologischen Herkunft hat.26 Der Schutz der Kenntnis der eigenen Abstammung ist jedoch nicht absolut, vielmehr muss das zu Grunde liegende allgemeine Persönlichkeitsrecht mit widerstreitenden Grundrechten in Einklang gebracht werden.27 Welche und wessen Grundrechte in welchem Maße betroffen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Zu berücksichtigen sind insbesondere das Recht des Mannes auf informationelle Selbstbestimmung aus Art 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, das Recht des Mannes und der Mutter auf Achtung der Privat- und Intimsphäre aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, das Recht des Mannes auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG, das durch Art. 6 I GG geschützte Familienleben des Mannes und der Mitglieder der bestehenden rechtlichen Familie des Kindes sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht des rechtlichen Vaters aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG.28
Nach der Rechtsprechung des BVerfG wiegen die meisten Beeinträchtigungen allerdings weniger schwer, wenn der Mann tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist, als wenn dies nicht der Fall ist.29 Auch seien der biologische Vater und die Mutter des Kindes gegenüber den Interessen des Kindes von vornherein weniger schutzbedürftig als außenstehende Personen. Leibliche Eltern hätten die Existenz des Kindes zu vertreten und daher grundsätzlich ihre Geheimhaltungsinteressen dem Aufklärungsinteresse des Kindes unterzuordnen.
b. Recht des Vaters auf Kenntnis der eigenen Abkömmlinge
Nach Ansicht des BVerfG hat das Wissen um die Abstammung des Kindes auch maßgeblichen Einfluss auf das Selbstverständnis des Mannes sowie die Rolle und Haltung, die er dem Kind und der Mutter gegenüber einnimmt.30 Daher umfasse Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG auch das Recht des Mannes auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt.31 Dies betreffe sowohl die Annahme eines Mannes, er könnte Erzeuger eines ihm rechtlich nicht zugeordneten Kindes sein, als auch die Zweifel, ein Kind, als dessen Vater der Mann rechtlich angesehen und behandelt wird, könnte doch nicht von ihm stammen. Erfasst wird damit sowohl der rechtliche Vater als auch der potenziell biologische Vater. Neben den bereits zuvor genannten Grundrechtspositionen der Beteiligten muss dieses Recht insbesondere mit den Grundrechten des betroffenen Kindes im Einzelfall zum Ausgleich gebracht werden.
2. Elternrecht (Art. 6 II 1 GG)
Art. 6 II 1 GG umfasst das Recht der Eltern, die Pflege und Erziehung ihres Kindes nach ihren eigenen Vorstellungen frei zu gestalten.32 Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts können grundsätzlich nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch gesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis zum Kind stehen.33
Der rechtliche Vater eines Kindes verliert dieses Recht sowie die damit verbundene Stellung als Vater nicht allein dadurch, dass sich ein anderer Mann als biologischer Vater des Kindes herausstellt.34 Der biologische Vater steht insofern unter dem Schutz von Art. 6 II 1 GG, als ihm die verfahrensrechtliche Möglichkeit zu eröffnen ist, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht.35 Nach § 1600 I Nr. 2, II BGB ist er berechtigt, die Vaterschaft anzufechten.
Das Begehren, allein Kenntnis und Gewissheit über die Abstammung eines Kindes zu erlangen, kann allerdings nicht auf Art. 6 II 1 GG gestützt werden. Nach Ansicht des BVerfG fehlt ihm der Bezug zur Elternverantwortung.36 Ebenso wie das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung in seinem Persönlichkeitsrecht begründet sei, betreffe auch der Wunsch eines Mannes lediglich nach Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt, sein Selbstverständnis und die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in eine Beziehung zu anderen zu stellen, und damit sein von Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG geschütztes Persönlichkeitsrecht.
II. Menschenrechtliche Verbürgungen
Das Recht, seine Vorfahren zu kennen, gehört nach der Rechtsprechung des EGMR zum Begriff des Privatlebens i.S.d. Art. 8 I EMRK, der wichtige Aspekte der persönlichen Identität umfasst, darunter auch die Kenntnis der Eltern.37 Das Privatleben erfasst zudem das Recht eines Mannes, seine Vaterschaft eines Kindes festzustellen oder die Ehelichkeit anzufechten, aber auch das Recht des Kindes, die rechtlichen Beziehungen zu seinem natürlichen Vater feststellen zu lassen und das der Mutter, die biologische Vaterschaft einer Person feststellen zu lassen.38 Die Bedeutung der Kenntnis der eigenen Herkunft kommt auch in Art. 7 I UN-Kinderrechtskonvention zum Ausdruck, der das Recht des Kindes schützt, soweit möglich seine Eltern zu kennen.
III. Einfachgesetzliche Ausprägungen
Aus der grundsätzlichen Bejahung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammungsverhältnisse nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt nicht automatisch ein zivilrechtlicher Anspruch der betroffenen Personen.39 Hinsichtlich der im Einzelfall heranzuziehenden Anspruchsgrundlage wird man sich insbesondere auf die zivilrechtlichen Grundlagen von Auskunftsansprüchen besinnen müssen.40 Solche bestehen grundsätzlich nur gegenüber Personen, die zumindest mögliche Schuldner von Unterhalt, Zugewinn- oder Versorgungsausgleich, Pflichtteilszahlungen oder Schadensersatz sind.41 Daneben hat der Gesetzgeber aber auch Registerlösungen und ein statusfolgenloses Abstammungsklärungsverfahren geschaffen.
1. Generalklauselartige Auskunftsansprüche
a. Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte, der zur Durchsetzung seiner Rechte auf die Auskunft angewiesen ist, in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihm dies zumutbar ist.42
[...]
1 BVerfG NJW 1989, 891; 2016, 1939, 1940.
2 BGBl I S. 2942 ff.
3 Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Zusammenfassende Übersichten, Eheschließungen, Geborene und Gestorbene 1946-2015, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/Bevoelkerungsbewegung/ZusammenEheschliessungenGeboreneGestorbene5126102157004.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 29.09.2018).
4 Sommer/Ornig/Karato, Evaluation 2017, 87 ff.
5 MüKoBGB/Wellenhofer, Vor § 1591 Rn. 18.
6 BVerfG NJW 2007, 753, 755; BVerfGE 108, 82, 100.
7 Dethloff, Familienrecht, § 10 Rn. 1.
8 Helms/Kieninger/Rittner, Abstammungsrecht in der Praxis, Rn. 1.
9 Campbell NZFam 2016, 721.
10 Paulus, Digesten 2, 4, 5.
11 BT-Drucks. 13/4899, S. 82.
12 Ebd.
13 Paulus, Digesten 2, 4, 5.
14 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1592 Rn. 1; Rauscher, FPR 2002, 352.
15 BT-Drucks. 13/4899, S. 147.
16 Ebd., S. 166.
17 BVerfGE 35, 202.
18 BVerfG NJW 2008, 822, 824; BVerfGE 99, 185, 193;114, 339, 346.
19 BVerfG NJW 1989, 891; BVerfGE 54, 148, 153 f.
20 BVerfG NJW 1988, 3010.
21 BGHZ 82, 173, 179.
22 Staudinger/Rauscher, Einl. §§ 1589 ff. Rn. 120; Gottwald FS Hubmann 1985, 111, 116.
23 Koch FamRZ 1990, 569, 572.
24 BVerfG NJW 1989, 891.
25 BVerfG NJW 1997, 1769.
26 Badenberg, Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung unter Berücksichtigung der Problematik der anonymen Geburt, 2.
27 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 I Rn. 212; Enders NJW 1989, 881, 882.
28 BVerfG NJW 2016, 1939, 1942 ff.
29 Ebd., 1942.
30 BVerfG NJW 2007, 753, 754.
31 Ebd.; BVerfG NJW 2003, 2151, 2154.
32 BVerfGE 24, 119, 143 f.; 31, 194, 204; 47, 46, 69 f.; 60, 79, 88.
33 Maunz/Dürig/Badura, Art. 6 Rn. 99.
34 BVerfGE 24, 119, 136.
35 BeckOK-GG/Uhle, Art. 6 Rn. 58; BVerfGE 108, 82, 104 ff.
36 BVerfG NJW 2003, 2151, 2154.
37 EGMR NJW 2012, 2015, 2016; 2003, 2145; EGMR FamRZ 2006, 1354.
38 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Nettesheim, Art. 8 Rn. 23; EGMR, Urteil v. 07.05.2009 – Kalacheva v. Russia, Nr.3451/05 Rn.28 ff.
39 Mayer, Auskunftsansprüche betreffend die Identität des biologischen Vaters, 29; Muscheler FPR 2008, 496, 497.
40 Dethloff, Familienrecht, § 10 Rn. 42.
41 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch bei Verfolgung privater Rechte, 1966, 32 ff.; Lorenz JuS 1995, 569, 575.
42 BGH NJW 2014, 2571; BGHZ 196, 207; 191, 259.