Überblick über die Geisteswissenschaften nach Wilhelm Dilthey


Hausarbeit, 2016

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wilhelm Dilthey: Leben und Werk

3. Einführung in Diltheys Verständnis der Geisteswissenschaften
3.1 Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften
3.2 Geschichtlichkeit der geistigen Welt
3.3 Hermeneutik
3.4 Erleben-Ausdruck-Verstehen

4. Diltheys Konzept in Bezug auf Winfried Böhm

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das 19. Jahrhundert, insbesondere in der zweiten Hälfte geprägt von der industriellen Revolution, war auch eine Zeit, in der die Naturwissenschaften für die Menschheit eine prägende Rolle spielten. Dagegen wurde den Geisteswissenschaften, im Gegensatz zur heutigen Zeit, nur eine geringe Bedeutung zugemessen. (vgl. Rolf 2009, S. 102)

Diese Ansicht änderte sich erst durch die Arbeit des Philosophen Wilhelm Dilthey, welcher als Begründer der modernen Geisteswissenschaften gilt und der deshalb im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen soll. Daher stellt sich die Frage, wie sich Diltheys Auffassung der Geisteswissenschaften überhaupt gestaltete und welche Aspekte seiner Lebensphilosophie besonders hervorzuheben sind.

Mit Hilfe dieser Rekonstruktion von Diltheys Philosophie soll anschließend auf das Problem des Übergangs von der klassischen Vorstellung der Pädagogik zur Wissenschaft der Pädagogik, wie es der Pädagoge Winfried Böhm in seinem Werk „Theorie und Praxis. Eine Einführung in das pädagogische Grundproblem“ beschrieben hat, eingegangen werden. Da ich mich im Laufe meines Studiums der Erziehungswissenschaften mit diesem Werk beschäftigt habe und darin deutlich wurde, dass zwischen dem Übergang der Pädagogik mit ihrer Reflexion, der Ethik und der Idee des Guten hin zur Erziehungswissenschaft mit ihren spezifischen Methoden etwas verloren gegangen ist, scheint es sinnvoll, die Methode der Hermeneutik, die von Dilthey maßgeblich geprägt wurde, heranzuziehen, um damit die Frage zu beantworten, inwieweit er damit zur Lösung der Problematik beitragen kann.

Dazu soll zu Beginn auf das Leben und Werk Diltheys eingegangen werden, um dann im anschließenden Hauptteil Diltheys Philosophie und insbesondere sein Verständnis der Geisteswissenschaften in den Vordergrund zu stellen. Dies beinhaltet zunächst seine Abgrenzung der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften sowie seine Vorstellung der Geschichtlichkeit des Menschen. Darauf aufbauend folgt schließlich die Einführung in seine Methode der Hermeneutik, mit den drei Grundbegriffen Erleben, Ausdruck und Verstehen. Anschließend wird der Bezug zu Böhms Werk gesucht, um damit zu prüfen, inwiefern Diltheys Hermeneutik bei Böhms Problem ansetzen kann.

2 Wilhelm Dilthey: Leben und Werk

Wilhelm Dilthey wurde am 19.11.1833 als Sohn eines Hofpredigers in Bibrich am Rhein geboren und verstarb am 1.10.1911 in Tirol (vgl. Rülcker 2002, S. 37).

Er gilt als einer der bedeutendsten Begründer der Geisteswissenschaften sowie der historisch-hermeneutischen Lebensphilosophie. In zahlreichen Arbeiten befasste er sich mit der philosophischen Auslegung der Geisteswissenschaften sowie ihrer Geschichte und Theorie. Des Weiteren widmete er sich der Philosophie, Kunst, Literatur, Politik und Anthropologie. (vgl. ebd., S. 37)

Dilthey studierte Theologie, Philosophie, Geschichte und klassische Philologie in Heidelberg und Berlin (vgl. ebd., S. 37). Zu dieser Zeit bildete sich das sogenannte historische Bewusstsein in der Bevölkerung heraus, wodurch Dilthey in einer Epoche der historischen Schule aufwuchs in der „[...] die geschichtliche Dimension des Menschen verstärkt erkannt wurde [...]“ (Thöny-Schwyn 1997, S. 15). Besonders prägend war dabei Diltheys Lehrer Friedrich Adolf Trendelenburg, der sich unter anderem mit der Geschichte der Philosophie auseinandersetzte und von dem Dilthey den Ansatz, das Geistesleben aus einer historischen Perspektive wahrzunehmen und die Erkenntnis als Ausgangspunkt der Erfahrung festzulegen, übernahm (vgl. Krüger 2002, S. 23).

Weitere Lehrer, durch die Dilthey schon als junger Studierender mit dem historischen Bewusstsein konfrontiert wurde, waren Niebuhr, August Bökh, Jakob Grimm, Theodor Mommsen sowie Heinrich Ritter und Leopold von Ranke (vgl., Dilthey 1982, S. 8 f., zit. n. Thöny-Schwyn 1997, S. 17 f.)

Im Jahr 1864 promovierte Dilthey über die Ethik Schleiermachers und habilitierte noch im selben Jahr. Anschließend arbeitete er als Professor für Philosophie in Berlin, Basel, Kiel, Breslau und anschließend wieder in Berlin. (vgl. Rülcker 2002, S. 37).

Um in Diltheys Werk und sein Verständnis der Geisteswissenschaften einzuführen, muss man sich zunächst die Situation der Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert vor Augen führen. Zu Diltheys Anfangszeiten galten nahezu allein die Naturwissenschaften und die Mathematik als Formen des wissenschaftlichen Denkens und waren daher insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert von enormer Bedeutung für die Gesellschaft (vgl. Rülcker 2002, S. 37).

״ Seit Bacon, Newton und Kant - der sich stark an Newtons Physik orientiert - galten sie als Vorbild für die Möglichkeit, exaktes Wissen über Erfahrungsgegenstände zu gewinnen“ (Rolf 2009, S. 102). Den Geisteswissenschaften dagegen wurde nur eine geringe Bedeutung zugemessen, da Zweifel an ihrer Wissenschaftlichkeit bestanden (vgl. ebd., S. 102). Dilthey aber war von der Eigenständigkeit der Geisteswissenschaften überzeugt, weshalb ihm zunächst die Unterscheidung zu den Naturwissenschaften wichtig war (vgl. Rülcker 2002, S. 37).

Im Zentrum seiner Philosophie steht der Mensch, wobei er diesen nicht mit Hilfe der Natur, sondern aus seinem geschichtlichen Dasein heraus erfassen will (vgl. Krüger 2002, S. 24). Diltheys Ansatz das Leben aus dem Leben selbst zu verstehen und dabei den Menschen als Individuum anzusehen, welches in der Geschichte handelt, ist die Grundlage seiner historisch - philosophischen Weltansicht, die auch als Lebensphilosophie bezeichnet wird (vgl. Herrmann 1971, S. 64). Darauf beruht auch seine „Kritik der historischen Vernunft“: „ ’Ich unternahm, die Natur und die Bedingung des geschichtlichen Bewußtseins zu untersuchen - eine Kritik der historischen Vernunft ’“ (Dilthey 1991, S. XV, zit. n. Herrmann 1971, S. 65). Diese Kritik der historischen Vernunft diente Dilthey dazu, mit Hilfe der geschichtlich-geistigen Welt und seiner Methode der Hermeneutik nach historischen Erkenntnissen zu streben (vgl. Herrmann 1971, S. 65). Damit prägte er die geisteswissenschaftliche Pädagogik nachhaltig und brachte z.B. Schüler wie Herrmann Nohl und Eduard Spranger hervor (vgl. Rülcker 2002, S. 37).

3 Einführung in Diltheys Verständnis der Geisteswissenschaften

3.1 Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften

Eine erste Vorgehensweise Diltheys, die Geisteswissenschaften zu erläutern, war es, sie von den Naturwissenschaften abzugrenzen. Seine philosophische Grundfrage lautete: ״ Wie lassen sich die Geisteswissenschaften, d.h. die Wissenschaften des Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte, als eine in methodischer Hinsicht von den Naturwissenschaften unabhängige Wissenschaftsgruppe begründen? “ (Lessing 2009, S. 86). Für Dilthey gibt es zum einen die Welt der Natur und mit ihr verbunden die Suche nach kausalen Gesetzmäßigkeiten, um deren Phänomene begründen zu können (vgl. Son 1997, S. 32 f.). Die geistige Welt des Menschen auf der anderen Seite ist geprägt durch ,,[...]Werte, Zwecke des Lebens [und, L.G.] Ziele der Handlungen [...]“ (ebd., S. 32). Weiterhin war es für Dilthey von Bedeutung, die geisteswissenschaftlichen Methoden von denen der Naturwissenschaften zu unterscheiden. Die Methode der Naturwissenschaften ist das Erklären, während sich die Geisteswissenschaften dem Verfahren des Verstehens bedienen. Erklären meint dabei das Zurückführen einzelner beobachteter Naturphänomene in eine allgemeine Gesetzmäßigkeit, um diese damit so genau wie möglich zu begründen. Beim Verstehen steht die geistige Welt des Menschen im Blickpunkt und diese kann nicht in allgemeine Gesetzmäßigkeiten überführt werden, sondern bedarf dem Erfassen der äußeren Zeichen, um anschließend zum Inneren und damit zur geistigen Bedeutung vorzudringen. Verstehen im Sinne der Geisteswissenschaften meint somit das Nacherleben eines fremden Daseins, dass in Schrift, Sprache oder Kunstwerken ausgedrückt wurde. Da diese geistigen Inhalte im Gegensatz zu den Naturerscheinungen vom Menschen selbst erzeugt wurden, können sie auch von diesem verstanden werden. Dementsprechend ist der Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften die vom Menschen unberührte physische Welt wie z.B. ein Stein. Der Gegenstandsbereich der Geisteswissenschaften dagegen ist der Mensch selbst mit seiner menschlich-historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit, womit sowohl das einzelne Individuum als auch die gesamte Menschheit gemeint sind. Sind auf dem oben erwähnten Stein nun vom Menschen erzeugte Einkerbungen in Form von Schriftzeichen vorzufinden, so fällt der Stein in den Gegenstandsbereich der Geisteswissenschaften, da die Schriftzeichen als eine Form der geistigen Schöpfung des Menschen gilt. (vgl. Rolf 2009, S. 102 ff.)

Des Weiteren sind die Naturwissenschaften von innen nach außen gerichtet, da das eigene innere Erleben nicht mit in die Betrachtung der Natur einbezogen wird, sondern diese aus objektiver Sicht von außen erfasst werden soll. Die Geisteswissenschaften sind im Gegensatz dazu von außen nach innen gerichtet. Der „[...] Sinngehalt[] von Äußerungen des Geistes [soll] durch Rückwendung vom sinnlich Gegebenen auf die im Erleben gegebenen geistigen Gebilde [...]“ (ebd., S. 104) verstanden werden. (vgl. ebd., S. 103 f.)

Dilthey fasste diese Gedanken folgendermaßen zusammen: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“ (Dilthey 1962, S. 143, zit. n. Krüger 2002, S. 24).

3.2 Geschichtlichkeit der geistigen Welt

Das Erforschen der menschlichen Lebenswelt und ihrer Geschichtlichkeit stellt die Grundlage von Diltheys Philosophie dar (vgl. Herrmann 1971, S. 66), denn in den Geisteswissenschaften kann ״Der Mensch und sein Geistesleben [...] nicht auf die Natur zurückgeführt werden, sondern [muss] aus [seinem] geschichtlichen Dasein interpretiert werden“ (Krüger 2002, S.24). „Erst in der Geschichte und in dem in ihr sich manifestierenden menschlichen Geiste wird der Mensch sich seiner selbst bewußt, versteht er seine menschliche Bestimmung und seine historische Aufgabe [...]. “ (Herrmann 1971, S. 67) und durch die Beschäftigung mit historischen Objektivationen in Form von Sprache, Texten, Kunst- oder Bauwerken kann der Mensch Vollkommenheit und Zufriedenheit erlangen (vgl. ebd., S. 67). Deren Formen wie z.B. bestimmte Baustile oder Formen der Dichtung wandeln sich jedoch mit der Zeit und insbesondere deshalb können die Werke aus vergangenen Epochen nur aus ihrem jeweiligen geschichtlichen Hintergrund heraus verstanden werden (vgl. Rolf 2009, S. 105). Daraus wird deutlich, wie eng die Gegenwart des Menschen mit seiner Vergangenheit verknüpft ist und wie wichtig es daher für Dilthey war, in der Geschichte nach Erkenntnissen für die Gegenwart zu suchen, indem das jeweilige menschliche Handeln bzw. seine geistigen Werke sowie deren Sinn verstanden werden sollen (vgl. Herrmann 1971, S. 67). Die geistig­geschichtlichen ״[...] von den Menschen selber hervorgebrachte[n] Bedeutungen, Sinngebungen und Interessen. “ (Krüger 2002, S. 24) sind dabei nur indirekt und aus objektiver Sicht mit Hilfe der geschaffenen geistigen Werke der Menschen in Form von Kunstwerken, Texten, Traditionen oder Bräuchen nachvollziehbar (vgl. ebd., S. 24). Diese Produkte der Menschheit werden auch als Geistesobjektivierungen bezeichnet und stellen „[...] kulturelle[n] Artefakte [...], in denen sich Zwecke, Werte, Lebensverhältnisse artikulieren. “ dar (Rülcker 2002, S. 89).

3.3 Hermeneutik

Zum Verstehen dieser Geistesobjektivierungen wurde die Hermeneutik von Dilthey als wichtigste Grundlage der Geisteswissenschaften maßgeblich weiterentwickelt. Sie dient als Methode des Erschließens und der Interpretation der Lebenswirklichkeit der jeweiligen Epoche (vgl. Krüger 2002, S. 24). Die zentrale Voraussetzung ist dabei das Verstehen, mit welchem im Sinne der Geschichtlichkeit Inhalte und Wirkungszusammenhänge der historisch-gesellschaftlichen Welt des Menschen aufgezeigt werden sollen (vgl. Krüger 2002, S. 24).

Im antiken Verständnis galt die Hermeneutik zunächst als Kunst der Übersetzung, da der Begriff vom griechischen Götterboten Hermes abgeleitet war, dessen Aufgabe sich auf das Überbringen von Nachrichten richtete. Bezog sich diese Kunst der Übersetzung bzw. der Auslegung in der Antike zunächst nur auf Texte, so entwickelte sich die Hermeneutik in der Neuzeit zu einer Theorie der Interpretation. (vgl. Rülcker 2002, S. 16)

Insbesondere durch Friedrich Schleiermacher wurde die Hermeneutik nicht mehr nur als einfache Methode der Textinterpretation angesehen, sondern das Verstehen des Gesamtzusammenhangs eines Textes rückte in den Vordergrund. Dilthey weitete die Hermeneutik anschließend auf alle Lebensäußerungen der Menschen aus, zu denen unter anderem Texte, Kunstwerke, Architektur, Technik, Landschaften aber auch Handlungen von Personen zählen (vgl. ebd., S. 16). ״ ’Wie ist Verstehen möglich?‘ Und: ’Warum ist Verstehen notwendig?‘ Es geht also um die Bedingungen, die Möglichkeiten, die Notwendigkeiten und die grenzen des Verstehens “ (ebd., S. 16).

Ziel ist es, „[...] dokumentierte Gebilde des ’objektiven Geistes’, wie sie vor allem in Texten zur Analyse bereitstehen, in ihrem geistigen Sinn, ihrer inhaltlichen Bedeutung zu erschließen, zum Ausdruck zu bringen, intersubjektiver Kommunikation zuzuführen und allgemein anerkannte Sinnauslegungen zu erzielen“ (Reich 1978, S. 37).

Nach Rülcker kann die Hermeneutik in mehrere Bereiche abgegrenzt werden: Neben der eigentlichen Interpretation, mit der lediglich das inhaltliche Verstehen eines Werkes z.B. eines Romans oder eines Theaterstücks gemeint ist, aber nicht die eigentlichen Methoden, die zur Interpretation angewendet werden, gibt es die Hermeneutik, die sich mit den Verfahren sowie Regeln der Interpretation beschäftigt (vgl. Rülcker 2002, S. 17 f.).

Anders als bei der einfachen Interpretation handelt es sich hier um die eigentliche Hermeneutik. Gemeint ist damit die Beobachtung des Verfahrens der Interpretation und somit die Frage, welche Regeln und Methoden angewendet werden, um ein bestimmtes Werk zu interpretieren. Die Hermeneutik beschäftigt sich dabei mit dem Erkennen dieser Regeln, analysiert sie und versucht anschließend neue Regeln und Methoden zu finden. (vgl. ebd., S. 18 f.)

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Überblick über die Geisteswissenschaften nach Wilhelm Dilthey
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
17
Katalognummer
V448687
ISBN (eBook)
9783668847422
ISBN (Buch)
9783668847439
Sprache
Deutsch
Schlagworte
überblick, geisteswissenschaften, wilhelm, dilthey
Arbeit zitieren
Liesa Graf (Autor:in), 2016, Überblick über die Geisteswissenschaften nach Wilhelm Dilthey, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448687

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