Psychologie des Terrorismus. Ein systematisches Review zum "Lone-Wolf" Terroristen


Thèse de Bachelor, 2018

39 Pages, Note: 2


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Abstract

2. Einleitung

3. Stand der Forschung
3.1 Entwicklung der Forschung: Paradigmen
3.2 Radikalisierung und Radikalisierungsmodelle
3.2.1 Folge von Entscheidungen
3.2.2 Handlungs- versus Gedankenradikalisierung
3.2.3 Soziale und individuelle Mechanismen
3.2.4 „Homegrown“ Modelle
3.2.5 Fazit zu den Radikalisierungsmodellen
3.3 Einzeltäter: Der „Lone-Wolf-Terrorist“
3.4 Risikobewertung von Terroristen
3.4.1 Demographische Faktoren
3.4.2 Sozialer Status und Bildungsstand
3.4.3 Psychologische Faktoren
3.4.4 Vorgeschichte und Verhalten vor der Tat
3.4.5 Fazit zur Risikobewertung
3.5 Terrorism Radicalization Assessment Protocol (TRAP-18)

4. Forschungsfrage

5. Methode und Stichprobe

6. Ergebnisse
6.1 Probleme im Forschungsfeld
6.2 Perspektiven und Anreize

7. Diskussion

8. Literatur

Im Sinne einer besseren Lesbarkeit der Texte wurde die männliche Form von personen- bezogenen Hauptwörtern gewählt. Dies impliziert keinesfalls eine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts. Frauen und Männer mögen sich von den Inhalten des Reviews gleichermaßen angesprochen fühlen.

1. Abstract

This review is about single actor terrorism, sometimes also referred to as „Lone-Wolf” terrorism. The focus will be on the mechanisms, which cause an individual to become a terrorist and on assessing a level of risk for terrorism. Therefore, the current state of the literature will be reviewed and assessed. By doing so, this review will identify the main obstacles for future analysis on single actor terrorism and discuss the capabilities of the current research direction for finding preventive measures to avoid terrorism. Last, this paper will give recommendations for further research into this field.

Reviewing the literature revealed, that most knowledge on this field is based on theoretical as opposed to empirical research. This makes it more difficult to draw meaningful conclusions about terrorism. A reason for this is that sampling terrorists is close to impossible unless they are imprisoned or have turned. The paper realizes, that for a better understanding of the phenomenon terrorists should be categorized into sub groups so that results of future research can be assigned to specific terrorists in a sensible manner.

Das vorliegende Review befasst sich mit verschiedenen Fragen bezüglich des Einzeltäter- Terrorismus oder den sogenannten „Lone-Wolf Terroristen“. Dabei liegt der Fokus auf dem Werdegang zum und der Risikobewertung von Terroristen. Der derzeitige Stand der Forschung im Hinblick auf die Persönlichkeit von Lone Wolfs und ihrer Radikalisierung wird dargestellt. Weiterhin werden Publikationen des Feldes betrachtet und Probleme der aktuellen Forschung herausgearbeitet. Anschließend werden Anreize für zukünftige Forschungsprojekte gegeben, sowie der momentane Forschungsfokus im Hinblick auf präventive Maßnahmen diskutiert. Diese Arbeit wird zeigen, dass die Thematik hauptsächlich theoretisch behandelt wurde. Es gibt wenig empirische Untersuchungen und Studien, wodurch kaum ausreichend bewiesene Aussagen getroffen werden können. Gründe dafür sind, dass nur geringe Datenmengen vorliegen und der Zugang zu Terroristen erschwert oder erst nach einer Inhaftierung möglich ist. Weiterhin muss eine vernünftige Unterteilung der verschiedenen terroristischen Sub- gruppen gefunden und etabliert werden, um Ergebnisse auch sinnvoll zuordnen zu können. Außerdem konnte aufgezeigt werden, dass der derzeitige Forschungsfokus womöglich nicht zu praktisch anwendbaren Präventionsmaßnahmen führt.

2. Einleitung

Terrorismus ist ein Phänomen, welches schon seit Anbeginn der Geschichte existiert (vgl. Victoroff, 2005). In der heutigen Zeit ist er ein brisanteres Thema denn je und für die Erforschung von Terroristen ist vor allem nach den Anschlägen des 9. September 2001 auf das World Trade Center ein beträchtliches Interesse entstanden. Es wurde deutlich, dass es sehr schwierig ist, die Prozesse, welche ein Individuum zu einem terroristischen Anschlag bewegen, zu verstehen. Dies führte in kürzester Zeit zu einer neuen Forschungswelle (vgl. McCauley und Moskalenko, 2017).

Seither und durch die Reaktionen der USA (die Suche nach Sadam-Hussein und den Krieg gegen Afghanistan) auf diesen verheerenden Anschlag haben sich Sicherheitsmaßnahmen stark verschärft und es ist für terroristische Organisationen viel schwerer geworden, einen Anschlag zu planen und auszuführen. Aufgrund dieser Entwicklung mussten sich auch Terroristen neu orientieren. Terrororganisationen, wie der IS oder AlQaida inspirieren nun einzelne Täter, im Alleingang Anschläge zu verüben. Sie wählen diese Strategie, da es für Beamte wesentlich schwerer ist, ein einzelnes Individuum, welches sich für einen Anschlag entscheidet, zu identifizieren. Gruppen, die einen Anschlag planen, benötigen eine Form der Kommunikation, was es leichter macht, sie zu entdecken und solche Anschläge zu vermeiden. So finden sich in Propagandamagazinen dieser Organisationen Aufrufe, terroristisch aktiv zu werden und Anleitungen und Hilfestellungen für terroristische Aktionen (vgl. z.B. Yahya, 2017; Dabique, 2017). Rechte und linke Terroristen sowie auch Menschen ohne ideologischen Hintergrund greifen ebenfalls zu solchen Strategien (vgl. Potok & Beirich, 2015). Es ist augenscheinlich, wie wichtig es geworden ist, die Motive und Beweggründe dieser Personen zu verstehen. Um potenzielle Täter frühzeitig zu erkennen und Interventionen zu ermöglichen sollen Risikofaktoren identifiziert und Radikaliserungsprozesse verstanden werden.

Die vorliegende Arbeit wird die Entwicklung der Terrorismusforschung grob umreißen, um anschließend auf verschiedene Radikalisierungsmodelle einzugehen. Diese Modelle stellen allerdings nicht den Einzeltäter in den Fokus, können aber als Grundlage dienen, um diesen zu untersuchen. Darauf folgend soll die Forschung zum Einzeltäter, Risikobewertung von Personen und das Trap (Terrorism Risk Assesment Protocol) 18 vorgestellt werden. Nach einer Beschreibung der Methodik sollen genannte Forschungsbereiche im Hinblick auf die besonderen Problematiken beschrieben und Anreize für zukünftige Projekte gegeben werden. Da sich dieser Review mit einer Subgruppe der Terroristen beschäftigt wird für einen allgemeinen Review über Terrorismus auf „The Mind of the Terrorist“ von Jeff Victoroff (2005) und „The State of Scientific Knowledge Regarding Factors Associated With Terrorism“ von Desmarais, Simons-Rudolph, Brugh, Schilling & Hoggan (2017) verwiesen.

Der derzeitige Umgang mit Terrorismus durch Medien und Politik, sowie die Effekte auf die Bevölkerung und auf die Terroristen selbst muss aus einer psychologischen Perspektive untersucht und verstanden werden. Momentan ist es unklar, welchen Effekt die Berichterstattung sowie der politische „Krieg gegen den Terror“ auf potenzielle Terroristen hat und ob solcherlei Maßnahmen tatsächlich präventiv wirksam sind.

3. Stand der Forschung

3.1 Entwicklung der Forschung: Paradigmen

P. Gill und E. Corner (2017) bieten mit dem Entwurf von vier Paradigmen einen Überblick über den Wandel der Terrorismusforschung. Diese Paradigmen vermitteln einen guten Eindruck darüber, wie sich die populäre Meinung und Forschungsperspektiven im Feld Terrorismus entwickelt haben. Das erste Paradigma, welches den 1970er Jahren zugeordnet wird, nennen sie „Psychopathy as Key“.

Dabei wird Terrorismus als eine kausale Folge von psychischen Störungen angesehen. Vor allem wird die Psychopathie für terroristisches Handeln verantwortlich gemacht. Bedenklich hierbei ist, dass diese Behauptung nicht auf empirischen Grundlagen oder wissenschaftlichen Studien basiert. Dieses Paradigma ist auf Grundlage populärer Meinungen und der Interpretation von Tattoos eines Terroristen entstanden (vgl. Gill & Corner 2017). Beispielsweise argumentierte Tanay (1987), dass Psychopathen ideologische Gründe und Motive lediglich als „Ausrede“ verwenden, um ihren Drang nach Gewalt zu erfüllen und zu begründen.

Eine weitere Entwicklung beschreibt das zweite Paradigma „Personality as Key“. Hier wird davon ausgegangen, dass Terroristen bestimmte Persönlichkeitstypen eigen sind und eine kausale Grundlage zum terroristischen Akt bilden. Dieses Paradigma entstand vor allem aus einer psychoanalytischen Perspektive. Unbewusste Motive und unbewältigte Konflikte wurden für eine abnormale Persönlichkeit des Terroristen verantwortlich gemacht. Am häufigsten wurde dabei der Narzissmus genannt. Auch heute gibt es noch solche Theorien. Zum Beispiel schreibt Wolfgang Schmidbauer in „Der Mensch als Bombe“ über einen „explosiven Narzissmus“ als assoziiertes Persönlichkeitsmerkmal zu terroristischen Taten (vgl. Schmidbauer, 2009). Es wird behauptet, dass viele Täter (Objekt-)Verluste in ihrer Kindheit und Jugend erlebten und diese Verletzungen nicht verarbeiten konnten. Auch Pearlstein (1991) schreibt von narzisstischer Wut, welche sich gegen vermeintliche Schuldige richtet und zu einem terroristischen Akt führt. In den 70ern zeigte eine Studie, dass 25% der Terroristen einen oder beide Elternteile verloren und 33% starke Konflikte mit ihren Eltern erlebt hatten (vgl. Jäger, Schmidtchen und Süllwold, 1981). Die empirische Beweislage ist jedoch auch für diese These sehr schwach. Es gibt laut Victoroff (2005) in den zu dieser Zeit entstandenen Studien keine Kontrollgruppen, keine standardisierten psychologischen Instrumente und kaum statistische Daten.

Diese dürftige Beweislage führt zum nächsten Paradigma, welches Gill und Corner (2017) „Synthesizing the Evidence“ nennen, da hier die bisherigen Indizien neu betrachtet und ausgewertet wurden. Die in den 90er Jahren neu entstandene Perspektive stellt die Kausalität zwischen Psychopathie und Terrorismus, sowie die Vorstellung, Terroristen hätten bestimmte Persönlichkeitstypen, in Frage. Viele Autoren sind sich einig, dass die genannten Thesen nicht ausreichend auf empirischem Material beruhen und das Forschungsfeld stark von verschiedenen Meinungen geprägt ist (vgl. z.B. Victoroff, 2005, Desmarais et al., 2017). Es wird argumentiert, dass sich die Prävalenz psychischer Störungen unter Terroristen nicht von den Prävalenzen in der Normalbevölkerung unterscheidet. Schnell kam es zu einer erneuten Generalisierung hin zu einem Bild psychisch vollkommen gesunder Terroristen. Zeitgleich wurde Personen mit psychischen Störungen irrationales Denken und absurde Motive unterstellt. Letztendlich ist die Frage, ob Terrorismus mit bestimmten stabilen Persönlichkeits- eigenschaften („Traits“) oder psychischen Störungen in Zusammenhang steht, nicht endgültig empirisch bewiesen oder widerlegt worden.

Corner und Gill (2015) nehmen an, dass den verschiedenen Rollen, die ein Terrorist in einer Organisation einnimmt, auch verschiedene Persönlichkeitstypen zuzuordnen sind. Zu einer organisierten Terrorgruppe gehören neben den den Anschlag ausführenden Personen auch viele, die lediglich im Hintergrund tätig sind (z.B. Bombenbauer oder Propagandisten). Das jüngste Paradigma „Pathways, Disaggregation and Continuums“ ist aus einer empirischen Herangehensweise entstanden. Man spricht von Terrorismus als einem komplexen Konstrukt, welches mentale Störungen und Persönlichkeit als zwei Faktoren unter vielen sieht, die zu Terrorismus führen. Durch eine Studie mit inhaftierten Terroristen konnte diese These inzwischen gut untermauert werden. Darüber, ob die gefundenen Persönlichkeitsmerkmale und -störungen erst durch Terror oder Gefängnis entstanden sind, können jedoch keine Aussagen getroffen werden. (vgl. Gill und Corner, 2017). Horgan (2003) argumentiert, dass auch die Erfahrung, als Terrorist zu leben, und der damit verbundene Stress zu psychischen Störungen führen kann. Generell ist die Terrorismusforschung inzwischen auf einem Standard angelangt, auf welchem mehr empirische und wissenschaftliche Ergebnisse entstehen. Es hat sich eine Haltung etabliert, die sowohl die Komplexität der Thematik beachtet als auch weniger vorschnelle Kausalitäten und Erklärungen zum Werdegang des Terroristen hervor- bringt.

3.2 Radikalisierungsmodelle und Implikationen

Um weiter auf das Forschungsfeld einzugehen sollen verschiedene Modelle der politischen Radikalisierung dargestellt werden. Zu verstehen, wie und wann sich Menschen radikalisieren, ist von großer Wichtigkeit. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben dazu geführt, dass Terrorismus und die damit verbundenen Thematiken große Aufmerksamkeit bekamen. Damit einhergehend wurden Forschungsgelder freigemacht und neue Erkenntnisse zum Terrorismus konnten entstehen. Auch der theoretische Diskurs wurde angeheizt sowie neue Modelle formuliert (vgl. McCauley & Moskalenko, 2017). Diese Modelle versuchen den Radikalisie- rungsprozess zu verstehen, um schlussendlich Täter früher erkennen und Anschläge vermeiden zu können. Eine in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte Forscherin ist Martha Crenshaw. Sie war die erste, die zwischen individuellen Überzeugungen und Motiven, den Entscheidungen und Motiven einer Gruppe sowie dem erweiterten politischen und sozialen Kontext eines Terroristen unterschied. Diese Einteilung (in die Individuelle-, Gruppen- und Massenebene) machen sich einige neuere Forschungsprojekte zunutze. Auch Crenshaw konnte Terrorismus mit keiner bestimmten Pathologie in Zusammenhang bringen (vgl. Crenshaw, 1981). Grundsätzlich fördert sie jedoch die psychologische Untersuchung von Terrorismus und schreibt: „It is essential to consider the psychological variables that may encourage or inhibit individual participation in terrorist actions.“ (Crenshaw, 1981, S. 380). Radikalisierungsprozesse sind äußerst komplex und können aus verschiedenen Ausgangs- situationen heraus entstehen. In den folgenden Modellen stehen jedoch vor allem psychologische Faktoren im Fokus.

3.2.1 Folge von Entscheidungen

The Staircase of Terrorism (Moghaddam, 2005)

Moghaddam (2005) erstellte ein 5-Schritte-Modell, dass er „The Staircase of Terrorism“ nennt und mit der Metapher einer Treppe umschreibt. Für sein Modell wählt er das Bild eines Gebäudes: Ein Individuum, das sich darin nach oben bewegt, muss auf jeder Etage eine Entscheidung über seinen weiteren Weg treffen. Terrorismus entsteht sozusagen als Folge von sukzessiv auf einander aufbauenden Entscheidungen. Moghaddam geht davon aus, dass die Basis der Radikalisierung in der Suche nach Möglichkeiten besteht, mit einer wahrge- nommenen unfairen Behandlung umzugehen. Das Individuum entwickle infolge dieser Wahrnehmung Aggressionen gegen den vermeintlich Schuldigen und rechtfertige in einem dritten Schritt vor sich und anderen terroristisches Handeln und Gewalt. Der Beitritt in eine terroristische Organisation und die letztendliche Dehumanisierung der feindlichen Beamten und Zivilisten stellen die vierte und letzte Stufe des Modells dar. Der Autor argumentiert rein theoretisch und sieht die Förderung demokratischer Prozesse als wirksamstes Mittel gegen den Terrorismus. Denn das Individuum soll den terroristischen Akt nicht als einzige Möglich- keit ansehen, mit der erlebten Ungerechtigkeit umzugehen (vgl. Moghaddam, 2005). Auffällig ist, dass das Modell rein linear verläuft und das Durchlaufen einer Stufe als Voraussetzung für die nächste begreift. Wahrscheinlicher ist es hingegen, dass einige der genannten Prozesse auch parallel oder ohne den vorherigen Schritt ablaufen. Beispielsweise ist es vorstellbar, dass Personen bereits einer entsprechenden Organisation beigetreten sind, ohne jedoch vorher terroristische Akte rechtfertig zu haben oder terroristische Mittel vollständig rechtfertigen zu können. Moghaddams Modell bietet eine plausible Erklärung für Radikalisierungsprozesse innerhalb, jedoch nicht außerhalb von Organisationen (z.B. bei Einzeltätern).

3.2.2 Handlungs- versus Gedankenradikalisierung

Horgan (2006) erstellte zwar kein klassisches Modell, teilte jedoch die psychologische Terrorismusforschung in drei Bereiche auf. In seinem Buch „The Psychology of Terrorism“ unterscheidet er zwischen dem psychologischen Prozess, ein Terrorist zu werden, ein Terrorist zu sein und sich vom Terrorismus wieder zu distanzieren. Weiterhin erkennt er die Relevanz, zwischen radikalen Ideen und gewaltvollen Akten zu unterscheiden. Auf der Basis seiner Unterteilung formuliert Horgan drei Hauptgedanken zum Terrorismus. Als erstes schreibt er, dass der Weg von legalem Aktivismus bis hin zum terroristischen Attentat graduell verläuft. Zweitens geht er davon aus, dass beim Terroristen eine Unzufriedenheit vorliegen muss, um ihn für Radikalisierung zu öffnen. Diese Annahme gleicht der ersten Stufe von Moghaddams Modell, der eine wahrgenommene Ungerechtigkeit als Auslöser für den Radikalisierungs- prozess begreift. Zuletzt betont er, dass ein Umfeld, welches Gewalt fördert und gutheißt, auch Gewalt motiviert. Er lenkt damit den Blick weg vom Individuum hin zum sozialen Milieu und der Gesellschaft. Horgan konnte sinnvolle Ideen und Ansichten beisteuern, die jedoch für eine umfangreiche Erklärung des Phänomens Terrorismus nicht ausreichen, da sie nur eine grobe Einteilung vorgeben und überzeugende empirische Belege fehlen.

Auch Hafez und Mullins (2015) trennen in ihrer Forschung die Radikalisierung von Ideen und die Radikalisierungen von Handlungen. Eine solche Differenzierung erscheint durchaus sinnvoll, da Personen nicht selten Gewalt rechtfertigen und in ihrem Denken radikal sind, aber weder Anschläge noch andere gewalttätige Handlungen ausführen. Die Autoren nennen vier Faktoren, die in ihren Augen zu terroristischen Aktionen führen: persönliche Trauer, Netzwerke, ein aktivierendes Umfeld und eine zugrundeliegende Ideologie. Bei ihren Untersuchungen liegt der Fokus allerdings hauptsächlich auf kleinen Gruppen und nicht auf dem individuellen Weg zum Terrorismus.

An die Unterscheidung zwischen gedanklicher und handelnder Radikalisierung knüpfen auch McCauley und Moskalenko an. Sie kritisieren, dass die Radikalisierungsforschung das Ziel, Terrorismus in seiner vollen Bedeutung zu verstehen, zum Teil verfehlt. Viele Menschen radikalisieren sich zwar gedanklich, aber dies führt nicht unbedingt zu gewalttätigen oder terroristischen Aktionen. Es muss weiterhin beachtet werden, dass terroristische Anschläge auch ohne eine vorherige gedankliche Radikalisierung denkbar sind. Den Autoren zufolge sollte in Frage gestellt werden, ob der Fokus auf die Vermeidung von radikalen Ideologien ein fruchtbarer Weg ist, Terror im weitesten Sinne vorzubeugen. Die Dynamiken, welche in einem Krieg gegen Ideologien entstehen, sind schwer zu überschauen und ihre Effekte unklar. So geben McCauley und Moskalenko zu bedenken, dass „[a]s several milestone authors have recognised, government overreaction to terrorist threat (collateral damage, escalating policing, jujitsu politics) can create new threats.“ (McCauley & Moskalenko, 2017, S.211). Aufgrund fehlender Differenzierung zwischen gedanklicher und handlungsorientierter Radikalisierung entstehen vorwiegend staatliche Interventionen, die sich gegen bestimmte Ideologien richten. Es erscheint plausibel, dass derartige politische Aktionen Personen mit radikalem Gedankengut jedoch erst recht zu gewaltvollen Handlungen provozieren. Della Portas (2013) Ausführungen zu den Actio-Reactio-Dynamiken zwischen Polizei und radikalen Gruppen bestärken eine solche Vermutung. Weiter unten werden ihre Überlegungen noch genauer erläutert (siehe Kapitel 3.2.3). Die Relevanz einer Unterscheidung auch in Bezug auf Terrorismus- und Radikalisierungsforschung wird deutlich. In vielen bestehenden Modellen wird die gedankliche Radikalisierung jedoch stets als notwendige Vorstufe der Handlungs- radikalisierung begriffen.

Two Pyramids Model (McCauley & Moskalenko, 2017)

Das „Two Pyramids Model“ von Moskalenko und McCauley (2017) versucht hingegen, klar zwischen den beiden Prozessen zu unterscheiden. Zum besseren Verständnis werden in Tabelle 1 die Verläufe von Meinungs- („Opinion Pyramid“) sowie Handlungsradikalisierung („Action Pyramid“) abgebildet. Bei der Meinungsradikalisierung verläuft die Dimension von persönlicher Neutralität über das Sympathisieren mit einer Sache bis hin zum Rechtfertigen von Gewalt für einen bestimmten Zweck. Im Extremfall mündet sie in ein Gefühl persönlicher moralischer Verpflichtung, Gewalt für diesen Zweck anzuwenden. In der Handlungs- radikalisierung wird die Dimension von keiner bis hin zur terroristischen Handlung mit den Zwischenschritten des Aktivisten (legale Aktionen) und Radikalen (illegale Gewalt) beschrieben. Im Gegensatz zu den Modellen von Moghaddam (2005) oder Silber und Bhatt (2007) stehen die Ebenen im „Two Pyramids Model“ in keiner fixierten Reihenfolge.

Individuen können in ihrer Entwicklung auch zwischen verschiedenen Ebenen wechseln und müssen nicht jede einzelne Ebene durchlaufen, um in die nächste eingeordnet werden zu können. Laut McCauley und Moskalenko (2017) bestätigt sich ihr Modell darin, dass 99% der Menschen mit radikalen Meinungen niemals gewalttätig handeln.

Abbildung in dieer Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1

Bereits 2011 konnten die Autoren verschiedene Radikalisierungsmechanismen aufdecken, die Personen ohne radikale Meinung entweder auf einer individuellen oder gruppenbezogenen Ebene zu radikalen Handlungen verleiten können. Sie stellten fest, dass auf Individuenebene starke Emotionen eine ausschlaggebende Rolle spielen. So können sowohl negative Affekte wie Rache und damit verbundene Trauer oder Wut über eine an einem Selbst oder der zugehörigen Gruppe erlebten Ungerechtigkeit, als auch positive Affekte wie Liebe und der Wunsch, einem geliebten radikalen Menschen helfen zu wollen, zu einer Radikalisierung führen. Weiterhin sehen die Autoren den Drang nach Macht und Risiko, die Flucht vor dem Selbst sowie die „slippery slope“, also das im Terrorismus endende fortfolgende Teilnehmen an radikalen Akten, als potentielle Mechanismen an. Das sogenannte „unfreezing“, das den Verlust sozialer Verbindung und die Öffnung für neue Ideen umfasst, kann als Multiplikator für die genannten Mechanismen fungieren. Eine wichtige und dennoch häufig missachtete Erkenntnis ist, dass starke Emotionen auch eine Rolle bei Planung und Umsetzung eines terroristischen Aktes spielen. Diese Tatsache muss vor allem bei präventiven und intervenierenden Maßnahmen beachtet werden. Neben diesen individuellen Faktoren konnten die Autoren auch verschiedene Gruppen- sowie Massenmechanismen identifizieren (z.B. Wettbewerb, Isolation und Bedrohung).

[...]

Fin de l'extrait de 39 pages

Résumé des informations

Titre
Psychologie des Terrorismus. Ein systematisches Review zum "Lone-Wolf" Terroristen
Université
Klagenfurt University
Note
2
Auteur
Année
2018
Pages
39
N° de catalogue
V450151
ISBN (ebook)
9783668848603
ISBN (Livre)
9783668848610
Langue
allemand
Mots clés
Terrorismus, Lone-Wolf, Einzeltäter, Terrorist, Psychologie, Attentat, Terroristen, Attentäter, Anschlag
Citation du texte
Fritjof Mellin (Auteur), 2018, Psychologie des Terrorismus. Ein systematisches Review zum "Lone-Wolf" Terroristen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/450151

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